DiskursGlossar

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte Ausdrücke: Sprachenpolitik, Sprachplanung, Sprachenplanung, Language Management
Siehe auch: Geschlechtergerechte Sprache, Sagbarkeit, Politische Kommunikation
Autor: Philipp Krämer
Version: 1.0 / Datum: 24.10.2022

Kurzzusammenfassung

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Als Sprachenpolitik werden Regelungen bezeichnet, mit denen das Verhältnis verschiedener Sprachen zueinander festgelegt wird. Ihnen wird in einem Geltungsbereich, etwa einem Staat, ein verbindlicher Status zugewiesen, sodass in bestimmten Feldern des gesellschaftlichen Lebens die Verwendung einer Sprache vorgeschrieben, gefördert, begrenzt oder verboten wird. Sprachenpolitik umfasst demnach Instrumente zur Gestaltung der Kommunikation in einer mehrsprachigen Gesellschaft, die konstruktiv oder prohibitiv genutzt werden können (vgl. Beispiel 1 zu Belgien).

Unter Sprachpolitik im engeren Sinne versteht man die politische Gestaltung der Verwendungsformen einer einzelnen Sprache, insbesondere mit Blick auf ihre Sprachstruktur. In den Bereich dieser Art von Sprachpolitik fällt etwa die Standardisierung, also die Erstellung oder verbindliche Einführung sprachstruktureller Normen. Diese werden in kodifizierter Form durchgesetzt, indem orthografische Regeln, Normgrammatiken oder ein bestimmter Wortschatz offiziell anerkannt bzw. vorgegeben werden. Die Aufgabe der Verbreitung und Implementierung der Normen liegt an erster Stelle beim Bildungswesen (vgl. Beispiel 2 zu Frankreich).

Erweiterte Begriffsklärung

Eine strikte Unterscheidung zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik ist nicht immer möglich oder sinnvoll: Die auf die Struktur einer Sprache gerichtete Planung wird in der Regel auch Auswirkungen auf Gebrauch und Wahrnehmung dieser Sprache haben, etwa mit Blick auf ihre Akzeptanz in der Gesellschaft. Beispielsweise werden von den Sprachgemeinschaften als künstlich empfundene Standardformen oder die Auswahl bestimmter dialektaler Formen als Grundlage des Standards ggf. abgelehnt und damit auch der Stellenwert dieser Sprache gegenüber anderen Sprachen infrage gestellt. Umgekehrt hat die Regelung des Statusverhältnisses verschiedener Sprachen häufig Auswirkungen im Sprachsystem: Es entwickelt sich domänenspezifischer Wortschatz oder bestimmte Formen geraten außer Gebrauch, wenn eine Sprache in ihrer Verwendung gegenüber anderen eingeschränkt wird. Beide Dimensionen werden deshalb auch unter einem erweiterten, allgemeineren Verständnis schlicht als Sprachpolitik zusammengefasst. Als Oberbegriff für sprachpolitische Initiativen allgemein findet alternativ die Bezeichnung Language Policy and Planning (kurz LPP) weite Verbreitung. Einen ausführlicheren Überblick der Konzepte von Sprach(en)politik und -planung und eine umfangreiche Bibliografie bieten Dovalil & Šichová (2017).

Analytisch lassen sich bottom-up- und top-down-Ansätze der Sprachpolitik unterscheiden, je nachdem welche Akteur*innen prägend sind. In der Realität interagieren beide Ebenen meist, wirken gemeinsam oder gegeneinander.

Im Rahmen von bottom-upAnsätzen liefern Mitglieder der Sprachgemeinschaft selbst die Impulse zu sprachpolitischen Entscheidungen, etwa Aktivist*innen, Interessengruppen oder Einzelpersonen. Auch Individuen handeln immer wieder sprachpolitisch, wenn sie bestimmte Sprachformen nutzen oder vermeiden, wenn sie in einem Verwendungsbereich die vorgegebene Sprache wählen oder davon abweichen.

