DiskursGlossar

Inklusion

Kategorie: Schlagwörter
Verwandte Ausdrücke:
Anerkennung, (Recht auf) Teilnahme, Teilhabe, Exklusion, Ausschließung, Diskriminierung
Siehe auch: Partizipatorischer Diskurs, Moralisierung
Autor: Clemens Knobloch
Version: 1.2 / Datum: 24.05.2020

Kurzzusammenfassung

Inklusion hat sich, ausgehend von einem soziologischen Fachterminus gleichen Namens, in den zwei vergangenen Jahrzehnten zu einem interdiskursiven und allgemeinen Programmbegriff gewandelt. Er steht für die Forderung, reale und symbolische Zugangsbarrieren für Angehörige diskriminierter Gruppen und Minderheiten abzubauen. Im Schulsystem ist der Inklusionsanspruch verrechtlicht: Eltern haben das Recht, Kinder mit Förderbedarf (wegen körperlicher, psychischer, sozialer und sonstiger Lernbehinderungen) im allgemeinen Schulsystem anzumelden. Im weiteren Sinne bezieht sich Inklusion auf die verbale und institutionelle Einbeziehung ehedem stigmatisierter und minderheitlicher Gruppen (sexuelle Minderheiten, Behinderte, Kinder, Migranten etc.) in die gesellschaftlichen Normalinstitutionen.

Erweiterte Begriffsklärung

​Der Anspruch auf Teilhabe aller wird in der Regel öffentlich begründet mit der UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 (von der deutschen Bundesregierung 2009 ratifiziert). Vor diesem Hintergrund gilt Inklusion als menschenrechtlicher Anspruch. Das verleiht dem Fahnenwort Inklusion moralische und juristische Schubkraft. Prominent ist die pädagogische Sphäre. Die meisten Menschen denken bei Inklusion zuerst an das Elternrecht, Kinder mit (psychischen, körperlichen, sozialen, sprachlichen, lernpsychologischen….) Behinderungen im allgemeinen Schulsystem ausbilden zu lassen. Danach aber auch an das Teilnahmerecht aller marginalisierten Minderheiten an den Zusammenhängen und Veranstaltungen der (normalistischen) Mehrheit. Unter Inklusion fallen aber auch andere Sphären der demonstrativen Zugangserleichterung für Gruppen, die zuvor als diskriminiert kodiert worden sind. Etwa ,leichte Sprache‘ für Parteiprogramme, Nachrichten, Behördenpost, barrierefreie Zugänge für Rollstuhlfahrer, Gestendolmetscher für Gehörlose bei öffentlichen Veranstaltungen etc. Auch Themen wie ,Wahlrecht für Kinder‘ werden unter Inklusion abgehandelt.

In der Zwischenzeit hat sich um den Inklusionsbegriff herum ein Umfeld von Image-, PR- und Selbstdarstellungsinstitutionen etabliert. Betriebe installieren Inklusionsbeauftrage, Hochschulen veranstalten Inklusionstage. Inklusion wird Überschrift und Zusammenfassung für alle Aktivitäten, durch die sich Betriebe, Behörden und andere Institutionen ein weltoffenes moralisches Image beizulegen versuchen.

Inklusion hat enge implikative Beziehungen zum Programmbegriff ,Diversität/Vielfalt‘. Aufgerufen wird in Inklusionsappellen immer der Leitgedanke, dass die Verschiedenheit innerhalb einer kollektiven Wirgruppe eine Produktivkraft sei, die für bessere Lösungen sorgen könne. Wirksam ist hier das Modell der Biodiversität, das (vereinfacht) besagt: Je mehr (in der Biologie: genetische) Optionen in einer Nische zur Auswahl stehen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Innovatives, Überlebenstaugliches etc. dabei ist.

