DiskursGlossar

Inklusion

Kategorie: Schlagwörter
Verwandte Ausdrücke:
Anerkennung, (Recht auf) Teilnahme, Teilhabe, Exklusion, Ausschließung, Diskriminierung
Siehe auch: Partizipatorischer Diskurs, Moralisierung
Autor: Clemens Knobloch
Version: 1.2 / Datum: 24.05.2020

Kurzzusammenfassung

Inklusion hat sich, ausgehend von einem soziologischen Fachterminus gleichen Namens, in den zwei vergangenen Jahrzehnten zu einem interdiskursiven und allgemeinen Programmbegriff gewandelt. Er steht für die Forderung, reale und symbolische Zugangsbarrieren für Angehörige diskriminierter Gruppen und Minderheiten abzubauen. Im Schulsystem ist der Inklusionsanspruch verrechtlicht: Eltern haben das Recht, Kinder mit Förderbedarf (wegen körperlicher, psychischer, sozialer und sonstiger Lernbehinderungen) im allgemeinen Schulsystem anzumelden. Im weiteren Sinne bezieht sich Inklusion auf die verbale und institutionelle Einbeziehung ehedem stigmatisierter und minderheitlicher Gruppen (sexuelle Minderheiten, Behinderte, Kinder, Migranten etc.) in die gesellschaftlichen Normalinstitutionen.

Erweiterte Begriffsklärung

​Der Anspruch auf Teilhabe aller wird in der Regel öffentlich begründet mit der UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 (von der deutschen Bundesregierung 2009 ratifiziert). Vor diesem Hintergrund gilt Inklusion als menschenrechtlicher Anspruch. Das verleiht dem Fahnenwort Inklusion moralische und juristische Schubkraft. Prominent ist die pädagogische Sphäre. Die meisten Menschen denken bei Inklusion zuerst an das Elternrecht, Kinder mit (psychischen, körperlichen, sozialen, sprachlichen, lernpsychologischen….) Behinderungen im allgemeinen Schulsystem ausbilden zu lassen. Danach aber auch an das Teilnahmerecht aller marginalisierten Minderheiten an den Zusammenhängen und Veranstaltungen der (normalistischen) Mehrheit. Unter Inklusion fallen aber auch andere Sphären der demonstrativen Zugangserleichterung für Gruppen, die zuvor als diskriminiert kodiert worden sind. Etwa ,leichte Sprache‘ für Parteiprogramme, Nachrichten, Behördenpost, barrierefreie Zugänge für Rollstuhlfahrer, Gestendolmetscher für Gehörlose bei öffentlichen Veranstaltungen etc. Auch Themen wie ,Wahlrecht für Kinder‘ werden unter Inklusion abgehandelt.

In der Zwischenzeit hat sich um den Inklusionsbegriff herum ein Umfeld von Image-, PR- und Selbstdarstellungsinstitutionen etabliert. Betriebe installieren Inklusionsbeauftrage, Hochschulen veranstalten Inklusionstage. Inklusion wird Überschrift und Zusammenfassung für alle Aktivitäten, durch die sich Betriebe, Behörden und andere Institutionen ein weltoffenes moralisches Image beizulegen versuchen.

Inklusion hat enge implikative Beziehungen zum Programmbegriff ,Diversität/Vielfalt‘. Aufgerufen wird in Inklusionsappellen immer der Leitgedanke, dass die Verschiedenheit innerhalb einer kollektiven Wirgruppe eine Produktivkraft sei, die für bessere Lösungen sorgen könne. Wirksam ist hier das Modell der Biodiversität, das (vereinfacht) besagt: Je mehr (in der Biologie: genetische) Optionen in einer Nische zur Auswahl stehen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Innovatives, Überlebenstaugliches etc. dabei ist.

