
DiskursGlossar
Kriminalisierung
Kategorie: Diskurssemantische Verschiebungen
Verwandte Ausdrücke: Strafverschärfung, Null-Toleranz-Politik, Law-and-Order, Entkriminalisierung, Liberalisierung, Strafmilderung
Siehe auch: Strategische Prozessführung
Autorin: Nicole Bögelein
Version: 1.0 / Datum: 30.09.2025
Kurzzusammenfassung
Kriminalität meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden. Im weiteren Sinne fragt man bei Kriminalisierung danach, welche Individuen, Gruppen und Verhaltensweisen überhaupt in den Blickpunkt der Strafverfolgung bzw. der Justiz geraten und welche Rolle dabei Diskurse in Medien und Politik spielen. Entkriminalisierung meint, ein Verhalten aus dem Gebiet des Rechts herauszunehmen, indem man ein Gesetz abschafft (jüngstes Beispiel: Cannabis-Freigabe in bestimmten Grenzen).
Erweiterte Begriffsklärung
Hinter dem Begriff der Kriminalisierung steht die Frage, wie es dazu kommt, dass ein Verhalten kriminalpolitisch, sicherheitsbehördlich oder durch die Justiz behandelt und bearbeitet wird (vgl. im Folgenden Negnal/Gomille 2025). Beispielsweise ist zu fragen, inwiefern Stereotype und Vorurteile bedient werden (Rassismus, Klassismus oder beide beim Racial oder Social Profiling; ersteres bedeutet die vermehrte polizeiliche Kontrolle aufgrund des als nicht-deutsch gelesenen Aussehens, zweiteres aufgrund einer wahrgenommenen Zugehörigkeit zu einer marginalisierten Gruppe, z. B. Menschen in Obdachlosigkeit). Entkriminalisierung hingegen fragt, wie bestimmte Gruppen aus dem Blickfeld geraten und nicht mehr verfolgt werden. Im weiteren Sinne fragen die Konzepte Kriminalisierung und Entkriminalisierung, wie es dazu kommt, dass Gesellschaftsmitglieder zu bedrohlichen Menschen konstruiert werden und umgekehrt.
An der Kriminalisierung beteiligte Akteur:innen sind im engeren Sinne Gesetzgebende – welche die Grundlagen schaffen, um Menschen kontrollieren zu können. Im konkreten Sinne sind es Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichte und Gefängnisse, die mit ‚straffälligen‘ Menschen umgehen. Allerdings entstehen Gesetze in einem gesellschaftlichen Klima. Das gleiche gilt für polizeiliche Kontrollen, Einstellungspraxen bei Staatsanwaltschaften und die Wissensproduktion vor Gericht.
Medien leisten einen Beitrag, wenn sie bestimmte Gruppen systematisch als Problemgruppe präsentieren. Wird eine bestimmte Gruppe als gefährlich für die Ordnung der Gesellschaft konstruiert, so spricht man im Fachdiskurs von „Moralpanik“ („moral panic“, vgl. Cohen 2002). Diese Konstruktion lässt sich beim Komplex ‚Migration und Kriminalität‘ beobachten, wo als Nicht-Deutsch markierte Menschen als Bedrohung konstruiert werden – auch wenn das nicht den wissenschaftlichen Tatsachen entspricht (vgl. Wollinger/Bögelein 2025). Im Diskurs wird um die Bearbeitung der Problemlage gerungen. Welche Institution welches Verhalten wann als ‚kriminell‘ bewertet, zeigt, wie kontextabhängig ‚Kriminalität‘ ist. Ebenso ist sie von der Definition, von der Kontrolle und der Anwendung des Rechts abhängig; das beschreibt der sogenannte Labeling Approach bzw. Etikettierungsansatz (vgl. im Folgenden Neubacher 2023, S. 119 ff.). Diesem Theoriekonzept zufolge entscheidet eben auch gerade die Kontrolle darüber, was als ‚kriminell‘ betrachtet wird und welche Interessen hier bedeutsam sind.
