DiskursGlossar

Praktik

Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte Ausdrücke: Handlungsmuster
Siehe auch: Wissen, Macht
Autor*innen: Tim Hector; Christine Gebhard
Version: 1.0 / Datum: 04.07.2025

Kurzzusammenfassung

Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen). Praktiken sind somit eine durch soziokulturelles, teils implizites Wissen vor-strukturierte, aber nicht determinierte Art und Weise, etwas Bestimmtes zu tun. Praktiken stabilisieren sich durch ihre wiederholte Ausführung, die zwar einerseits jeweils einzigartig ist, aber andererseits routinierte Elemente enthält, die auch in anderen Situationen so oder so ähnlich auftreten und die Praktik als solche erkennbar werden lassen. Solche Elemente können z. B. verbale und nonverbale Ausdrücke, Körperbewegungen und -haltungen, Blicke oder die Einbindung anderer Menschen oder Artefakte sein. Praktiken können, je nach disziplinärer Ausrichtung und theoretischer Grundierung, begrifflich sehr unterschiedlich gefasst werden. In der Linguistik liegt der Fokus in der Regel auf sprachlich-kommunikativen Praktiken, die Beteiligte zur Herstellung sozialer Wirklichkeit nutzen. In diesem Kontext spielen Praktiken auch für die Beschreibung strategischer Kommunikation in Diskursen eine wichtige Rolle.

Erweiterte Begriffsklärung

Praktik ist ein Grundbegriff in der Sozialtheorie. Praktiken werden in diesem Fachgebiet häufig als soziale Praktiken bezeichnet, weil sie eine Grundform zwischenmenschlicher Begegnungen und sozialer Ordnung darstellen. Der Begriff wird heute meist mit einer Denkrichtung der Sozialtheorie verknüpft, die man den „practice turn“ nennt (vgl. Schatzki et al. 2001). Diese Denkrichtung zielt darauf ab, alte Gegensätze wie ‚Mikro‘ (z. B. Details auf zwischenmenschlicher Ebene) und ‚Makro‘ (große Organisationen, Institutionen und Staaten) zu überwinden. Sie schaut auf das, was Menschen gemeinsam tun – also auf Praktiken. Praktiken sind nicht einfach Handlungen einzelner Individuen mit klaren Zielen. Stattdessen versteht man sie als ein Zusammenspiel vieler Beteiligter. Dabei können auch materielle Praktiken interessant sein (z. B. ein Ball beim Fußballspielen oder das Briefpapier beim Beschwerdebrief). Es geht weniger um das individuelle Ich, das handelt, sondern mehr um die geteilten Abläufe, an denen viele Menschen, aber auch Tiere oder Dinge mitwirken können (vgl. Hirschauer 2016: 49).

Der Soziologe Andreas Reckwitz (2003: 290) bezeichnet Praktiken als die „kleinste Einheit des Sozialen“. Damit meint er, dass soziales Leben im Grunde aus lauter routinemäßigen, körperlich-materiellen Tätigkeiten besteht. Diese Tätigkeiten führen Menschen gemeinsam aus, und dadurch entstehen Praktiken. Diese wiederum bringen Institutionen, Organisationen und andere ‚größere‘ Einheiten überhaupt erst hervor. Praktiken werden von den Beteiligten wechselseitig als gemeinsame Abläufe verfertigt (vgl. Schüttpelz/Meyer 2017: 158).

Zunehmend findet das Konzept der Praktiken als ‚sprachliche Praktiken‘ Eingang in die Linguistik, ein einheitlicher Begriff liegt aber noch nicht vor (vgl. Deppermann et al. 2016 sowie Lanwer/Coussios 2018). Habscheid unterscheidet zwischen sprachlichen und kommunikativen Praktiken: Als sprachliche Praktiken benennt er „die situierte, zeichenhafte Verkörperung bzw. vom Körper gelöste (z. B. schriftliche) Materialisierung von Handeln […] durch Sprache als möglicher Bestandteil kommunikativer Praktiken“ (Habscheid 2016: 137). Kommunikative Praktiken sind solche, die einerseits in „einer allgemeinen ‚Infrastruktur‘ zwischenmenschlicher Interaktion verankert sind“ und die zum anderen „u.a. aufgrund situierter Zeichenverwendungen als Handeln […] verständlich werden“ (Habscheid 2016: 137).

Deppermann, Feilke und Linke (2016: 12 f.) unterscheiden drei Begriffsbestimmungen von Praktiken, die aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden können: Einen suprastrukturell-handlungsfeldbezogenen, einen makrostrukturell-gattungstheoretischen und einen mikrostrukturell-konversationsanalytischen Praktikenbegriff.

