DiskursGlossar

Diskurs

Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte Ausdrücke: Gesellschaftsgespräch, Zeitgespräch, öffentliche Debatte, Aussagenfeld
Siehe auch: Framing, Wissen, Perspektive, Kollektivsymbol
Autor: Friedemann Vogel
Version: 1.0 / Datum: 29.01.2023

Kurzzusammenfassung

Unter dem Begriff Diskurs wird in den Geistes- und Sozialwissenschaften seit etwa Mitte des 20. Jahrhunderts die Frage untersucht, wie gesellschaftliches Wissen (Denkmuster) und das, was Mitglieder einer Gesellschaft für wahr halten, durch Kommunikation (Sprache, Bilder, Architektur usw.) produziert, umkämpft und durchgesetzt wird. Wissen und Wahrheit haben damit keinen allgemeingültigen Status, sondern werden durch menschliche Praxis hergestellt und sind Gegenstand von sozialen Machtkämpfen. Mit Einführung des Diskursbegriffs wird dabei betont, dass kommunikative Akte und Wirklichkeitszuschreibungen – was ‚über die Welt‘ gesagt, geschrieben, gemalt oder auch gebaut wird – immer explizit oder implizit auf andere kommunikative Akte Bezug nimmt. Diskurse sind insofern historisch gewachsene Netzwerke aus sich aufeinander verweisenden kommunikativen Zeichen.

Je nach Tätigkeitsfeld (z.B. Journalismus, Politik, Wissenschaft, Rechtswesen) unterliegen Diskurse und die in ihr handelnden Akteure verschiedenen Normen und Regeln der Kommunikation und der Wahrheitsproduktion. Grundsätzlich unterscheiden lassen sich dabei Spezialdiskurse (z.B. Fachkommunikation in der Medizin oder in der Politikwissenschaft) und die öffentliche, in der Regel medienvermittelte Verknüpfung und Aufbereitung von Spezialdiskursen für über- und außerfachliche Adressaten (sog. Interdiskurs).

Die Analyse der sprachlichen und anderen Zeichenmuster (Diskursanalyse) kann Wissens- und Machtkämpfe von rivalisierenden Interessensgruppen beschreiben und einer kritischen Reflexion zuführen. Je nach Ansatz verfolgt Diskursforschung einen mehr oder weniger aufklärerischen Anspruch und erarbeitet Vorschläge, wie die Teilhabe vor allem benachteiligter Gruppen an gesellschaftlichen Diskursen verbessert werden kann.

Erweiterte Begriffsklärung

Die verschiedenen Spielarten der Diskursanalyse beziehen sich alle mehr oder weniger auf eine Lesart des Diskurs-Begriffs, wie ihn der französische Historiker, Philosoph, Soziologe und Psychologe Michel Foucault (1926-1984) in seinen Arbeiten (1974a, 1974b, 1973) eingeführt und populär gemacht hat. Foucaults Denken wird dem sogenannten Poststrukturalismus zugerechnet, der in der Vielfalt wahrnehmbarer Weltphänomene kein objektiv beschreibbares „strukturiertes Ganzes“ sucht (Strukturalismus im Denken von Saussure, Jakobson, Lacan u.a.), sondern der Frage nachgeht, wie die Welt erst durch den sprachlichen Zugriff konstruiert wird und damit ihre Phänomene immer von neuem Gegenstand der Aushandlung sind.

Mit Diskurs bezeichnet Foucault verschiedene Dinge:

  • jede Aussage bzw. Zuschreibung (X ist Y): „Es liegt ein Satz – und Diskurs – vor, wenn man zwischen zwei Dingen eine attributive Verbindung feststellt, wenn man sagt, dies ist jenes [Hervorhebung durch MF]“ (1974b: 133). Dabei ist gleich, ob die Aussage ein einzelnes Wort oder ein Aussagesatz ist, eine Photographie, ein Kunstgemälde oder eine parlamentarische Rede.
  • alle Aussagen zu einem bestimmten Thema oder Gegenstandsgebiet als gegenseitig aufeinander verweisendes, vernetztes Ganzes (eine „Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören“; Foucault 1973: 156) – zum Beispiel alle Aussagen zum Thema ‚Strafvollzug in Gefängnissen‘ von PolitikerInnen, ArchitektInnen, PsychologInnen, PolizeibeamtInnen, Inhaftierten usw. in einem bestimmten Zeitraum.
  • alle expliziten und impliziten Regeln, Normen und Kräfteverhältnisse (Machtstrukturen), die darüber entscheiden, welche Aussagen in einer Gesellschaft oder Gruppe einen Wahrheitsanspruch geltend machen können, welche Aussagen tabuisiert sind (Denk- oder Sagbarkeitsgrenzen) oder nur in zum Beispiel fiktionalen Möglichkeitsräumen existieren dürfen.