War der ursprüngliche soziologische Fachterminus logisch-systematisch, so ist die interdiskursive Programmversion von Inklusion eher ein moralischer Anspruch, der den analytischen Anspruch umkehrt, in sein Gegenteil verwandelt. Für die soziologische Systemperspektive gilt: Inkludiert sind in ein Funktionssystem (Recht, Wirtschaft, Wissenschaft etc.) alle systemrelevanten Handlungen. Und insofern die Handlung eines Teilnehmers zum Rechts- oder Wirtschaftssystem gerechnet werden muss, kann und darf man keine Eigenschaften in Anspruch nehmen, die zu einem anderen funktionalen System gehören. Was juristisch ,geht‘, braucht moralisch nicht makellos zu sein und umgekehrt. Im Rechtssystem wird alles binär kodiert auf zulässig/unzulässig, im Wissenschaftssystem auf wahr/falsch. Wer also in seiner Praxis als Wissenschaftler für sich in Anspruch nehmen wollte, dass seine Befunde nicht nur ,wahr‘, sondern auch ,gut‘ seien, der hätte sich einer Entgleisung schuldig gemacht. Der interdiskursiv moralisierte Programmbegriff gleichen Namens macht diese Entgleisung zur Norm. Die Leistungsansprüche des Gymnasiums schließen schwache, behinderte, intellektuell wenig leistungsfähige Schüler aus? In der soziologischen Perspektive wäre das ein Beleg für ihre Inklusivität. Denn Inklusivität bedeutet: Alleinige Berücksichtigung derjenigen Kriterien, die für die Systemzugehörigkeit einer Handlung relevant sind – und Ignorieren aller anderen, systemfremden Kriterien. Der programmatisch-interdiskursive Begriff der Inklusion ist also Aufhebung und Gegenteil des gleichnamigen soziologischen Fachterminus. Er fordert, was die Systemsoziologie grundsätzlich ausschließt: dass ganze Personen in die funktional differenzierten Teilsysteme aufgenommen werden sollen – und nicht nur Handlungen. Für die Systemsoziologie gehören wir als Personen zur ,Umwelt‘ der funktional differenzierten Systeme und nehmen an diesen nur durch einschlägige Handlungen teil.

Das Fahnenwort Inklusion formuliert einen grundsätzlich individuellen Anspruch: Jeder Einzelne hat das Recht auf Teilhabe an Bildung, Kultur, Normalität etc. (vgl. Nassehi 2003, 331-352). Das Fahnenwort taugt aber auch dazu, eine moralisierte Wir-Gemeinschaft derjenigen Menschen zu bilden, die niemanden von den Segnungen der Normalität ausschließen wollen. In der medienöffentlichen Debatte hat das zur Folge, dass Kritiker der Inklusionspraktiken befürchten müssen, als behinderten- oder minderheitenfeindlich dargestellt zu werden. Die Inklusionsdebatte ist eine hochgradig moralisierte Debatte. In der Pädagogik löst Inklusion als Paradigma den alten Leitbegriff Integration ab, erbt aber dessen Paradoxien in verschärfter Form (vgl. Dammer 2011, 5-30). Wenn es in allen Zusammenhängen selbstverständlich ist, dass alle dazugehören sollen und dürfen, dann werden vor allem die Grenzen der Inklusion unsichtbar gemacht. Zweifellos gehören nämlich die Minderheiten nicht dazu, die gar nicht als solche anerkannt sind oder nicht dazu gehören wollen. Niemand fordert die Inklusion von Dschihadisten oder Rechtspopulisten. Auch die Armen begegnen einem nicht im Inklusionsdiskurs. Sie sind keine anerkannte Minderheit mit Opferstatus. So gesehen ist Inklusion ein ,pseudouniversalistisches‘ Programm, das die Wohlhabenden und Wohlmeinenden installieren, um Zustimmung bei denjenigen zu erzeugen, die sich lieber den Gewinnern der globalen Marktwirtschaft zurechnen als den Verlierern. Inklusion zielt auf den ,Normalbereich‘. Die Attraktivität und Reichweite dieses Programms schrumpft daher, sobald sich auch erhebliche Teile der ,Normalbevölkerung‘ entrechtet und ausgeschlossen fühlen, die sich in den Inklusionsformeln der Wohlmeinenden nicht wiedererkennen und wiederfinden. Eine gebräuchliche Gegenstrategie besteht also darin, die ,Normalbevölkerung‘ zum eigentlichen, aber eben nicht anerkannten Opfer zu erklären.

