DiskursGlossar

Flashmob / Smartmob

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Smartmob
Siehe auch: Protest, Politische KommunikationGuerillakommunikation, ziviler Ungehorsam
Autorin: Christin Kölsch
Version: 1.1 / Datum: 27.06.2022

Kurzzusammenfassung

Flashmobs sind ein urbanes Phänomen, das sich zu einer populären sozialen Ausdrucksform im öffentlichen Raum entwickelt hat. Sie entstehen durch das scheinbar spontane, tatsächlich aber organisierte Zusammentreffen einer Menschenmenge, die an einem bestimmten Ort eine gemeinsame Aktion ausführt und sich anschließend, als wäre nichts geschehen, wieder zerstreut. Die oft künstlerische und/oder humoristische Gestalt von Flashmobs (Tanzperformance, Kissenschlacht o.ä.) an ungewöhnlichen Orten (z.B. Kaufhaus) irritiert und belebt den Alltag von TeilnehmerInnen und überraschten ZuschauerInnen, insofern sie in der Regel keinen instrumentellen Zweck erkennen lässt.

Smartmobs gelten als politische Variante von Flashmobs. Als Protestform sind sie durch das Engagement für ein Thema von politischem bzw. öffentlichem Interesse motiviert und daher Teil von gesellschaftlichen Konflikten. Smartmobs greifen auf eine Mischung aus appellativen (auffordernden) und kreativ-originellen Protesttechniken zurück. Ihr Ziel ist, öffentliche Aufmerksamkeit für eigene Positionen zu gewinnen und Kritik an entscheidungs- bzw. handlungsmächtigen Instanzen zu üben. Durch die außeralltägliche Protestform sollen ZuschauerInnen in ihren gewohnten Alltagsroutinen irritiert, zu Reflexion und Verhaltensänderungen angeregt werden (Guerillakommunikation).

Um Flashmobs und Smartmobs zu delegitimieren, werden sie zuweilen kriminalisiert, bagatellisiert und/oder von organisationellen AkteurInnen aus Wirtschaft und Politik für eigene Zwecke instrumentalisiert.

Erweiterte Begriffsklärung

Der Begriff Flashmob setzt sich aus den Wörtern flash und mob zusammen, wobei sich ersteres auf das blitzartige Entstehen und Auseinandergehen der Aktion bezieht und letzteres entweder als ‚Meute‘ oder ‚Pöbel‘ übersetzt oder von mobilis (‚beweglich‘) abgeleitet werden kann (vgl. Petry 2020:11). Mit dem Begriff wird ein urbanes Phänomen bezeichnet, bei dem sich eine größere Anzahl an einander oft unbekannten Personen an einem öffentlichen Ort (z.B. Marktplatz, Kaufhaus) trifft, um dort für einen kurzen Moment (oft für nur wenige Sekunden) eine kollektive Aktion durchzuführen (gemeinsame Kissenschlacht, Tanzeinlage, bloßes Erstarren, als Zombis wandeln etc.), dabei zu einer „kommunikative[n] Einheit“ (Bußler 2012: 224) zu verschmelzen, und sich dann genauso schnell wieder zu zerstreuen. Die TeilnehmerInnen koordinieren sich im Vorfeld meist über Kommunikationsmedien (Ketten-SMS, Social Media), wobei der Großteil schlicht einem öffentlichen Aufruf folgt.

Der Begriff des Smartmobs wurde von dem amerikanischen Medientheoretiker Howard Rheingold eingeführt, um vorangegangene Mehrdeutigkeiten bei der Verwendung des Ausdrucks Flashmob zu vermeiden und terminologisch zwischen Flashmobs als Kunstperformances und Flashmobs als kommunikationsstrategische Technik und soziale Protestform unterscheiden zu können (vgl. Gherairi 2015: 332). Smartmobs treten nach einem ähnlichen Schema wie Flashmobs in Erscheinung, sie verfolgen jedoch über die Unterhaltung hinausgehende Motive: „Der Smart Mob [sic!] will Zukunft fassen, der Flash Mob [sic!] will bloß die Gegenwart feiern“ (Kümmel 2003). Als Protestform haben Smartmobs eine originär politische Funktion, weshalb mit ihnen auch ein gewisses Konfliktpotential einhergeht (vgl. BPB 2013). Smartmobs sollen auf Themen von politischem bzw. öffentlichem Interesse aufmerksam machen, die OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen versuchen durch diese spezielle symbolische Aktionsform Aufmerksamkeit zu gewinnen und ein Statement medienwirksam zu verbreiten (vgl. Urschitz 2012: 24). Smartmobs haben im Unterschied zu Flashmobs also eine originär appellative (auffordende) Funktion.

