DiskursGlossar

Diskurskompetenz

Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte Ausdrücke: Kontextualisierungskompetenz,  Vertextungskompetenz, Markierungskompetenz, Diskursive Partizipation
Siehe auch: Diskurs, Macht, Wissen, Strategische Kommunikation, Medien, Partizipation, Partizipatorischer Diskurs
Autorin: Uta Quasthoff
Version: 1.0 / Datum: 27.03.2024

Kurzzusammenfassung

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen. Sie ist Teil der (kindlichen) Sprachentwicklung, die sich außerhalb und innerhalb der Schule vollzieht. Im weiteren Sinne geht es um die Frage, in welcher Weise individuelle Diskurskompetenzen Voraussetzung und Folge der erfolgreichen Teilhabe an öffentlichen Diskursen sind. Eine besondere Rolle spielt dabei die Kontextualisierungskompetenz, also die Berücksichtigung der sprachlichen, situativen, medialen und sozialen Umgebung der jeweiligen Äußerungen sowie der Erwartungen der Adressaten. Es ist empirisch nachgewiesen, dass Interaktionen zwischen Einzelnen in sehr unterschiedlichem Maße geeignet sind, Beteiligte in den Dialog einzubeziehen und ihnen damit ein Übungsfeld für den Aufbau ihrer Kompetenzen zu bieten. Aus den Bezügen zwischen individueller Diskurskompetenz und dem Umgang mit kollektiven Diskursen lässt sich daher ableiten, dass und wie auch öffentliche Diskurse systematisch Teilhabe ermöglichen und anregen müssen, um Vielfältigkeit im Diskurs zuzulassen und gleichzeitig den Erwerb von Diskurskompetenzen zu fördern.

Erweiterte Begriffsklärung

Zum Begriff: Das bestimmende Element Kompetenz im zusammengesetzten Begriff Diskurskompetenz orientiert sich am Kompetenzbegriff, wie er in der kognitiven Diagnostik (Weinert 2001) eingeführt ist. Es bezieht sich damit auf individuenbezogene Dispositionen zur Erfüllung von Aufgaben jeweils in bestimmten Bereichen. Die Art dieser Aufgaben wird bestimmt durch das Element Diskurs im zusammengesetzten Begriff. Diskurs erscheint in der gegenwärtigen Verwendung durch unterschiedliche Disziplinen vieldeutig (vgl. Warnke 2018) und zum Teil schillernd. Im Verständnis der sprachwissenschaftlich fundierten Interaktionalen Diskursanalyse bezieht sich der Ausdruck auf die Ebene sprachlicher Interaktion, die „sequenziell geordnete[n] sprachliche[n] und interaktive[n] Strukturen oberhalb der Ebene einzelner Äußerungen im Mündlichen (entspricht Text im Schriftlichen).“ (Quasthoff/Heller/Morek 2021b: 37).  Hier stehen besonders sog. Diskurseinheiten im Fokus, also Gesprächssequenzen (oder Texte), die aus mehreren Einzeläußerungen bestehen und einer Gattung zuzuordnen sind. Dazu gehören z. B. Erzählungen, Erklärungen oder Argumentationen. In diesem Sinne bezeichnet Diskurskompetenz genauer das Vermögen, übersatzmäßig organisierte Einheiten unterschiedlicher Gattungen im Mündlichen und Schriftlichen sprachlich-kommunikativ angemessen durchführen und verstehen zu können. Diese Fähigkeit lässt sich aufspalten in die drei Teilfähigkeiten

  • diese diskursiven Einheiten im engeren und weiteren Umfeld zu platzieren (Kontextualisierungskompetenz),
  • intern aufzubauen (Vertextungskompetenz) und
  • sprachlich sowie stimmlich und körpersprachlich in Form zu bringen (Markierungskompetenz).