Ein mikroanalytisch-konversationsanalytischer Praktikenbegriff (siehe dazu Beispiel 1 unten), den auch etwa Schegloff (2006) verwendet, wird bereits seit längerer Zeit in linguistischen Untersuchungen angewendet: Eine Praktik entsteht, wenn Sprecher*innen wiederkehrend bestimmte sprachliche Ressourcen einsetzen, um damit bestimmte kommunikative Aufgaben zu lösen (vgl. Selting 2016); so zum Beispiel der Einsatz von hm?, um Nicht-Verstehen auszudrücken und eine Reparatur einzuleiten. In diesem Verständnis entstehen Handlungen erst durch Praktiken, „[d]as heißt, Praktiken werden verwendet, um damit Handlungen auszuführen“ (Selting 2016: 28). Durch sprachliche Praktiken werden also (subjektbezogene, individuelle) Handlungen hervorgebracht. Diese können dann wiederum Bestandteil kommunikativer und sozialer Praktiken sein (vgl. Habscheid 2016).

Der makrostrukturell-gattungstheoretisch geprägte Praktikenbegriff versteht Praktiken hingegen als „Großformen des Sprachgebrauchs“ (Deppermann et al. 2016: 12). Diese Großformen können etwa mit dem Konzept der ‚kommunikativen Gattungen‘ beschrieben werden. Damit sind z. B. Sprechstundengespräche (vgl. Schopf 2025), Interaktionen beim Elternsprechtag (vgl. Wegner 2016), Bewerbungsgespräche (vgl. Birkner 2001), Ratschläge (vgl. Couper-Kuhlen/Thompson 2021), Vorwürfe (vgl. Günthner 1999) und andere „Verfestigungen“ (Weidner et al. 2021) gemeint (siehe auch Beispiel 2 unten, zu einer vertieften Diskussion der Verknüpfbarkeit des Konzeptes der Praktik mit dem der Gattung vgl. Lanwer/Coussios 2018: 135 f.). Solche Großformen hängen zusammen mit bestimmten gesellschaftlich verankerten Konventionen (etwa Höflichkeitskonventionen), sowie mit sozialen Strukturen, unter anderem Rollen oder Milieus.

Der suprastrukturell-handlungsfeldbezogene Praktikenbegriff kann ganze Handlungsfelder umfassen, wie zum Beispiel Praktiken der Internetkommunikation (siehe hierzu Beispiel 3 unten), und ist, oftmals auf einer diskurstheoretischen Ebene, verknüpft mit Weltanschauungen und Werten. Diese nehmen auch Einfluss auf die Handlungen von individuellen Personen, was wiederum Auswirkungen auf grammatische Formen haben kann (vgl. Deppermann et al. 2016: 12). Ein anderes Beispiel dafür sind sprachliche Praktiken des Genderns, also der geschlechtersensible Sprachgebrauch etwa unter Verwendung des sog. ,Gender-Sterns‘. Solche Praktiken sind an bestimmte Werte und Ideale sowie im Anschluss daran öffentlich ausgetragene Kontroversen gebunden (vgl. Habscheid 2024). Im Fokus des Praktikenbegriffs aus einer solchen, auf potenziell ganze Handlungsfelder bezogenen Perspektive steht die Klärung der Fragen, wie Praktiken mit institutionellen Hierarchien und Machtverhältnissen zusammenhängen und welche Beteiligungsstrukturen in bestimmten sozialen Feldern und Medienverbünden mit institutionellen Hierarchien und Machtverhältnissen verbunden sind (vgl. Deppermann et al. 2016: 12).

Der Praktikenbegriff etabliert sich in allen drei Lesarten zunehmend in sprachwissenschaftlichen Zusammenhängen, die die Verknüpfung von Gebrauch und Form von Sprache beschreiben. Im Folgenden werden die oben genannten drei Praktikenbegriffe

1) mikroanalytisch-konversationsanalytischer Praktikenbegriff,
2) makrostrukturell-gattungstheoretisch perspektivierter Praktikenbegriff sowie
3) suprastrukturell-handlungsfeldbezogener Praktikenbegriff

exemplarisch anhand verschiedener Formen mündlicher und schriftlicher Kommunikation skizziert.

Wie die drei Beispiele zeigen werden, lässt sich der Praktikenbegriff auf sehr verschiedenen Feldern linguistischer Untersuchungen anwenden: Mindestens in den oben skizzierten Bereichen der Interaktionsanalyse (Beispiel 1), der Gattungsanalyse (Beispiel 2) und der Diskursanalyse (Beispiel 3), aber darüber hinaus auch in angrenzenden linguistischen Forschungsfeldern und Mischformen.