Die Motivation zur Teilnahme an einem Smartmob liegt folglich – anders als bei einem Flashmob – nicht (nur) im Spaß an der kollektiven Aktion, sondern vielmehr im inhaltlichen Interesse bzw. in der inhaltlichen Überzeugung der Beteiligten (vgl. Urschitz 2012: 62). Aus der Teilnahme resultiert oft ein Gemeinschaftgefühl, obwohl die Beteiligten sich zumeist unbekannt sind. Motivierend sind zudem der Wunsch nach Provokation sowie ein Moment der Selbstermächtigung (vgl. Jochem 2011: 10) analog einer ,normalen‘ Form der Demonstration oder des Protests.

Smartmobs unterscheiden sich gegenüber Demonstrationen zum einen mit Blick auf die Organisation über technische Kommunikationsmittel sowie durch ihre blitzartige Bildung und Auflösung als Menschenmenge (vgl. Petry 2020: 12 f.). Für die Teilnahme an einer Demonstration wird außerdem ein größeres thematisches Interesse vorausgesetzt als es beim Smartmob der Fall ist (vgl. Urschitz 2012: 58) – die Hemmschwelle, welche Menschen daran hindert, politisch aktiv zu sein und sich für ihr Anliegen einzusetzen, wird durch die Kurzweiligkeit und den Unterhaltungswert der Kollektivaktion verringert (vgl. Gherairi 2015: 334). Hinzu kommt, dass Demonstrationen oft mit der Anwendung von Gewalt in Verbindung gebracht werden (vgl. Urschitz 2012: 57), während Smartmobs eher das Image einer modernen, spielerischen und friedlichen Aktionsform genießen, die durch ihre Originalität möglichst viele Menschen zu erreichen versuchen (vgl. Albacan 2014: 10).

Ausgangspunkt für die strategische Organisation eines Smartmobs ist die Frage, „wofür oder gegen wen bzw. was überhaupt protestiert werden soll“ (BPB 2013) und welche Aktionsform relevant ist. Die Koordinierung der Rahmenbedingungen wie etwa Zeit und Ort dieser Aktionsform erfolgt meist über neue Medien wie Foren, Blogs und soziale Netzwerke wie Facebook (vgl. Bußler 2012: 224; Urschitz 2012: 33). So wird innerhalb kürzester Zeit „eine unabhängige und nicht hierarchisch geordnete Gruppe von Personen wie eine Art Schwarm mit Hilfe unterschiedlicher Kommunikationsmittel […] für eine Aufsehen erregende Aktion mobilisiert“ (BPB 2013). Diese Gruppe trifft sich dann noch einmal vor der eigentlichen Aktion, um Informationen zur weiteren Planung und genauere Instruktionen bezüglich des Aktionsorts und des Ablaufs zu erhalten (vgl. Petry 2020: 11f.). Wichtig ist dabei, dass Form und Vorbereitungszeit niedrigschwellig bemessen bleiben, um eine spontane Teilnahme zu ermöglichen.

Für die Wahl des Ortes ist entscheidend, dass er zum einen für möglichst viele Beteiligte gut zu erreichen und zum anderen hoch frequentiert ist, damit die Aktion von möglichst vielen Passanten beobachtet wird und so eine größere Reichweite erhält. Folglich wird immer ein Ort gewählt, der im gesellschaftlichen Mittelpunkt steht (vgl. Petry 2020: 11) und der sich als Bühne eignet: Alltagsorte wie Bahnhöfe, Einkaufszentren und Marktplätze (vgl. Jochem 2011: 10; Petry 2020: 13). Ziel ist letztlich eine Interaktion und Involvierung eines vorbeigehenden Publikums, es wird „nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern vielmehr für die Öffentlichkeit“ (Petry 2020: 13) gespielt.

