DiskursGlossar
Aufopferungs-Topos
Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Opferbereitschaft, Hingabe, Einsatz, Altruismus, Selbstaufgabe, Heldentum
Siehe auch: Topos, Opfer-Topos, Analogie-Topos, Konsequenz-Topos, Topos der düsteren Zukunftsprognose, Be(Über)lastungs-Topos, Gerechtigkeitsargument, Differenzierungs-Topos, Autoritäts-Topos
Autorin: Carina Krajczewski
Version: 1.0 / Datum: 01.06.2023
Kurzzusammenfassung
Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren. Diese beiden Varianten des Aufopferungs-Topos lassen sich wie folgt umschreiben:
Variante 1: Weil jemand sich (nicht) in umfangreichem Maß für eine Sache engagiert bzw. aufopfert, hat diese Sache einen hohen (geringen) Wert.
Variante 2: Weil jemand sich (nicht) in umfangreichem Maß für eine Sache engagiert bzw. aufopfert, verdient sein Anliegen (keine) besondere Wertschätzung und Privilegien.
Bei der ersten Variante wird der Wert einer Sache vor dem Hintergrund der Größe bzw. der Anzahl erbrachter ‚aufopferungsvoller‘ Taten bemessen. Die zweite Variante setzt die Anerkennung eines hohen Wertes für eine Sache bereits voraus, um daran die Qualität einer ‚aufopferungsvollen‘ Tat zu bewerten und daraus besondere Privilegien gegenüber Dritten zu plausibilisieren und zu legitimieren.
Erweiterte Begriffsklärung
Der Aufopferungs-Topos wurde historisch vornehmlich von (christlicher) Opfertheologie und von Heldendiskursen, wie beispielsweise in Narrativen des Nationalsozialismus, geprägt. Die Bereitschaft, Opfer zu erbringen, galt als kriegerische Tugend bzw. als Dienst für die Gemeinschaft (vgl. Virchow 2010: 41-42). Charakteristisch für Opferbereitschaft war, dass diese nicht entschädigt wird und daher in engem Zusammenhang mit Altruismus und der sozialen Verpflichtung, anderen zu helfen, steht.
Im Sinne der eingangs definierten ersten Variante ordnen Perelman und Olbrechts-Tyteca (1971) das ‚Opfer-Argument‘ als quasilogisches Argument, als einen Spezialfall von Vergleichsargumenten, ein. Durch den Gebrauch dieses Arguments erhöhe sich der Wert eines Ziels, „indem es mit dem hohen Aufwand verglichen wird, der eingesetzt worden ist, um das Ziel zu erreichen“ (Ueding 2003: 347-348). Mit anderen Worten: Die Größe bzw. die Anzahl von erbrachten ‚Opfern‘ bildet den Maßstab, um den Wert des Ziels zu bewerten, für welches das ‚Opfer‘ erbracht wurde. Der geleistete Ressourcenaufwand steht also symbolisch für den Wert eines Ziels. Die Struktur des Topos lässt sich wie folgt paraphrasieren (Walton 2008: 322):
Erste Prämisse: Für die Sache x wird das Opfer S erbracht.
Zweite Prämisse: Wenn ein großes [kleines] Opfer für x erbracht wurde, dann steigt [fällt] der Wert V für x.
Dritte Prämisse: Ein großes [kleines] Opfer S wurde für x erbracht.
Schlussfolgerung: x hat einen großen [kleinen] Wert.
Aus einem hohen Wert für eine Sache wird eine handlungsleitende Funktion abgeleitet, sodass dieser Sache besondere Beachtung geschenkt werden müsse und zukünftige Handlungen und Entscheidungen entsprechend dieser Sache ausgerichtet werden müssten.