Eine linguistische Untersuchung von Praktiken geht immer vom kontextualisierten Sprachgebrauch aus. Mit der Konzentration auf Praktiken in der linguistischen Analyse wird Sprache immer im Zusammenspiel von drei Dimensionen betrachtet (vgl. Meiler 2019: 66):

  • eine materielle Dimension, die körperlich-dingliche Aspekte der zu untersuchenden sprachlichen Phänomene berücksichtigt. Anschaulich wird dies z. B., wenn paraverbale Phänomene (z. B. Tonhöhe, Sprechgeschwindigkeit, Akzent) bei gesprochensprachlichen Äußerungen in den Blick genommen werden, oder die Rolle medialer Eigenschaften einer E-Mail oder einer Social-Media-Plattform untersucht wird. Die sprachlichen Formen und Funktionen sowie ihre Materialität stehen dabei in einer engen Beziehung zueinander und beeinflussen sich gegenseitig (vgl. Meiler 2019: 64 f.).
  • eine soziale Dimension, die Sprache als flexibles Instrument zur Lösung kommunikativer und damit sozialer Probleme begreift. Sprache ist das zentrale Mittel der Interaktion, in deren Gebrauch sich die Form von Sprache erst herausbildet. Dies wird in allen drei Beispielen deutlich, denn dies gilt sowohl (a) im Kontext der lokalen Verwendung bestimmter sprachlicher Ausdrücke als ‚Ressourcen‘ zur Lösung sozialer Probleme (vgl. Selting 2016) als auch (b) in der Gestaltung kommunikativer Gattungen als Praktiken des sozialen Miteinanders (vgl. Günthner 2024), sowie (c) in der Verwendung von Hashtags als Marker der Zugehörigkeit zu einer spezifischen, diskursiv konstruierten Praxisgemeinschaft (vgl. Dang-Anh 2019b). Letztere können auch kommunikationsstrategischen Charakter haben und verändern sich grundlegend im Zuge der zunehmenden Digitalisierung öffentlicher Diskurse (vgl. Vogel/Deus 2024).
  • eine diskursive Dimension, die einholt, dass sich sprachliche Formen zur Lösung kommunikativer Probleme über die einzelne Situation hinaus verfestigen, und zwar auch über die einzelne Wortbedeutung bzw. Sprachfunktion hinaus, wie im Falle der Hashtags gezeigt werden konnte. Sprachliche Formen sind untrennbar mit Ideologien und Werten verschmolzen und stehen in einer Wechselwirkung mit Institutionen, Macht und Partizipation (vgl. Deppermann et al. 2016: 12).

Sprachwissenschaftliche Untersuchungen, die auf Praktiken ausgerichtet sind, berücksichtigen außerdem meist, dass soziale Begegnungen immer eine multimodale Dimension haben, d. h. nicht nur Sprache, sondern auch andere, z. B. körperliche, gestische oder mimische Zeichen umfassen (vgl. Deppermann et al. 2016: 14). Multimodalität kann sich dabei sowohl auf interaktionale Zusammenhänge beziehen und über Video-Interaktionsanalysen eingeholt werden (vgl. Deppermann 2018). In schriftbasierten Zusammenhängen kann dies aber auch eine multimodal ausgerichtete Analyse der visuellen Umgebung und der multimedialen Möglichkeiten bedeuten (vgl. etwa Pfurtscheller 2019).

Sprachliche Praktiken zu untersuchen, heißt also, „Prozessualität, Materialität, Verkörperung und soziale Routinen“ (Deppermann et al. 2016: 1) von Sprache in den Blick zu nehmen. Das ist in manchen Teilen der Linguistik bereits seit Langem üblich (vgl. Gloning 2016), hat aber durch den bereits erwähnten ‚practice turn‘ eine neue und nicht ungerechtfertigte Aufmerksamkeit erfahren.

Beispiele

(1) ‚Hedging‘ als sprachliche-kommunikative Praktik bei Bewertungen im Theaterpausengespräch

Hedging ist ein Verfahren zur Abschwächung sprachlicher Äußerungen bzw. zum Ausdruck von Vagheit (vgl. Clemen 1997: 241/244; Lakoff 1973: 471). Hedging ist eine sprachliche Praktik, weil sich spezifische linguistische Ressourcen etabliert haben, mit denen die Vagheit angezeigt wird – und weil Sprecherinnen und Sprecher umgekehrt in Situationen, in denen sie ihre Äußerungen als unsicher markieren, immer wieder auf das Einsetzen von Vagheitsausdrücken zurückgreifen. Hedging wird typischerweise in solchen Kommunikationssituationen eingesetzt, in denen Sprecher*innen ihre Position gegenüber bestimmten Sachverhalten zum Ausdruck bringen und in denen potenziell heikle Äußerungen von anderen Sprecher*innen angegriffen bzw. kritisiert werden könnten. Im folgenden Ausschnitt unterhalten sich drei Theaterbesucher*innen über die Inhalte des von ihnen gesehenen Theaterstücks. Sie greifen dabei auf Hedges zurück, um ihre Bewertungen als unscharf zu markieren und sich und ihre Bewertungen weniger angreifbar zu machen.