Zum theoretischen Hintergrund: Konstruktive Theorieansätze und Methoden bei der Erfassung von Kompetenzen wie die Interaktionale Diskursanalyse nehmen grundsätzlich das interaktive Zusammenspiel zwischen den Gesprächsbeteiligten in den Blick: Bei dem Versuch der Kompetenzerfassung muss also berücksichtigt werden, dass sich die Erfüllung der ‚Aufgaben‘ im Gespräch bzw. in einem schriftlichen Kontext durch den/die Einzelne/n immer im geordneten Zusammenspiel mehrerer Interaktionspartner vollzieht. Der einzelne Beitrag ist Teil eines Gefüges wechselseitiger Erwartungen, Steuerungen und Hilfestellungen. Der/die Zuhörende spielt also immer wesentlich mit und ermöglicht/unterstützt jeden einzelnen Zug im Gespräch etwa durch seine Fragen, Paraphrasen, Explizierungen. Im Fall von Texten besteht diese Interaktivität im Zusammenspiel zwischen Text und kontextuell geprägten Verstehenspraktiken. Im Rahmen konstruktivistischer Modelle von Verständigung – und damit der ethnomethodologischen Grundorientierung der Interaktionalen Diskursanalyse – ist der jeweils etablierte Sinn also immer eine gemeinsame Prozessleistung der Gesprächspartner bzw. von Produzent und Rezipient im Fall von Texten.

Hieraus ergibt sich ein prinzipielles Spannungsverhältnis bei der empirischen Erfassung von Kompetenz im definierten Sinne: Kompetenzniveaus müssen individuell zuschreibbar sein, zeigen sich empirisch jedoch nur als gemeinsame Leistung. Im Rahmen von Spracherwerbsstudien bspw. ist es deshalb methodisch aufwendig, etwa aus Gesprächen zwischen Erwachsenem und Kind die Leistungsanteile des Kindes herauszupräparieren und sie analytisch seiner individuellen Kompetenz zuzuschreiben.

Zur Lösung dieses Problems wurde ein Beschreibungsmodell entwickelt, das die gemeinsame Erfüllung diskursiver Aufgaben (des Erklärens, Argumentierens …) durch die Gesprächsbeteiligten einerseits sowie die Beiträge einzelner Interaktionspartner andererseits integriert, aber getrennt repräsentiert und analysiert (GLOBE; Quasthoff/Heller/Morek 2021).

Wie kann man sich dem Konzept ‚Diskurskompetenz‘ nähern, wenn man den Diskursbegriff im Sinne Foucaults und der nachfolgenden Diskursforschung ausweitet? Diskurs bezieht sich hier nun auf thematische und begriffliche Zusammenhänge von (umkämpften) Wissenskomplexen und dem korrespondierenden Gefüge von medial vermittelten kommunikativen Praktiken. Diese Praktiken sind oft dadurch geprägt, dass Akteure über verschiedene Wirklichkeitsdeutungen strategisch um gesellschaftlichen Einfluss kämpfen.

Prinzipiell denkbar wäre ein Konzept von Diskurskompetenz, das die Individuenbezogenheit des Kompetenzbegriffs aufgibt und einen kollektiven Akteur modelliert, der erfolgreich – kompetent – seine Deutungen im Widerstreit der öffentlichen Wirklichkeitskonstruktionen platziert und durchsetzt. Derartige Akteure könnten etwa Parteien oder Regierungen sowie Institutionen oder Bewegungen sein, denen es mehr oder weniger gut gelingt, ihre Lesarten von politisch-gesellschaftlichen Konflikten und ihre Lösung zum Mainstream öffentlicher Akzeptanz zu machen. Parteien oder Gruppierungen würden also in diesem Sinne diskurskompetent agieren, wenn sie beispielsweise spontane Protestbewegungen öffentlich umdeuten als Ausdruck ihrer jeweiligen Ziele.

