DiskursGlossar

Kriminalisierung

KategorieDiskurssemantische Verschiebungen
Verwandte Ausdrücke: Strafverschärfung, Null-Toleranz-Politik, Law-and-Order, Entkriminalisierung, Liberalisierung, Strafmilderung
Siehe auch: Strategische Prozessführung
Autorin: Nicole Bögelein
Version: 1.0 / Datum: 30.09.2025

Kurzzusammenfassung

Kriminalität meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden. Im weiteren Sinne fragt man bei Kriminalisierung danach, welche Individuen, Gruppen und Verhaltensweisen überhaupt in den Blickpunkt der Strafverfolgung bzw. der Justiz geraten und welche Rolle dabei Diskurse in Medien und Politik spielen. Entkriminalisierung meint, ein Verhalten aus dem Gebiet des Rechts herauszunehmen, indem man ein Gesetz abschafft (jüngstes Beispiel: Cannabis-Freigabe in bestimmten Grenzen).

Erweiterte Begriffsklärung

Hinter dem Begriff der Kriminalisierung steht die Frage, wie es dazu kommt, dass ein Verhalten kriminalpolitisch, sicherheitsbehördlich oder durch die Justiz behandelt und bearbeitet wird (vgl. im Folgenden Negnal/Gomille 2025). Beispielsweise ist zu fragen, inwiefern Stereotype und Vorurteile bedient werden (Rassismus, Klassismus oder beide beim Racial oder Social Profiling; ersteres bedeutet die vermehrte polizeiliche Kontrolle aufgrund des als nicht-deutsch gelesenen Aussehens, zweiteres aufgrund einer wahrgenommenen Zugehörigkeit zu einer marginalisierten Gruppe, z. B. Menschen in Obdachlosigkeit). Entkriminalisierung hingegen fragt, wie bestimmte Gruppen aus dem Blickfeld geraten und nicht mehr verfolgt werden. Im weiteren Sinne fragen die Konzepte Kriminalisierung und Entkriminalisierung, wie es dazu kommt, dass Gesellschaftsmitglieder zu bedrohlichen Menschen konstruiert werden und umgekehrt.

An der Kriminalisierung beteiligte Akteur:innen sind im engeren Sinne Gesetzgebende – welche die Grundlagen schaffen, um Menschen kontrollieren zu können. Im konkreten Sinne sind es Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichte und Gefängnisse, die mit ‚straffälligen‘ Menschen umgehen. Allerdings entstehen Gesetze in einem gesellschaftlichen Klima. Das gleiche gilt für polizeiliche Kontrollen, Einstellungspraxen bei Staatsanwaltschaften und die Wissensproduktion vor Gericht.

Medien leisten einen Beitrag, wenn sie bestimmte Gruppen systematisch als Problemgruppe präsentieren. Wird eine bestimmte Gruppe als gefährlich für die Ordnung der Gesellschaft konstruiert, so spricht man im Fachdiskurs von „Moralpanik“ („moral panic“, vgl. Cohen 2002). Diese Konstruktion lässt sich beim Komplex ‚Migration und Kriminalität‘ beobachten, wo als Nicht-Deutsch markierte Menschen als Bedrohung konstruiert werden – auch wenn das nicht den wissenschaftlichen Tatsachen entspricht (vgl. Wollinger/Bögelein 2025). Im Diskurs wird um die Bearbeitung der Problemlage gerungen. Welche Institution welches Verhalten wann als ‚kriminell‘ bewertet, zeigt, wie kontextabhängig ‚Kriminalität‘ ist. Ebenso ist sie von der Definition, von der Kontrolle und der Anwendung des Rechts abhängig; das beschreibt der sogenannte Labeling Approach bzw. Etikettierungsansatz (vgl. im Folgenden Neubacher 2023, S. 119 ff.). Diesem Theoriekonzept zufolge entscheidet eben auch gerade die Kontrolle darüber, was als ‚kriminell‘ betrachtet wird und welche Interessen hier bedeutsam sind.

Die kritische Kriminologie geht davon aus, dass ‚Kriminalität‘ gleich verteilt ist über die Gesellschaft, aber die Ahndung von Gesetzesabweichung nicht. Illustrieren lässt sich das daran, dass Schätzungen zufolge nur rund zwei Prozent aller Ladendiebstähle entdeckt werden. Dabei ist es auffällig, dass vor Gericht wegen Ladendiebstahls fast ausschließlich Menschen stehen, die von Armut und anderen sozialen Problemlagen betroffen sind. Auf wen achten also Ladendetektiv:innen – und auf wen nicht? Die ehemalige Staatsanwältin Anne Brorhilker verließ den Staatsdienst, nachdem sie jahrelang im Cum Ex Verfahren ermittelt hatte. Ihrem Dafürhalten nach ist der Staat nicht gerüstet für das Verfolgen internationaler Investment Banken (siehe Spiegel 2025).