Die erfolgreiche Anerkennung einer ‚Aufopferung‘ ist von zwei Aspekten abhängig: (a) vom (öffentlichen) Ansehen des sich aufopfernden Akteurs einerseits sowie (b) von der (öffentlichen) Bewertung der Angemessenheit eines geleisteten Ressourcenaufwands für eine Sache andererseits. Ersteres (a) umfasst, dass der Wert des (postulierten) Ressourceneinsatzes mit dem Ansehen des sich aufopfernden Akteurs verknüpft wird. Infolgedessen ist der Gebrauch des Aufopferungs-Topos der Variante eins von Akteuren mit einem hohen Sozialprestige erfolgversprechender als bei Akteuren mit geringerem Prestige. Fehlendes Ansehen kann allerdings potenziell damit kompensiert werden, dass diese Akteure einen ‚größeren‘ Ressourcenaufwand leisten als jene, die aufgrund ihres größeren gesellschaftlichen Ansehens einen geringeren Aufwand leisten müssen, um den Wert ihrer Sache in der öffentlichen Wahrnehmung bedeutungsvoll zu inszenieren. Die Anerkennung der Aufopferungsdarstellung ist ferner (b) davon abhängig, inwiefern das soziale Umfeld den (inszenierten) Ressourcenaufwand als angemessen bzw. nützlich für eine Sache bewertet. In der öffentlichen Wahrnehmung muss der Umfang des Ressourceneinsatzes zu den Umständen der Sache passen, andernfalls wirkt der Ressourceneinsatz ‚übertrieben‘. Zudem muss glaubwürdig gemacht werden, dass der Ressourceneinsatz zu dem gewünschten Ziel des sich aufopfernden Akteurs geführt hat bzw. führen könnte, andernfalls könnte der Einsatz nicht als Aufopferung, sondern als ‚naiv‘ oder unzweckmäßig gelten. Wenn das soziale Umfeld den Ressourceneinsatz eines Akteurs also als unverhältnismäßig betrachtet, wird auch die Selbstaufgabe als unangemessen bzw. unnütz perspektiviert und es droht Imageverlust für die Betroffenen (vgl. Perelman/Olbrechts-Tyteca 1971: 249).
Im Rahmen der zweiten Variante des Aufopferungs-Topos bildet eine hohe Bewertung einer Sache (innerhalb einer Gruppe mit gleichem Wertekontext) den Ausgangspunkt, von dem aus Akteure mit Verweis auf einen geleisteten Ressourcenaufwand versuchen, Partikularinteressen und Sonderrechte gegenüber Konkurrenten durchzusetzen: Die Schlussfolgerung der Variante (1) bildet somit eine wichtige Prämisse der Variante (2). Variante (2) spielt in der Politischen Kommunikation in der Regel eine übergeordnete Rolle.
Der Aufopferungs-Topos beruht hier auf der in bestimmten (politischen) Diskursen geteilten Prämisse, dass Personen, die sich in besonderem Maße einer Sache hingeben (‚aufopfern‘), ein Recht darauf haben, bei Entscheidungen über diese Sache(n) auch besondere Mitsprache erhalten und Ansprüche geltend machen können. Das ‚Aufopfern‘ impliziert dabei, dass ein Ressourcenaufwand nicht oder nicht angemessen entlohnt wird. Die (behauptete) Hingabe und der damit unterstellte Ressourcenaufwand sind daher häufig mit der Erwartungshaltung verknüpft, Anerkennung und Wertschätzung zu erfahren sowie für diesen Ressourcenaufwand zumindest mittelfristig entschädigt zu werden.
Die (behauptete) Opferbereitschaft für eine Sache bildet außerdem eine vorteilhafte Diskursposition, weil ein persönlicher Ressourcenüberfluss postuliert wird. Dabei versuchen Akteure glaubwürdig zu kommunizieren, dass sie sich möglichen negativen Konsequenzen annähmen, weitere Bedürfnisse zurückstellten und sich an persönliche Grenzen begäben. Damit die Inszenierung einer ‚aufopferungsvollen‘ Handlung gelingt, muss diese mit einem anerkannten Mehraufwand an (persönlichen) Ressourcen verbunden sein, der über das üblicherweise erwartete Maß hinausgeht. Eine zentrale Bedingung für den erfolgreichen Gebrauch des Topos ist außerdem, dass die ihn nutzenden Akteure als in unzureichendem bzw. keinem Maße für ihre ‚Aufopferung‘ entlohnt gelten und dass das adressierte Umfeld die Handlung als (be)lohnenswert bewertet. Daher findet der Aufopferungs-Topos insbesondere in Bereichen Anwendung, in denen hochgeschätzte und als ‚systemrelevant‘ geltende Arbeit geleistet wird, wie beispielsweise in ehrenamtlichen Tätigkeiten oder Care-Arbeit.
Eine in alltäglichen Praktiken verkörperte Opferbereitschaft, die als von gesamtgesellschaftlich wichtiger Bedeutung gilt, wird vornehmlich in mediopolitischen Kontexten heroisiert, indem sich ‚aufopfernde‘ Akteure zum Beispiel als Alltagshelden bezeichnet werden (Beispiel 2). Sie zeigen in diesem Narrativ üblicherweise dadurch ‚Opferbereitschaft‘, dass sie persönlich ein nicht selbstverständliches Risiko für eine lobenswerte Sache einzugehen bereit waren oder durch eine ehrenamtliche Tätigkeit auf ihre Freizeit verzichteten. Der zugemessene Wert besteht darin, einen ‚solidarischen Beitrag für die Gesellschaft‘ zu leisten, der als positive gesellschaftliche Wirkung, z.B. als Stärkung einer demokratischen Werteordnung, perspektiviert werden kann (vgl. Koch 2020: 151).