Verfolgt man jedoch das Ziel der Integration individueller und kollektiver Konzeptionen von Diskurkompetenz, die bisher in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen, ergibt sich ein anderer Ansatz: Leitend ist hier die Frage, was einzelne Gesellschaftsmitglieder befähigt, an relevanten gesellschaftlichen Diskursen teilzuhaben und sie mitzugestalten. Eine derartige Fragestellung würde auch in den Blick nehmen, wie Erwerbschancen und Bildungsprozesse für ‚mündige Bürger‘ innerhalb von Gesellschaften gestaltet sein müssten.

Argumentationskompetenz: Zur Annäherung an eine Antwort auf diese Frage ist es sinnvoll, die Diskurskompetenz im Sinne einer individuenbezogenen kommunikativen Kompetenz zunächst exemplarisch auf die Diskursgattung des Argumentierens zu beziehen. Argumentieren zu können ist ersichtlich sowohl im Hinblick auf individuelle bildungssprachliche Kompetenzen als auch auf gesellschaftliche Teilhabe besonders relevant. Argumentationskompetenz besteht grob in der Fähigkeit zur Aushandlung von Deutungen und Geltungsansprüchen in direkter mündlicher Interaktion (Heller 2012) und in Schriftkommunikation. Je nach Kontext schließt dies auch die Anwendung dieser Kompetenz im Zusammenhang mit mehreren Adressaten oder einem Kollektiv von Adressaten im öffentlichen Diskurs ein. Ohne Argumentationskompetenz ist eine Teilhabe an Abgleich von Meinungen und Positionen nicht möglich.

Argumentationen sind häufig eingebettet in (strittige) Entscheidungen, insofern sie ein (nicht das einzige) Mittel der Entscheidungsfindung darstellen. Die jeweils anstehenden oder diskutierten Entscheidungen liefern den thematischen Rahmen für die Argumentationen. Dies gilt in der ganzen Bandbreite zwischen alltäglichen Entscheidungen (für welches Gerät entscheide ich mich bei einem geplanten Kauf?) und politisch bzw. ideologisch konnotierten Entscheidungen (Sollten Klimaschutzmaßnahmen über allem anderen stehen?), die in öffentlichen Diskursen relevant sind. Hier zeigt sich also, dass die thematische Orientierung von Entscheidungsdiskursen unmittelbare persönliche Interaktionen und kollektive Diskurse überspannt und sie damit verbindet: Ich kann am Küchentisch oder über soziale Medien etwa zur ,Klimalüge‘ oder zu Artenschutz vs. Straßenausbau Position beziehen.

Die grundsätzlich mögliche Unterschiedlichkeit von Positionen, also das zumindest potenziell Strittige im öffentlichen Diskurs, führen zu ihrem zumindest latent argumentativen Charakter. Mit anderen Worten: argumentativ Kompetente entscheiden sich nicht einfach nur für eine Position, sondern sie sehen die Notwendigkeit zur Begründung. Empirische Untersuchungen zu Entscheidungsinteraktionen zeigen, dass kompetente Beteiligte sich positionieren und dies begründet und begründend tun: Also nicht: Ich bin für Option x / Für mich kommt ganz klar nur Partei Y in Frage, sondern: Ich bin für Option x, weil …“ (nach Quasthoff/Kluger 2021) / Ich entscheide mich für Partei Y, weil Klimaschutz / soziale Gerechtigkeit / Frieden … die Grundlage des Überlebens von Gesellschaften darstellt und Partei Y dies am besten umsetzt. Für die gelungene Kommunikation insgesamt gilt darüber hinaus, dass sie partizipativ gestaltet ist. Das bedeutet im Dialog, dass den Beteiligten der notwendige Gesprächsraum zum Positionieren und Argumentieren unabhängig von ihrem Status zur Verfügung steht.

