DiskursGlossar
Gamification
Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Spielifizierung, Gamifizierung, Entertainment
Siehe auch: Werbung, Nudging
Autor: Jens Seiffert-Brockmann
Version: 1.1 / Datum: 16.02.2023
Kurzzusammenfassung
Unter Gamification versteht man allgemein die Anwendung von Spieleprinzipien in nicht-spielerischen Kontexten (vgl. Deterding et al. 2011). Gamification verknüpft den menschlichen Spieltrieb und Entertainment mit persuasiven Organisationszielen (z.B. die Einstellungsänderung von Stakeholdern zu relevanten Themen oder Produkten), die in den Algorithmen digitaler Applikationen (z.B. Websites, Apps) ihren Ausdruck finden. Nutzer:innen gamifizierter Anwendungen werden also nicht rhetorisch durch audiovisuelle Inhalte angesprochen, sondern durch die (digitale) Prozedur, die der Anwendung zugrunde liegt. Wann immer Organisationen für Tätigkeiten wie Einkäufe Punkte vergeben, Incentives und Prämien anbieten, oder die Mitarbeiter:in des Monats küren, ist das die Anwendung von Spieleprinzipien in nicht-spielerischen Kontexten, also ‚Gamification‘. Über die periphere, d.h. die mental unbewusste und oftmals auch emotionale, Verarbeitung persuasiver Botschaften umgeht Gamification den kognitiven Widerstand, den offene Persuasionsversuche oftmals auslösen. Auf Basis digitaler Algorithmen ist mit Gamification zudem eine andere Form der Rhetorik umsetzbar, sog. Prozedurale Rhetorik, die Argumente nicht nur durch Wort und Bild ausdrückt, sondern sie als virtuelle Realität erfahrbar macht. Während man bei der Lektüre oder dem Anschauen von Filmen dem Medieninhalt lediglich passiv ausgesetzt ist, erlauben gamifizierte Anwendungen mit diesen zu interagieren. Nutzer:innen können somit einen Sachverhalt nicht nur durch lesen oder sehen verstehen, sondern ihn virtuell erleben und damit qualitativ anders begreifen.
Erweiterte Begriffsklärung
Unter Gamification versteht man allgemein die Anwendung von Spieleprinzipien in nicht-spielerischen Kontexten (vgl. Deterding et al. 2011). Gamification hat im Zuge der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien, vor allem aber seit der Popularisierung des Internets und des Personal Computers, einen regelrechten Boom erlebt. Dieser Boom ist durch zwei wesentliche Aspekte charakterisiert. Einerseits ist im Zuge einer allgemeinen Mediatisierung eine schrittweise Einführung von Spielen in den gesamtgesellschaftlichen Alltag insgesamt zu beobachten, vor allem über Applikationen auf mobilen Endgeräten. Zweitens wird zunehmend versucht, positive Spieleffekte, wie beispielsweise Unterhaltung und Engagement, auf nicht spielerische Kontexte zu übertragen. Auch wenn Gamification in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals im Zusammenhang mit der Digitalisierung gesehen wird, findet Gamification als Prinzip schon viel länger Anwendung, vor allem im Marketing, wo Coupons-, Rabatt- und Sammelaktionen bereits seit Jahrzehnten gängige Instrumente der Verkaufsförderung sind. Dabei findet Gamification bei Weitem nicht nur in der Wirtschaft in Bezug auf Dienstleistungen oder Produkte Anwendung, sondern in allen Gesellschaftsbereichen, in denen organisationalen und institutionellen Akteuren eine Einstellungsänderung wichtiger Bezugsgruppen strategisch erstrebenswert erscheint.
