DiskursGlossar

Flashmob / Smartmob

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Smartmob
Siehe auch: Protest, Politische KommunikationGuerillakommunikation, ziviler Ungehorsam
Autorin: Christin Kölsch
Version: 1.0 / Datum: 27.06.2022

Kurzzusammenfassung

Flashmobs sind ein urbanes Phänomen, das sich zu einer populären sozialen Ausdrucksform im öffentlichen Raum entwickelt hat. Sie entstehen durch das scheinbar spontane, tatsächlich aber organisierte Zusammentreffen einer Menschenmenge, die an einem bestimmten Ort eine gemeinsame Aktion ausführt und sich anschließend, als wäre nichts geschehen, wieder zerstreut. Die oft künstlerische und/oder humoristische Gestalt von Flashmobs (Tanzperformance, Kissenschlacht o.ä.) an ungewöhnlichen Orten (z.B. Kaufhaus) irritiert und belebt den Alltag von TeilnehmerInnen und überraschten ZuschauerInnen, insofern sie in der Regel keinen instrumentellen Zweck erkennen lässt.

Smartmobs gelten als politische Variante von Flashmobs. Als Protestform sind sie durch das Engagement für ein Thema von politischem bzw. öffentlichem Interesse motiviert und daher Teil von gesellschaftlichen Konflikten. Smartmobs greifen auf eine Mischung aus appellativen (auffordernden) und kreativ-originellen Protesttechniken zurück. Ihr Ziel ist, öffentliche Aufmerksamkeit für eigene Positionen zu gewinnen und Kritik an entscheidungs- bzw. handlungsmächtigen Instanzen zu üben. Durch die außeralltägliche Protestform sollen ZuschauerInnen in ihren gewohnten Alltagsroutinen irritiert, zu Reflexion und Verhaltensänderungen angeregt werden (Guerillakommunikation).

Um Flashmobs und Smartmobs zu delegitimieren, werden sie zuweilen kriminalisiert, bagatellisiert und/oder von organisationellen AkteurInnen aus Wirtschaft und Politik für eigene Zwecke instrumentalisiert.

Erweiterte Begriffsklärung

Der Begriff Flashmob setzt sich aus den Wörtern flash und mob zusammen, wobei sich ersteres auf das blitzartige Entstehen und Auseinandergehen der Aktion bezieht und letzteres entweder als ‚Meute‘ oder ‚Pöbel‘ übersetzt oder von mobilis (‚beweglich‘) abgeleitet werden kann (vgl. Petry 2020, S. 11). Mit dem Begriff wird ein urbanes Phänomen bezeichnet, bei dem sich eine größere Anzahl an einander oft unbekannten Personen an einem öffentlichen Ort (z.B. Marktplatz, Kaufhaus) trifft, um dort für einen kurzen Moment (oft für nur wenige Sekunden) eine kollektive Aktion durchzuführen (gemeinsame Kissenschlacht, Tanzeinlage, bloßes Erstarren, als Zombis wandeln etc.), dabei zu einer „kommunikative[n] Einheit“ (Bußler 2012, S. 224) zu verschmelzen, und sich dann genauso schnell wieder zu zerstreuen. Die TeilnehmerInnen koordinieren sich im Vorfeld meist über Kommunikationsmedien (Ketten-SMS, Social Media), wobei der Großteil schlicht einem öffentlichen Aufruf folgt.

Der Begriff des Smartmobs wurde von dem amerikanischen Medientheoretiker Howard Rheingold eingeführt, um vorangegangene Mehrdeutigkeiten bei der Verwendung des Ausdrucks Flashmob zu vermeiden und terminologisch zwischen Flashmobs als Kunstperformances und Flashmobs als kommunikationsstrategische Technik und soziale Protestform unterscheiden zu können (vgl. Gherairi 2015, S. 332). Smartmobs treten nach einem ähnlichen Schema wie Flashmobs in Erscheinung, sie verfolgen jedoch über die Unterhaltung hinausgehende Motive: „Der Smart Mob [sic!] will Zukunft fassen, der Flash Mob [sic!] will bloß die Gegenwart feiern“ (Kümmel 2003). Als Protestform haben Smartmobs eine originär politische Funktion, weshalb mit ihnen auch ein gewisses Konfliktpotential einhergeht (vgl. BPB 2013). Smartmobs sollen auf Themen von politischem bzw. öffentlichem Interesse aufmerksam machen, die OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen versuchen durch diese spezielle symbolische Aktionsform Aufmerksamkeit zu gewinnen und ein Statement medienwirksam zu verbreiten (vgl. Urschitz 2012, S. 24). Smartmobs haben im Unterschied zu Flashmobs also eine originär appellative (auffordende) Funktion.