Die kritische Kriminologie geht davon aus, dass ‚Kriminalität‘ gleich verteilt ist über die Gesellschaft, aber die Ahndung von Gesetzesabweichung nicht. Illustrieren lässt sich das daran, dass Schätzungen zufolge nur rund zwei Prozent aller Ladendiebstähle entdeckt werden. Dabei ist es auffällig, dass vor Gericht wegen Ladendiebstahls fast ausschließlich Menschen stehen, die von Armut und anderen sozialen Problemlagen betroffen sind. Auf wen achten also Ladendetektiv:innen – und auf wen nicht? Die ehemalige Staatsanwältin Anne Brorhilker verließ den Staatsdienst, nachdem sie jahrelang im Cum Ex Verfahren ermittelt hatte. Ihrem Dafürhalten nach ist der Staat nicht gerüstet für das Verfolgen internationaler Investment Banken (siehe Spiegel 2025).
In Zeiten, in denen der Ruf nach einem starken – kriminalisierenden – Staat laut ist, herrscht üblicherweise eine Diskurskonstellation, in der soziale Gruppen, die ihre Interessen bislang als gesellschaftlich bindend durchsetzen konnten (Hegemonie), einen – sozialen und politischen – Machtverlust fürchten. Beispielsweise auch deshalb, weil ihre bislang fraglos akzeptierte Vorherrschaft nicht mehr als selbstverständlich akzeptiert, sondern hinterfragt und herausgefordert wird. Auf diese Entwicklungen reagieren diese Gruppen mit Repression bis hin zum Autoritarismus. Gesellschaftliche Phasen, in denen eher der Wunsch und der Diskurs um Entkriminalisierungen vorherrschen, stehen im Zeichen liberalerer Diskurskonstellationen und verweisen darauf, dass die sozialen und politischen Machtverhältnisse ‚stabiler‘ sind.
Beispiele
(1) Geschichtlich sieht man, dass nicht stabil bleibt, welches Verhalten als ‚Kriminalität‘ eingeordnet wird. So war eine Vergewaltigung in der Ehe vor 1997 ein akzeptables Verhalten und keine Straftat – bis 1994 war Homosexualität eine Straftat. Auch die Debatte um die Kriminalisierung und Forderung nach Entkriminalisierung des § 218 Strafgesetzbuch (StGB), der die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen regelt, ist hier zu nennen (Diskussion siehe Becker 2025).
(2) Ein weiteres Beispiel ist die Diskussion um Gewalt und Polizei; dabei wird von einer Seite die Gewalt gegen Polizeibeamt:innen als das zentrale Problem ‚erkannt‘. Seit Jahren werden Angriffe auf diese gesetzlich immer stärker bestraft und die Gruppen, die geschützt werden sollen, ausgeweitet (Rettungssanitäter:innen, Ordnungskräfte; im jüngsten Koalitionsvertrag wird weiter ausgeweitet). Zugleich gibt es Verfügungen in den Ländern (wie in Rundverfügung des Justizministerium Nordrhein-Westfalen, 2021 besagt, bei Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger*innen komme eine Einstellung „regelmäßig nicht in Betracht“; vgl. Kempen 2025), die bestimmen, dass in solchen Verfahren eine Einstellung (§§ 153/153a) nicht möglich ist, was Polizist:innen als Opfer besserstellt als andere – bei allen anderen Delikten können Verfahren eingestellt werden. Zugleich ist die Anzeige von Gewalt durch Polizist:innen schwierig – was viele Menschen abzuschrecken scheint, solche Gewalt überhaupt zu melden. Nur neun Prozent der Betroffenen erstatten Anzeige (vgl. Abdul-Rahman et al. 2023).
(3) Das ‚Containern‘, die Herausnahme genießbarer Lebensmittel aus Müllbehältern zur eigenen Verwertung, ist ein Beispiel für eine Entkriminalisierungsdebatte. Aus moralischer und nachhaltiger Sicht erscheint das unstrittig positiv – auch medial wird es vor allem positiv debattiert. Jedoch kann Containern gleich mehrere Straftatbestände erfüllen (z. B. Diebstahl, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung). Insofern beschäftigt sich die Politik derzeit damit, wie dies entkriminalisiert werden kann (z. B. indem man Lebensmittelabfälle als ‚herrenlos‘ definiert oder von der Strafverfolgung absieht; vgl. Lorenz/Baldauf 2024).
