DiskursReview | Arbeitspapiere

Wehrhafte Demokratie: Vom Wirtschaftskrieg zur Kriegswirtschaft

Autorin: Susanna Weber
Version: 1.0 / 26.08.2024
[Für den ersten Teil der Reihe siehe hier]

Die deutlich gestiegene Verwendungshäufigkeit des Wortes „kriegstüchtig“ in öffentlichen Medien innerhalb der letzten Monate ist ein Hinweis auf die fortschreitende Militarisierung der Gesellschaft. Zugleich ist festzustellen, dass kriegskritische oder gar grundsätzlich ablehnende, pazifistische Positionen in der Berichterstattung weitgehend marginalisiert werden (wenn man beharrlich sucht, landet man etwa bei einer Sendung im Nachtprogramm: „Muss Deutschland wirklich „kriegstüchtig“ werden?“[1]. Zu dieser Beobachtung der sprachlichen Oberfläche sind die politischen Maßnahmen und Entscheidungen zu ergänzen, die zum Teil weitreichende, auch alltagsweltliche Folgen haben:

Militarisierung der EU

Weitgehend ohne Öffentlichkeit und situiert in rechtlichen Grauzonen findet derzeit die Militarisierung der ursprünglich als „Friedensprojekt“ gedachten EU statt. Mit Hilfe der ohnehin für Laien kaum nachvollziehbaren Entscheidungsprozesse der EU und ihrer Institutionen und ohne Kontrolle durch das Europäische Parlament, werden finanzielle und prozessuale Mittel bereitgestellt, um einen eigenständigen europäischen Rüstungskomplex zu formieren und „kriegstauglich“ zu machen. Auf dem Blog des Europa-Abgeordneten Martin Sonneborn („Die Partei“) erschien dazu am 11.3.2024 ein polemischer, aber gut recherchierter Artikel zu diesem Thema [2]. Ein Beispiel aus der aktuellen EU-Politik: Artikel 41 der Unionsverträge, der alle Ausgaben mit „militärischen und verteidigungspolitischen Bezügen“ aus Haushaltsmitteln der Union verbietet, wird selbstredend schon länger unterlaufen, und zwar mit „Schattenhaushalten“ und „Sondervermögen“, die das Parlament umgehen. Die jüngste dieser Konstruktionen (2021) ist die sogenannte „Europäische Friedensfazilität“, ein besonders abgefeimter orwellscher Neusprech-Begriff, denn diese „Fazilität“ finanziert im Wesentlichen die Aufrüstung der Ukraine. In der FAZ vom 22.3.24 findet sich eine Bestätigung und Ergänzung dazu unter der Überschrift Warum die EIB (Europäische Investitionsbank) nicht einfach Rüstung finanzieren kann [3]. Auch hier wird deutlich, dass und wie über zunächst sprachliche Manöver erst Diskurs- und parallel Entscheidungsräume manipuliert werden: Trotz der unmissverständlichen Bestimmung, dass die EIB Rüstungsgüter nicht finanzieren darf, wird unverhohlen über juristische und politische Umgehungsmöglichkeiten diskutiert. Die EU-Regierungs-Chefs „laden die EIB ein“, ihre Investitionspraxis „anzupassen“ – eine „Einladung“, die sicher nicht ausgeschlagen wird.
„Rechtsstaatlichkeit“, „Demokratie“ sind im Kontext von EU-Politik äußerst flexible Bezeichnungs-Ressourcen. Man könnte auch von einer „Militarisierung auf den Trümmern des Rechts“ sprechen (so der Verfassungsrechtler Andreas Fischer-Lescano 2018, zit. n. Sonneborn a.a.O. [4]), die faktisch gegeben, aber sprachlich (noch) verdeckt ist. (Für Details [5]).

Die jüngste Drehung in der EU-Militarisierung lieferte Frankreichs Staatspräsident Macron mit seinen Vorschlägen zu einer eigenständigen nuklearen Atomstreitmacht der EU, die vom unzuverlässig gewordenen US-amerikanisch dominierten NATO-Schutz unabhängig machen soll [6].