Partizipation: Unterschiedliche Grade der partizipativen Gestaltung von Entscheidungsinteraktionen lassen sich an den folgenden beiden Dialog-Eröffnungen zur Aushandlung von vier Entscheidungsoptionen zwischen Elternteil und Kind ablesen (aus Quasthoff/Kluger 2021; ET= Elternteil, KI=Kind):

  1. ET: SO was würdest DU machen
    KI: also ich würd NICHT …“ (Fall 1001)
  2. ET: ich bin dafür zum beispiel
    ET: ein wochenende für die ganze familie…

Im ersten Beispiel eröffnet der/die (ranghöhere/kompetentere) Erwachsene dem Kind zu Beginn des Gesprächs den Raum sich zu positionieren, im zweiten Fall bezieht der/die Erwachsene im selben Kontext selbst Position. Dadurch verhindert das Elternteil hier gleich zu Beginn des Gesprächs eine Positionierung durch das Kind, das ja grundsätzlich bzgl. Status und Kompetenz unterlegen ist. Partizipative Beteiligungsrollen und -strukturen sind also dann gegeben, wenn Statusbeziehungen die gattungsbedingten Rollen des Entscheidens und Argumentierens (etwa: Proponent/Opponent) nicht dominieren. Auch die (gemäß Status, Expertentum etc.) unterlegenen Interaktionspartner erhalten hier die Gelegenheit zur Positionierung (und nachfolgenden Begründung), also bei Bedarf auch die Aufforderung zum Positionieren und Argumentieren, wie im ersten Beispiel oben.

Die Interaktionale Diskursanalyse beschäftigt sich im Rahmen ihres Interesses für sprachliche Erwerbs- und Bildungsprozesse tatsächlich zentral mit Partizipationsgelegenheiten (für Kinder): Die möglichst umfangreiche und möglichst anspruchsvolle Partizipation an sprachlichen Austauschprozessen hat sich nämlich als eine wesentliche Triebkraft von sprachlichen Erwerbsprozessen herausgestellt. Eine entscheidende Bedingung für den Erwerb von Diskurskompetenzen ist somit, dass Lernende an Diskursprozessen beteiligt werden, und zwar je nach Alter und Kompetenzniveau nicht nur durch Zulassen, sondern durch aktives Einfordern und Unterstützen ihrer Beiträge (Quasthoff/Kern 2007; Morek/Heller 2021).

Die Aufgabe der Schaffung entsprechender partizipativer Kommunikationskontexte obliegt nicht nur Eltern, sondern im Verlauf der kindlichen Entwicklung auch Erwachsenen in Bildungsinstitutionen wie Kindergärten, Schulen und Universitäten. Partizipative Praktiken zwischen Teilnehmenden mit unterschiedlichem Status haben dann zunehmend die Funktion, nicht nur individuelle Erwerbsschritte zu fördern, sondern darüber hinaus die gesellschaftliche Voraussetzung für eine möglichst breite Teilhabe von Gesellschaftsmitgliedern an öffentlichen und institutionellen Prozessen zu schaffen. Gesellschaftliche Teilhabe hängt so von individuellen Kompetenzen ab – individuelle Kompetenzen werden durch Partizipation geschaffen.

Kompetenzfacetten: Umfangreiche empirische Untersuchungen haben zur Unterscheidung von drei Facetten diskursiver Kompetenz in individuellen Erwerbsprozessen geführt (vgl. Quasthoff et al. 2019: Kap. 7):

  • Kontextualisierungskompetenz bezeichnet dabei die (in der Forschung bisher häufig vernachlässigte) Kompetenz zur angemessenen Platzierung einer Diskurseinheit im sprachlichen und situativen Kontext. Auch die durchgängige Orientierung an den Zuhörenden bzw. Adressaten im Vollzug der sprachlich-kommunikativen Einheit gehört dazu.
  • Vertextungskompetenz bezieht sich auf den internen Aufbau der diskursiven Einheit, die der jeweiligen Gattung (erzählen, argumentieren …) zu entsprechen hat.
  • Markierungskompetenz fasst die Fähigkeit, die jeweilige Kontextualisierung sowie die gattungsgemäße Vertextung einer Diskurseinheit in sprachlichen Formulierungen sowie stimmlich, gestisch und mimisch so deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass ihre Funktion im Verständigungsprozess erfüllt wird.