(4) Schließlich zeigt die Debatte um die mögliche und umstrittene Einordung der ‚Letzten Generation‘ als „kriminelle Vereinigung“, wie die – durchaus politische und mediale – Bewertung der Schwere von Delikten gerahmt wird. Mitglieder einer kriminellen Vereinigung werden nach § 129 StGB verurteilt. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes „abstraktes Gefährdungsdelikt“, es wird also nicht eine konkret begangene Tat bestraft, sondern bereits die Mitgliedschaft bei der Vereinigung. Dadurch wird die Strafbarkeit weit ins Vorfeld konkreter Kriminalität verlagert (vgl. Höffler et al. 2025). Inwiefern diese Einordnung in der öffentlichen Debatte medial begrüßt oder kritisiert wird, hängt damit zusammen, wie die Legitimität der Bewegung an sich medial und politisch konstruiert wird (Klima-Chaoten; Klima-Kleber; Klima-Extremisten in der Bild-Zeitung 2022 und 2023, vgl. Riffler 2022; Wachs/Rühle 2023; dagegen: Klimademonstrantinnen Zeit 2023 oder Klima-Aktivist*innen in der taz 2023, vgl. Biermann 2023; Joswig 2023).
Literatur
Zum Weiterlesen
- Neubacher, Frank (2023): Kapitel 10: Labeling approach (Etikettierungsansatz). In: Ders. (Hrsg.): Kriminologie. 5. Auflage. Baden-Baden: Nomos, S. 119–125.
- Saliger, Frank (2025): Entkriminalisierung und ihre Tücken – Am Beispiel des Gesetzentwurfs der FDP-Fraktion zur Modernisierung des Strafrechts. In: Neue Kriminalpolitik, Jg. 37, Heft 1, S. 21–38.
Zitierte Literatur
- Abdul-Rahman, Laila; Espín Grau, Hannah; Klaus, Luise; Singelnstein, Tobias (2023): Gewalt im Amt. Übermäßige polizeiliche Gewaltanwendung und ihre Aufarbeitung. Frankfurt a. M.: Campus.
- Becker, Christian (2025): Der Schwangerschaftsabbruch zwischen strafrechtlicher (Über-)Regulierung und moralischer Reflexion. Überlegungen zur Reform der §§ 218 ff. StGB. In: Neue Kriminalpolitik, Jg. 37, Heft 1, S. 29–50.
- Biermann, Kai (2023): 27 Klimademonstrantinnen in Bayern präventiv in Haft. In Die Zeit. Online unter: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-09/letzte-generation-bayern-praeventivhaft-gewahrsam ; Zugriff: 22.09.2025.
- Riffler, Zara (2022): Die Klima-Kleber sind auf dem Weg der RAF. In Bild.de. Online unter: https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/so-radikal-sind-die-klima-kleber-sie-schicken-ihre-mitglieder-ins-gefaengnis-81812968.bild.html ; Zugriff: 22.09.2025.
- Cohen, Stanley (2002): Folk Devils and Moral Panics. The Creation of Mods and Rockers. 3. Auflage, London: Routledge.
- Höffler, Katrin; Kaspar, Johannes; Reinacher, Tobias; Werkmeister, Andreas (2025): Die letzte Generation als „kriminelle Vereinigung“? In: Neue Kriminalpolitik, Jg. 37, Heft 2, S. 175–193.
- Joswig, Gareth (2023): Überbordender autoritärer Eifer. In taz.de. Online unter: https://taz.de/Razzien-bei-Letzte-Generation/!5936972/ ; Zugriff: 22.09.2025.
- Kempen, Aiko (2025): Wie Polizist*innen vor dem Gesetz besser gestellt werden. Online unter: https://fragdenstaat.de/artikel/exklusiv/2025/04/wie-polizistinnen-vor-dem-gesetz-besser-gestellt-werden/ ; Zugriff: 22.09.2025.
- Lorenz, Henning; Baldauf, Anne (2024): Ist das Recht oder kann das weg? Zur Entkriminalisierung des sog. Containerns. In: Neue Kriminalpolitik, Jg. 36, Heft 2, S. 227–249.
- Negnal, Dörte; Gomille, Anika (2025): (Ent-)Kriminalisierung. Einleitung zum Special Issue. In: Kriminologie – Das Online-Journal | Criminology – The Online Journal, Jg. 7, Heft 1, S. 1–4.