Die Motivation zur Teilnahme an einem Smartmob liegt folglich – anders als bei einem Flashmob – nicht (nur) im Spaß an der kollektiven Aktion, sondern vielmehr im inhaltlichen Interesse bzw. in der inhaltlichen Überzeugung der Beteiligten (vgl. Urschitz 2012, S. 62). Aus der Teilnahme resultiert oft ein Gemeinschaftgefühl, obwohl die Beteiligten sich zumeist unbekannt sind. Motivierend sind zudem der Wunsch nach Provokation sowie ein Moment der Selbstermächtigung (vgl. Jochem 2011, S. 10) analog einer ,normalen‘ Form der Demonstration oder des Protests.

Smartmobs unterscheiden sich gegenüber Demonstrationen zum einen mit Blick auf die Organisation über technische Kommunikationsmittel sowie durch ihre blitzartige Bildung und Auflösung als Menschenmenge (vgl. Petry 2020, S. 12f.). Für die Teilnahme an einer Demonstration wird außerdem ein größeres thematisches Interesse vorausgesetzt als es beim Smartmob der Fall ist (vgl. Urschitz 2012, S. 58) – die Hemmschwelle, welche Menschen daran hindert, politisch aktiv zu sein und sich für ihr Anliegen einzusetzen, wird durch die Kurzweiligkeit und den Unterhaltungswert der Kollektivaktion verringert (vgl. Gherairi 2015, S. 334). Hinzu kommt, dass Demonstrationen oft mit der Anwendung von Gewalt in Verbindung gebracht werden (vgl. Urschitz 2012, S. 57), während Smartmobs eher das Image einer modernen, spielerischen und friedlichen Aktionsform genießen, die durch ihre Originalität möglichst viele Menschen zu erreichen versuchen (vgl. Albacan 2014, S. 10).

Ausgangspunkt für die strategische Organisation eines Smartmobs ist die Frage, „wofür oder gegen wen bzw. was überhaupt protestiert werden soll“ (BPB 2013) und welche Aktionsform relevant ist. Die Koordinierung der Rahmenbedingungen wie etwa Zeit und Ort dieser Aktionsform erfolgt meist über neue Medien wie Foren, Blogs und soziale Netzwerke wie Facebook (vgl. Bußler 2012, S. 224; Urschitz 2012, S. 33). So wird innerhalb kürzester Zeit „eine unabhängige und nicht hierarchisch geordnete Gruppe von Personen wie eine Art Schwarm mit Hilfe unterschiedlicher Kommunikationsmittel […] für eine Aufsehen erregende Aktion mobilisiert“ (BPB 2013). Diese Gruppe trifft sich dann noch einmal vor der eigentlichen Aktion, um Informationen zur weiteren Planung und genauere Instruktionen bezüglich des Aktionsorts und des Ablaufs zu erhalten (vgl. Petry 2020, S. 11f.). Wichtig ist dabei, dass Form und Vorbereitungszeit niedrigschwellig bemessen bleiben, um eine spontane Teilnahme zu ermöglichen.

Für die Wahl des Ortes ist entscheidend, dass er zum einen für möglichst viele Beteiligte gut zu erreichen und zum anderen hoch frequentiert ist, damit die Aktion von möglichst vielen Passanten beobachtet wird und so eine größere Reichweite erhält. Folglich wird immer ein Ort gewählt, der im gesellschaftlichen Mittelpunkt steht (vgl. Petry 2020, S. 11) und der sich als Bühne eignet: Alltagsorte wie Bahnhöfe, Einkaufszentren und Marktplätze (vgl. Jochem 2011, S. 10; Petry 2020, S. 13). Ziel ist letztlich eine Interaktion und Involvierung eines vorbeigehenden Publikums, es wird „nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern vielmehr für die Öffentlichkeit“ (Petry 2020, S. 13) gespielt.