Bei top-down-Ansätzen geht die Gestaltung von staatlichen Stellen aus, oder von anderen Instanzen mit verbindlicher Regelungsbefugnis, etwa von Regierungen und Parlamenten, Behörden oder Unternehmensführungen. Typische top-down-Ansätze fallen unter den klassischen Begriff der Sprachplanung, die sich wiederum in Korpusplanung und Statusplanung einteilen lässt (Haugen 1987; Janich 2011). Unter Korpusplanung fällt die politisch angestoßene Erstellung von Referenzwerken wie Grammatiken oder Wörterbüchern. Statusplanung umfasst die Festlegung der Stellung der jeweiligen Sprache(n) in der Gesellschaft. Das Begriffspaar liegt damit nah bei der Unterscheidung in Sprachpolitik und Sprachenpolitik, die auch hier häufig zusammentreffen. Dies gilt vor allem für Initiativen zum Ausbau einer Sprache, wenn zur künftigen Nutzung in neuen Verwendungsdomänen die notwendigen Sprachformen bereitgestellt werden sollen, z.B. durch Erarbeitung und Verbreitung von Fachwortschätzen oder Referenzwerken (vgl. Beispiel 3 zu Mauritius).

Weitere zentrale Größen zur Beurteilung von Sprachpolitik sind Wirkungsweise und Grad der Verbindlichkeit. Sprachpolitik kann explizit geführt werden und direkt wirken, etwa über gesetzliche Regelungen. Aber auch Maßnahmen, die nicht primär eine sprachpolitische Zielsetzung verfolgen, können indirekt Auswirkungen auf Sprachverwendung haben. Im Falle von Minderheitensprachen entfalten beispielsweise Entscheidungen zu Kulturförderung oder Mediensubvention regelmäßig auch sprachpolitische Folgen. Bildungs-, Medien- und Kulturpolitik gehören zu den besonders relevanten Feldern, in die direkt wie indirekt sprachpolitische Entscheidungen eingebettet sind. In kontroversen sprachpolitischen Debatten oft übersehen wird die Frage, ob bestimmte Regelungen verbindlich gelten oder etwa nur als Empfehlung gedacht sind, und welchen genauen Geltungsbereich sie haben (vgl. Beispiel 4 zu geschlechtergerechter Sprache in Deutschland).

Als ebenfalls mit sprachpolitischen Prozessen verknüpftes Forschungsfeld widmen sich Arbeiten zur Language Management Theory dem Zusammenwirken von Akteur*innen in der Gestaltung der sprachlichen Verhältnisse sowohl durch ihre Sprachverwendung als auch durch metasprachliche Einflussnahme auf diese (Nekvapil 2009). Besonderes Interesse gilt der Wechselwirkung zwischen dem Handeln von Einzelpersonen und der organisierten Ordnung von Sprachpolitik. Hierbei sind konkrete sprachliche Handlungen und metasprachliche Diskurse ein entscheidender Zugang, um die Ordnungsverhältnisse verstehen zu können, weil sich im Sprechen über Sprache die Gestaltungseinflüsse ablesen lassen (Spolsky 2019 führt die Grundlagen von Sprachpolitik und -management zusammen).

Zu beachten ist dabei, dass der Diskurs über Sprache und Sprachpolitik zugleich immer auch Diskurs als Sprachpolitik ist und dadurch in politische Kommunikation eingebunden wird, oder anders ausgedrückt: Durch die Verhandlung sprachpolitischer Fragestellungen im Diskursraum werden stets die sprachpolitischen Gegebenheiten beeinflusst – entweder indem sie gefestigt oder indem sie infrage gestellt werden.

Sprachpolitische Ziele sind immer untermauert mit Sprachideologien, also mit verbreiteten Idealvorstellungen dessen, was Sprache ist, wie sie aussehen und benutzt werden sollte. Die ideologischen Grundlagen der Sprachpolitik lassen sich im Diskurs identifizieren, etwa Widerstände gegen Sprachwandel und Purismus bei einem äußerst statischen und homogenen Sprachbild, Manifestationen von Standardsprachenideologie bei bildungspolitischen Absichten, oder die Umsetzung einer deutlichen Nationalsprachenideologie, mit der man sich dem Bild der einsprachig homogenen Gesellschaft des Nationalstaates annähern möchte. Ideologische Vorstellungen liegen selbstverständlich auch entgegengesetzten sprachpolitischen Bestrebungen zugrunde, beispielsweise der Förderung von Mehrsprachigkeit oder dem Schutz von Minderheitensprachen. Hier wirkt das Idealbild durch, sprachliche Vielfalt erhalten und ausbauen zu wollen, oder die Überzeugung, dass Sprecher*innen über schützenswerte sprachbezogene Rechte verfügen.

