DiskursGlossar
Untersuchungsausschuss
Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Kommission
Siehe auch: Skandal
Autor: Maximilian Pichl
Version: 1.1 / Datum: 03.11.2021
Inhaltsübersicht
Kurzzusammenfassung
Erweiterte Begriffserklärung
Beispiele
Literatur
Zitiervorschlag
Kurzzusammenfassung
Untersuchungsausschüsse sind ein Kernbestandteil parlamentarischer Kontrolle in Deutschland. Als Verfahren, die zu einem großen Teil öffentlich durchgeführt werden, dienen sie dazu, politische Skandale der Regierung und Verwaltung aufzuarbeiten. Durch ihre Abschlussberichte, die dem Parlament vorgelegt werden, sollen Fehler der Exekutive sichtbar gemacht und Handlungsempfehlungen beschlossen werden.
Erweiterte Begriffsklärung
In der parlamentarischen Kontrolle haben Abgeordnete die Möglichkeit, Fragen an die Regierung im Plenum oder schriftlich zu stellen oder hinter verschlossenen Türen im Parlamentarischen Kontrollgremium Erkenntnisse der Nachrichtendienste auszuwerten. Aber nur Untersuchungsausschüsse bieten die Möglichkeit, ein Verfahren vor den Augen der Öffentlichkeit durchzuführen, um politische Skandale aufzuarbeiten. In den letzten Jahren gab es beispielsweise im Deutschen Bundestag Untersuchungsausschüsse zur NSU-Mordserie (siehe unten), zum Cum-Ex-Dividendenhandel, zur fehlenden Finanzkontrolle im Wirecard-Skandal oder zum islamistischen Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz und der Rolle des Verfassungsschutzes.
Max Weber schrieb in einem Beitrag von 1918, nur wer sich
„vermag im Einzelfall die Verwaltung wirksam zu kontrollieren. […] [Der Reichstag] ist geflissentlich außerstande gesetzt, sich die zur Verwaltungskontrolle erforderlichen Kenntnisse zu beschaffen, also, außer zum Dilettantismus, auch zur Unkenntnis verurteilt.“ (Weber 2011: 56)
Weber leistete praktische Politikberatung, um diesem Zustand zu begegnen, und entwarf – in Anlehnung an die englischen und französischen Vorbilder – ein eigenes Untersuchungsrecht für den Reichstag. Zentrale Elemente aus diesem Untersuchungsrecht bestehen bis heute: Rechte für die parlamentarische Minderheit, Akteneinsicht und das Recht zur Zeug:innenvernehmung (für einen Überblick: Kingreen 2018).
Das Verfahren der Untersuchungsausschüsse ähnelt einem Strafverfahren, aber es hat eine ganz andere Zielrichtung. Es richtet sich in erster Linie an die Öffentlichkeit (Bräcklein 2006). Politische Fraktionen, in der Regel aus der Opposition, haben in der Vergangenheit das Instrument des Untersuchungsausschusses in erster Linie strategisch dafür genutzt, um politische Skandale der Regierung aufzuklären und aus den Versäumnissen ggf. politisches Kapital zu schlagen. In öffentlichen Sitzungen werden Zeug:innen aus der Regierung, der Verwaltung oder Expert:innen geladen und stellen sich den Fragen der Abgeordneten. Die Frage, wie die Öffentlichkeit in Untersuchungsverfahren herzustellen ist, ist aber auch ein Gegenstand unterschiedlicher Strategien: Gerade die Ministerien und Behörden versuchen in der Sicherheitspolitik durchzusetzen, dass bestimmte Vorgänge aus Polizei und Geheimdiensten nur in nicht-öffentlichen Sitzungen behandelt werden. Dies nimmt dem Untersuchungsausschuss dann sein wirkmächtigstes Instrument: das Handeln der Exekutive, das Wissen des Staates aus den Akten, öffentlich sichtbar zu machen.