- Neubacher, Frank (2023): Kriminologie. 5. Auflage. Baden-Baden: Nomos.
- Spiegel (2025): Frühere Oberstaatsanwältin hält Cum-Ex-Betrug für weiterhin möglich. Online unter: https://www.spiegel.de/wirtschaft/cum-ex-skandal-fruehere-oberstaatsanwaeltin-anne-brorhilker-haelt-betrug-fuer-weiterhin-moeglich-a-dda73d63-dd62-4293-8a84-58a50e1d9561 ; Zugriff: 22.09.2025.
- Wachs, Carl-Viktor; Rühle, Marc Oliver (2023):Klima-Extremisten drohen DeutschlandOnline unter: https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/letzte-generation-droht-deutschland-widerstand-wird-groesser-als-je-zuvor-82655874.bild.html ; Zugriff: 22.09.2025.
- Wollinger, Gina; Bögelein, Nicole (2025): Kriminalität im Kontext von Migration: Eine kritische Analyse. In: Informationsdienst Straffälligenhilfe, Heft 1, S. 2–9.
Zitiervorschlag
Bögelein, Nicole (2025): Kriminalisierung. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 30.09.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/kriminalisierung/.
DiskursGlossar
Grundbegriffe
Sinnformel
‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.
Praktik
Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).
Kontextualisieren
Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.
Narrativ
Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.
Argumentation
Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.
Hegemonie
Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.
Diskurskompetenz
Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.
Agenda Setting
Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.
Medien
Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.
Macht
Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.
Techniken
Inszenierte Kontroverse
Inszenierte Kontroversen liegen vor, wenn Politiker, Vertreter von Interessengruppen, Aktivisten, Journalisten, Influencer oder andere öffentlich wirksame Akteure potentiell strittige Themen möglichst effektvoll in einen Diskurs einbringen oder einen entsprechenden Diskurs auslösen, und zwar um entsprechende Perspektivierungen bestimmter Konfliktlagen im eigenen Interesse konfrontativ zu prägen.
-ismus
Bei Ismen geht es ursprünglich um die Wortendung (sog. Suffix) -ismus (Plural -ismen), mit der Substantive mit substantivischem oder adjektivischem Wortstamm (Basis) gebildet werden (z.B. Vulkan-ismus oder Aktiv-ismus).
Persuasion
Persuasion kommt vom lateinischen Verb persuadere und bedeutet ‚überzeugen, überreden‘ (gebildet aus suadere ‚raten, empfehlen‘ und per ‚durch, über‘).‘). Der Begriff stammt aus der Rhetorik, in der es vor allem darum geht, wie man Hörer:innen oder Leser:innen auf seine Seite bringt: wie man sie zum Beispiel in einem Gerichtsprozess von der Schuld oder Unschuld eines/einer Angeklagten überzeugt, wie man sie politisch zur Parteinahme überredet oder wie man sie ganz allgemein für sich selbst oder einen bestimmten Gegenstand/Sachverhalt einnimmt.
Zensur
Zensur sowie die Praktik des Zensierens sind Machtpraktiken der Einschränkung, Kontrolle und des Verbots von Besitz oder Rezeption von Kunstwerken, Medien, aber auch von Äußerungen bzw. einzelnen Sätzen, Sprüchen, Phrasen bis hin zu Wörtern.
Ironie
Ironie (altgriechisch εἰρωνεία (eirōneía), wörtlich ‚Verstellung‘, ‚Vortäuschung‘) ist in unserer unmittelbaren und massenmedialen Kommunikationskultur sehr bedeutsam. Sie arbeitet mit einem Bewertungsgegensatz zwischen Gesagtem und Gemeintem.
Wiederholen
Das Wiederholen von Äußerungen in öffentlichen (politischen) Diskursen zielt darauf, das Denken anderer zu beeinflussen, Wissen zu popularisieren, einseitige (z. B. fanatisierende, beschwörende, hysterische, ablenkende, pseudosachliche) Konstruktionen von Wahrheit zu erzeugen, um die soziale Wirklichkeit als intersubjektiven Konsens im einseitigen Interesse des „Senders“ zu verändern. Grundvoraussetzung ist die Annahme, dass das kollektive Denken stets mächtiger als das individuelle Denken ist.