War der ursprüngliche soziologische Fachterminus logisch-systematisch, so ist die interdiskursive Programmversion von Inklusion eher ein moralischer Anspruch, der den analytischen Anspruch umkehrt, in sein Gegenteil verwandelt. Für die soziologische Systemperspektive gilt: Inkludiert sind in ein Funktionssystem (Recht, Wirtschaft, Wissenschaft etc.) alle systemrelevanten Handlungen. Und insofern die Handlung eines Teilnehmers zum Rechts- oder Wirtschaftssystem gerechnet werden muss, kann und darf man keine Eigenschaften in Anspruch nehmen, die zu einem anderen funktionalen System gehören. Was juristisch ,geht‘, braucht moralisch nicht makellos zu sein und umgekehrt. Im Rechtssystem wird alles binär kodiert auf zulässig/unzulässig, im Wissenschaftssystem auf wahr/falsch. Wer also in seiner Praxis als Wissenschaftler für sich in Anspruch nehmen wollte, dass seine Befunde nicht nur ,wahr‘, sondern auch ,gut‘ seien, der hätte sich einer Entgleisung schuldig gemacht. Der interdiskursiv moralisierte Programmbegriff gleichen Namens macht diese Entgleisung zur Norm. Die Leistungsansprüche des Gymnasiums schließen schwache, behinderte, intellektuell wenig leistungsfähige Schüler aus? In der soziologischen Perspektive wäre das ein Beleg für ihre Inklusivität. Denn Inklusivität bedeutet: Alleinige Berücksichtigung derjenigen Kriterien, die für die Systemzugehörigkeit einer Handlung relevant sind – und Ignorieren aller anderen, systemfremden Kriterien. Der programmatisch-interdiskursive Begriff der Inklusion ist also Aufhebung und Gegenteil des gleichnamigen soziologischen Fachterminus. Er fordert, was die Systemsoziologie grundsätzlich ausschließt: dass ganze Personen in die funktional differenzierten Teilsysteme aufgenommen werden sollen – und nicht nur Handlungen. Für die Systemsoziologie gehören wir als Personen zur ,Umwelt‘ der funktional differenzierten Systeme und nehmen an diesen nur durch einschlägige Handlungen teil.

Das Fahnenwort Inklusion formuliert einen grundsätzlich individuellen Anspruch: Jeder Einzelne hat das Recht auf Teilhabe an Bildung, Kultur, Normalität etc. (vgl. Nassehi 2003, 331-352). Das Fahnenwort taugt aber auch dazu, eine moralisierte Wir-Gemeinschaft derjenigen Menschen zu bilden, die niemanden von den Segnungen der Normalität ausschließen wollen. In der medienöffentlichen Debatte hat das zur Folge, dass Kritiker der Inklusionspraktiken befürchten müssen, als behinderten- oder minderheitenfeindlich dargestellt zu werden. Die Inklusionsdebatte ist eine hochgradig moralisierte Debatte. In der Pädagogik löst Inklusion als Paradigma den alten Leitbegriff Integration ab, erbt aber dessen Paradoxien in verschärfter Form (vgl. Dammer 2011, 5-30). Wenn es in allen Zusammenhängen selbstverständlich ist, dass alle dazugehören sollen und dürfen, dann werden vor allem die Grenzen der Inklusion unsichtbar gemacht. Zweifellos gehören nämlich die Minderheiten nicht dazu, die gar nicht als solche anerkannt sind oder nicht dazu gehören wollen. Niemand fordert die Inklusion von Dschihadisten oder Rechtspopulisten. Auch die Armen begegnen einem nicht im Inklusionsdiskurs. Sie sind keine anerkannte Minderheit mit Opferstatus. So gesehen ist Inklusion ein ,pseudouniversalistisches‘ Programm, das die Wohlhabenden und Wohlmeinenden installieren, um Zustimmung bei denjenigen zu erzeugen, die sich lieber den Gewinnern der globalen Marktwirtschaft zurechnen als den Verlierern. Inklusion zielt auf den ,Normalbereich‘. Die Attraktivität und Reichweite dieses Programms schrumpft daher, sobald sich auch erhebliche Teile der ,Normalbevölkerung‘ entrechtet und ausgeschlossen fühlen, die sich in den Inklusionsformeln der Wohlmeinenden nicht wiedererkennen und wiederfinden. Eine gebräuchliche Gegenstrategie besteht also darin, die ,Normalbevölkerung‘ zum eigentlichen, aber eben nicht anerkannten Opfer zu erklären.