Untersuchungsausschüsse fungieren im politischen Wettstreit oft als öffentliche Drohung, um Druck auf die Regierung oder Behörden auszuüben. In den Abschlussberichten der Ausschüsse wird nicht selten grundsätzlich mit der Regierung ,abgerechnet‘. Aber ist ein Untersuchungsausschuss erst einmal konstituiert, wechseln die Abgeordneten im eigentlichen Verfahren in eine für sie untypische Rolle: Nicht die politische Bewertung, sondern die rechtsstaatliche Sachverhaltserforschung steht bei der Vernehmung von Zeug:innen zunächst im Mittelpunkt. Politische Schlussfolgerungen sind den Einlassungen der Abgeordneten gegenüber der Presse oder den Bewertungen im Abschlussbericht vorbehalten, in dem es zwischen den Fraktionen typischerweise zu sehr unterschiedlichen Bewertungen der Sachverhalte kommt. „Im Unterschied zum alternativlosen Ablauf des Rituals“, schreibt Niklas Luhmann, „ist es für Verfahren gerade kennzeichnend, daß die Ungewissheit des Ausgangs und seiner Folgen und die Offenheit von Verhaltensalternativen […] hineingenommen und dort abgearbeitet werden“ (Luhmann 1983: 40). Genau deswegen ist die Öffentlichkeit des Untersuchungsverfahrens derart zentral: Die Untersuchungsausschüsse können eigendynamisch verlaufen und Informationen zutage fördern, um eine politische Verantwortlichkeit für Skandale zu begründen.
Untersuchungsausschüsse werden durch Abgeordnete im Parlament eingesetzt. Ob zu einem Thema ein Untersuchungsausschuss beschlossen wird, hängt – nicht überraschend – oft von der öffentlichen Skandalisierung ab (Radojevic 2016). Je mehr Druck die Öffentlichkeit aufbaut, umso wahrscheinlicher ist es, dass ein politischer Skandal mit dem Mittel des Untersuchungsausschusses aufgearbeitet wird. Es gibt aber noch andere praktische Faktoren, die die Entscheidung der Parlamentarier:innen beeinflussen. Dazu gehören zeitliche und personelle Ressourcen, denn jeder Untersuchungsausschuss bindet Personal aus den Reihen der Abgeordneten und der Mitarbeiter:innen in den Fraktionen. Gerade bei innenpolitischen Themen, die oft Gegenstand von Untersuchungsausschüssen sind, gibt es in den Reihen der Fraktionen nur wenige Expert:innen, die neben ihrer normalen Parlamentsarbeit nicht zeitgleich in mehreren Untersuchungsausschüssen tätig sein können.
Untersuchungsausschüsse werden in der Literatur gemeinhin als „schärfstes Schwert der Opposition“ bezeichnet, aber Praktiker:innen aus den Ausschüssen sprechen auch von einem „Holzschwert“ (Ugarte Chacón/Förster/Grünberg 2020). Denn die Exekutive hat vielfältige Möglichkeiten, um die Arbeit der Untersuchungsausschüsse zu erschweren. Die Abgeordneten stehen zum Beispiel unter einem erheblichen Zeitdruck. Bis zum Ende der jeweiligen Wahlperiode muss der Untersuchungsausschuss dem Parlament einen Abschlussbericht vorlegen, egal, ob bis dahin alle Aspekte des Skandals hinreichend aufgearbeitet wurden oder nicht. Die Behörden spielen dabei in der Regel auf Zeit, um eine effektive Aufklärung zu verhindern. Zu den üblichen Strategien zählen beispielsweise: das Schwärzen von Akten, deren unvollständige Herausgabe oder die Verweigerung von Aussagegenehmigungen eigener Mitarbeiter:innen. In mühseligen Auseinandersetzungen streiten Untersuchungsausschüsse und Behörden dann um jede Akte, wodurch die eigentliche Aufklärungsarbeit nicht selten in den Hintergrund rückt.
Trotz der praktischen Probleme sind mit Untersuchungsausschüssen aus Sicht der regierenden Parteien jedoch durchaus Risiken verbunden: Denn gerade die Befragung von Zeug:innen kann potentiell Sachverhalte ans Licht bringen, die in den Akten der Verwaltung nicht zu finden sind. „Der Zeuge“, schreibt Michel Foucault über die Form der Untersuchung, „kommt selbst gegen den Mächtigsten an, wenn er sich einzig auf die Wahrheit stützt, die er gesehen hat und über die er berichtet“ (Foucault 2003: 52). Die Abgeordneten müssen aber auch in der Lage sein, Zeug:innen so zu befragen, dass sie ihr Wissen preisgeben. In solchen Fragetechniken sind die wenigsten Abgeordneten geübt, oft erwerben sie solche Strategien erst im Verlauf eines Untersuchungsverfahrens. Erfolgversprechend sind Fragetechniken oft dann, wenn sie mit Vorhalten aus Akten, dem gespeicherten Wissen des Staates, verknüpft werden und die Befragten damit nicht rechnen. Jedoch können auch die Befragten eigene Strategien anwenden, indem sie sich zum Beispiel pauschal auf angebliche Erinnerungslücken berufen – gerade von Seiten der Verfassungsschutzämter ließ sich in verschiedenen Untersuchungsausschusskonstellationen beobachten, dass die Ämter mit einer solchen Vorgehensweise oft durchkommen. Schließlich ist die Öffentlichkeit ein nicht zu unterschätzender Einflussfaktor: Es macht einen Unterschied, ob die Zuschauertribüne leer oder voll besetzt ist. Die Abgeordneten stehen bei einem hohen öffentlichen Interesse unter einem größeren Druck, Befragungen nachdrücklicher durchzuführen.
Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses beendet das rechtsstaatliche Verfahren. Er ist unterteilt in einen Feststellungs- und einen Bewertungsteil sowie die vorgeschlagenen Handlungsempfehlungen. Im Rahmen des Feststellungsteils werden die Fakten präsentiert, die die Abgeordneten bei ihrer Arbeit in der Beweisaufnahme zusammengetragen haben. Dort tauchen Informationen aus Akten und Zeug:innenvernehmungen auf, die normalerweise nicht ans Licht der Öffentlichkeit geraten. Die Untersuchungsausschüsse übernehmen in dieser Hinsicht die Funktion einer Wissenstechnik, um Informationen über Staatsapparate zu ordnen und öffentlich sichtbar zu machen. Im Bewertungsteil nehmen die beteiligten Fraktionen Stellung zu den Feststellungen – dabei ist es typisch, dass die Fakten politisch unterschiedlich bewertet werden und die Regierungs- und Oppositionsfraktionen oft keine gemeinsamen Bewertungsteile vorlegen. Bei den Handlungsempfehlungen versucht der Untersuchungsausschuss einen Konsens darüber zu finden, mit welchen Gesetzgebungsreformen und administrativen Maßnahmen zukünftige politische Skandale verhindert werden können. Inwieweit diese Empfehlungen tatsächlich umgesetzt werden, hängt aber von den politischen Mehrheiten im Parlament ab.
Beispiele
Untersuchungsausschüsse zum NSU-Komplex
Zwischen 2012 und 2021 haben der Bundestag und diverse Landtage insgesamt dreizehn parlamentarische Untersuchungsausschüsse zur Aufklärung der sogenannten NSU-Mordserie eingesetzt (Hoff/Kleffner/Pichl/Renner 2019). Nie gab es in der Geschichte der Bundesrepublik zu einem politischen Skandal derart viele Untersuchungsverfahren. Dies hängt mit dem bundesländerübergreifenden Charakter der Mordserie zusammen – der NSU verübte Mord- und Sprengstoffanschläge sowie Raubüberfälle in acht Bundesländern – aber auch mit der bis heute nicht restlos aufgedeckten Verstrickung der Geheimdienste und den mutmaßlichen Kenntnissen, die sie über ihre eingesetzten Informant:innen (sog. V-Leute) aus der rechtsextremen Szene erhalten haben.
Eine Besonderheit einiger NSU-Untersuchungsausschüsse, gerade im Bundestag und im Thüringer Landtag, bestand in ihrer konsensualen Einsetzung von Regierungs- und Oppositionsfraktionen. Dies ist unter anderem auf den enormen politischen Druck zurückzuführen, der am Anfang der Aufklärung zum NSU-Komplex noch vorhanden war. Unter diesen Voraussetzungen konnten die Ausschüsse zum Teil effektiver arbeiten als dies in vorherigen Verfahren der Fall gewesen ist. Als der öffentliche Druck abnahm, gab es bei der Einsetzung einiger Untersuchungsausschüsse auf Landesebene wieder den typischen parteipolitischen Streit, der sich in der Folge negativ auf die Ausschussarbeit auswirkte.
Die Untersuchungsausschüsse zum NSU behandelten die ganze Breite an aufgeworfenen Problemen, die der Skandal hervorgebracht hat: die Entstehung rechtsradikaler Strukturen und rechtsterroristischer Gruppen in den 1990er Jahren, die Netzwerke des Rechtsterrorismus, den unkontrollierbaren Einsatz von V-Personen durch die Verfassungsschutzämter, die bundesländerübergreifende fehlgeschlagene Verfolgung der Täter:innen und den Umgang mit den Opfern und Hinterbliebenen durch die Sicherheitsbehörden (dazu beispielhaft die beiden Abschlussberichte des Bundestags, Deutscher Bundestag 2013, 2017). Gerade in Bezug auf den letzten Aspekt weisen die Verfahren aber eine Leerstelle auf, indem institutioneller Rassismus gegenüber den Betroffenen entweder nicht thematisiert oder nur ungenau benannt wird. Dies liegt auch daran, dass die Untersuchungsausschüsse darauf verzichteten, eine eigene Begriffsarbeit zum institutionellen Rassismus zu betreiben, wie es beispielsweise britische Kommissionen anlässlich von Polizeigewalt gemacht haben (siehe bspw. die Stephen Lawrence Inquiry). Aus den Feststellungen der Untersuchungsausschüsse, die zum Teil institutionell-rassistische Routinen sichtbar machten, zogen gerade Abgeordnete aus den jeweiligen Regierungsbündnissen nicht den Schluss, daraus grundsätzliche Folgen für die Sicherheitsstruktur abzuleiten. Die Vertreter:innen der Nebenklage, Wissenschaftler:innen und Beratungsstellen wendeten sich in diesem Fall an den UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD), der die institutionell rassistischen Arbeitsweisen in den Ermittlungen rügte.