Gamification nutzt dabei den Umstand, dass der Spieltrieb in Menschen genetisch fest verdrahtet ist und in allen Kulturen weltweit schon ab dem Kleinkindalter beobachtet werden kann (vgl. Brown 2004). Über Spiel und spielerisches Verhalten werden nicht nur Kulturtechniken eingeübt, sondern Sozialverhalten insgesamt. Mit Blick auf Gamification ist es dabei sinnvoll, eine begriffliche Abgrenzung vorzunehmen, die mit den Begriffen ludus (engl.: ,gaming‘) und paida (engl.: ,playing‘) markiert wird (vgl. Callois 2001). Während man unter Play gemeinhin spielerisches, ungezwungenes Verhalten versteht, referiert Game auf strukturierte, regelbasierte Spiele, die zwischen mindestens zwei Entitäten ausgetragen werden und auf ein Spielziel hinauslaufen. Gamification hebt vor allem auf die ludus-Dimension ab, um organisational relevanten Content entweder über serious games auszudrücken, oder aber über spielerische Elemente in nicht-spielerischen Anwendungen. Allen diesen Anwendungen ist gemein, dass der Unterhaltungsaspekt, der bei genuinen Spielen im Vordergrund steht, in den Hintergrund rückt und lediglich als Vehikel verwendet wird, um andere Ziele zu realisieren.
Die Wirksamkeit von Gamification beruht genau darauf, dass das Erreichen der (kommunikativen) Ziele von Organisationen nur ein Nebenprodukt der gamifizierten Anwendung ist. Persuasion erfolgt hier, ganz im Sinne des Elaboration-Likelihood-Modells (vgl. Petty & Cacioppo 2012), über die periphere Verarbeitung von Kommunikationsinhalten. Im Gegensatz zu klassischen rhetorischen Versuchen, Ideen durch Reden, Schreiben und Bilder zu vermitteln, geht es bei Gamification um spielerisches Erleben, bei welchem der eigentliche Hauptzweck nur ,nebenbei‘ vermittelt wird, während der User sich spielerisch der Anwendung widmet. Das Sammeln von Badges (digitale Abzeichen, die man wie Orden sammelt), das Erreichen eines Levels, das Klettern auf einem Leaderboard oder das Verbinden mit Freunden in einer gamifizierten Community, all das sind lediglich die Trägerwellen für dahinterliegende Organisationsziele. Für den Benutzer ist jedoch das Reiten auf dieser Welle selbst wünschenswert und mithin der Hauptaspekt der Nutzung gamifizierter Programme, da durch sie der spielerische Trieb geweckt wird. Die Anwendung von Gamification ist gleichbedeutend mit dem Angebot eines Kompromisses: Der Nutzer schenkt dem Programm (und seinen visuellen, verbalen Inhalten) seine Aufmerksamkeit – welche die Organisation auf ihre eigenen Ziele lenken kann – und wird im Gegenzug mit einer spielerischen Erfahrung, Spaß und Unterhaltung belohnt. Gamification umgeht dabei auch das Phänomen der Reaktanz (vgl. Brehm & Brehm 2013), welches von direkten Persuasionsversuchen oftmals evoziert wird, wenn das Individuum offensichtlich in seiner Entscheidungsautonomie beeinträchtigt werden soll. Ganz allgemein sollte allerdings der Versuch der unterschwelligen Verhaltensänderung durch Gamification in seiner Effektivität nicht überbewertet werden, da derlei Persuasionsversuche über periphere kognitive Verarbeitungsrouten meist nur zu instabilen Einstellungsänderungen führen und daher selten als Kommunikationsinstrumente für sich alleine stehen.
Um effektiv zu funktionieren, müssen gamifizierte Anwendungen die psychologische Konstitution ihrer User berücksichtigen und diesen entsprechend ihrer individuellen Präferenzen Nutzungsoptionen zur Auswahl bieten. Bartle war Mitte der 90er Jahre einer der ersten, der auf solch unterschiedliche Muster im Verhalten von Computerspielern hinwies (1996) und deren Konsequenzen deutlich machte. Demnach lassen sich Spieler entsprechend ihres Verhaltens in der virtuellen Spielumgebung in Achiever, Explorer, Socialiser und Killer einteilen. Diese Typologie wurde in den folgenden Dekaden von der Forschung auf drei zentrale Motivlagen zurückgeführt: Leistungsmotivation (Unterkategorien: Fortschritt, Mechanik, Wettbewerb); Soziale Motivation (Unterkategorien: Geselligkeit, Beziehung, Teamwork) und Immersion (Unterkategorien: Entdeckung, Rollenspiel, Anpassung, Eskapismus). Gamification ist der Versuch, diese intrinsischen Motivationen von Usern für verschiedenste Aktivitäten zu fördern (vgl. Hamari & Koivisto 2015) und im organisationalen Interesse nutzbar zu machen. Die Anwendung von Spielen und spielähnlichen Verfahren in Organisationen ist dabei keineswegs neu. Simulationen, Planspiele oder Manöver werden seit langem eingesetzt, um hypothetische Situationen durchzuspielen und sich so auf das wirkliche Leben vorzubereiten. So sind beispielsweise Trainingssimulatoren unverzichtbar in der Ausbildung von Flugzeugpiloten, Ärzten oder Ingenieuren (vgl. Sitzmann 2011), um komplizierte operationale Abläufe einüben zu können, ohne die Konsequenzen katastrophaler Fehler fürchten zu müssen. Ganz wie im kindlichen Spiel können Verhalten und Handlungen in serious games über Trial-and-Error eingeübt werden.