457 Jasmin:   ich find das auch auf einmal mit diese:m VI?
458           ALso-
459           VIdeo verwirrend wei:l-
460           (0.7)
461           das [AL ]so:.
462 Pascal:       [ja.]
463 Jasmin:   ich fand das hat irgendwie so GAR nich reingepasst.=
464           =ich hab ei (.) EIgentlich gedacht dass der junge sowas von 
anfang an schon so SCHÜCHtern is-
465           und (ah) und HALT so.
466           (0.5)
467           wenig SELBSTbewusstsein und sowa[s-]
468 Anna:                                     [h°]
469 Jasmin:   dann das VIdeo-
470           das fand ich irgendwie dann nochmal verSTÖren[der.]
471 Pascal:                                                [ja:-]=
472 Jasmin:   =um EHRlich zu sein-
473           (0.7)
474           aber das: HAben die wahrscheinlich gebraucht-
475           um (den) EInen da zu ver!UR!teilen.
476 Pascal:   [ja-]
477 Jasmin:   [EIN]f[ach-]
478 Anna:           [ja- ]
479           (0.8)
480 Pascal:   also das hätten die vielleicht anders RAUSbringen können.=
481           =ich fand_s jetz n bisschen (.) KOmisch-
482           dass sie ei[nfach] nichts andres zu TUN hat als-
483 Jasmin:              [(ja)-]
484 Pascal:   °h hey.=
485           =da liegt sein HANdy.
486           SCHAU mal was er für !VI![deos hat.]
487 Annalena:                          [hh°      ]
[ja.             ]
488 Anna:     [<<lachend> ja:>-]
489           (0.2)
490 Pascal:   er HÄTte ja-
491 Jasmin:   ja:.
492 Annalena: ((lacht))
493 Pascal:   (fast) dann vielleicht einfach SELBST die-
494           WAFfe !KRIE!gen !KÖN!nen.
495           und das dann SELBST !AN!sprechen können als-
496 Anna:     ja-
497           (0.7)
498 Pascal:   [ja.]
499 Anna:     [°h ] ja und (.) geNAU.
500           am ende HATte er ja dann irgendwie ne ALso-
501           °h [am ENde hab i]ch das !ECHT! nich verstan[den.]

Mithilfe von Vagheitsmarkern wie irgendwie (Zeile 463), EIgentlich (Z. 464), und HALT so (Z. 465), wahrscheinlich (Z. 474), vielleicht (Z. 480) und n bisschen (Z. 481) können die am Gespräch beteiligten Sprecher*innen ihre durch die Bewertung vorgenommenen Positionierungen als potenziell heikel und gesichtsbedrohend markieren, um sich im Fall von Nichtübereinstimmung weniger angreifbar zu machen (vgl. Hrncal 2020: 121).

(2) Bürgerliche Beschwerdeschreiben als kommunikative Praktik auf makrostrukturell-gattungstheoretischer Ebene

Die kommunikative Praktik der Beschwerde eröffnet Sprecher*innen bzw. Schreiber*innen die Möglichkeit, das Handeln einer bestimmten Instanz oder Person zu kritisieren. Die Beschwerde lässt sich als kommunikative Gattung klassifizieren – darunter versteht die Linguistin Susanne Günthner (2024: 68) „sozial verfestigte und komplexe kommunikative Muster, an denen sich Sprecher/innen und Rezipient/innen sowohl bei der Produktion als auch Interpretation interaktiver Handlungen orientieren“ (siehe oben). Das folgende Beispiel zeigt ein Beschwerdeschreiben einer Bürgerin bzw. eines Bürgers an die kommunale Stadtverwaltung, die ihren Bürger*innen die Möglichkeit der Beschwerde über ihre Webseite ermöglicht.

Hallo Stadt ((Ortsname)) zu Händen Herrn ((Name))

Die Entscheidung des Bürgermeisters in den Coronazeiten muss ich als Bürger der Stadt ((Ortsname)) (seit 62 Jahren) im Sinne der Solidargemeinschaft hinnehmen. Aber so langsam fehlt mir für einiges das Verständnis:

1. Neu ausgestellte Personalausweise liegen im Bürgerbüro rum und können nicht ausgehändigt werden. Warum eigentlich nicht? Kann man nicht eine geschützte Ausgabestelle einrichten?

Haben Sie einmal versucht mit einem ungültigen Ausweis einen Handyvertrag oder einen Immobilienkauf oder ähnliches abzuschliessen? Geht nicht.

2. Sperrmüll – zum Schutz der Mitarbeiter hat der Bürgermeister die Sperrmüllabholung ausgesetzt. Nachvollziehbar, aber wir haben jetzt seit Mitte März unseren Sperrmüll -aus einer Wohnungsauflösung- vor der Tür, Abholtermin war 30.04. Jetzt darf man ab 04.05. einen neuen Termin beantragen. Bei gleicher Vorlaufzeit und falls überhaupt bekommen wir dann einen Termin im Juni. Solange blockiert der Sperrmüll einen dringend benötigten Parkplatz. Wenn man das Zeug wenigstens selbst wegbringen könnte, aber weder die Ausstellung von Sperrmüllscheinen noch das Anliefern an der Kippe ist möglich.