Hochgehalten wird das Inklusionsprogramm sowohl von Moralagenturen innerhalb und außerhalb des Bildungssystems (allen voran die Aktion Mensch) als auch von progressiv-liberalen Medien, Parteien, Organisationen. Misst man das Programm der Inklusion an den wuchernden Praktiken der harten sozial-ökonomischen Exklusion (von ,gated communities‘ über gentrifizierte Wohnviertel, private Bildungseinrichtungen bis zu unbezahlbaren Mieten und wachsender Obdachlosigkeit), dann wirkt es wie der Versuch, sich trotzdem, per weicher Inklusion, ein gutes Gewissen zu verschaffen. Jedes inkludierte Individuum wirkt dann als lebendiger Beweis dafür, dass jeder es schaffen kann dazuzugehören.

Beispiele

Am meisten öffentliche Aufmerksamkeit für Inklusionsfragen gibt es im Bereich der schulischen Inklusion. Durch die werden allgemeinbildenden Schulen verpflichtet (mit erheblichen Unterschieden im Detail, je nach Bundesland), Kinder aufzunehmen und zu unterrichten, die nach bisherigen Kriterien ,Förderbedarf‘ haben und zuvor an speziellen Schulen (,für Kinder mit Förderbedarf‘) von speziell ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet wurden. In der Regel können Eltern übergangsweise entscheiden, ob sie ihre Kinder auf allgemeine Schulen oder auf Förderschulen schicken. Erklärtes Ziel ist aber meist die Auflösung der Förderschulen. Die müssen dann von helfenden auf ausschließende und diskriminierende Institutionen umkodiert werden.

Jeder nüchterne Betrachter wird hinter der erklärten guten Inklusionsabsicht das Ziel sehen, das differenzierte System der Förderschulen (und die kostspielige Ausbildung spezialisierter Förderschullehrer) einzusparen. Das Inklusionsprogramm bietet die einmalige Chance dazu, weil jeder Kritiker als behindertenfeindlich moralisch diskreditiert werden kann.

Der Nachdruck, mit dem die Propagandisten der Bildungsprivatisierung (allen voran die Bertelsmann Stiftung) das Programm der schulischen Inklusion vorantreiben (vgl. Klemm 2013), spricht Bände: Sie wissen, dass die Pflicht, Kinder mit diversen Lernbehinderungen, psychischen Problemen, sprachlichen und sozialen Schwierigkeiten etc. in allgemeine Schulen und Klassen aufzunehmen, das System der öffentlichen Schulbildung weiter diskreditieren und schwächen (und die Nachfrage nach privaten Bildungsinstitutionen stärken) wird (vgl. Knobloch 2018, 191-210). Das individuell erstreitbare Recht, eine allgemeine Hauptschule (anstatt einer Förderschule) zu besuchen, trifft auf eine Institution, die von der ,Normalbevölkerung‘ selbst bereits als stigmatisierend und ausschließend erfahren wird. Das individuell erstreitbare Recht, ein Gymnasium zu besuchen, dessen Leistungsziel (Abitur) nicht erreicht werden kann (man spricht dann von ,zieldifferenter‘ Inklusion), versetzt denjenigen, der es erstritten hat, in ein Umfeld, mit dem er nicht mithalten kann.