Sprachpolitische Thematiken sind in der Regel angebunden an breitere gesellschaftliche Diskurse und Kontroversen. Sie eignen sich als Zugang zu Konflikten, die nicht unmittelbar verhandelt werden sollen oder können, sodass selbst gesellschaftliche Fundamente relativ risikoarm über den Umweg der Sprache infrage gestellt werden können. Beispielsweise bieten sprachpolitische Diskurse und Maßnahmen mit puristischer und wandelfeindlicher Grundlage einen geeigneten Eintrittspunkt zu größeren Diskursrahmen, die letztlich auf die Ausgrenzung und Benachteiligung von Minderheiten und die Wahrung von Privilegien abzielen. Unter dem breit geteilten Vorwand, die Sprache ‚bewahren‘ oder ‚schützen‘ zu wollen, wird über einen sprachpolitischen Stellvertreterdiskurs die Ablehnung derjenigen verhandelt, die als Bedrohung für den Erhalt der Sprache konstruiert werden. Andererseits rufen sprachpolitische Diskurse auch solche Diskursbereiche auf, die soziale Errungenschaften verteidigen und ausbauen möchten. Sprachpolitik etwa zur Anerkennung, Sichtbarmachung oder Unterstützung bestimmter Sprachgruppen bzw. Sprecher*innen knüpft dann an Zielsetzungen wie soziale Teilhabe oder eine gerechtere Ressourcenverteilung an.

Sprachpolitisches Handeln ist stets eine Form des Umgangs mit Macht, entweder indem sie durchgesetzt und gefestigt oder indem sie herausgefordert wird. Damit stellt sich die Frage nach der Legitimität sprachpolitischer Entscheidungen, vor allem bei top-down-Impulsen. Wie bei jeder anderen politischen Handlung kann auch in der Sprachpolitik eine verbindliche Regelung auf dem Weg demokratischer Prozesse zustande kommen oder durch autoritäre Setzung. Welche bottom-up-Impulse erfolgreich sind, hängt ebenfalls von den sozialen, ökonomischen und politischen Kräfteverhältnissen ab. Diese Kriterien sind unter anderem deshalb relevant, weil im öffentlichen Diskurs Sprachpolitik bisweilen als gleichbedeutend mit ‚illegitimer Sprachmanipulation‘ verwendet wird. Im Kern berühren sprachpolitische Diskussionen also immer die Frage, in welchem Umfang eine gezielte Gestaltung der Sprachverwendung wünschenswert ist, wer dies festlegt bzw. durchsetzt, und auf welche übergeordneten gesellschaftlichen Entwicklungen sie abzielen.

Sprachpolitik im weitesten Sinne ist letztlich jede Entscheidung für oder gegen eine Alternative in der Sprachverwendung, mit der gesellschaftsrelevante Bedeutung erzielt wird. Somit können staatliche Organe, private Organisationen und auch Individuen sprachpolitisch wirksam handeln, wobei die Zielsetzungen dieses Handelns meist über die reine Sprachverwendung hinaus auf größere soziale Fragestellungen gerichtet sind. Einen breit gefächerten Forschungsüberblick zu Sprachpolitik unter Einbeziehung zahlreicher gesellschaftlicher Hintergründe und Auswirkungen bietet das Handbuch von Tollefson & Pérez-Milans (Hrsg. 2018).