Welche politische Tragweite Smartmobs tatsächlich entwickeln, ist umstritten: Während zahlreiche Beispiele in Presse und sozialen Medien ein aufmerksamkeitsprovozierendes Potential belegen, bleibt doch offen, inwiefern durch Smartmobs Inhalte vermittelt und Missstände effizient angeprangert werden können. Der Nutzen jeder Aktion sei abzuwägen im Hinblick auf ihre Überzeugungskraft und nachhaltige Wirkung, „denn Raum für eine überzeugende Zeigehandlung auf den Missstand oder eine argumentative Einbettung ist durch das Kurzweilige und Irritierende nicht gegeben“ (Gherairi 2015, S. 334). Wichtig scheint daher, Smartmob-Aktionen etwa als unterstützende Technik und zur Auflockerung einer größeren Kampagne einzubetten.

Smartmob-Aktionen werden regelmäßig aufgezeichnet und über Internetplattformen verteilt, da so die Reaktions- und Beteiligungsmöglichkeit der ZuschauerInnen zeitlich und medial erweitert bzw. in einen „bi-folded act“ (Albacan 2014, S. 10) umgewandelt wird. Die virale Verbreitung und mediale Massenrezeption von Smartmobs kann für sich eine größere Wirkung entfalten als die vorangegangene lokal-physisch Aufführung, insbesondere auch durch die medial gestützte Netzwerkbildung (Jochem 2011, S. 11).

Da Smartmobs als Spontandemonstrationen zu kategorisieren sind und Flashmobs über den rechtlich definierten Gemeingebrauch der Straßen hinausgehen, sind beide zumeist anmeldepflichtig. Wird die zuständige Versammlungsbehörde nicht rechtzeitig informiert, kann der Leiter oder Veranstalter mit einer Freiheitsstrafe oder Geldstrafe belangt und die Versammlung aufgelöst werden (vgl. BPB 2013; Vetter 2010). Durch die Online-Organisation ist es zudem möglich, dass die Stadt auch ohne offiziellen Antrag von der Aktion erfährt und diese bereits im Voraus absagt. So wurde beispielsweise ein Picknick auf dem Braunschweiger Schlossplatz abgesagt, weil keine Anmeldung der Aktion erfolgte und für diesen Bereich besondere Regeln gelten – erlaubt seien nur Veranstaltungen, die in den städtebaulichen Kontext passen. Allerdings wurden viele erst durch das Verbot auf die Flashmob-Aktion aufmerksam und verstanden die Absage des Picknicks geradezu als Einladung zum Protest-Picknick (vgl. Reißmann 2009).

Mittlerweile haben sich auch rechte Gruppierungen Flash- bzw. Smartmobs zunutze gemacht, wenn ihnen andere Formen der Zusammenkunft nicht möglich sind. Nachdem etwa der traditionelle Gedenkmarsch im bayerischen Wunsiedel zum Todestag des 1987 verstorbenen Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes verboten und es den Neonazis auch in anderen Städten immer schwerer gemacht wurde, ihm gedenkend zu huldigen, plante eine Gruppe des rechtsextremen „Freien Widerstandes“ in mehreren Städten die Durchführung von Flashmobs. Bei den synchron ablaufenden Aktionen sollten die Neonazis zunächst wie versteinert stehenbleiben, dann die letzten Worte des verurteilten Kriegsverbrechers verlesen werden und die Beteiligten anschließend den Ort des Geschehens in alle Richtungen verlassen (vgl. Rafael 2009; Fröhlich 2009).

Beispiele

(1) Am 3. Mai 2008 fand auf dem Augustinerplatz in Freiburg eine überdimensionale Kissenschlacht statt, zu welcher der Organisator Eddy Fischer zuvor über eine Studi-VZ-Gruppe aufgerufen hatte. Seine Nachricht über den geplanten Flashmob verbreitete sich wie ein Lauffeuer, sodass sich am Aktionstag pünktlich um 18.30 Uhr mehr als 300 Menschen eine 15-minütige Federschlacht lieferten und anschließend wieder verschwanden (vgl. Wenzelis 2008).

Flashmob Kissenschlacht
Abbildung 1: Bartel, Tim (2011): Kissenschlacht ; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kissenschlacht_1_6_(5582150025).jpg ; Zugriff: 24.05.2022.

