DiskursReview | Arbeitspapiere

Über einige Neuzugänge im (täglich wachsenden) Repertoire bellizistischer Kampf- und Kontaminationsbegriffe

Autor: Clemens Knobloch
Version: 1.0 / 20.03.2023

[1] Was haben die Ausdrücke »Eskalationsphobie«, »Friedensmeute« und »Lumpenpazifismus« gemeinsam? Nun, zuerst einmal den Umstand, dass alle drei verdienstvolle Neuprägungen unserer medio-politischen Klasse sind, Neuprägungen, mit denen diejenigen bedacht und etikettiert werden, die nicht in den schrillen und hoch verbindlichen Chor der transatlantischen NATO-Strategie einfallen. Akteure, die womöglich sogar das Manifest von Schwarzer & Wagenknecht gezeichnet und an einschlägigen Demonstrationen teilgenommen haben, die sich an der abenteuerlichen Geschwindigkeit stoßen, mit der die atlantisch dominierten Medien Europas Regierungen vor sich her treiben. Nicht einmal einen Tag dauerte es, bis die Kampfjets auf dem Tisch lagen, nachdem die Lieferung schwerer Panzer an die Ukraine (wenn auch mit einigen aufschlussreichen Pannen und Hindernissen) durchgesetzt war.

Aber werfen wir zunächst einen Blick auf die sprachliche Kreativität unserer von der Aussicht auf  Krieg illuminierten Chefideologen. Die »Eskalationsphobie« stammt von Joachim Krause (Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Uni Kiel). Der outet sich umgehend selbst als äußerst eskalationsaffin: Im Kalten Krieg hätte es ja schließlich auch geklappt mit der Eskalationsbereitschaft des Westens. Womit er sich offenbar auf die Pershing-Offensive und den NATO-Nachrüstungsbeschluss bezieht, die seinerzeit (zu Anfang der 1980er Jahre) die Friedensbewegung ausgelöst haben. Ach so, es war also nicht die friedliche Selbstauflösung des Warschauer Paktes nach 1990…Aber zurück zum Wort: Jeder Blick in ein Sprachkorpus mit Politik-, Medien- und sonstigen Texten belehrt darüber dass »Eskalation« sich verbindet mit Argumenten wie Gewalt, Streit, Krise, Krieg, Spannung, Auseinandersetzung. Zu den hochfrequenten Adjektiven, mit denen es sich verbindet, gehören: blutig, gefährlich, dramatisch, endgültig und einige mehr. Kurz: »Eskalation« ist im Deutschen etabliert als Marke für gefährliche Ereignisse, die man besser meidet. Dem soll die Kopplung mit »Phobie« abhelfen, denn Phobien sind bekanntlich krankhafte, pathologische Widerstände gegen alles Mögliche, was sich bei gesunder Betrachtung als völlig harmlos erweist: Spinnen, geschlossene Räume, Menschenansammlungen, freie Plätze etc. Der rhetorische Trick besteht also darin, die Eskalation des Kriegs so zu präsentieren, als ob nur psychisch Kranke Anlass haben könnten, sich davor zu fürchten. Kranke freilich, so die allgemeine Überzeugung, muss man therapieren. Umso interessanter ist die Tatsache, dass wir im Kontext der »Eskalationsphobie« sogar auf die Forderung treffen, derartige Panikmache müsse strafbar sein. Dass Strafen gegen Phobien je geholfen hätten, ist freilich in der Psychologie nicht überliefert. Die Praxis zeigt aber, dass wir es mit einer stets mitlaufenden »Wir-können-auch-anders« Droh-Rhetorik zu tun haben, an der gewiss auch George Orwell seine helle Freude gehabt hätte. Ängstliche Zweifler werden sich jedenfalls hüten, dieses gefährliche Terrain zu betreten. So die offensichtlich nicht ganz vergebliche Hoffnung der atlantischen Sprachkämpfer.

[2] In der Süddeutschen Zeitung vom 27. Februar 2023 finden wir die hübsche Formel von der »Friedensmeute«, die sich bei der Berliner Demonstration für den Aufruf von Schwarzer & Wagenknecht zusammengefunden habe. Chapeau! Auch diese Zusammenfügung von positiv und negativ konnotierten lexikalischen Elementen ist hoch kreativ. Das Muster freilich kennen wir bereits. »Frieden« ist zweifellos und für jeden, der seine Murmeln beisammen hat, ein Hochwertwort. Und »Meute« (müssen wir das noch ausführen?) steht für das gerade Gegenteil, nämlich für eine blinde, gewaltbereite und fanatische Masse, die ein definitiv illegitimes Ziel mit definitiv illegitimen Mitteln verfolgt. Das rhetorische Ziel dieser Bildung ist offenkundig: Wir sollen lernen, dass, wer sich für Frieden einsetzt, in diesen Tagen ein zu allen Schandtaten bereiter Putinknecht ist.

Ganz offenkundig ist der (ziemlich orwellianische) Versuch, alle inhärenten Wertungen in sprachlichen Konzepten strategisch umzukehren. Was konnotativ positiv war, muss negativ werden, und umgekehrt. Aus strategischen Programmbegriffen wie »Frieden«, müssen Feindbegriffe werden, aus Gegenbegriffen wie »Eskalation« müssen Programmbegriffe werden.