Literatur

Zitierte Literatur und Belege

  • Dammer, Karl-Heinz (2011): All inclusive? oder: Dabei sein ist alles? Ein Versuch, die Konjunktur des Inklusionsbegriffs in der Pädagogik zu verstehen. In: Pädagogische Korrespondenz, Heft 43, S. 5–30.
  • Knobloch, Clemens (2018): Wie man öffentlich über Inklusion spricht (und was man daraus schließen kann). In: Ders.: Das sogenannte Gute. Zur Selbstmoralisierung der Meinungsmacht. Siegen: universi, S. 191–210.
  • Klemm, Klaus (2013): Inklusion in Deutschland – eine bildungsstatistische Analyse (im Auftrag der Bertelsmann Stiftung). Gütersloh: Bertelsmann.
  • Nassehi, Armin (2003): Inklusion. Von der Ansprechbarkeit zur Anspruchsberechtigung. In: Lessenich, Stephan (Hrsg.): Wohlfahrtssprachliche Grundbegriffe. Historische und aktuelle Diskurse. Frankfurt a.M.: Campus, S. 331–352.

Zitiervorschlag

Knobloch, Clemens (2020): Inklusion. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 23.05.2020. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/inklusion.

 

Grundbegriffe

Diskurssemantische Verschiebung

Mit dem Begriff der diskurssemantischen Verschiebung wird in der Diskursforschung ein Wandel in der öffentlichen Sprache und Kommunikation verstanden, der auf mittel- oder län-gerfristige Veränderung des Denkens, Handelns und/oder Fühlens größerer Gesellschafts-gruppen hinweist.

Domäne

Der Begriff der Domäne ist aus der soziologisch orientierten Sprachforschung in die Diskursforschung übernommen worden. Hier wird der Begriff dafür verwendet, um Muster im Sprachgebrauch und kollektiven Denken von sozialen Gruppen nach situationsübergreifenden Tätigkeitsbereichen zu sortieren.

Positionieren

Positionieren ist Grundbestandteil menschlicher Kommunikation. Wann immer wir miteinander interagieren und kommunizieren, bringen wir uns selbst, andere und die Objekte, über die wir sprechen, in bestimmte Relationen zueinander.

Deutungsmuster

Unter einem Deutungsmuster wird die problem- und lösungsbezogene Interpretation gesellschaftlicher und politischer Tatbestände verstanden, die Aussicht auf Akzeptanz in sozialen Gruppen hat. Der Begriff des Deutungsmusters hat Ähnlichkeit mit den Begriffen der Theorie und Ideologie. Meist werden gesellschaftlich verbreitete Leitdeutungen, die oft mit Schlagwörtern und Argumentationsmustern einhergehen (wie Globalisierung, Kapitalismus, Leistungsgesellschaft, Chancengleichheit etc.) als Beispiele für Deutungsmuster genannt.

Sinnformel

‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.

Praktik

Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Narrativ

Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Techniken

Dogwhistle

Unter Dogwhistle wird in Teilen der Forschung eine doppeldeutige Äußerung verstanden, die eine offene und eine verdeckte Botschaft an jeweils eine Zuhörerschaft kommuniziert.

Boykottaufruf

Der Boykottaufruf ist eine Maßnahme, die darauf abzielt, ein Ziel, also meist eine Verhaltensänderung des Boykottierten, hervorzurufen, indem zu einem Abbruch etwa der wirtschaftlichen oder sozialen Beziehungen zu diesem aufgefordert wird.

Tabuisieren

Das Wort Tabuisierung bezeichnet die Praxis, etwas Unerwünschtes, Anstößiges oder Peinliches unsichtbar zu machen oder als nicht akzeptabel zu markieren. Das Tabuisierte gilt dann moralisch als unsagbar, unzeigbar oder unmachbar.

Aus dem Zusammenhang reißen

Das Aus-dem-Zusammenhang-Reißen gehört in den Funktionskreis der Redewiedergabe bzw. der Wiedergabe kommunikativer Ereignisse. Es kann (1) als intentionale argumentativ-polemische Strategie für ganz unterschiedliche diskursive Zielsetzungen von Akteuren genutzt werden, oder (2) es kann SprecherInnen und SchreiberInnen in unbeabsichtigter, fehlerhafter Weise unterlaufen.