(2) Jugendliche des Bayerischen Jugendclubs organisierten im Jahr 2015 in Ingolstadt einen politisch motivierten Flashmob (d.h. Smartmob), bei dem die Teilnehmenden plötzlich wie eingefroren auf dem Rathausplatz verharrten und auf einen Sirenenton hin reglos auf den Boden fielen. Nach einem weiteren Signalton zeichneten sie ihren Körper mit Kreide nach, standen anschließend auf und verließen den Platz des Geschehens, als wäre nichts gewesen (vgl. Ökumenischer Vorbereitungsausschuss zur Interkulturellen Woche 2020). Die zurückgebliebenen menschlichen Umrisse stellten einen Hinweis auf die im Mittelmeer ertrinkenden Geflüchteten dar, wie die Beschreibung des auf YouTube hochgeladenen Videos der Aktion (vom 21.06.2015) erklärt: „Über 50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Nur ein kleiner Teil von ihnen sucht Schutz in Europa, viele sterben schon auf dem Weg aus den Krisengebieten. Die Jugendlichen des Bayerischen Jugendclubs haben heute am Rathausplatz einen Flashmob in Gedenken an die Flüchtlingsopfer im Mittelmeer organisiert.“

(3) Im kanadischen Québec hat ein Fernsehsender mit einer Aktion, die sie selbst als Flashmob beschreiben, in einem Einkaufszentrum auf die Problematik der Umweltverschmutzung durch Plastik aufmerksam gemacht. Dafür platzierte ein Teilnehmer eine Plastikflasche auf einem Gang in der Nähe eines Mülleimers für Recyclingprodukte. Als eine Frau die herumliegende Flasche in diesen Abfalleimer warf, brachen die TeilnehmerInnen in Applaus aus, um auf die Wichtigkeit einer korrekten Entsorgung von Plastik hinzuweisen. Auch in diesem Fall handelt es sich um einen Smartmob im engeren Sinne.

(4) Die Bewegung UK Uncut, die ihre Aktionen – wie für Flash- und Smartmobs üblich – über das Internet organisiert, überraschte in Großbritannien seit Oktober 2010 hunderte Filialen renommierter britischer Geldinstitute und großer Konzerne mit Protestaktionen, um so gegen die Kürzung vieler Sozialleistungen und gegen die Steuervermeidung großer Unternehmen zu protestieren. Die aufgrund der Kritik an diesen politischen Entscheidungen durchgeführten Smartmobs äußerten sich in verschiedensten Erscheinungsformen – so wurde etwa eine Bankfiliale von den Aktivisten zum Vorlesungssaal umfunktioniert, um die Aufmerksamkeit auf die finanziellen Einschnitte im Bildungssektor zu richten, Obdachlose wurden als Zeichen gegen die Kürzung von Wohnungszuschüssen in Banken beherbergt und Kranke dort als Protest gegen Einschnitte in der Gesundheitsvorsorge behandelt (vgl. Fiedler & Laubmeier 2011). „Die Bewegung ist eine Antwort auf ein größeres Problem und die Strategien, die es hervorgebracht hat, sind großartige Ideen: Gewaltfrei, kreativ, lustig und ironisch. Damit sind sie sozusagen Teil einer postmodernen politischen Welt“ (ebd.), so Paul Bowman, Professor für Kulturwissenschaften der Universität Cardiff.

Literatur

Zum Weiterlesen

Zitierte Literatur

Zitiervorschlag

Kölsch, Christin (2022): Flashmob / Smartmob. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 27.06.2022. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/flashmob-smartmob/.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Sagbarkeit

Im öffentlichen Diskurs findet sich häufig die strategische Behauptung, dass bestimmte Fakten oder Meinungen unsagbar seien. Auf diese Weise wird zum Ausdruck gebracht, dass es Grenzen des Sagbaren gebe, die im öffentlichen Diskurs Geltung hätten.

Kulturelle Grammatik

Kulturelle Grammatik steht für ein System von Regeln und/oder etablierten Regelmäßigkeiten, die Formen richtiger und/oder normaler Kommunikation und Interaktion auszeichnen.

Techniken

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Wahlkampf

Wahlkämpfe sind Zeiten stark intensivierter politischer Kommunikation. Politische Parteien entwickeln Programme für die nächste Legislaturperiode in der Hoffnung, durch entsprechenden Stimmengewinn zu deren Umsetzung ermächtigt zu werden.

Wir

Das Pronomen wir erfüllt aber noch eine weitere diskursive Funktion: Ein Fundament des politischen Diskurses sind dynamische politische Ideologien: Glaubens- und Wissenssysteme von politischen und sozialen Gruppen.

Petition

Petitionen sind eine der am meisten genutzten Partizipationsformen nach Wahlen. Sie sind sowohl ein Mittel der politischen Beteiligung als auch ein Protestmittel und damit Zwitterwesen in der politischen Landschaft. Durch die Digitalisierung haben sich Petitionen zudem maßgeblich verändert, ihre Zahl hat zugenommen, ebenso wie die Zahl der Plattformen, auf denen sich Petitionen starten lassen.