Welche politische Tragweite Smartmobs tatsächlich entwickeln, ist umstritten: Während zahlreiche Beispiele in Presse und sozialen Medien ein aufmerksamkeitsprovozierendes Potential belegen, bleibt doch offen, inwiefern durch Smartmobs Inhalte vermittelt und Missstände effizient angeprangert werden können. Der Nutzen jeder Aktion sei abzuwägen im Hinblick auf ihre Überzeugungskraft und nachhaltige Wirkung, „denn Raum für eine überzeugende Zeigehandlung auf den Missstand oder eine argumentative Einbettung ist durch das Kurzweilige und Irritierende nicht gegeben“ (Gherairi 2015: 334). Wichtig scheint daher, Smartmob-Aktionen etwa als unterstützende Technik und zur Auflockerung einer größeren Kampagne einzubetten.

Smartmob-Aktionen werden regelmäßig aufgezeichnet und über Internetplattformen verteilt, da so die Reaktions- und Beteiligungsmöglichkeit der ZuschauerInnen zeitlich und medial erweitert bzw. in einen „bi-folded act“ (Albacan 2014: 10) umgewandelt wird. Die virale Verbreitung und mediale Massenrezeption von Smartmobs kann für sich eine größere Wirkung entfalten als die vorangegangene lokal-physisch Aufführung, insbesondere auch durch die medial gestützte Netzwerkbildung (Jochem 2011: 11).

Da Smartmobs als Spontandemonstrationen zu kategorisieren sind und Flashmobs über den rechtlich definierten Gemeingebrauch der Straßen hinausgehen, sind beide zumeist anmeldepflichtig. Wird die zuständige Versammlungsbehörde nicht rechtzeitig informiert, kann der Leiter oder Veranstalter mit einer Freiheitsstrafe oder Geldstrafe belangt und die Versammlung aufgelöst werden (vgl. BPB 2013; Vetter 2010). Durch die Online-Organisation ist es zudem möglich, dass die Stadt auch ohne offiziellen Antrag von der Aktion erfährt und diese bereits im Voraus absagt. So wurde beispielsweise ein Picknick auf dem Braunschweiger Schlossplatz abgesagt, weil keine Anmeldung der Aktion erfolgte und für diesen Bereich besondere Regeln gelten – erlaubt seien nur Veranstaltungen, die in den städtebaulichen Kontext passen. Allerdings wurden viele erst durch das Verbot auf die Flashmob-Aktion aufmerksam und verstanden die Absage des Picknicks geradezu als Einladung zum Protest-Picknick (vgl. Reißmann 2009).

Mittlerweile haben sich auch rechte Gruppierungen Flash- bzw. Smartmobs zunutze gemacht, wenn ihnen andere Formen der Zusammenkunft nicht möglich sind. Nachdem etwa der traditionelle Gedenkmarsch im bayerischen Wunsiedel zum Todestag des 1987 verstorbenen Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes verboten und es den Neonazis auch in anderen Städten immer schwerer gemacht wurde, ihm gedenkend zu huldigen, plante eine Gruppe des rechtsextremen „Freien Widerstandes“ in mehreren Städten die Durchführung von Flashmobs. Bei den synchron ablaufenden Aktionen sollten die Neonazis zunächst wie versteinert stehenbleiben, dann die letzten Worte des verurteilten Kriegsverbrechers verlesen werden und die Beteiligten anschließend den Ort des Geschehens in alle Richtungen verlassen (vgl. Rafael 2009; Fröhlich 2009).

Beispiele

(1) Am 3. Mai 2008 fand auf dem Augustinerplatz in Freiburg eine überdimensionale Kissenschlacht statt, zu welcher der Organisator Eddy Fischer zuvor über eine Studi-VZ-Gruppe aufgerufen hatte. Seine Nachricht über den geplanten Flashmob verbreitete sich wie ein Lauffeuer, sodass sich am Aktionstag pünktlich um 18.30 Uhr mehr als 300 Menschen eine 15-minütige Federschlacht lieferten und anschließend wieder verschwanden (vgl. Wenzelis 2008).