Wenn man die vorgestellten Konzepte der Partizipationsgelegenheiten und der Kompetenzfacetten von der unmittelbaren Interaktion auf öffentliche Diskurse erweitert, stellen sich mindestens zwei Fragen: 1. Ist eine der Facetten von Diskurskompetenz besonders relevant für die erfolgreiche Teilhabe und damit die Mitgestaltung öffentlicher Diskurse? 2. Wie müssen diese Diskurse gestaltet sein, damit sie Partizipation befördern?

Ist eine der Facetten von Diskurskompetenz besonders relevant für die erfolgreiche Teilhabe und damit die Mitgestaltung öffentlicher Diskurse? Kontexte öffentlicher Interdiskurse sind in pluralen Gesellschaften außerordentlich differenziert und zum Teil fragmentiert. Die Teilhabe an derartigen Diskursen unter Einschluss der Chancen zu deren Gestaltung erfordert folgerichtig zuvörderst eine ausgeprägte Kontextualisierungskompetenz auf Seiten der sich beteiligenden Individuen: Man muss wissen, welchen Beitrag man wo in welchem Format und welcher Form wann platziert: als Leserbrief in der Lokalzeitung, als Redebeitrag in einer öffentlichen Parteiversammlung, als Antwort in einem Interview am Rande einer Demonstration … und den Beitrag entsprechend ausrichten. Der medial vermittelte diskursive Raum erfordert darüber hinaus oft die Überwindung spezieller technischer Hürden und die Beherrschung digitaler Praktiken. Die Adressatenorientierung von Beiträgen wird grundsätzlich in dem Maße anspruchsvoller, in dem (u.a. durch die mediale Vermittlung) eine große und heterogene Empfängerschaft angesprochen wird, die sich nicht auf die eigene ,Meinungsblase‘ beschränkt. Dies gilt beispielsweise für die Verwendung von Schlüsselbegriffen in Kenntnis ihrer jeweiligen Konnotationen, evtl. als Kampfbegriffe, die die Zugehörigkeit zu bestimmten Lagern markieren. Die wechselseitige Bestätigung innerhalb der eigenen ‚Blase‘ ist demgegenüber natürlich einfacher: Die Explizierung von Positionen und Argumenten kann hier weitgehend entfallen, die Entkräftung möglicher Gegenargumente spielt keine Rolle.

Zur Erinnerung: Kontextualisierungskompetenz am Beispiel der Argumentation in unmittelbaren Gesprächen umfasst die Platzierung von Argumenten im Gesprächszusammenhang sowie die Adressatenorientierung und ständige kontextuelle Anpassung durch den Verlauf der Argumentation hindurch. Im Unterschied zu direkten Gesprächen sind öffentliche Diskurse aber nicht in Form linear verketteter Redebeiträge organisiert. Deshalb erfordert die Teilhabe hier die besondere Kompetenz, die vielseitige und zum Teil unübersichtliche Gesamtheit der thematischen und begrifflichen Korpora in ihrer latenten Strittigkeit zu ordnen und den Zugang zu ihnen zu organisieren. Diese Fähigkeit geht über die sequenziell gefasste Kontextualisierungskompetenz in direkten Dialogen weit hinaus. Hier ist nämlich schon in der Rezeption die Fähigkeit gefragt, die Hauptlinien der komplex vernetzten thematischen Strukturen, ihrer begrifflichen Markierungen und Autorschaft zu erfassen. Zusätzlich muss v.a. auch ihre zumindest potentielle Strittigkeit und damit Argumentationsbedürftigkeit erkannt werden. Die Annahme der ‚Alternativlosigkeit‘ von Positionen in der Rezeption wäre also in diesem Sinne Ausdruck mangelnder Kontextualisierungskompetenz. Die Unterstellung von Alternativlosigkeit in der öffentlichen Produktion von Diskursbeiträgen könnte zwar vordergründig Ausdruck kompetenter strategischer Kommunikation sein. Diese Verschleierungspraktik funktioniert allerdings nur dann, wenn die Kontextualisierungskompetenz der Rezipierenden nicht ausreicht, um sie zu durchschauen und die potenzielle Strittigkeit von Positionen zu erkennen.