Nationale Militär-Propaganda-Offensiven

Die deutsche „Bildungsministerin“ Stark-Watzinger (FDP) machte kürzlich von sich reden, als sie sich, sekundiert von einem Vertreter des Lehrerverbandes, für mehr „Krisenkompetenz“ bei Kindern und Jugendlichen aussprach, z. B. durch mehr „Zivilschutzübungen“, und für ein „unverkrampftes“ Verhältnis der Schulen zur Bundeswehr plädierte – als gäbe es nicht seit Jahrzehnten den mehr oder weniger intensiven Einsatz von „Jugendoffizieren“ in den Schulen, „Karriereberatung“ für Schulabgänger und seit dem Ende der Wehrpflicht verstärkt die Nutzung der sogenannten sozialen Medien für zielgruppenspezifische Ansprache. So wird z. B. über die Bundeswehr PR-Kanäle ein Quiz angeboten, das mit aufregenden „Erlebnistagen beim Heer“ lockt, und das Jugendmagazin „Strong“ (!) bietet Kriegsspiele als „Top-Events“ unter dem Label „Discovery Days“ an. Munitioniert mit dem glitzernden PR-Slang von Werbeagenturen und dekoriert mit Elementen der „Erlebnispädagogik“ wird jungen Menschen eine Institution präsentiert, die neben Ausbildung und Abenteuer auch noch die moralische Adelung als „Verteidiger der Freiheit und des Vaterlandes“ mitliefert. Schon jetzt werden ca. 10 % der Bundeswehr-Neuzugänge als noch nicht Volljährige (mit 17!) rekrutiert und ausgebildet, eine politisch und rechtlich umstrittene Praxis.

Ohne Strafanzeige oder eine Welle von Kündigungen (der Verantwortlichen) konnte kürzlich das ZDF in einer Kindersendung (!) eine weitere Schwelle niederreißen, als es in einem Video-Clip die zu Comic-Figuren verniedlichten Waffensysteme Taurus, Storm Shadow (brit.), SCALP (franz.) über Olaf Scholz‘ (vorläufige) Ablehnung der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine streiten ließen – natürlich „kindgerecht“, in „satirischer“ Absicht [7]. Als eine Art Testlauf für die gewünschte auch mentale „Kriegstüchtigkeit“ kann die Wiederbelebung der Diskussion zur möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht angesehen werden. Dazu passt die Begleitrhetorik zur Stationierung einer Brigade der Bundeswehr in Litauen, eine Mischung aus Kriegsvorbereitungsappellen („Flagge zeigen an der Ostflanke“) und Personalwerbung: einerseits wird (wieder einmal) beschworen, dass „unsere“ Freiheit „auch im Baltikum“ verteidigt werden müsse (war da mal was „am Hindukusch“?), andererseits wird betont, dass man sich um „familienfreundliche“ Arbeitszeiten und Wohnmöglichkeiten kümmere.
Der aktuellste Coup im Rahmen der mentalen Kriegsertüchtigungsmaßnahmen ist die unvermittelte und schnelle Einigung der Ampel-Parteien mit der CDU-CSU zur Einrichtung eines sogenannten Veteranen-Tages, zukünftig zu begehen am 15. Juni. Mit dem zugleich Hochwert- wie Container-Begriff der „Kultur“ zusammengespannt wird davon gesprochen, „wir“ brauchten „mehr Veteranenkultur“, und dies klingt wie eine Drohung – mit noch mehr moralisierender Vaterlands- und Heldenrhetorik, die mögliche Fragen, etwa nach dem Wozu? Und in wessen Interesse? Schon im Ansatz verhindert [8]).
Dass inzwischen auch die Abschaffung der sogenannten Zivil-Klauseln (die Selbstverpflichtung, Forschung nur für zivile Zweck zu betreiben), die an einigen Hochschulen noch gelten, ins Spiel gebracht und voraussichtlich auch umgesetzt wird, überrascht schon nicht mehr. Auch die bescheidensten Residuen antimilitaristischer, geschichtsbewusster und friedensorientierter Positionen werden abgeräumt.