Flashmob Kissenschlacht
Abbildung 1: Bartel, Tim (2011): Kissenschlacht ; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kissenschlacht_1_6_(5582150025).jpg ; Zugriff: 24.05.2022.

(2) Jugendliche des Bayerischen Jugendclubs organisierten im Jahr 2015 in Ingolstadt einen politisch motivierten Flashmob (d.h. Smartmob), bei dem die Teilnehmenden plötzlich wie eingefroren auf dem Rathausplatz verharrten und auf einen Sirenenton hin reglos auf den Boden fielen. Nach einem weiteren Signalton zeichneten sie ihren Körper mit Kreide nach, standen anschließend auf und verließen den Platz des Geschehens, als wäre nichts gewesen (vgl. Ökumenischer Vorbereitungsausschuss zur Interkulturellen Woche 2020). Die zurückgebliebenen menschlichen Umrisse stellten einen Hinweis auf die im Mittelmeer ertrinkenden Geflüchteten dar, wie die Beschreibung des auf YouTube hochgeladenen Videos der Aktion (vom 21.06.2015) erklärt: „Über 50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Nur ein kleiner Teil von ihnen sucht Schutz in Europa, viele sterben schon auf dem Weg aus den Krisengebieten. Die Jugendlichen des Bayerischen Jugendclubs haben heute am Rathausplatz einen Flashmob in Gedenken an die Flüchtlingsopfer im Mittelmeer organisiert.“

(3) Im kanadischen Québec hat ein Fernsehsender mit einer Aktion, die sie selbst als Flashmob beschreiben, in einem Einkaufszentrum auf die Problematik der Umweltverschmutzung durch Plastik aufmerksam gemacht. Dafür platzierte ein Teilnehmer eine Plastikflasche auf einem Gang in der Nähe eines Mülleimers für Recyclingprodukte. Als eine Frau die herumliegende Flasche in diesen Abfalleimer warf, brachen die TeilnehmerInnen in Applaus aus, um auf die Wichtigkeit einer korrekten Entsorgung von Plastik hinzuweisen. Auch in diesem Fall handelt es sich um einen Smartmob im engeren Sinne.

(4) Die Bewegung UK Uncut, die ihre Aktionen – wie für Flash- und Smartmobs üblich – über das Internet organisiert, überraschte in Großbritannien seit Oktober 2010 hunderte Filialen renommierter britischer Geldinstitute und großer Konzerne mit Protestaktionen, um so gegen die Kürzung vieler Sozialleistungen und gegen die Steuervermeidung großer Unternehmen zu protestieren. Die aufgrund der Kritik an diesen politischen Entscheidungen durchgeführten Smartmobs äußerten sich in verschiedensten Erscheinungsformen – so wurde etwa eine Bankfiliale von den Aktivisten zum Vorlesungssaal umfunktioniert, um die Aufmerksamkeit auf die finanziellen Einschnitte im Bildungssektor zu richten, Obdachlose wurden als Zeichen gegen die Kürzung von Wohnungszuschüssen in Banken beherbergt und Kranke dort als Protest gegen Einschnitte in der Gesundheitsvorsorge behandelt (vgl. Fiedler & Laubmeier 2011). „Die Bewegung ist eine Antwort auf ein größeres Problem und die Strategien, die es hervorgebracht hat, sind großartige Ideen: Gewaltfrei, kreativ, lustig und ironisch. Damit sind sie sozusagen Teil einer postmodernen politischen Welt“ (ebd.), so Paul Bowman, Professor für Kulturwissenschaften der Universität Cardiff.

Literatur

Zum Weiterlesen

Zitierte Literatur

Abbildungsverzeichnis

Zitiervorschlag

Kölsch, Christin (2022): Flashmob / Smartmob. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 27.06.2022. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/flashmob-smartmob/.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Techniken

Nicht-Entschuldigen / Nonpology

Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen.

Hashtag

Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).

Diminutiv

Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).

Sündenbock

Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.

Redenschreiben

Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.

Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...

Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)

Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?

Was ist ein Volk?

Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…