Beispiele

(1) Ein typisches Beispiel mit weitreichenden Regelungen zur Sprachenpolitik ist Belgien. Festgelegt ist dort nach dem Territorialitätsprinzip, welche der drei offiziellen Sprachen des Landes in welchem Gebiet für die öffentliche Kommunikation genutzt werden darf: Das Land ist unterteilt in einen niederländischsprachigen, einen französischsprachigen und einen deutschsprachigen Raum; die Hauptstadtregion Brüssel hat mit Französisch und Niederländisch zwei offizielle Sprachen. Die Sprachgebiete sind durch eine seit 1962/63 gesetzlich festgelegte Sprachgrenze voneinander getrennt. In detaillierten Vorschriften wird bestimmt, dass etwa in der Verwaltung oder im Bildungswesen die jeweilige Sprache des Gebiets zu verwenden ist und in welchen stark eingeschränkten Ausnahmefällen davon abgewichen werden darf. Die Sprachverwendung in der privaten Kommunikation ist freigestellt. In der Gesellschaft herrscht als Folge dieses Modells ein relativ großes Bewusstsein für die grundsätzliche politische Dimension sprachlicher Entscheidungen, während zugleich die alltäglichen Praktiken in der individuellen Interaktion weitgehend frei von rechtsgebundenen Erwägungen im Rahmen der verfügbaren Repertoires ausgehandelt werden.

(2) Eine stark auf die innere Form der Sprache ausgerichtete Politik führt seit langem Frankreich. Hierzu zählen beispielsweise Bemühungen des Sprachpurismus, mit denen vor allem die Verwendung englischer Lehnwörter begrenzt werden soll. Die dem Kulturministerium angegliederte Terminologiekommission FranceTerme ist damit beauftragt, neue französische Begriffe zu entwickeln oder bekannt zu machen, mit denen ‚fremde‘ (d.h. zumeist englische) Begriffe ersetzt werden sollen. Ebenfalls eine sprachpolitische Maßnahme mit direkter Wirkung auf die Verwendung bestimmter Strukturen wurde im Jahr 2021 getroffen, als der damalige Bildungsminister Jean-Michel Blanquer den Schulen des Landes untersagte, geschlechtergerechte Schriftformen wie den Mediopunkt zu nutzen.

(3) Im Jahr 2012 führte die Republik Mauritius das in der Gesellschaft weithin verbreitete Kreolische als Unterrichtssprache und Fach in den Schulen ein. Bis dahin war Kreolisch nur als informelles Kommunikationsmittel im Unterricht verwendet worden. Ziel der Maßnahme war es, als eine Etappe auf dem Weg zur Dekolonisierung den Zugang zum Bildungswesen für mehrheitlich kreolischsprachige Kinder zu erleichtern. Zuvor dominierten allein die aus der Kolonialzeit etablierten Sprachen Englisch und Französisch als Bildungssprachen das Schulwesen. Unterrichtsmaterialien waren ausschließlich in den beiden Sprachen vorhanden und nur sie wurden als Fächer unterrichtet. Mit der Entscheidung der Regierung zur Einführung des Kreolischen änderte sich die offizielle Position der Sprache in der Gesellschaft: ein Schritt der Statusplanung von staatlicher Seite. Begleitet wurde dieser Schritt mit der Gründung einer staatlich eingesetzten Sprachakademie, die eine einheitliche Rechtschreibung für den Unterricht, eine Referenzgrammatik und ein Wörterbuch erarbeitete: Die Akademie erfüllt Aufgaben der Korpusplanung. Während die entscheidende Strukturänderung als top-down-Ansatz von der Regierung ausging, wurde dieser Schritt nicht zuletzt auch durch bottom-up-Impulse langjährig engagierter Initiativen aus Kultur und Wissenschaft vorangetrieben.