Neben der rezeptiven Seite erfordert die Kontextualisierungskompetenz auf der produktiven Seite im Rahmen der Teilhabe an kollektiven öffentlichen Diskursen auch den Umgang mit besonderen Zugangsmöglichkeiten. Diese hängen u.a. von den medialen Feldern ab, in denen sich die öffentlichen Debatten abspielen. Die Veröffentlichung eines Leserbriefs bzw. eines eigenen Artikels in einer Zeitung oder Zeitschrift oder der Auftritt in Fernsehformaten als ‚Expertin‘/‘Betroffene‘ weisen unterschiedliche Hürden und Anforderungen auf, die zum Teil nur durch genaue Kenntnis der jeweiligen medialen Praktiken bewältigt werden können. Ein besonderes Phänomen hinsichtlich der Zugangsmöglichkeiten liegt in den sozialen Medien mit ihren niedrigschwelligen Möglichkeiten der aktiven Beteiligung. Die niedrigere Schwelle führt oft zu einem niedrigeren Grad der Reflexion und einem höheren Grad der Impulsivität in der Platzierung von Beiträgen, was angesichts der größeren Dauerhaftigkeit der Äußerungen im Vergleich zu mündlichen Gesprächsbeiträgen ebenfalls Ausdruck eine mangelnden Kontextualisierungskompetenz wäre.

Argumentativer Vertextungskompetenz kommt gegenüber der Kontextualisierungskompetenz als Voraussetzung für die Teilhabe an öffentlichen Diskursen ein geringeres, wenngleich nicht zu vernachlässigendes Gewicht zu. Differenziertheit, Reichhaltigkeit und Stringenz von Argumentationen sind sicherlich Kriterien für ihren kommunikativen Erfolg. Jedoch dürfte die kontextuelle Passung der Argumentation, die von der Kontextualisierungskompetenz gesteuert wird, ausschlaggebender sein. Die Markierungskompetenz hingegen ist in diesem Zusammenhang wiederum zentraler, weil sie die für den kommunikativen Erfolg erforderliche kontextangemessene sprachliche Gestalt und Explizitheit sorgt.

Wie müssen öffentliche Diskurse gestaltet sein, damit sie Partizipation befördern? In individuellen Erwerbsprozessen wird Argumentationskompetenz u.a. durch die Anregung der Beteilung und durch die Explizitheit diskursiver Erwartungen in der Erwachsenen-Kind- (Hausendorf/Quasthoff 1996) und der Unterrichtsinteraktion (Leßmann 2020) angebahnt. Angemessene Explizitheit in der Interaktion ermöglicht die Partizipation und fördert gleichzeitig den Erwerb von Diskurskompetenz. Öffentliche Diskurse müssten sich folgerichtig durch möglichst offene und explizit strukturierte Zugänge und Praktiken auszeichnen, um Teilhabe und den Erwerb diskursiver Kompetenzen zu ermöglichen. Diffuse, durch abgeschottetes internes Wissen gekennzeichnete Kontexte erschweren kontextuell angemessenes Handeln als Übungsfeld für den Aufbau von Diskurskompetenz.

Kontextualisierungskompetenz wird in Schulen – im Unterschied zur Vertextungskompetenz und auch Markierungskompetenz – eher nicht explizit vermittelt. Im Fall der Argumentationskompetenz ist dies zum Teil der eingeschränkten Bandbreite von Kontexten geschuldet, innerhalb derer (komplexe) Argumentationsfähigkeiten im institutionellen Rahmen des Unterrichts simuliert und gefördert werden können. Hilfreich wäre hier – neben der Verschmelzung von fachlichem und sprachlichem Lernen – über die Unterrichtsinhalte hinaus eine breite gelebte kommunikativ-diskursive Praxis in Schulen und anderen Bildungsinstitutionen als Orte nicht nur des Lernens, sondern auch der sozialen und kulturellen Begegnung. So könnten Teilhabe an unterschiedlichen Entscheidungsprozessen der Einrichtung in unterschiedlichen Rollen und in unterschiedlichen Kontexten modellhaft erfahren und geübt werden.