Ich weiss, das sind alles nur kleine Probleme in den jetzigen Zeiten, aber ich verstehe nicht, worin der Unterschied zwischen städtischen Bediensteten und Kassiererinnen an Ladenkassen besteht.

Vielleicht bekomme ich ja eine Antwort, rechne aber eigentlich nicht damit.

Mit freundlichen Grüssen

((Name))

Die Verfasserin bzw. der Verfasser dieses Beschwerdeschreibens prangert Corona-bedingte Entscheidungen des Bürgermeisters an, illustriert deren Effekt auf ihren bzw. seinen persönlichen Alltag und nutzt so eine gesellschaftlich etablierte Praktik, um das Handeln des Bürgermeisters bzw. der Stadtverwaltung in einer sozial akzeptierten Form zu kritisieren. 

(3) Der Hashtag als diskursive Praktik der Internetkommunikation

Eine für Internetkommunikation typische diskursive Praktik ist das Hashtagging. Durch das Versehen eines Postings mit einem sogenannten Hashtag wird das Posting einem Thema oder Ereignis zugeordnet. Zu den Funktionen von Hashtags zählen unter anderem die Steigerung der Sichtbarkeit bzw. der Reichweite von Postings. Sie können zudem als Kontextualisierungshinweise fungieren und stehen zwischen Text und Hintergrundwissen (vgl. Dang-Anh 2019a: 151). Hashtags stellen (Teil-)Öffentlichkeiten her und versammeln Nutzer*innen zu einem Thema, sodass sie zwischen großen Diskursströmungen und individuellen Beiträgen stehen. So werden zum Beispiel durch das Hashtag #HambiBleibt mit diesem versehene Postings bzw. Aussagen zum Diskurs um den Hambacher Forst gebündelt.

Nutzername @Handle (persönlicher Account): Heute vor 5 Jahren starb Steffen Meyn, während er die Waldbesetzung im #HambiBleibt filmisch begleitete. Am Samstag wird es um 15 Uhr im Hambacher Wald eine Gedenkveranstaltung geben. #VergissMeynNicht

Nutzername @Handle (persönlicher Account): Morgen bin ich wieder unterwegs, das Wetter wird durchwachsen, auch nicht mit Bus und Bahn, da kommt man nicht gut hin. Es geht zu einer Ikone der Klimahansel, Luisa war da und Greta und ab morgen dann auch @Handle. #HambiBleibt #Mit49EuroUmDieWelt

BUND NRW e.V. @bund_nrw: Wegen Untätigkeit haben wir heute das @landnrw verklagt und die Rückname der Zwangsenteignung des BUND-Grundstücks an der Kante des Tagebaus #Hambach beantragt. #Braunkohle soll dort nicht mehr gewonnen werden. Gleichwohl will die @RWE_AG uns vertreiben. #HambiBleibt

Die Bündelung von Beiträgen unter dem Hashtag #HambiBleibt macht den Diskurs um den Hambacher Forst bzw. den Tagebau Hambach – zumindest in Ausschnitten – für bestimmte Teilöffentlichkeiten bzw. Nutzergruppen nachverfolgbar. Die Kombination des Rautezeichens (#) mit weiteren Wörtern wie hier Hambi und bleibt, die nicht durch ein Leerzeichen voneinander abgetrennt werden, ist dabei eine spezifische sprachliche Form, die entstand, weil die Kommunikationsplattform „X“ (vormals Twitter) nur auf diese Weise nach spezifischen Schlagworten durchsuchbar war. Durch die Verwendung des Hashtags trugen Nutzer*innen also dazu bei, dass Tweets für andere Nutzer*innen auffindbar waren und bündelten so gleichzeitig Diskurse zu bestimmten Themen oder Ereignissen.

Der Hashtag #HambiBleibt hat sich jedoch als diskursive Praktik auch von der Plattform gelöst und ist zum Identifikationsmerkmal für die Protestbewegung geworden (so trägt etwa eine arte-Dokumentation über den Protest den Titel #HambiBleibt, obwohl der Dokumentarfilm nicht auf die Internetpraktiken fokussiert). Ein Zugang zu Diskursen über sprachliche Praktiken dieser Art kann Aufschluss über diskursive Entwicklungen sowie über entsprechende Macht– und Beteiligungsstrukturen geben.

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Deppermann, Arnulf; Feilke, Helmuth; Linke, Angelika (Hrsg.) (2016): Sprachliche und kommunikative Praktiken. Berlin u. a.: De Gruyter.
  • Meiler, Matthias (2023): Method(olog)ische Herausforderungen der Analyse sprachlichen Handelns in kommunikativen Praktiken. In: Meiler, Matthias; Siefkes, Martin (Hrsg.): Linguistische Methodenreflexion im Aufbruch. Beiträge zur aktuellen Diskussion im Schnittpunkt von Ethnographie und Digital Humanities, Multimodalität und Mixed Methods. Berlin u. a.: De Gruyter, S. 45–77.