Foucault untersucht mit dem Diskursbegriff die Inhalte und historischen Konstitutionsbedingungen des kollektiven Wissens, der Wahrheitsannahmen und Herrschaftsformen einer Gesellschaft, etwa: Wie haben sich handlungsleitende Ideen des „Überwachens und Strafens“ in Frankreich entwickelt und wie haben sich diese Ideen nicht nur in Texten, sondern auch in der Architektur von Strafanstalten niedergeschlagen (1975)? In welchem Verhältnis stehen die Rede über und die Vorstellungen von individueller Sexualität oder Körperlichkeit und gesellschaftliche Kontrolle (1976)? Oder wie hat sich das Konzept des „Wahnsinns“ und damit auch der Umgang mit dem, was als ‚wahnsinnig‘ gilt, über die Zeit hinweg verändert (1973)? Foucault zeigt anhand seiner Arbeiten, dass die Bildung von Wahrheitspostulaten in einer Gesellschaft historisch sich wandelnden Regeln unterliegt. Diskurs ist damit nicht nur dasjenige, was unmittelbar in der kommunikativen Praxis beobachtbar ist (z.B. anhand dessen, was im Einzelnen gesagt oder geschrieben wird), sondern auch dasjenige, das nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen gesagt oder geschrieben, nicht oder nicht so gedacht oder getan werden kann.

Je nach Tätigkeitsfeld (z.B. Journalismus, Politik, Wissenschaft, Rechtswesen) unterliegen Diskurse und die in ihr handelnden Akteure verschiedenen Normen und Regeln der Kommunikation und der Wahrheitsproduktion. Im Rahmen seiner Normalismus-Diskurstheorie unterscheidet Jürgen Link (2013) deshalb grundsätzlich zwischen „Spezialdiskursen“ (z.B. Fachkommunikation in der Medizin oder in der Politikwissenschaft) und dem öffentlichen, in der Regel medienvermittelten „Interdiskurs“. Im Interdiskurs werden Wahrheitsaussagen und Kommunikate aus Spezialdiskursen für über- und außerfachliche Adressaten aufbereitet und vereinfacht (z.B. statistische Fachhypothesen in alltagsweltlich verbreitete Kollektivsymbole bzw. Metaphern ‚übersetzt‘), verändert und miteinander verknüpft.

Zahlreiche Fachdisziplinen – vor allem Sozialwissenschaften, Geschichtsschreibung, Philosophie Sprach- und Kulturwissenschaften – haben Foucaults Diskursbegriff aufgenommen und in unterschiedlicher Weise versucht, ihn auch methodisch präziser in den Griff zu bekommen. Der Großteil der empirischen Beiträge untersucht dabei schriftsprachliche Kommunikate (Texte in Massenmedien, Flugblätter, Briefe usw.), aber auch Gespräche (z.B. Talkshows oder Alltagsgespräche), bildende Kunst oder Stadtraum- und Gebäudeplanung werden einbezogen. Je nach fachlich-methodischem Schwerpunkt und Lesart von Foucaults Arbeiten unterstreichen die Studien eher die Dynamiken und semantischen Kämpfe oder die Statik und Verharrungstendenz gesellschaftlicher Diskurse; mal stehen stärker die Praktiken und strategischen Techniken von rivalisierenden Diskursakteuren im Vordergrund, mal beschränkt sich die Analyse eher auf die abstrakte Herausarbeitung dominanter Themen und Leitideen. Tendenziell geht eine Diskursanalyse im Anschluss an Foucault aber über die Analyse von Kommunikationsinhalten (sog. Inhaltsanalyse) hinaus, indem sie nicht nur danach fragt, welche Inhalte geäußert werden, sondern auch Thesen zu den Möglichkeitsbedingungen von Inhalten aufstellt.