Die Anforderungen an die Kontextualisierungskompetenz von ‚mündigen Bürgern‘, die rezeptive und produktive Partizipationsgelegenheiten in öffentlichen Meinungsbildungsprozessen wahrnehmen können, beziehen sich also wesentlich auf drei Aspekte:

  1. die Erfassung komplexer thematischer und begrifflicher Dynamiken in den Diskursen bzgl. ihrer Einordnung, ihrer Strittigkeit und Argumentativität,
  2. den Zugang auch zu heterogenen medialen Feldern sowie
  3. die Anpassung der Argumente und ihrer Formulierungen an diverse Entscheidungs- und Handlungsräume.

Formellen und informellen Bildungsinstitutionen obliegt hierbei die Aufgabe, die individuellen Diskurskompetenzen im Rahmen von partizipativen Kommunikationsprozessen auch im Erwachsenenalter zu vermitteln. Den medial Verantwortlichen für öffentliche Diskurse obliegt die Verantwortung, partizipative Strukturen zu schaffen.

Individuelle Diskurskompetenz ist also Voraussetzung und Folge partizipativer Kommunikationsstrukturen in direkten wie medial vermittelten Diskursen.

Beispiele

Ich gebe im Folgenden ein Beispiel zur Diskurskompetenz als Voraussetzung zur Teilhabe. Es führt vor, wie Diskurskompetenz insgesamt entwickelt sein muss, um Informationen in einer komplexen Welt angemessen verarbeiten zu können. Es zeigt exemplarisch, wie unterschiedliche Akteure im öffentlichen Diskurs diese Kompetenz in unterschiedlicher Weise unterstellen und einfordern.

Inhaltlich geht es um Kontroversen in der medialen Aufarbeitung der Demonstrationen ,gegen rechts‘ in verschiedenen deutschen Städten im Januar/Februar 2024, die besonders durch die hohen Teilnehmerzahlen Nachrichtencharakter erhielten. Björn Höcke, der Vorsitzende der AFD im Thüringer Landtag, erklärte in einem Beitrag auf Twitter/X am 20.01.2024 die Fotos der vorangegangenen Hamburger Kundgebung vom 19.01.2024 als manipuliert:

Bestellte Massen demonstrieren gegen die AfD. Doch bei den in den Medien veröffentlichten Bildern fallen inzwischen zahlreiche Fälle von Bildmanipulationen auf. Warum haben sie das nötig? (Höcke 2024)

Er untermauert das mit einer ironischen Bemerkung zu zwei Fotos der Hamburger Demonstration:

Abb. 1: Tweet vom 20.01.2024 von Björn Höcke zu ,Bildmanipulationen‘ bei Demo in Hamburg.

Höckes Argument für den gefälschten Charakter des Fotos lag im Vergleich der beiden Bilder, aus dem angeblich hervorgehe, dass die Fälscher die Wasserfläche der Alster per Bildmanipulation mit Menschen gefüllt hätten. Weder dieses Argument noch seine Entkräftung durch einen Kommentar auf Twitter/X ist ausgebaut argumentativ:

Das Bild in obigem Post zeigt keine Hinweise für eine Manipulation. Es wurde aus einem niedrigeren Blickwinkel geschossen, wodurch die Wasserfläche von der Menschenmenge verdeckt wird. (Höcke 2024)

Höcke suggeriert die Gültigkeit des Arguments implizit nur durch Ironie. Der kommentierende Post enthält demgegenüber zwar eine Begründung, die hier aber wiederum den Charakter einer Behauptung hat. Einen User, der/die an den gefälschten Charakter des Fotos glaubt, dürfte dies nicht überzeugen.