Digitale Spiele lassen sich dabei als eine prozedurale Form der Rhetorik verstehen (vgl. Bogost 2010). Auditive und visuelle Rhetorik versucht Argumente durch Worte und Bilder zu transportieren und nutzt diese, um Rezipienten zu überzeugen. Demgegenüber haben digitale Programme die Möglichkeit, Argumente über ihren Code zu transportieren und durch ihr Interface virtuell erlebbar zu machen. Aber der Einsatz von Spielen und gamifizierten Anwendungen als rhetorisches Instrument, um Menschen davon zu überzeugen, einer bestimmten Entscheidungslogik zu folgen, ist eine neue Qualität, die erst seit kurzem zu beobachten ist. Ein Pionier in diesem Bereich war die US-Armee mit der Entwicklung ihres First-Person-Shooters America’s Army im Jahr 2002 (siehe Beispiele unten).
Wie bereits oben angemerkt, sollte das Potenzial von Gamification und gamifizierten Anwendungen nicht überschätzt werden. Wenngleich diese Anwendungen psychologisch und biologisch fest verdrahtete Motive aktiviert und nutzt, sind die tatsächlichen Effekte meist eher bescheiden. Ethisch problematisch ist aber die mögliche Verquickung von Gamification mit Nudging-Strategien (vgl. Thaler & Sunstein 2021), wobei durch dauerhafte, periphere Persuasion nachhaltige Verhaltensänderungen erzeugt werden können, über die sich die User selbst nicht bewusst sind. Zudem bedeutet die Gamifizierung von Diskursen das Einsickern einer Konkurrenzlogik in Anwendungen, die ggf. Kollaboration und Kooperation zwischen Usern zuungunsten von Wettbewerb verdrängt. Vor allem wenn Anwendungen einseitig auf Achievement-Motivationen ausgelegt sind und entsprechende Features wie Leaderboards und Levels überproportional zum Einsatz kommen, kann die digitale Nische, welche die Anwendung besetzt, schnell homogen und damit isoliert werden – was natürlich wiederum, je nach Ziel der Organisation, auch genau im Sinne der Erfinderin sein kann. Wie jedes Kommunikationsinstrument sind auch im Falle von Gamification Nutzen und Schaden davon abhängig, wie professionell und nachhaltig das Tool eingesetzt wird und ob ethische Grenzen in der Persuasion dabei respektiert werden oder nicht.
Beispiele
(1) iSKI-App
iSki ist ein 2009 gegründetes Unternehmen, dass mit seiner iSKI-App Skifahrerlebnisse in 21 Ländern digital vermarktet. Die App spricht dabei jene Spielertypen an, die Bartle in seinem Aufsatz von 1996 bereits identifiziert hatte (siehe oben). Die iSKI-Trophy spricht deutlich jene an, die als ,Achiever‘ den Wettkampf mit anderen suchen und ihre Performance digital mit anderen Usern vergleichen. Die iSKI-Community spricht wiederum all jene an, die Apps zum ,socialisen‘ verwenden und beispielsweise ihre Skierlebnisse digital mit Freunden teilen wollen. Für die ,Explorer‘ unter den Skifahrern erlaubt die App das Sammeln von Badges, mit denen der eigene Status als Skifahrer:in untermauert wird. Studien (bspw. Seiffert-Brockmann et al. 2018) haben gezeigt, dass eine solche Gamifizierung von Inhalten tatsächlich Effekte zeitigt, die über die Nutzung der App hinausgehen. So ist beispielsweise die Wiedererkennung (Name Recognition) von Werbepartnern der App stärker bei intensiven App-User:innen im Vergleich zu denjenigen, die die Anwendung nur gelegentlich nutzen.