Zitierte Literatur und Belege

  • Birkner, Karin (2001): Bewerbungsgespräche mit Ost- und Westdeutschen. Eine kommunikative Gattung in Zeiten gesellschaftlichen Wandels. Berlin u. a.: De Gruyter.

  • Clemen, Gudrun (1997): The Concept of Hedging: Origins, Approaches and Definitions. In: Markkanen, Raija, Schröder, Hartmut (Hrsg.): Hedging and Discourse Approaches to the Analysis of a Pragmatic Phenomenon in Academic Texts. Berlin: De Gruyter, S. 235–248.

  • Couper-Kuhlen, Elizabeth; Thompson, Sandra (2021): Ratschläge in der Alltagskommunikation: Zur Verwendung einer sedimentierten Form im Englischen. In: Weidner, Beate; König, Katharina; Imo, Wolfgang; Wegner, Lars (Hrsg.): Verfestigungen in der Interaktion. Konstruktionen, sequenzielle Muster, kommunikative Gattungen. Berlin u. a.: De Gruyter, S. 295–318.

  • Dang-Anh, Mark (2019a): Protest twittern. Eine medienlinguistische Untersuchung von Straßenprotesten. Bielefeld: transcript Verlag.

  • Dang-Anh, Mark (2019b): Protest als mediale Praxis: Straßenprotestkommunikation online und offline. In: Sprachreport, Jg. 35, Heft 4, S. 36–45.

  • Deppermann, Arnulf (2018): Sprache in der multimodalen Interaktion. In: Deppermann, Arnulf; Reineke, Silke (Hrsg.): Sprache im kommunikativen, interaktiven und kulturellen Kontext. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 51–85.

  • Deppermann, Arnulf; Feilke, Helmuth; Linke, Angelika (2016): Sprachliche und kommunikative Praktiken: Eine Annäherung aus linguistischer Sicht. In: Dies. (Hrsg.) (2016): Sprachliche und kommunikative Praktiken. Berlin u. a.: De Gruyter, S. 1–24.

  • Gloning, Thomas (2016): Neue mediale Formate und ihre kommunikative Nutzung in der Wissenschaft. Fallbeispiele und sieben Thesen zum Praktiken-Konzept, seiner Reichweite und seinen Konkurrenten. In: Deppermann, Arnulf; Feilke, Helmuth; Linke, Angelika (Hrsg.): Sprachliche und kommunikative Praktiken. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 457–486.

  • Günthner, Susanne (1999): Vorwürfe in der Alltagskommunikation. In: Bergmann, Jörg; Luckmann, Thomas (Hrsg.): Kommunikative Konstruktion von Moral. Band 1: Struktur und Dynamik der Formen moralischer Kommunikation. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 206–241.

  • Günthner, Susanne (2024): Gattungen in der sozialen Praxis. Die Analyse „kommunikativer Gattungen“ als Textsorten mündlicher Kommunikation. In: Fladrich, Marcel; Imo, Wolfgang; König, Katharina; Lanwer, Jens Philipp, Weidner, Beate (Hrsg.): Susanne Günthner. Sprache in der kommunikativen Praxis. Berlin u. a.: De Gruyter, S. 61–92.

  • Habscheid, Stephan (2016): Handeln in Praxis. Hinter- und Untergründe situierter sprachlicher Bedeutungssituation. In: Deppermann, Arnulf; Feilke, Helmuth; Linke, Angelika (Hrsg.): Sprachliche und kommunikative Praktiken. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 127–151.

  • Habscheid, Stephan (2024): Freiheit und Verantwortung. Geschlechtergerechter Sprachgebrauch in sprachhandlungstheoretischer Perspektive. In: Habscheid, Stephan; Nielsen-Sikora, Jürgen (Hrsg.): Das Generische Maskulinum. Eine Diskussion anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Navid Kermani an der Universität Siegen, S. 89–91.

  • Hirschauer, Stefan (2016): Verhalten, Handeln, Interagieren. Zu den mikrosoziologischen Grundlagen der Praxistheorie. In: Schäfer, Hilmar (Hsrg.): Praxistheorie. Ein soziologisches Forschungsprogramm. Bielefeld: transcript, 45–67.

  • Hrncal, Christine (2020): Bewertungsinteraktionen in der Theaterpause. Eine gesprächsanalytische Untersuchung von Pausengesprächen im Theaterfoyer. Berlin, Boston: De Gruyter.

  • Lakoff, George (1973): Hedges: A study in meaning criteria and the logic of fuzzy concepts. In: Journal of Philosophical Logic, Jg. 2, Heft 4, S. 458–508.