Influencer / Influencerin

Influencer:innen sind Personen, die auf Social-Media-Plattformen regelmäßig selbst produzierte Inhalte publizieren und damit eine öffentliche Reichweite über ihre Follower:innen aufbauen. Influencer:innen haben das Potenzial, Rezipient:innen in ihrem Wissen, Einstellungen und Verhalten zu beeinflussen (engl. to influence).

Schlagwörter

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Geschlechtergerechte Sprache

Mit dem heute als Fahnenwort gebrauchten Ausdruck geschlechtergerechte Sprache ist die Forderung verbunden, bei Personenbezeichnungen die einseitige, für diskriminierend erklärte Bezugnahme auf einen bestimmten Sexus, konkret: auf das männliche Geschlecht, zu unterlassen.

Identitätspolitik

Der Ausdruck steht heute für eine politische Konstellation, in der konkurrierende Wir-Gemeinschaften mit einer Diskriminierungs- und Benachteiligungsgeschichte in der Öffentlichkeit um Anerkennung konkurrieren. An der Oberfläche geht es ‚identitären‘ Wir-Gemeinschaften darum, die eigene Diskriminierung als Ermächtigungsmotiv an die Öffentlichkeit zu tragen.

Cancel Culture

Cancel Culture ist ein Kampf- und Stigmawort, das sich in skandalisierender Absicht gegen die Praxis (und oft auch bereits gegen die Forderung) des Absagens, Ausladens, Boykottierens moralisch missliebiger und politisch bekämpfter Personen, Organisationen und Positionen in Wissenschaft, Kultur und Politik wendet.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…

Satzsemantik von Vorhersage und Nutzen-Risiko-Abwägung: Die STIKO-Impfempfehlung für 12- bis 17-Jährige vom 18. August 2021

“Die Forschung muss… sich in die Lage versetzen, die politischen Implikationen, die sie hat, anzunehmen und auszuforschen, um nicht beim ersten Knall der Peitsche durch alle ihr vorgehaltenen Reifen zu springen. Diese Integrität kann die Wissenschaft gerade dadurch unter Beweis stellen, dass sie dem herrschenden Druck, praktische Tabus in theoretische umzuwandeln, widersteht” (Beck 1986, 283)

Review-Rückblick

In dieser Rubrik veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen kurze Notizen zu Ereignissen oder Phänomenen, die in den vergangenen Wochen in der strategischen und öffentlichen Kommunikation zu beobachten waren. Die Texte kommentieren subjektiv, unsystematisch, teils widersprüchlich und hoffentlich pointiert. Sie erheben keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, beobachten ihren Gegenstand aber von einer diskursanalytischen und -interventionistischen Position aus und sollen zum Widerspruch einladen. Sie repräsentieren nicht die Position der Redaktion des Diskursmonitors, sondern ihrer jeweiligen Autorinnen und Autoren.

Rasse, Rassismus

1) Zu Beginn drei exemplarische Medienereignisse aus der jüngsten Vergangenheit, in denen es um den Komplex Rasse, Rassismus ging…

Freund-Feind-Begriffe: Zum diskurssemantischen Feld soziopolitischer Kollektivierung

Mit jeder sprachlichen Äußerung (und das schließt das Nicht-Äußern mit ein) positioniert sich der Sprecher oder Schreiber sowohl innerhalb eines von ihm intersubjektiv (re)konstruierten als auch eines objektiven (d.h. objektivierbaren) diskursiven Raum sozialer Gruppen. Möglich ist dies nur aufgrund der sozialsymbolischen (indexikalischen) Bedeutung kommunikativer Zeichen im Bühlerschen Sinne…

PR, Punk oder Provinz: Wie Corona-Forschung die Öffentlichkeit (nicht) erregt.

Jeden Tag erreichen uns neue Nachrichten, neue Zahlen, neue Grafiken zur laufenden Corona-Pandemie. Wer erinnert sich da noch daran, was vor zwei oder drei Monaten oder vor einer Woche öffentlich diskutiert wurde? Vielleicht sind nur zwei Debatten wirklich in unserem öffentlichen Gedächtnis hängen geblieben, unter anderem, weil sie es zu eigenen Twitter-Hashtags gebracht haben: #HeinsbergProtokoll und #IchHabeBesseresZuTun…