„Ertüchtigung“ zur Kriegswirtschaft

Nach der Verhängung zahlreicher Sanktionen gegen Russland, die – was mittlerweile nicht mehr zu leugnen ist – die eigene Ökonomie mehr schädigen als die russische, wird verstärkt der Umbau zur Kriegswirtschaft (national und EU-weit) vorangetrieben. Neben der faktischen Aufhebung von Beschränkungen des Rüstungsexportes, explizit mit der Zustimmung der Grünen, gehören dazu die Ausweitung sowie die staatliche Förderung und Subventionierung der heimischen Rüstungsproduktion, Rückkauf-, „Ringtausch“ und Umwegsbeschaffungen von Waffensystemen und auch der Einsatz von Truppen zur „Sicherung der Transportwege“, wie kürzlich im Roten Meer. In den jüngsten Verhandlungen der regierenden Koalition um den Bundeshaushalt wird die Aussetzung der Schuldenbremse speziell für den Militärhaushalt diskutiert, und in diesem Zusammenhang ein alter Topos aus der Rhetorik der Nationalsozialisten reaktiviert: der „Kanonen oder Butter“-Topos. Sicher nicht zufällig greift Clemens Fuest, Chef des Münchener ifo-Instituts, diese Argumentationsfigur auf, um die bevorstehenden Kürzungen im Sozialetat, zu legitimieren: Kanonen und Butter seien „Schlaraffenland“ – will sagen: von dem müssen vor allem die Arbeitslosen, Bürgergeld-Bezieher, Asylsuchenden nun endlich Abschied nehmen [9] [10].
Demgegenüber: Rheinmetall, der größte Rüstungskonzern in Deutschland kann sich schon über die Verfünffachung seines Börsenwertes freuen und fordert gleichzeitig, es müsse noch viel mehr (Steuergeld natürlich) investiert werden, um die Waffenproduktion auf Dauer weiter steigern zu können. H.C. Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, gelingen dabei bemerkenswerte semantische Umdeutungen: „Der Krieg erfordert Resilienzwirtschaft“ (damit wäre eines der gerade aktuellen buzzwords im Ring und: „(…) „kriegstüchtig“ zu machen, also (sic! S.W.) Krieg wirksam vermeiden zu können“ [11]. (Vgl. auch die lesenswerte Studie von Jonas Uphoff zur medialen Darstellung von Rheinmetall [12]).

Die skizzierten Redeweisen und Deutungsmuster werden täglich in die mediale Öffentlichkeit eingespeist, bestätigend wiederholt und auf diese Weise „normalisiert“. Abweichungen von der dominierenden Erzählung werden nicht nur delegitimiert, sondern immer häufiger in die Nähe von staatsbürgerlicher Unzuverlässigkeit, gar Verrat gerückt.
Eine besonders perfide Strategie ist der zunehmende (zunächst moralische) Druck auf Ukrainer im wehrfähigen Alter, von denen nach Schätzungen ca. 325 000 inzwischen in der EU leben, davon ca. 100 000 in Deutschland. Offiziellen Anträgen von Ukrainern auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer wird in Deutschland (das sich ehemals mit dem entsprechenden Art. 4.3 des GG als demokratischer Errungenschaft „schmückte“) nur in sehr wenigen Fällen stattgegeben, Forderungen nach Kürzungen der staatlichen Unterstützungsleistungen für wehrfähige ukrainische Männer werden offen diskutiert und ebenso die Hilfe für staatliche ukrainische Stellen zur „Auffindung“ dieser Personen zwecks „Registrierung“, d.h. zur Zustellung von Einberufungsbescheiden, deren Nichtbefolgung u.a. nach sich zieht, dass der Reisepass nicht verlängert wird (es sei denn, sie reisen zurück in die Ukraine, von wo sie aber dann nicht mehr ausreisen können). Auch diese „Kriegsdienstverweigerer-sind-Drückeberger“-Diskussionen kommen zumindest den Älteren unter uns bekannt vor – aus den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, als es darum ging, die straflose Inanspruchnahme des Grundrechtes auf Kriegsdienstverweigerung, Art. 4.3 des GG, ohne die übliche vorgeschaltete Gewissensprüfung (über drei Instanzen, in der letzten Instanz nach Ablehnung mit Haft bestraft!) zu erkämpfen.