Darin offenbart sich das strategische Potential des Aufopferungs-Topos: Der Topos kann als Appell verwendet werden, um andere zu gemeinschaftsförderlichen und solidarischen Verhalten zu verpflichten und zu disziplinieren. Wenn jedermann einen solidarischen Beitrag für die Gesellschaft leiste, profitierten alle davon. Besonders in politischen Diskurskontexten wird der Aufopferungs-Topos in dieser Weise als moralisierende Kommunikationspraktik verwendet.
Beispiele
(1) In politischen Reden ab den 1950er Jahren, beispielsweise nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 in der DDR, diente der Aufopferungs-Topos (in Form der ersten Variante) dazu, Aufstände trotz der Niederschlagung durch das SED-Regime als „moralische Siege mit Vorbildcharakter“ (Fritton 1998: 64) darzustellen. Die ‚Aufopferung‘ der Demonstranten wurde als positives Argument verwendet, um den hohen Wert ihres Ziels – der menschlichen Freiheit – zu bekräftigen. Hier wird die Nähe zum Freiheits-Topos deutlich (vgl. Fritton: 251): Die ‚Opferbereitschaft‘ der Demonstranten resultiert aus ihrem starken Freiheitswillen, von welchem ihre Forderungen u.a. nach freien Wahlen, der Freilassung politischer Häftlinge, der Rücktritt der Regierung abzuleiten seien (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013).
(2) Im Corona-Diskurs wird der Aufopferungs-Topos (im Sinne der zweiten Variante) häufig sowohl in Selbstzuschreibung von den sich ‚aufopfernden‘ Akteuren als auch in Fremdzuschreibung vor allem in sozialen Netzwerken und Medien verwendet. Zahlreiche Berufsgruppen, insbesondere im Gesundheitssektor, waren unmittelbar von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen, ‚opferten‘ ihre eigene Gesundheit und gingen an ihre persönlichen Grenzen, um Erkrankte zu behandeln und die gesellschaftliche Versorgung sicherzustellen. Ihr gezeigtes Engagement wurde gesellschaftlich (zumindest symbolisch) anerkannt und heroisiert, indem sie als Helden des Krisenalltags (Wergin 2020) oder Retter in der Corona-Krise (Weiß 2020) bezeichnet werden.
Helden opfern etwas, was viele andere Menschen nicht bereit sind zu geben. So auch unsere stillen Helden auf dieser Seite: Sie setzen sich täglich in einem Testbus der Gefahr einer Infektion aus. Sie betreuen die Kinder von den ‚Systemrelevanten‘ – und halten damit das Rad am Laufen, während sie sich um ihre eigenen Kinder nicht kümmern können. Sie fahren uns zur Arbeit, sie reinigen unsere Gebäude, sie pflegen, beschützen und retten uns, bringen Kinder zur Welt, unterrichten die älteren von ferne und sorgen dafür, dass wir im Supermarkt Klopapier in den Regalen finden. Sie opfern dafür nicht nur ihre Sicherheit und vielleicht ihre eigene Gesundheit, sondern auch viele Nerven. (Weiß 2020)
Öffentlich wurde ihnen mit Applaus von Balkonen und anderen symbolischen Formen Dankbarkeit und Anerkennung für ihren unermüdlichen Einsatz gezeigt (vgl. Spiegel 2020). In Nachrichtenportalen dagegen wurde häufig kritisiert, dass anerkennende Worte nicht genügten, um das gezeigte Engagement der Pflegekräfte zu honorieren – der Fokus des Diskurses wird auf die schlechten Arbeitsbedingungen und die schlechte Bezahlung von Pflegekräften, die seit mehreren Jahren ein zentrales Thema in Wahlkämpfen und politischen Diskussionen sind, verlagert.
Hier wird der Topos in zweifacher Form angewandt. Erstens wurde vor dem Hintergrund ihres geleisteten Engagements für die Gemeinschaft im Rahmen des Topos die Forderung formuliert, dass Pflegekräfte für ihren anstrengenden Beruf besser vergütet werden sollten (vgl. u.a. Thurau 2020). Des Weiteren erfüllt der Aufopferungs-Topos auch eine Appellfunktion: Pflegekräfte baten ihre Mitbürger, sich ebenfalls zu solidarisieren und gemeinschaftsförderlich zu verhalten, indem sie daheimbleiben und damit den Krankenstand geringhalten sollten. Hierbei appelliert der Topos an die Vernunft und Solidarität gegenüber den Pflegekräften, sich im gleichen Maße ‚aufzuopfern‘ bzw. zu engagieren.
Literatur
Zum Weiterlesen
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Knobloch, Clemens (2020): Die Figur des Opfers und ihre Transformation im politischen Diskurs der Gegenwart. In: Zeitschrift für Politik, Heft 4, Jg. 67, S. 455–472.