Prinzipiell kann jeder kulturelle Gegenstand als Diskurs betrachtet und untersucht werden (z.B. der Diskurs über Straßenführungen, Spielzeug, Schokolade, Regierungstechniken). Ein Großteil der sich vor allem als machtkritisch verstehenden Forschung widmet sich allerdings der diskursiven Reproduktion von Ungleichheit, Rassismus, Geschlechterungerechtigkeit, Faschismus und ähnlichem. Damit einher gehen auch Versuche zur Entwicklung von Diskurskritik, Diskursethik und Diskursintervention (Meinhof/Reisigl/Warnke 2013; Vogel/Deus 2019).

In der Sprachwissenschaft bzw. in der sich ab den 1990er Jahren entwickelnden Diskurslinguistik wurde dieser Gedanke aufgegriffen: Im Zentrum stehen dabei die transsituativen sprachlichen, kommunikativen und medialen Strukturen, Muster und Praktiken, die unsere Sicht auf die Welt prägen. Unter ,Diskurs‘ werden dabei sowohl Gespräche (Praktiken der interpersonalen Kommunikation) als auch vor allem Text-Netze verstanden. Damit knüpft der Diskurs-Begriff erstens an eine kognitions- und handlungstheoretische Theoriebildung (Pragmatik) an und erweitert zweitens die sprachwissenschaftliche Systematik vom Wort über den Satz und den Text zu transtextuellen Untersuchungsphänomenen.

Zur Popularisierung des Diskurs-Begriffs in der Linguistik hat vor allem der programmatische Aufsatz mit dem Titel „Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt?“ von Dietrich Busse und Wolfgang Teubert (1994) beigetragen. Der Text führt eine forschungspragmatische Definition ein: Busse und Teubert (1994: 14) verstehen unter dem Begriff Diskurs:

„virtuelle Textkorpora, deren Zusammensetzung durch im weitesten Sinne inhaltliche (bzw. semantische) Kriterien bestimmt wird. Zu einem Diskurs gehören alle Texte, die

• sich mit einem als Forschungsgegenstand gewählten Gegenstand, Thema, Wissenskomplex befassen, untereinander semantische Beziehungen aufweisen und/oder in einem gemeinsamen Aussage-, Kommuniktions-, Funktions- oder Zweckzusammenhang, stehen,

• den als Forschungsprogramm vorgegebenen Eingrenzungen in Hinblick auf Zeitraum/Zeitschnitte, Areal, Gesellschaftsausschnitt, Kommunikationsbereich, Texttypik und andere Paramenter genügen,

• und durch explizite oder implizite (text- oder kontextsemantisch erschließbare) Verweisungen untereinander Bezug nehmen bzw. einen intertextuellen Zusammenhang bilden“ (Busse/Teubert 1994: 14).

Andreas Gardt (2007) hat sich etwas mehr als 10 Jahre später die bis dahin publizierten Arbeiten zur Diskursforschung angesehen und – bei aller Pluralität der Ansätze – den mehrheitlich vertretenen Diskursbegriff wie folgt paraphrasiert (ebd.: 30): Ein Diskurs sei demnach

„die Auseinandersetzung mit einem Thema, die sich in Äußerungen und Texten […] niederschlägt, von mehr oder weniger großen gesellschaftlichen Gruppen getragen wird, das Wissen und die Einstellungen dieser Gruppen zu dem betreffenen Thema sowohl spiegelt als auch aktiv prägt und dadurch handlungsleitend für die zukünftige Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Bezug auf dieses Thema wirkt“ (Gardt 2007: 30).

Der Diskursbegriff hat schließlich auch in der Philosophie (prominent etwa bei Habermas zur Theorie des kommunikativen Handelns, 1981 [2019]) sowie in den Sozialwissenschaften (etwa in der Wissenssoziologie von Rainer Keller, 2008) eine eigene Forschungstradition entfaltet.