Fußnoten

[1] Bayern 2, „Muss Deutschland wirklich „kriegstüchtig“ werden“ vom 26.03.2024. https://www.ardaudiothek.de/episode/nachtstudio/muss-deutschland-wirklich-kriegstuechtig-werden/bayern-2/13266371/ ; Zugriff: 14.08.2024.

[2] Martin Sonneborn auf X, Tweet vom 11.03.2024. https://x.com/MartinSonneborn/status/1767109587600073029 ; Zugriff: 14.08.2024.

[3] FAZ, „Warum die EIB nicht einfach Rüstung finanzieren kann“ vom 22.03.2024. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/warum-die-eu-hausbank-nicht-einfach-ruestung-finanzieren-kann-19606172.html ; Zugriff: 14.08.2024.

[4] Siehe [2]

[5] Özlem Alev Demirel und Jürgen Wagner, „Umschalten auf Kriegswirtschaft“ vom 24.04.2024. https://www.imi-online.de/2024/04/24/umschalten-auf-kriegswirtschaft/ ; Zugriff: 14.08.2024

[6] Oliver Meiler, SZ, „Warum Macron Europa Atomwaffen anbietet“ vom 03.05.2024. https://www.sueddeutsche.de/politik/frankreich-europa-verteidigung-atomwaffen-1.6866489?reduced=true ; Zugriff: 14.08.2024.

[7] un.logo!, YouTube, Kein Taurus für die Ukraine | un.logo! #shorts. https://www.youtube.com/watch?v=kgsVFZXnkAE ; Zugriff: 14.06.2024.

[8] FAZ vom 21.4.2024, „Ampel und Union einig beim Veteranentag“, AFP.

[9] Handelsblatt, „Wir müssen für Kanonen nicht auf Butter verzichten“ vom 04.03.2024. https://www.handelsblatt.com/meinung/homo-oeconomicus/gastkommentar-homo-oeconomicus-wir-muessen-fuer-kanonen-nicht-auf-butter-verzichten/100019189.html ; Zugriff: 14.08.2024.

[10] ZDF, „Kanonen und Butter sind Schlaraffenland“ Clemens Fuest bei „maybrit illner“ vom 22.02.2024. https://www.zdf.de/politik/maybrit-illner/clemens-fuest-kanonen-und-butter-sind-schlaraffenland-maybrit-illner-22-februar-2024-100.html ; Zugriff: 14.08.2024.

[11] Hans Christoph Atzpodien, FAZ, „Die Bundeswehr braucht mindestens noch einmal 100 Milliarden“ vom 10.04.2024. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/bundeswehr-braucht-mehr-geld-was-der-krieg-von-deutschland-erfordert-19643302.html ; Zugriff: 14.08.2024.

[12] Jonas Uphoff, „Von der Schmuddelecke in die Systemrelevanz“ vom 16.04.2024.  https://www.imi-online.de/2024/04/16/von-der-schmuddelecke-in-die-systemrelevanz/ ; Zugriff 14.08.2024.

Zitiervorschlag

Weber, Susanna (2024): Wehrhafte Demokratie: Vom Wirtschaftskrieg zur Kriegswirtschaft. In: Diskursmonitor. Online-Plattform zur Aufklärung und Dokumentation von strategischer Kommunikation. Veröffentlicht am 26.08.2024. Online unter: https://diskursmonitor.de/review/wehrhafte-demokratie-vom-wirtschaftskrieg-zur-kriegswirtschaft/.