  • Lanwer, Jens; Coussios, Georgios (2018): Kommunikative Praxis, soziale Gruppe und sprachliche Konventionen. In: Neuland, Eva; Schlobinski, Peter (Hrsg.): Handbuch Sprache in sozialen Gruppen. Berlin u. a.: De Gruyter, 126–148.

  • Meiler, Matthias (2019): Zur praxeologischen Verhältnisbestimmung von Materialität, Medialität und Mentalität oder: Medien als Praxis. In: Zeitschrift für Semiotik, Jg. 41, Hefte 1–2, 63–88.

  • Reckwitz, Andreas (2003): Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken: Eine sozialtheoretische Perspektive. Zeitschrift für Soziologie, Jg. 32, Heft 4, S. 282–301.

  • Pfurtscheller, Daniel (2019): Reizende Vorschau. Thumbnail-Bilder als Teil multimodaler Verweisbausteine und kontaktorientierter Medienlogik zwischen Teasing und Clickbaiting. In: Schwender, Clemens; Brantner, Cornelia; Graubner, Camilla; von Gottberg, Joachim (Hrsg.): Zeigen – Andeuten – Verstecken: Bilder zwischen Verantwortung und Provokation. Berlin: von Halem, 121–142.

  • Schatzki, Theodore; Knorr Cetina, Karin; von Savigny, Eike (Hrsg.) (2001): The practice turn in contemporary theory. London: Routledge.

  • Schegloff, Emanuel A. (2006): Interaction: The infrastructure for Social Institutions, the Natural Ecological Niche for Language, and the Arena in which Culture is Enacted. In: Enfield, Nick J.; Levinson, Stephen C. (Hrsg.): Roots of Human Sociality. Culture, Cognition and Interaction. Oxford: Berg, 70–96.

  • Schopf, Juliane (2025): Gespräche in der Impfsprechstunde. Linguistische Analysen einer Gesprächsgattung mit Anwendungsbezug für die Medizindidaktik. Berlin, Boston: De Gruyter.

  • Schüttpelz, Erhard und Christian Meyer (2017): Ein Glossar zur Praxistheorie. „Siegener Version“. In: Dang-Anh, Mark; Pfeifer, Simone; Reisner, Clemens; Villioth, Lisa (Hg.): Medienpraktiken. Situieren, erforschen, reflektieren. (=Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften, Jg. 17, Heft 1). Siegen: Universitätsverlag Siegen, 155–163.

  • Selting, Margret (2016): Praktiken des Sprechens und Interagierens im Gespräch aus Sicht von Konversationsanalyse und Interaktionaler Linguistik. In: Deppermann, Arnulf; Feilke, Helmuth; Linke, Angelika (Hrsg.): Sprachliche und kommunikative Praktiken. Berlin: De Gruyter, 27–56.

  • Vogel, Friedemann; Deus, Fabian (2024): Strategische Kommunikationspraktiken in digitalen Diskursarenen. In: Androutsopoulos, Jannis; Vogel, Friedemann (Hrsg.): Handbuch Sprache und digitale Kommunikation. Berlin: De Gruyter, 393–411.

  • Wegner, Lars (2016): Lehrkraft-Eltern-Interaktionen am Elternsprechtag. Eine gesprächs- und gattungsanalytische Untersuchung. Berlin, Boston: De Gruyter.

  • Weidner, Beate; König, Katharina; Imo, Wolfgang; Wegner, Lars (Hrsg.) (2021): Verfestigungen in der Interaktion. Konstruktionen, sequenzielle Muster, kommunikative Gattungen. Berlin: De Gruyter.

    Zitiervorschlag

    Hector, Tim; Gebhard, Christine (2025): Praktik. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 04.07.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/praktik/.

    DiskursGlossar

    Grundbegriffe

    Kontextualisieren

    Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

    Narrativ

    Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

    Argumentation

    Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

    Hegemonie

    Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

    Diskurskompetenz

    Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

    Agenda Setting

    Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

    Medien

    Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

    Macht

    Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

    Metapher

    In der politischen Berichterstattung ist oft davon die Rede, dass eine bestimmte Partei einen Gesetzesentwurf blockiert. Weil das Wort in diesem Zusammenhang so konventionell ist, kann man leicht übersehen, dass es sich dabei um eine Metapher handelt.

    Normalismus

    Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

    Techniken

    -ismus

    Bei Ismen geht es ursprünglich um die Wortendung (sog. Suffix) -ismus (Plural -ismen), mit der Substantive mit substantivischem oder adjektivischem Wortstamm (Basis) gebildet werden (z.B. Vulkan-ismus oder Aktiv-ismus).