In Zeiten, in denen der Ruf nach einem starken – kriminalisierenden – Staat laut ist, herrscht üblicherweise eine Diskurskonstellation, in der soziale Gruppen, die ihre Interessen bislang als gesellschaftlich bindend durchsetzen konnten (Hegemonie), einen – sozialen und politischen – Machtverlust fürchten. Beispielsweise auch deshalb, weil ihre bislang fraglos akzeptierte Vorherrschaft nicht mehr als selbstverständlich akzeptiert, sondern hinterfragt und herausgefordert wird. Auf diese Entwicklungen reagieren diese Gruppen mit Repression bis hin zum Autoritarismus. Gesellschaftliche Phasen, in denen eher der Wunsch und der Diskurs um Entkriminalisierungen vorherrschen, stehen im Zeichen liberalerer Diskurskonstellationen und verweisen darauf, dass die sozialen und politischen Machtverhältnisse ‚stabiler‘ sind.

Beispiele

(1) Geschichtlich sieht man, dass nicht stabil bleibt, welches Verhalten als ‚Kriminalität‘ eingeordnet wird. So war eine Vergewaltigung in der Ehe vor 1997 ein akzeptables Verhalten und keine Straftat – bis 1994 war Homosexualität eine Straftat. Auch die Debatte um die Kriminalisierung und Forderung nach Entkriminalisierung des § 218 Strafgesetzbuch (StGB), der die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen regelt, ist hier zu nennen (Diskussion siehe Becker 2025).

(2) Ein weiteres Beispiel ist die Diskussion um Gewalt und Polizei; dabei wird von einer Seite die Gewalt gegen Polizeibeamt:innen als das zentrale Problem ‚erkannt‘. Seit Jahren werden Angriffe auf diese gesetzlich immer stärker bestraft und die Gruppen, die geschützt werden sollen, ausgeweitet (Rettungssanitäter:innen, Ordnungskräfte; im jüngsten Koalitionsvertrag wird weiter ausgeweitet). Zugleich gibt es Verfügungen in den Ländern (wie in Rundverfügung des Justizministerium Nordrhein-Westfalen, 2021 besagt, bei Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger*innen komme eine Einstellung „regelmäßig nicht in Betracht“; vgl. Kempen 2025), die bestimmen, dass in solchen Verfahren eine Einstellung (§§ 153/153a) nicht möglich ist, was Polizist:innen als Opfer besserstellt als andere – bei allen anderen Delikten können Verfahren eingestellt werden. Zugleich ist die Anzeige von Gewalt durch Polizist:innen schwierig – was viele Menschen abzuschrecken scheint, solche Gewalt überhaupt zu melden. Nur neun Prozent der Betroffenen erstatten Anzeige (vgl. Abdul-Rahman et al. 2023).

(3) Das ‚Containern‘, die Herausnahme genießbarer Lebensmittel aus Müllbehältern zur eigenen Verwertung, ist ein Beispiel für eine Entkriminalisierungsdebatte. Aus moralischer und nachhaltiger Sicht erscheint das unstrittig positiv – auch medial wird es vor allem positiv debattiert. Jedoch kann Containern gleich mehrere Straftatbestände erfüllen (z. B. Diebstahl, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung). Insofern beschäftigt sich die Politik derzeit damit, wie dies entkriminalisiert werden kann (z. B. indem man Lebensmittelabfälle als ‚herrenlos‘ definiert oder von der Strafverfolgung absieht; vgl. Lorenz/Baldauf 2024).

(4) Schließlich zeigt die Debatte um die mögliche und umstrittene Einordung der ‚Letzten Generation‘ als „kriminelle Vereinigung“, wie die – durchaus politische und mediale – Bewertung der Schwere von Delikten gerahmt wird. Mitglieder einer kriminellen Vereinigung werden nach § 129 StGB verurteilt. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes „abstraktes Gefährdungsdelikt“, es wird also nicht eine konkret begangene Tat bestraft, sondern bereits die Mitgliedschaft bei der Vereinigung. Dadurch wird die Strafbarkeit weit ins Vorfeld konkreter Kriminalität verlagert (vgl. Höffler et al. 2025). Inwiefern diese Einordnung in der öffentlichen Debatte medial begrüßt oder kritisiert wird, hängt damit zusammen, wie die Legitimität der Bewegung an sich medial und politisch konstruiert wird (Klima-Chaoten; Klima-Kleber; Klima-Extremisten in der Bild-Zeitung 2022 und 2023, vgl. Riffler 2022; Wachs/Rühle 2023; dagegen: Klimademonstrantinnen Zeit 2023 oder Klima-Aktivist*innen in der taz 2023, vgl. Biermann 2023; Joswig 2023).

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Neubacher, Frank (2023): Kapitel 10: Labeling approach (Etikettierungsansatz). In: Ders. (Hrsg.): Kriminologie. 5. Auflage. Baden-Baden: Nomos, S. 119–125.
  • Saliger, Frank (2025): Entkriminalisierung und ihre Tücken – Am Beispiel des Gesetzentwurfs der FDP-Fraktion zur Modernisierung des Strafrechts. In: Neue Kriminalpolitik, Jg. 37, Heft 1, S. 21–38.

Zitierte Literatur

Zitiervorschlag

Bögelein, Nicole (2025): Kriminalisierung. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 30.09.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/kriminalisierung/.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Sinnformel

‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.