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Perelman, Chaïm; Olbrechts-Tyteca, Lucie (1971): The new rhetoric: A treatise on argumentation. Notre Dame [u.a.]: University of Notre Dame Pr.
Zitierte Literatur
- Bundeszentrale für politische Bildung (2013): Der Aufstand des 17. Juni 1953. Online unter: https://www.bpb.de/themen/deutsche-teilung/der-aufstand-des-17-juni-1953/ ; Zugriff: 12.12.2022.
- Fritton, Matthias (1998): Die Rhetorik der Deutschlandpolitik. Eine Untersuchung deutschlandpolitischer Rhetorik der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung von Reden anläßlich des Gedenkens an den 17. Juli 1953. Stuttgart: J.B. Metzler.
- Koch, Daniel (2020): Der »Held« im Deutschen. Eine linguistische Konzeptanalyse. Berlin; Boston: De Gruyter.
- Koch, Daniel (2021): „Sie alle, Sie sind die Heldinnen und Helden in der Corona-Krise.“: Heldentum in Zeiten der Pandemie. In: Linguistik Online, Heft 1, Jg. 106, S. 67–85.
- Ueding, Gerd (2003): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 6. Berlin; Boston: De Gruyter.
- Perelman, Chaïm; Olbrechts-Tyteca, Lucie (1971): The new rhetoric: A treatise on argumentation. Notre Dame: University of Notre Dame Pr.
- Spiegel (2020): Der Klang der Dankbarkeit. Online unter: https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/coronavirus-applaus-fuer-helfer-aus-fenstern-und-balkonen-der-klang-der-dankbarkeit-a-d98cda75-610a-4a65-a70d-5e2c134fd6d9 ; Zugriff: 25.02.2023.
- Thurau, Jens (2020): Kranken- und Altenpfleger: Die unterbezahlten Helden der Krise. In: Deutsche Welle. Online unter: https://www.dw.com/de/kranken-und-altenpfleger-die-unterbezahlten-helden-der-krise/a-54196179 ; Zugriff: 25.02.2023.
- Virchow, Fabian (2010): Tapfer, stolz, opferbereit – Überlegungen zum extrem rechten Verständnis »idealer Männlichkeit«. In: Claus, Robert; Lehnert, Esther; Müller, Yves (Hrsg.) (2010): »Was ein rechter Mann ist …« Männlichkeiten im Rechtsextremismus. Berlin: Karl Dietz Verlag, S. 39–52.
- Walton, Douglas N. (2008): Argumentation Schemes. Cambridge: Cambridge University Press.
- Weiß, Theresa (2020): Stille Helden. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Online unter: https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/retter-in-der-corona-krise-die-stillen-helden-des-alltags-16763722.html ; Zugriff: 25.02.2023.
- Wergin, Clemens (2020): Die Helden des Krisenalltags verdienen unseren Dank. In: Welt. Online unter: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article206645409/Corona-Die-Helden-des-Krisenalltags-verdienen-unseren-Dank.html ; Zugriff: 25.02.2023.
Zitiervorschlag
Krajczewski, Carina (2023): Aufopferungs-Topos. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 21.05.2023. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/aufopferungs-topos.
DiskursGlossar
Grundbegriffe
Argumentation
Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.
Hegemonie
Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.
Diskurskompetenz
Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.
Agenda Setting
Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.
Medien
Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.
Macht
Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.
Normalismus
Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.
Wissen
Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.
Werbung
Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.
Mediale Kontrolle
Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.
Techniken
Nicht-Entschuldigen / Nonpology
Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen.
Hashtag
Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).
Diminutiv
Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).
Sündenbock
Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.
Redenschreiben
Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.
Offener Brief
Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.
Kommunikationsverweigerung
Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.
Flugblatt
Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.
Passivierung
Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).
Opfer-Topos
Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.
Schlagwörter
Verfassung
Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.
Toxizität / das Toxische
Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.
Zivilgesellschaft
Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.
Demokratie
Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.
Plagiat/Plagiarismus
Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.
Fake News
Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.
Lügenpresse
Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.
Antisemitismus
Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.
Grammatiknazi / Grammar Nazi
Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.
Respekt
Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.
Verschiebungen
Versicherheitlichung
In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.
Ökonomisierung
Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren
Moralisierung
Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.
Konstellationen
Skandal
Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.
DiskursReview
Review-Artikel
Relativieren – kontextualisieren – differenzieren
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Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...
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Die (krisenbedingt verschärfte) Politisierung der Alltagsdiskurse stehen im Zentrum der hier geplanten Tagung. Antworten auf folgende Leitfragen sollen dabei diskutiert werden: Was sind die sozialen, medial-räumlichen und sprachlichen Konstitutionsbedingungen…
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Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?
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Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.
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