(2) OSRAM Mission Game
Als Osram 2013 von Siemens abgespalten wurde, stand das Unternehmen, das in Deutschland nach wie vor in erster Linie mit Glühbirnen in Verbindung gebracht wird, vor der Aufgabe, sich neu zu erfinden und die eigenen Mitarbeiter:innen dabei mitzunehmen. Mit dem OSRAM Mission Game entwickelte das Unternehmen eine gamifizierte Plattform, in der alle Mitarbeitenden des Konzerns spielerisch die neuen Werte und die Geschichte des Unternehmens kennenlernen konnten. Mit für Gamification typischen Features wie Badges, Leaderboards und personifizierten Avataren, können die User:innen seit der Einführung die Vision des Konzerns, Light for a better world, auf der eigens dafür konzipierten Plattform erleben. Das Ziel des Unternehmens ist hierbei, die Verinnerlichung der strategisch vorgegebenen Themenfelder und der zentralen Unternehmenswerte.
(3) US Army: America’s Army
Die US-Armee verfolgte mit der Programmierung des Entertainmentspiels America’s Army ein klares strategisches Ziel: Die operative Effizienz und Qualität der von der US Army rekrutierten Soldaten sollte erhöht und unnötige Ausgaben und Verfahren reduziert werden (vgl. Allen 2014). Im Gegensatz zu anderen Unterhaltungsspielen desselben Genres verwendete America’s Army eine prozedurale Rhetorik, indem es die Einsatzregeln der US-Armee und ihre Befehlskette in den Algorithmus einprogrammierte, um eine virtuelle aber gleichwohl realistische Erfahrung als Soldat in der US-Army zu kreieren. Damit sollte der Shooter der Realität von Trainingssimulatoren so nahe wie möglich kommen und gleichzeitig den Unterhaltungscharakter klassischer Computerspiele bewahren. Gleichzeitig konnte die US-Armee auf diesem Wege auch die technische Affinität potenzieller Rekrut:innen testen, die für die digitale Kriegsführung des 21. Jahrhunderts immer wichtiger wird.
Literatur
Zum Weiterlesen
- Bogost, Ian (2010): Persuasive games: The expressive power of videogames. Cambridge, Mass.: MIT Press.
- Seiffert, Jens; Nothhaft, Howard (2015): The missing media: The procedural rhetoric of computer games. In: Public Relations Review, Heft 2, Jg. 41, S. 254–263. https://doi.org/10.1016/j.pubrev.2014.11.011.
Zitierte Literatur
- Allen, Robertson (2014): America’s Army and the Military recruitment and management of ‘Talent’: An interview with Colonel Casey Wardynski. In: Journal of Gaming & Virtual Worlds, Heft 2, Jg. 6, S. 179–191. https://doi.org/10.1386/jgvw.6.2.179_1.
- Bartle, Robertson (1996): Hearts, Clubs, Diamonds, Spades: Players Who Suit Muds. Online unter: https://mud.co.uk/richard/hcds.htm#1 ; Zugriff: 15.02.2023.
- Bogost, Ian (2010): Persuasive games: The expressive power of videogames. MIT Press.
- Brehm, Sharon; Brehm, Jack W. (1981): Psychological reactance: A theory of freedom and control. Burlington: Academic Press.
- Brown, Donald E. (2004): Human universals, human nature & human culture. In: Daedalus, Heft 4, Jg. 133, S. 47–54. https://doi.org/10.1016/j.pubrev.2014.11.011.
- Caillois, Roger (2001). Man, play, and games. University of Illinois Press. Online unter: https://voidnetwork.gr/wp-content/uploads/2016/09/Man-Play-and-Games-by-Roger-Caillois.pdf ; Zugriff: 14.02.2023.
- Deterding, Sebastian et al. (2011): From Game Design Elements to Gamefulness: Defining ‚Gamification‘. In: Proceedings of the 15th International Academic MindTrek Conference: Envisioning Future Media Environments. New York: ACM, S. 9–15. https://doi.org/10.1145/2181037.2181040.