Beispiele

(1) In Krisen- und Kriegszeiten werden öffentliche Diskurse durch andere Regeln und Normen geprägt als zu Zeiten relativer Stabilität und des Friedens: Die öffentliche Berichterstattung wird dominiert durch Meldungen über Krisen- und Kriegsgeschehen, Krisenbewältigungsmaßnahmen, Kostenkalkulationen bzw. Verluste usw. Andere Themen treten in den Hintergrund oder müssen strategisch mit dem Krisenthema verknüpft werden, um in der Öffentlichkeit legitimerweise sichtbar zu werden. Entsprechend der Themen kommen vor allem Diskursakteure öffentlich zur Sprache, denen eine Krisenanalyse- bzw. Krisenbewältigungsrolle zugeschrieben wird, zum Beispiel Sicherheitsagenten und Militärangehörige zur Erläuterung von Lagebildern. Das Meinungsspektrum wird tendenziell stark verengt, so dass sich alle Diskursakteure im Extremfall nur noch einem von zwei Polen zurechnen können (im Kriegsfall: Freund – Feind); weitere vermittelnde Positionen sind tendenziell tabuisiert.

(2) Zu den meistuntersuchten und kritisierten Diskursen gehören Migrations- und Flüchtlingsdiskurse (vgl. etwa Jung/Wengeler/Böke 1997): Das öffentliche Sprechen über ‚Andere‘ oder das ‚Fremde‘ in Deutschland folgt seit Jahrzehnten ähnlichen Denk- und Argumentationsmustern. Zu diesen Mustern zählt eine höhere Offenheit gegenüber Zuzug aus dem Ausland zu Zeiten von Arbeitskraftmangel in der Wirtschaft (Arbeitsmigration, Fachkräfte – eine Unterscheidung von Migration und Flüchtlingsstatus spielt dabei meist keine Rolle) und das Beschwören von ‚Kulturunterschieden‘ (z.B. mit dem Schlagwort Überfremdung) oder ‚Gefahren für die innere Sicherheit‘ (Islamisten) in Zeiten von Fachkräfteüberschuss. Die Positionierung im Migrationsdiskurs schlägt sich damit im wiederholten Aufgreifen derselben Topoi, Schlagwörter und Kollektivsymbole bzw. Metaphern nieder (im Falle der Ablehnung etwa durch den Vergleich von Migranten/Flüchtlingen mit Naturkatastrophen: Flüchtlingswelle oder Flüchtlingsstrom). Migrationsdiskurse sind außerdem oftmals eng verknüpft mit Identitäts- und Nationalismusdiskursen, also mit der Frage, was als ‚typisch deutsch‘ gilt oder gelten darf, welche Kulturen ‚kompatibel‘ sind (z.B. Leitkultur-Debatte in den 2000er-Jahren).

(3) Im Diskurs um geschlechtergerechte Sprache versuchen verschiedene Interessensgruppen, ihre Positionen und Vorstellungen von ‚angemessener (öffentlicher) Sprache‘ durchzusetzen. Dabei stoßen Argumente des ‚individuellen Sprachempfindens‘ auf Positionen, die sich auf ‚wissenschaftliche Expertise‘ (Autoritäts-Topos), ‚Sprachtradition‘ und anderes berufen. Die Debatte findet ihren Ausdruck in Leitartikeln, Karikaturen, sprachwissenschaftlichen Fachaufsätzen, Parlamentsdebatten, Gesetzesentwürfen, Unternehmensleitsätzen, Werbung, Hashtags auf Twitter, Videokommentaren auf TikTok und Aufklebern an Straßenlaternen. Die Äußerungen beziehen sich teils explizit (z.B. durch den Gebrauch wiederkehrender Schlagwörter oder Symbole), teils implizit aufeinander in zustimmender oder ablehnender Weise. Verhandelt wird dabei nicht nur die Frage der geschlechter-angemessenen Sprache, sondern zum Beispiel auch die Frage, wer sich das Qualitätslabel ‚Sprachkundiger‘ (Sprachexperte u.ä.) anmaßen und legitimerweise mit höherem Geltungsanspruch Wahrheitsaussagen über das Funktionieren von Sprache in diesem Fall machen darf – oder ob ‚Sprachexpertise‘ als Geltungskriterium überhaupt eine Rolle in der Auseinandersetzung spielen sollte. Öffentliche und das heißt auch sichtbare Debatten um ‚richtigen Sprachgebrauch‘ dieser Art sind darum in aller Regel ‚diskursive Stellvertreterkämpfe‘ um die Verteilung von Ressourcen, etwa den ungleichen Zugang der Geschlechter zu leitenden Positionen in den politischen oder wirtschaftlichen Eliten.