Praktik

Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Narrativ

Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Techniken

Inszenierte Kontroverse

Inszenierte Kontroversen liegen vor, wenn Politiker, Vertreter von Interessengruppen, Aktivisten, Journalisten, Influencer oder andere öffentlich wirksame Akteure potentiell strittige Themen möglichst effektvoll in einen Diskurs einbringen oder einen entsprechenden Diskurs auslösen, und zwar um entsprechende Perspektivierungen bestimmter Konfliktlagen im eigenen Interesse konfrontativ zu prägen.

-ismus

Bei Ismen geht es ursprünglich um die Wortendung (sog. Suffix) -ismus (Plural -ismen), mit der Substantive mit substantivischem oder adjektivischem Wortstamm (Basis) gebildet werden (z.B. Vulkan-ismus oder Aktiv-ismus).

Persuasion

Persuasion kommt vom lateinischen Verb persuadere und bedeutet ‚überzeugen, überreden‘ (gebildet aus suadere ‚raten, empfehlen‘ und per ‚durch, über‘).‘). Der Begriff stammt aus der Rhetorik, in der es vor allem darum geht, wie man Hörer:innen oder Leser:innen auf seine Seite bringt: wie man sie zum Beispiel in einem Gerichtsprozess von der Schuld oder Unschuld eines/einer Angeklagten überzeugt, wie man sie politisch zur Parteinahme überredet oder wie man sie ganz allgemein für sich selbst oder einen bestimmten Gegenstand/Sachverhalt einnimmt.

Zensur

Zensur sowie die Praktik des Zensierens sind Machtpraktiken der Einschränkung, Kontrolle und des Verbots von Besitz oder Rezeption von Kunstwerken, Medien, aber auch von Äußerungen bzw. einzelnen Sätzen, Sprüchen, Phrasen bis hin zu Wörtern.

Ironie

Ironie (altgriechisch εἰρωνεία (eirōneía), wörtlich ‚Verstellung‘, ‚Vortäuschung‘) ist in unserer unmittelbaren und massenmedialen Kommunikationskultur sehr bedeutsam. Sie arbeitet mit einem Bewertungsgegensatz zwischen Gesagtem und Gemeintem.

Wiederholen

Das Wiederholen von Äußerungen in öffentlichen (politischen) Diskursen zielt darauf, das Denken anderer zu beeinflussen, Wissen zu popularisieren, einseitige (z. B. fanatisierende, beschwörende, hysterische, ablenkende, pseudosachliche) Konstruktionen von Wahrheit zu erzeugen, um die soziale Wirklichkeit als intersubjektiven Konsens im einseitigen Interesse des „Senders“ zu verändern. Grundvoraussetzung ist die Annahme, dass das kollektive Denken stets mächtiger als das individuelle Denken ist.

Diskreditieren

Das Diskreditieren ist eine Praktik, mit der Diskursakteure durch verschiedenste Strategien, die von Verunglimpfungen und Verleumdungen bis hin zu rufschädigenden Äußerungen reichen, abgewertet und herabgesetzt werden.

Nähe inszenieren

Die Inszenierung von Nähe beschreibt eine Kommunikations>>praktik, bei der Akteur:innen Techniken einsetzen, um Vertrautheit, Sympathie und Authentizität zu vermitteln (z.B. das Angebot einer:s Vorgesetzten, zu duzen).

Diplomatie

Diplomatie bezeichnet im engeren Sinne eine Form der Kommunikation zwischen offiziellen Vertretern von Staaten, die die Aufgabe haben, zwischenstaatliche Beziehungen durch und für Verhandlungen aufrecht zu erhalten. Diese Vertreter können Politiker oder Beamte, insbesondere des diplomatischen Dienstes, sowie Vertreter internationaler Organisationen sein.

Typografie

Typografie bezeichnet im modernen Gebrauch generell die Gestaltung und visuelle Darstellung von Schrift, Text und (in einem erweiterten Sinne) auch die Dokument-Gesamtgestaltung (inklusive visueller Formen wie Abbildungen, Tabellen, Taxono-mien usw.) im Bereich maschinell hergestellter Texte (sowohl im Druck als auch auf dem Bildschirm)

Schlagwörter

Social Bots

Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.

Kriegsmüdigkeit

Der Ausdruck Kriegsmüdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische Ermüdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch für das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.

Woke

Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.

Identität

Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.

Wohlstand

Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

Remigration

Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.

Radikalisierung

Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.

Bürokratie

Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.

Politisch korrekt / Politische Korrektheit

Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt.

Kipppunkt

Als öffentliches Schlagwort ist Kipppunkt Teil eines Argumentationsmusters: es behauptet ein ‚Herannahen und baldiges Überschreiten einer unumkehrbaren Sachverhaltsänderung, die fatale bzw. dystopische Folgeschäden auslöst, wenn nicht umgehend bestimmte Maßnahmen eingeleitet oder unterlassen werden.‘

Verschiebungen

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Partizipatorischer Diskurs

Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament

Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)

Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit

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Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe

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Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen

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Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.