[3] Nicht vergessen dürfen wir indessen den Kollegen Sascha Lobo, so eine Art rhetorisches Flaggschiff der von SPIEGEL, FOCUS etc. instrumentierten Kampagnen. Geprägt hat er (um nur einen Ausdruck zu nennen) den »Friedensschwurbler«, zweifellos eine hoch dominante Figur der gegenwärtigen Medienszene. Der »Schwurbler« verdiente gewiss eine eingehende Untersuchung, die wir hier nicht leisten können. Er gehört zu den Errungenschaften der Corona-Diskurse, in denen er als Feindbegriff durchgesetzt worden ist (Definitionsversuche kenne ich keine). Lobo kalkuliert offenbar, dass man den diskreditierten Querdenkern des Corona-Diskurses einfach nur alles zurechnen muss, was sich gegen die NATO-Linie richtet. Da kommen »Schwurbler« gerade recht.

[4] Pardon, wir haben den »Lumpenpazifismus« beinahe vergessen! Er gehört dem hoch intellektuellen und subtilen Kopflanger-Milieu  an, das man mit Namen wie Herfried Münkler verbinden muss. Das rhetorisch-darstellungstechnische Bauprinzip ist mittlerweile vertraut. Man sollte nicht glauben, dass akademische Kopflanger besser sind als ihre massenmedialen Vor- und Nachbeter. Im Gegenteil: Die Szene lehrt, dass auch die Intelligenz nur dann in den Medien zu Wort kommt, wenn sie deftige und spektakuläre Feindbegriffe zu bieten hat. Lobo hat den »Lumpenpazifismus« gerne übernommen. Analysen sind eher nicht gefragt.

Stattdessen gewöhnt man das Publikum an die kurrente Umwertung aller Werte: Michael Roth (SPD, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag) stellt im Deutschlandfunk (13. Januar 2023) die Forderung: »Frieden schaffen mit mehr Waffen«, was sich sogar reimt und offenbar die zeitgemäße Neufassung einer Parole der Friedensbewegung sein soll.

Wenige Tage vorher (am 6. Januar) spricht der FOCUS dem (seit Monaten als Zauderer portraitierten) Bundeskanzler Mut zu: »Nur Mut, Herr Kanzler, vor Russland müssen Sie keine Angst haben.« Was dann doch etwas verwundert angesichts der Tatsache, dass Putin doch, wie man weiß, vor nichts zurückschreckt. Es folgt der Hinweis, die USA würden Deutschland (offenbar mit Erfolg?) »ermutigen«, in diesem Krieg die »Führungsrolle« zu übernehmen, was ausnahmsweise sogar ein bisschen stimmt, nur dass »ermutigen« vielleicht nicht ganz das richtige Verb ist. Die Deutschen sollen auf die Vorderbühne, während die strategische Regie in den Ramsteiner US-Händen bleibt.

[5] Was immer hilft, ist: Abweichler in die Nazi-Ecke zu stellen. Gegenüber Linken kommt diese Option stets als Warnung vor der »Querfront«. Die mitlaufende Prämisse ist: Wenn ein Gedanke auch von den »Falschen« gedacht wird, dann ist er für die Guten und Richtigen tabu. Daraus folgt freilich, dass ausgerechnet der unberührbare Feind darüber entscheidet, was wir rechtmäßig denken und fordern dürfen. Er muss nur etwas Vernünftiges sagen, und schon dürfen wir es nicht mehr sagen. Kenneth Burke, Rhetorik-Theoretiker (und wahrscheinlich der erste, der einen genauen Blick in Hitlers »Mein Kampf« geworfen hat) schrieb im Jahre 1937: »Occasionally, when one makes a statement, his auditor will reprove him by observing that some Nazi ideologist has made a similar statement« (Attitudes toward History, S. 223), um dann fortzufahren, er sei ganz froh, dass kein Nazi-Ideologe »happens to have grown rhapsodic in praise of the multiplication table«, denn sonst müssten alle anständigen Nazi-Gegner die Arithmetik verurteilen.

[6] Ein bisschen Linguistik muss noch sein an dieser Stelle, wenn wir das Bauprinzip einschlägiger Ausdrücke verstehen wollen. Wenn man Ausdrücke miteinander koppelt, deren kognitive Gehalte auf den ersten Blick unvereinbar sind, dann entsteht oft so etwas wie eine neue Perspektive auf das Gemeinte. Wenn der Soziologe Thorstein Veblen von »erlernter Unfähigkeit« spricht (trained incapacity), dann kehrt er unser Standardverständnis um, nach welchem eben Fähigkeiten erworben und erlernt werden, nicht Unfähigkeiten. Und das verhilft uns zu einer neuen Perspektive auf das Gemeinte. Die Ausdrücke, die wir oben vorgestellt haben, versuchen etwas Ähnliches, aber eben nicht auf der Ebene der kognitiven Gehalte, sondern im Feld von Konnotation und Evaluation. Indem sie evaluativ unvereinbare Ausdrücke und Gehalte zusammenstellen, infizieren sie sich gegenseitig, und moralisch positiv evaluierende Begriffe (»Frieden«, »Pazifismus«) werden mit Feind- und Stigmagehalten aufgeladen. Man könnte derartige sprachliche Techniken als Verfahren der »Ummoralisierung« des Gemeinten zusammenfassen. Wenn der Wertewesten seine Angriffskriege seit den 1990er Jahren gerne als »humanitäre Interventionen« bezeichnet, dann folgt er dieser Strategie, die (einigermaßen naturwüchsig) die Kriegspropaganda aller Parteien durchzieht.

Zitiervorschlag

Knobloch, Clemens (2023): Über einige Neuzugänge im (täglich wachsenden) Repertoire bellizistischer Kampf- und Kontaminationsbegriffe. In: Diskursmonitor. Online-Plattform zur Aufklärung und Dokumentation von strategischer Kommunikation. Veröffentlicht am 20.03.2023. Online unter: https://diskursmonitor.de/review/ueber-einige-neuzugaenge-im-taeglich-wachsenden-repertoire-bellizistischer-kampf-und-kontaminationsbegriffe.