(4) Ein Beispiel ist die öffentliche Diskussion über geschlechtergerechte Formen des Deutschen. Verbindliche Regelungen hierzu sind relativ selten. Sie sind zumeist beschränkt auf Leitfäden zur Kommunikation innerhalb bestimmter Organisationen wie Unternehmen, Behörden oder Universitäten. Bindende Wirkung haben sie höchstens für die offizielle Kommunikation der eigenen Angehörigen der Organisation. Leitfäden für geschlechtergerechte Sprache haben allerdings trotz häufig geäußerter Kritik an einem vermeintlichen Sprachzwang in vielen Fällen lediglich Empfehlungscharakter. Manche Organisationen wie etwa bestimmte Redaktionen und Medienhäuser stellen ihren Beschäftigten die Nutzung geschlechtergerechter Formen explizit frei. Als die Nachrichtensprecherin Petra Gerster im ZDF den Glottisverschluss bei inklusiven Formen wie Politiker*innen verwendete, ließen die darauf folgenden Reaktionen erkennen, dass dies von Teilen des Publikums als normsetzend verstanden wurde. Gersters Entscheidung lässt sich so als indirekt wirkende sprachpolitische Handlung interpretieren. Eine Verpflichtung galt weder für Gerster selbst noch muss das Publikum die Formen übernehmen, dennoch erhält die Entscheidung durch die herausgehobene Stellung einer Nachrichtensprecherin für den Sprachgebrauch eine sprachpolitische Dimension. Alle genannten Schritte zur Nutzung geschlechtergerechter Sprache sind als sprachpolitische Gestaltung zu werten, ihr Geltungsbereich, ihre Wirkungsform und ihr Verbindlichkeitsgrad unterscheiden sich jedoch im Detail.

  

Literatur

    Zum Weiterlesen

    • Dovalil, Vít; Šichová Kateřina (2017): Sprach(en)politik, Sprachplanung und Sprachmanagement. Heidelberg: Winter.

    Zitierte Literatur

    • Dovalil, Vít; Šichová Kateřina (2017): Sprach(en)politik, Sprachplanung und Sprachmanagement. Heidelberg: Winter.

    • Haugen, Einar (1987): Language Planning. In: Ammon, Ulrich et al. (Hrsg.): Soziolinguistik / Sociolinguistics. Berlin; Boston: De Gruyter Mouton, S. 626–638.

    • Janich, Nina (2011): Sprachplanung. In: Knapp, Karlfried et al. (Hrsg.): Angewandte Linguistik. Ein Lehrbuch. Tübingen; Basel: Francke, S. 537–558.

    • Nekvapil, Jiří (2009): The integrative potential of Language Management Theory. In: Nekvapil, Jiří; Sherman, Tamah (Hrsg.): Language Management in Contact Situations: Perspectives from Three Continents. Frankfurt/Main u. a.: Lang, S. 1–11.

    • Spolsky, Bernard (2019): A modified and enriched theory of language policy (and management). In: Language Policy 18, S. 323–338.

    • Tollefson, James W.; Pérez-Milans, Miguel (Hrsg.)(2018): The Oxford Handbook of Language Policy and Planning. Oxford Handbooks (online edition).

    Zitiervorschlag

    Krämer, Philipp (2022): Sprachpolitik / Sprachenpolitik. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 24.10.2022. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/sprachpolitik-sprachenpolitik/.

    DiskursGlossar

    Grundbegriffe

    Diskurskompetenz

    Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

    Agenda Setting

    Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

    Medien

    Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

    Macht

    Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

    Normalismus

    Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

    Wissen

    Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

    Werbung

    Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

    Mediale Kontrolle

    Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

    Freund- und Feind-Begriffe

    Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

    Sagbarkeit

    Im öffentlichen Diskurs findet sich häufig die strategische Behauptung, dass bestimmte Fakten oder Meinungen unsagbar seien. Auf diese Weise wird zum Ausdruck gebracht, dass es Grenzen des Sagbaren gebe, die im öffentlichen Diskurs Geltung hätten.

    Techniken

    Offener Brief

    Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

    Kommunikationsverweigerung

    Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

    Flugblatt

    Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

    Passivierung

    Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

    Aufopferungs-Topos

    Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

    Opfer-Topos

    Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

    Analogie-Topos

    Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

    Topos der düsteren Zukunftsprognose

    Der Topos der düsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.

    Negativpreis

    Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

    Be-/Überlastungs-Topos

    Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

    Schlagwörter

    Verfassung

    Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

    Toxizität / das Toxische

    Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

    Zivilgesellschaft

    Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

    Demokratie

    Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

    Plagiat/Plagiarismus

    Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

    Fake News

    Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

    Lügenpresse

    Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

    Antisemitismus

    Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

    Grammatiknazi / Grammar Nazi

    Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

    Respekt

    Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

    Verschiebungen

    Ökonomisierung

    Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

    Moralisierung

    Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

    Konstellationen

    Skandal

    Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

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