    Persuasion

    Persuasion kommt vom lateinischen Verb persuadere und bedeutet ‚überzeugen, überreden‘ (gebildet aus suadere ‚raten, empfehlen‘ und per ‚durch, über‘).‘). Der Begriff stammt aus der Rhetorik, in der es vor allem darum geht, wie man Hörer:innen oder Leser:innen auf seine Seite bringt: wie man sie zum Beispiel in einem Gerichtsprozess von der Schuld oder Unschuld eines/einer Angeklagten überzeugt, wie man sie politisch zur Parteinahme überredet oder wie man sie ganz allgemein für sich selbst oder einen bestimmten Gegenstand/Sachverhalt einnimmt.

    Ironie

    Ironie (altgriechisch εἰρωνεία (eirōneía), wörtlich ‚Verstellung‘, ‚Vortäuschung‘) ist in unserer unmittelbaren und massenmedialen Kommunikationskultur sehr bedeutsam. Sie arbeitet mit einem Bewertungsgegensatz zwischen Gesagtem und Gemeintem.

    Wiederholen

    Das Wiederholen von Äußerungen in öffentlichen (politischen) Diskursen zielt darauf, das Denken anderer zu beeinflussen, Wissen zu popularisieren, einseitige (z. B. fanatisierende, beschwörende, hysterische, ablenkende, pseudosachliche) Konstruktionen von Wahrheit zu erzeugen, um die soziale Wirklichkeit als intersubjektiven Konsens im einseitigen Interesse des „Senders“ zu verändern. Grundvoraussetzung ist die Annahme, dass das kollektive Denken stets mächtiger als das individuelle Denken ist.

    Diskreditieren

    Das Diskreditieren ist eine Praktik, mit der Diskursakteure durch verschiedenste Strategien, die von Verunglimpfungen und Verleumdungen bis hin zu rufschädigenden Äußerungen reichen, abgewertet und herabgesetzt werden.

    Nähe inszenieren

    Die Inszenierung von Nähe beschreibt eine Kommunikations>>praktik, bei der Akteur:innen Techniken einsetzen, um Vertrautheit, Sympathie und Authentizität zu vermitteln (z.B. das Angebot einer:s Vorgesetzten, zu duzen).

    Diplomatie

    Diplomatie bezeichnet im engeren Sinne eine Form der Kommunikation zwischen offiziellen Vertretern von Staaten, die die Aufgabe haben, zwischenstaatliche Beziehungen durch und für Verhandlungen aufrecht zu erhalten. Diese Vertreter können Politiker oder Beamte, insbesondere des diplomatischen Dienstes, sowie Vertreter internationaler Organisationen sein.

    Typografie

    Typografie bezeichnet im modernen Gebrauch generell die Gestaltung und visuelle Darstellung von Schrift, Text und (in einem erweiterten Sinne) auch die Dokument-Gesamtgestaltung (inklusive visueller Formen wie Abbildungen, Tabellen, Taxono-mien usw.) im Bereich maschinell hergestellter Texte (sowohl im Druck als auch auf dem Bildschirm)

    Fact Checking

    Fact Checking ist eine kommunikationsstrategische Interventionstechnik, bei der eine Diskursaussage auf Bild oder Textbasis unter dem Gesichtspunkt der Faktizität bewertet wird. Sie ist überwiegend in journalistische Formate eingebettet, die als Faktencheck bezeichnet werden.

    Distanzieren

    Distanzieren bezeichnet die Abgrenzung eines individuellen oder organisationalen Akteurs von einem anderen Akteur. Eine Distanzierung kann kommunikativ oder operativ vollzogen werden, d. h. die Abgrenzung findet verbal oder unter Aufkündigung eines Arbeitsverhältnisses statt.

    Schlagwörter

    Wohlstand

    Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

    Remigration

    Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.

    Radikalisierung

    Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.

    Bürokratie

    Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.

    Politisch korrekt / Politische Korrektheit

    Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt.

    Kipppunkt

    Als öffentliches Schlagwort ist Kipppunkt Teil eines Argumentationsmusters: es behauptet ein ‚Herannahen und baldiges Überschreiten einer unumkehrbaren Sachverhaltsänderung, die fatale bzw. dystopische Folgeschäden auslöst, wenn nicht umgehend bestimmte Maßnahmen eingeleitet oder unterlassen werden.‘

    Verfassung

    Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

    Toxizität / das Toxische

    Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

    Zivilgesellschaft

    Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

    Demokratie

    Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

    Verschiebungen

    Versicherheitlichung

    In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

    Ökonomisierung

    Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

    Moralisierung

    Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

    Konstellationen

    Partizipatorischer Diskurs

    Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.

    Skandal

    Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

    DiskursReview

    Review-Artikel

    Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament

    Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)

    Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit

    DiskursReview Die Macht der Worte (4/4):So geht kultivierter Streit Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

    Die Macht der Worte 3/4: Sprachliche Denkschablonen

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    Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe

    DiskursReview Die Macht der Worte (2/4): Freund-Feind-Begriffe Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

    Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen

    DiskursReviewDie Macht der Worte (1/4): Wörter als Waffen Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 / 06.03.2025...

    Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

    Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.