Lobbying

Lobbying ist eine Form strategischer Kommunikation, die sich primär an Akteure in der Politik richtet. Beim Lobbying wird ein Bündel von kommunikativen Tätigkeiten mit dem Ziel eingesetzt, die Entscheidungen von Personen mit politischem Mandat oder den Entstehungsprozess von neuen Gesetzestexten interessengeleitet zu beeinflussen.

Karten

Karten dienen dazu, Raumausschnitte im Hinblick auf ausgewählte Charakteristika so darzustellen, dass die Informationen unmittelbar in ihrem Zusammenhang erfasst und gut kommuniziert werden können. Dazu ist es notwendig, Daten und Darstellungsweisen auszuwählen und komplexe und oft umkämpfte Prozesse der Wirklichkeit in einfachen Darstellungen zu fixieren.

Pressemitteilung

Pressemitteilungen sind standardisierte Mitteilungen von Organisationen, die sich an Journalist:innen und andere Multiplikator:innen richten. Sie dienen der offiziellen und zitierfähigen Informationsweitergabe und übernehmen zugleich strategische Funktionen in der öffentlichen Kommunikation und Meinungssteuerung.

Shitstorm

Der Begriff Shitstorm beschreibt eine relativ junge Diskurskonstellation, die seit den 2010er Jahren an Bedeutung gewonnen hat und gemeinhin als Online-Wutausbruch bezeichnet wer-den kann.

Tarnschrift

Als Tarnschrift bezeichnet man unter den Bedingungen von Zensur und Verfolgungsrisiko veröffentliche Texte, die insbesondere in der strategischen Kommunikation des NS-Widerstands eine zentrale Rolle spielten.

Ortsbenennung

Die Benennung von Orten dient in erster Linie dazu, den jeweiligen geografischen Ort zu lokalisieren und ihn zu identifizieren. Doch Ortsnamen besitzen eine soziale Dimension und spielen eine entscheidende Rolle bei der sprachlich-kulturellen Identitätskonstruktion.

Schlagwörter

Echokammer

Der Begriff der Echokammer steht in seiner heutigen Verwendung vor allem im Zusammenhang mit der Nutzung Sozialer Medien. Er verweist metaphorisch auf einen digitalen Kommunikations- und Resonanzraum, in dem Mediennutzer*innen lediglich Inhalten begegnen, die ihre eigenen, bereits bestehenden Ansichten bestätigen, während abweichende Perspektiven und Meinungen ausgeblendet bzw. abgelehnt werden.

Relativieren

Der Ausdruck relativieren besitzt zwei zentrale Bedeutungsvarianten: In bildungssprachlichen und wissenschaftlichen Kontexten bezeichnet er eine analytische Praxis, bei der Aussagen, Begriffe oder Phänomene durch Bezugnahme auf andere Sachverhalte eingeordnet, differen-ziert und in ihrer Geltung präzisiert werden.

Massendemokratie

Geprägt wurde der Begriff Massendemokratie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von völkisch-konservativen Akteuren (prominent darunter Carl Schmitt 1926). Der Ausdruck Masse hatte damals bei den bürgerlichen Eliten eine rundum bedrohliche Assoziation.

Social Bots

Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.

Kriegsmüdigkeit

Der Ausdruck Kriegsmüdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische Ermüdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch für das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.

Woke

Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.

Identität

Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.

Wohlstand

Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

Remigration

Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.

Radikalisierung

Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.

Verschiebungen

Dehumanisierung

Mit Dehumanisierung bzw. Anthropomorphisierung werden solche kommunikativen Techniken und Praktiken bezeichnet, die Personen, Sachverhalten oder Gegenständen menschliche Eigenschaften ab- bzw. zusprechen. Dehumanisierung und Anthropomorphisierung können sowohl durch sprachliche Mittel als auch durch andere, z. B. bildliche, Zeichen vollzogen werden.

Kriminalisierung

Kriminalität meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden.

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Partizipatorischer Diskurs

Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.