Diskreditieren
Das Diskreditieren ist eine Praktik, mit der Diskursakteure durch verschiedenste Strategien, die von Verunglimpfungen und Verleumdungen bis hin zu rufschädigenden Äußerungen reichen, abgewertet und herabgesetzt werden.
Nähe inszenieren
Die Inszenierung von Nähe beschreibt eine Kommunikations>>praktik, bei der Akteur:innen Techniken einsetzen, um Vertrautheit, Sympathie und Authentizität zu vermitteln (z.B. das Angebot einer:s Vorgesetzten, zu duzen).
Diplomatie
Diplomatie bezeichnet im engeren Sinne eine Form der Kommunikation zwischen offiziellen Vertretern von Staaten, die die Aufgabe haben, zwischenstaatliche Beziehungen durch und für Verhandlungen aufrecht zu erhalten. Diese Vertreter können Politiker oder Beamte, insbesondere des diplomatischen Dienstes, sowie Vertreter internationaler Organisationen sein.
Typografie
Typografie bezeichnet im modernen Gebrauch generell die Gestaltung und visuelle Darstellung von Schrift, Text und (in einem erweiterten Sinne) auch die Dokument-Gesamtgestaltung (inklusive visueller Formen wie Abbildungen, Tabellen, Taxono-mien usw.) im Bereich maschinell hergestellter Texte (sowohl im Druck als auch auf dem Bildschirm)
Schlagwörter
Social Bots
Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.
Kriegsmüdigkeit
Der Ausdruck Kriegsmüdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische Ermüdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch für das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.
Woke
Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.
Identität
Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.
Wohlstand
Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.
Remigration
Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.
Radikalisierung
Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.
Bürokratie
Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.
Politisch korrekt / Politische Korrektheit
Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt.
Kipppunkt
Als öffentliches Schlagwort ist Kipppunkt Teil eines Argumentationsmusters: es behauptet ein ‚Herannahen und baldiges Überschreiten einer unumkehrbaren Sachverhaltsänderung, die fatale bzw. dystopische Folgeschäden auslöst, wenn nicht umgehend bestimmte Maßnahmen eingeleitet oder unterlassen werden.‘
Verschiebungen
Versicherheitlichung
In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.
Ökonomisierung
Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren
Moralisierung
Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.
Konstellationen
Partizipatorischer Diskurs
Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.
Skandal
Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.
DiskursReview
Review-Artikel
Musk, Zuckerberg, Döpfner – Wie digitale Monopole die Demokratie bedrohen und wie könnte eine demokratische Alternative dazu aussehen?
Die Tech-Milliardäre Musk (Tesla, X,xAI) Zuckerberg (Meta), Bezos (Amazon) oder Pichai (Alphabet) sind nicht Spielball der Märkte, sondern umgekehrt sind die Märkte Spielball der Tech-Oligopolisten geworden.
Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament
Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)
Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit
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DiskursReviewDie Macht der Worte (1/4): Wörter als Waffen Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 / 06.03.2025...
Relativieren – kontextualisieren – differenzieren
Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.
Wehrhafte Demokratie: Vom Wirtschaftskrieg zur Kriegswirtschaft
Weitgehend ohne Öffentlichkeit und situiert in rechtlichen Grauzonen findet derzeit die Militarisierung der ursprünglich als „Friedensprojekt“ gedachten EU statt.
Tagung 2025: „Das geht zu weit!“ Sprachlich-kommunikative Strategien der Legitimierung und Delegitimierung von Protest in öffentlichen, medialen und politischen Diskursen
„Das geht zu weit!“ Sprachlich-kommunikative Strategien der Legitimierung undDelegitimierung von Protest in öffentlichen, medialen und politischen Diskursen Tagung der Forschungsgruppe Diskursmonitor Tagung: 04. bis 5. Juni 2025 | Ort: Freie Universität Berlin...
„Remigration“ – Ein Riss im Schleier der Vagheit. Diskursive Strategien rund um das Remigrationskonzept und die Correctiv-Recherchen
Die am 10. Januar veröffentlichte Correctiv-Recherche über ein rechtes Vernetzungstreffen in Potsdam sorgte für erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit und die größten Demonstrationen gegen Rechtsaußen seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Im Fokus der Kritik…