Trotz des großen öffentlichen Drucks, hatten auch die Untersuchungsausschüsse zum NSU mit vielfältigen Problemen zu kämpfen. Viele Zeug:innen aus den Behörden behaupteten, keine Erinnerungen mehr an Arbeitsvorgänge aus der Zeit der NSU-Morde zu haben. Auch Akten wurden den Untersuchungsausschüssen oft vorenthalten, in der Regel mit dem Argument, eine Offenlegung der dort enthaltenen Informationen könnte das sogenannte ‚Staatswohl der Bundesrepublik Deutschland‘ gefährden. Die Aufarbeitung der NSU-Mordserie wird deshalb von vielen Beobachter:innen und den Hinterbliebenen der Opfer teilweise als gescheitert angesehen.
Literatur
Zum Weiterlesen
- Hoff, Benjamin-Immanuel et al. (Hrsg.) (2019): Rückhaltlose Aufklärung? NSU, NSA, BND – Geheimdienste und Untersuchungsausschüsse zwischen Staatsversagen und Staatswohl. Hamburg: VSA.
Zitierte Literatur
- Bräcklein, Susann (2006): Investigativer Parlamentarismus. Berlin: Duncker & Humblot GmbH.
Deutscher Bundestag (2013): 2. Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode „Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund“. BT-Drs. 17/14600. - Deutscher Bundestag (2017): 3. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode „Terrorgruppe NSU“ II. BT-Drs. 18/12950.
- Foucault, Michel (2003): Die Wahrheit und die juristischen Formen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Hoff, Benjamin-Immanuel et al. (Hrsg.) (2019): Rückhaltlose Aufklärung? NSU, NSA, BND – Geheimdienste und Untersuchungsausschüsse zwischen Staatsversagen und Staatswohl. Hamburg: VSA.
- Kingreen, Thorsten (2018): Parlamentarische Kontrolle, insbesondere durch Untersuchungsausschüsse (Art. 44 GG). In: Juristische Ausbildung, Heft 9, Jg. 40, S. 880–896.
- Luhmann, Niklas (1983): Legitimation durch Verfahren. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Radojevic, Marco (2016): Die Einsetzung Parlamentarischer Untersuchungsausschüsse im Deutschen Bundestag. Welchen Einfluss hat die Auffälligkeit eines Themas. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 1, Jg. 54, S. 58–68.
- Ugarte Chacón, Benedict; Förster, Michael; Grünberg, Torsten (2020: Einleitung, in: Dies. (Hrsg.): Untersuchungsausschüsse: Das schärfste Holzschwert des Parlamentarismus. Ausgesuchte Berliner Polit-Skandale. Berlin: BWV, S. 7–16.
- Weber, Max (2011): Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1918). Berlin: Duncker & Humblot.
Zitiervorschlag
Pichl, Maximilian (2021): Untersuchungsausschuss. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 03.11.2021. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/untersuchungsausschuss.
Grundbegriffe
Argumentation
Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.
Hegemonie
Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.
Diskurskompetenz
Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.
Agenda Setting
Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.
Medien
Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.
Macht
Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.
Normalismus
Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.
Wissen
Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.
Werbung
Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.
Mediale Kontrolle
Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.
Techniken
Nicht-Entschuldigen / Nonpology
Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen.
Hashtag
Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).
Diminutiv
Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).
Sündenbock
Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.
Redenschreiben
Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.
Offener Brief
Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.
Kommunikationsverweigerung
Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.
Flugblatt
Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.
Passivierung
Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).
Aufopferungs-Topos
Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.
Schlagwörter
Verfassung
Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.
Toxizität / das Toxische
Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.
Zivilgesellschaft
Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.
Demokratie
Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.
Plagiat/Plagiarismus
Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.
Fake News
Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.
Lügenpresse
Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.
Antisemitismus
Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.
Grammatiknazi / Grammar Nazi
Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.
Respekt
Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.
Verschiebungen
Versicherheitlichung
In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.
Ökonomisierung
Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren
Moralisierung
Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.
Konstellationen
Skandal
Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.