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Keller, Reiner (2007): Diskurs/Diskurstheorien. In: Rainer Schützeichel (Hrsg.): Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Konstanz: UVK-Verl.-Ges (Erfahrung – Wissen – Imagination), S. 199–224.
  • Jäger, Siegfried (2004): Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. 4. Aufl. Münster: Unrast-Verl.

Zitierte Literatur

  • Busse, Dietrich; Teubert, Wolfgang (1994): Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt? Zur Methodenfrage der historischen Semantik. In: Busse, Dietrich; Hermanns, Fritz; Teubert, Wolfgang (Hrsg.): Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte. Methodenfragen und Forschungsergebnisse der historischen Semantik. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 10–28.
  • Foucault, Michel ([1973] 2022): Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. 25. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 39).
  • Foucault, Michel ([1975] 2015): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch, 2271).
  • Foucault, Michel ([1976] 2020): Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. 23. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 716).
  • Foucault, Michel (1973): Archäologie des Wissens. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Taschenbuch Wissenschaft).
  • Foucault, Michel (1974a): Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège de France, 2. Dez. 1970: Hanser.
  • Foucault, Michel (1974b): Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Taschenbuch Wissenschaft).
  • Gardt, Andreas (2007): Diskursanalyse. Aktueller theoretischer Ort und methodische Möglichkeiten. In: Warnke, Ingo H. (Hrsg.): Diskurslinguistik nach Foucault. Theorie und Gegenstände. Berlin: De Gruyter, S. 27–52.
  • Habermas, Jürgen ([1981] 2019): Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1175).
  • Jung, Matthias; Wengeler, Martin; Böke, Karin (Hrsg.) (1997): Die Sprache des Migrationsdiskurses. Das Reden über „Ausländer“ in Medien, Politik und Alltag. Opladen: Westdeutscher Verlag.
  • Keller, Reiner (2008): Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms. Wiesbaden: Springer VS.
  • Link, Jürgen (2013): Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. 5. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Meinhof, Ulrike Hanna; Reisigl, Martin; Warnke, Ingo H. (Hrsg.) (2013): Diskurslinguistik im Spannungsfeld von Deskription und Kritik. Berlin: Akademie Verlag (Diskursmuster – Discourse Patterns, 1).
  • Vogel, Friedemann; Deus, Fabian (Hrsg.) (2020): Diskursintervention. Normativer Maßstab der Kritik und praktische Perspektiven zur Kultivierung öffentlicher Diskurse. Wiesbaden: Springer VS (Interdisziplinäre Diskursforschung).

Zitiervorschlag

Vogel, Friedemann (2023): Diskurs. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 29.01.2023. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/diskurs.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Sagbarkeit

Im öffentlichen Diskurs findet sich häufig die strategische Behauptung, dass bestimmte Fakten oder Meinungen unsagbar seien. Auf diese Weise wird zum Ausdruck gebracht, dass es Grenzen des Sagbaren gebe, die im öffentlichen Diskurs Geltung hätten.

Kulturelle Grammatik

Kulturelle Grammatik steht für ein System von Regeln und/oder etablierten Regelmäßigkeiten, die Formen richtiger und/oder normaler Kommunikation und Interaktion auszeichnen.

Techniken

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Wahlkampf

Wahlkämpfe sind Zeiten stark intensivierter politischer Kommunikation. Politische Parteien entwickeln Programme für die nächste Legislaturperiode in der Hoffnung, durch entsprechenden Stimmengewinn zu deren Umsetzung ermächtigt zu werden.

Wir

Das Pronomen wir erfüllt aber noch eine weitere diskursive Funktion: Ein Fundament des politischen Diskurses sind dynamische politische Ideologien: Glaubens- und Wissenssysteme von politischen und sozialen Gruppen.

Petition

Petitionen sind eine der am meisten genutzten Partizipationsformen nach Wahlen. Sie sind sowohl ein Mittel der politischen Beteiligung als auch ein Protestmittel und damit Zwitterwesen in der politischen Landschaft. Durch die Digitalisierung haben sich Petitionen zudem maßgeblich verändert, ihre Zahl hat zugenommen, ebenso wie die Zahl der Plattformen, auf denen sich Petitionen starten lassen.