Hochgehalten wird das Inklusionsprogramm sowohl von Moralagenturen innerhalb und außerhalb des Bildungssystems (allen voran die Aktion Mensch) als auch von progressiv-liberalen Medien, Parteien, Organisationen. Misst man das Programm der Inklusion an den wuchernden Praktiken der harten sozial-ökonomischen Exklusion (von ,gated communities‘ über gentrifizierte Wohnviertel, private Bildungseinrichtungen bis zu unbezahlbaren Mieten und wachsender Obdachlosigkeit), dann wirkt es wie der Versuch, sich trotzdem, per weicher Inklusion, ein gutes Gewissen zu verschaffen. Jedes inkludierte Individuum wirkt dann als lebendiger Beweis dafür, dass jeder es schaffen kann dazuzugehören.

Beispiele

Am meisten öffentliche Aufmerksamkeit für Inklusionsfragen gibt es im Bereich der schulischen Inklusion. Durch die werden allgemeinbildenden Schulen verpflichtet (mit erheblichen Unterschieden im Detail, je nach Bundesland), Kinder aufzunehmen und zu unterrichten, die nach bisherigen Kriterien ,Förderbedarf‘ haben und zuvor an speziellen Schulen (,für Kinder mit Förderbedarf‘) von speziell ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet wurden. In der Regel können Eltern übergangsweise entscheiden, ob sie ihre Kinder auf allgemeine Schulen oder auf Förderschulen schicken. Erklärtes Ziel ist aber meist die Auflösung der Förderschulen. Die müssen dann von helfenden auf ausschließende und diskriminierende Institutionen umkodiert werden.

Jeder nüchterne Betrachter wird hinter der erklärten guten Inklusionsabsicht das Ziel sehen, das differenzierte System der Förderschulen (und die kostspielige Ausbildung spezialisierter Förderschullehrer) einzusparen. Das Inklusionsprogramm bietet die einmalige Chance dazu, weil jeder Kritiker als behindertenfeindlich moralisch diskreditiert werden kann.

Der Nachdruck, mit dem die Propagandisten der Bildungsprivatisierung (allen voran die Bertelsmann Stiftung) das Programm der schulischen Inklusion vorantreiben (vgl. Klemm 2013), spricht Bände: Sie wissen, dass die Pflicht, Kinder mit diversen Lernbehinderungen, psychischen Problemen, sprachlichen und sozialen Schwierigkeiten etc. in allgemeine Schulen und Klassen aufzunehmen, das System der öffentlichen Schulbildung weiter diskreditieren und schwächen (und die Nachfrage nach privaten Bildungsinstitutionen stärken) wird (vgl. Knobloch 2018, 191-210). Das individuell erstreitbare Recht, eine allgemeine Hauptschule (anstatt einer Förderschule) zu besuchen, trifft auf eine Institution, die von der ,Normalbevölkerung‘ selbst bereits als stigmatisierend und ausschließend erfahren wird. Das individuell erstreitbare Recht, ein Gymnasium zu besuchen, dessen Leistungsziel (Abitur) nicht erreicht werden kann (man spricht dann von ,zieldifferenter‘ Inklusion), versetzt denjenigen, der es erstritten hat, in ein Umfeld, mit dem er nicht mithalten kann.

Literatur

  • Dammer, Karl-Heinz (2011): All inclusive? oder: Dabei sein ist alles? Ein Versuch, die Konjunktur des Inklusionsbegriffs in der Pädagogik zu verstehen. In: Pädagogische Korrespondenz, Heft 43, S. 5–30.
  • Knobloch, Clemens (2018): Wie man öffentlich über Inklusion spricht (und was man daraus schließen kann). In: Ders.: Das sogenannte Gute. Zur Selbstmoralisierung der Meinungsmacht. Siegen: universi, S. 191–210.
  • Klemm, Klaus (2013): Inklusion in Deutschland – eine bildungsstatistische Analyse (im Auftrag der Bertelsmann Stiftung). Gütersloh: Bertelsmann.
  • Nassehi, Armin (2003): Inklusion. Von der Ansprechbarkeit zur Anspruchsberechtigung. In: Lessenich, Stephan (Hrsg.): Wohlfahrtssprachliche Grundbegriffe. Historische und aktuelle Diskurse. Frankfurt a.M.: Campus, S. 331–352.

Zitiervorschlag

Knobloch, Clemens (2020): Inklusion. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 23.05.2020. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/inklusion.

 

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Topos der düsteren Zukunftsprognose

Der Topos der düsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.