- Petty, Richard E.; Cacioppo, John T. (2012): The Elaboration Likelihood Model of Persuasion. In: Petty, Richard E.; Cacioppo, John T. (Hrsg.): Communication and persuasion: Central and peripheral routes to attitude change. Berlin [u. a.]: Springer, S. 1–24. https://doi.org/10.1007/978-1-4612-4964-1_1.
- Seiffert-Brockmann, Jens; Weitzl, Wolfgang; Henriks, Magdalena (2018): Stakeholder engagement through gamification. In: Journal of Communication Management, Heft 1, Jg. 22, S. 67–78. https://doi.org/10.1108/JCOM-12-2016-0096.
- Thaler, Richard H.; Sunstein, Cass R. (2021): Nudge: The final edition (Updated edition). London: Penguin Books.
Zitiervorschlag
Seiffert-Brockmann, Jens (2023): Gamification. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 16.02.2023. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/gamification.
DiskursGlossar
Grundbegriffe
Argumentation
Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.
Hegemonie
Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.
Diskurskompetenz
Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.
Agenda Setting
Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.
Medien
Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.
Macht
Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.
Normalismus
Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.
Wissen
Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.
Werbung
Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.
Mediale Kontrolle
Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.
Techniken
Nicht-Entschuldigen / Nonpology
Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen.
Hashtag
Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).
Diminutiv
Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).
Sündenbock
Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.
Redenschreiben
Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.
Offener Brief
Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.
Kommunikationsverweigerung
Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.
Flugblatt
Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.
Passivierung
Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).
Aufopferungs-Topos
Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.
Schlagwörter
Verfassung
Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.
Toxizität / das Toxische
Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.
Zivilgesellschaft
Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.
Demokratie
Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.
Plagiat/Plagiarismus
Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.
Fake News
Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.
Lügenpresse
Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.
Antisemitismus
Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.
Grammatiknazi / Grammar Nazi
Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.
Respekt
Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.
Verschiebungen
Versicherheitlichung
In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.
Ökonomisierung
Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren
Moralisierung
Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.
Konstellationen
Skandal
Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.
DiskursReview
Review-Artikel
Relativieren – kontextualisieren – differenzieren
Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.
Wehrhafte Demokratie: Vom Wirtschaftskrieg zur Kriegswirtschaft
Weitgehend ohne Öffentlichkeit und situiert in rechtlichen Grauzonen findet derzeit die Militarisierung der ursprünglich als „Friedensprojekt“ gedachten EU statt.
Tagung 2025: „Das geht zu weit!“ Sprachlich-kommunikative Strategien der Legitimierung und Delegitimierung von Protest in öffentlichen, medialen und politischen Diskursen
„Das geht zu weit!“ Sprachlich-kommunikative Strategien der Legitimierung undDelegitimierung von Protest in öffentlichen, medialen und politischen Diskursen Tagung der Forschungsgruppe Diskursmonitor Tagung: 04. bis 5. Juni 2025 | Ort: Freie Universität...
„Remigration“ – Ein Riss im Schleier der Vagheit. Diskursive Strategien rund um das Remigrationskonzept und die Correctiv-Recherchen
Die am 10. Januar veröffentlichte Correctiv-Recherche über ein rechtes Vernetzungstreffen in Potsdam sorgte für erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit und die größten Demonstrationen gegen Rechtsaußen seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Im Fokus der Kritik…
Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023
Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...
Tagung: Zur Politisierung des Alltags – Strategische Kommunikation in öffentlichen Diskursen (01.–03.02.2023)
Die (krisenbedingt verschärfte) Politisierung der Alltagsdiskurse stehen im Zentrum der hier geplanten Tagung. Antworten auf folgende Leitfragen sollen dabei diskutiert werden: Was sind die sozialen, medial-räumlichen und sprachlichen Konstitutionsbedingungen…
Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)
Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?
Was ist ein Volk?
Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.
Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!
Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…
Über einige Neuzugänge im (täglich wachsenden) Repertoire bellizistischer Kampf- und Kontaminationsbegriffe
[1] Was haben die Ausdrücke »Eskalationsphobie«, »Friedensmeute« und »Lumpenpazifismus« gemeinsam? Nun, zuerst einmal den Umstand, dass alle drei verdienstvolle Neuprägungen unserer medio-politischen Klasse sind…