Influencer / Influencerin

Influencer:innen sind Personen, die auf Social-Media-Plattformen regelmäßig selbst produzierte Inhalte publizieren und damit eine öffentliche Reichweite über ihre Follower:innen aufbauen. Influencer:innen haben das Potenzial, Rezipient:innen in ihrem Wissen, Einstellungen und Verhalten zu beeinflussen (engl. to influence).

Schlagwörter

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Geschlechtergerechte Sprache

Mit dem heute als Fahnenwort gebrauchten Ausdruck geschlechtergerechte Sprache ist die Forderung verbunden, bei Personenbezeichnungen die einseitige, für diskriminierend erklärte Bezugnahme auf einen bestimmten Sexus, konkret: auf das männliche Geschlecht, zu unterlassen.

Identitätspolitik

Der Ausdruck steht heute für eine politische Konstellation, in der konkurrierende Wir-Gemeinschaften mit einer Diskriminierungs- und Benachteiligungsgeschichte in der Öffentlichkeit um Anerkennung konkurrieren. An der Oberfläche geht es ‚identitären‘ Wir-Gemeinschaften darum, die eigene Diskriminierung als Ermächtigungsmotiv an die Öffentlichkeit zu tragen.

Cancel Culture

Cancel Culture ist ein Kampf- und Stigmawort, das sich in skandalisierender Absicht gegen die Praxis (und oft auch bereits gegen die Forderung) des Absagens, Ausladens, Boykottierens moralisch missliebiger und politisch bekämpfter Personen, Organisationen und Positionen in Wissenschaft, Kultur und Politik wendet.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…

Satzsemantik von Vorhersage und Nutzen-Risiko-Abwägung: Die STIKO-Impfempfehlung für 12- bis 17-Jährige vom 18. August 2021

“Die Forschung muss… sich in die Lage versetzen, die politischen Implikationen, die sie hat, anzunehmen und auszuforschen, um nicht beim ersten Knall der Peitsche durch alle ihr vorgehaltenen Reifen zu springen. Diese Integrität kann die Wissenschaft gerade dadurch unter Beweis stellen, dass sie dem herrschenden Druck, praktische Tabus in theoretische umzuwandeln, widersteht” (Beck 1986, 283)

Review-Rückblick

In dieser Rubrik veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen kurze Notizen zu Ereignissen oder Phänomenen, die in den vergangenen Wochen in der strategischen und öffentlichen Kommunikation zu beobachten waren. Die Texte kommentieren subjektiv, unsystematisch, teils widersprüchlich und hoffentlich pointiert. Sie erheben keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, beobachten ihren Gegenstand aber von einer diskursanalytischen und -interventionistischen Position aus und sollen zum Widerspruch einladen. Sie repräsentieren nicht die Position der Redaktion des Diskursmonitors, sondern ihrer jeweiligen Autorinnen und Autoren.

Rasse, Rassismus

1) Zu Beginn drei exemplarische Medienereignisse aus der jüngsten Vergangenheit, in denen es um den Komplex Rasse, Rassismus ging…

Freund-Feind-Begriffe: Zum diskurssemantischen Feld soziopolitischer Kollektivierung

Mit jeder sprachlichen Äußerung (und das schließt das Nicht-Äußern mit ein) positioniert sich der Sprecher oder Schreiber sowohl innerhalb eines von ihm intersubjektiv (re)konstruierten als auch eines objektiven (d.h. objektivierbaren) diskursiven Raum sozialer Gruppen. Möglich ist dies nur aufgrund der sozialsymbolischen (indexikalischen) Bedeutung kommunikativer Zeichen im Bühlerschen Sinne…

PR, Punk oder Provinz: Wie Corona-Forschung die Öffentlichkeit (nicht) erregt.

Jeden Tag erreichen uns neue Nachrichten, neue Zahlen, neue Grafiken zur laufenden Corona-Pandemie. Wer erinnert sich da noch daran, was vor zwei oder drei Monaten oder vor einer Woche öffentlich diskutiert wurde? Vielleicht sind nur zwei Debatten wirklich in unserem öffentlichen Gedächtnis hängen geblieben, unter anderem, weil sie es zu eigenen Twitter-Hashtags gebracht haben: #HeinsbergProtokoll und #IchHabeBesseresZuTun…