Einen deutlich anderen Grad des argumentativen Ausbaus findet man beispielsweise auf der Seite Faktenfinder der Tagesschau vom 22.01.2024:

In der Linguistik wird von Begriffe besetzen oder von semantischen Kämpfen gesprochen, wenn Akteure versuchen, Wörter oder Phrasen mit bestimmten, meist parteispezifischen Bedeutungen zu prägen, oder umgekehrt für einen bestimmten Sachverhalt eine prägnante Bezeichnung zu finden. Diese Bezeichnungspolitik zielt darauf, die eigene (politische) Position zu stärken und meistens auch gleichzeitig die gegnerische Position zu schwächen. Ein Streit um Sachverhalte zeigt sich dann als Streit um Worte, denn zwei oder mehrere Ausdrücke können ebenso in Konkurrenz treten (Bezeichnungskonkurrenz) wie zwei oder mehrere Bedeutungen, die einem Wort zugeschrieben werden (Bedeutungskonkurrenz). Die Bezeichnungspolitik kann explizit erfolgen, indem ein Begriff metakommunikativ als geeigneter eingeordnet wird als ein anderer. In den meisten Fällen erfolgt sie aber implizit, indem die Diskursakteure die Begriffe in ihrem bevorzugten Sinne verwenden, ohne eine explizite Bewertung vorzunehmen.
Abb. 2: Screenshot zum ,Faktenfinder‘ der Tagesschau: Falsche Behauptungen über Demo-Bilder.

Der Vergleich der Kontexte der Pro- und Kontra-Argumentation auf Twitter/X und der Seite der Tagesschau zeigt:

  • Mediale Kontexte bieten jeweils eine unterschiedliche Umgebung für argumentative Diskurskompetenz: Das Posten der expliziten und damit detaillierten und komplexen Argumentation der Tagesschau auf X wäre ein Zeichen mangelnder Kontextualisierungskompetenz gewesen. Das gilt nicht nur insofern, als X nur 280 Zeichen zulässt; der Beitrag der Tagesschau hat über 3000 Zeichen.
  • Usern, die nur bestimmte mediale Kontexte konsumieren, fehlt dort somit ein Erfahrungs- und Übungsfeld für anspruchsvollere Diskurskompetenz: Ihre diskursive Kompetenz wird nicht gefordert und folglich auch nicht entwickelt. In diesem Sinne zeigt der Ausschnitt aus X, dass dieser Kontext zwar ein niedriges Anforderungsniveau aufweist, aber deshalb gerade auch nicht partizipativ ist im Sinne der Anregung von kompetenten Beiträgen.
  • Die Verarbeitung komplexerer argumentativer Texte erfordert ein hohes Maß von Diskurskompetenz: Ein User der Seite der Tagesschau muss sich einlassen auf das komplexe Vertextungsniveau, insofern beispielsweise Argumente verschiedenen Typs verarbeitet werden müssen. Auf Markierungsebene rekurriert der Beitrag besonders auf die Explizitheit und Detailliertheit (Reesendammbrücke, Fernsehturm) der Argumentation, indem z. B. auch die implizite Argumentation von Höcke Schritt für Schritt nachvollziehbar gemacht wird. Das aber macht den Diskurs potenziell zwar überzeugender, aber auch deutlich komplexer und in der Rezeption zeitraubender. User mit eher niedriger Diskurskompetenz würden ihn dadurch möglicherweise eher gar nicht erst zur Kenntnis nehmen.

Das Beispiel führt in einem kleinen Ausschnitt ein schwer auflösbares Dilemma des öffentlichen Diskurses vor Augen: Einfache Botschaften erfordern nur ein niedriges diskursives Kompetenzniveau, werden aber der Sache nicht gerecht und müssen ,geglaubt‘ werden. Hat man in kontroverser Auseinandersetzung dagegen den Anspruch, komplexe Sachverhalte erklärend und begründend zu vermitteln, braucht der/die Rezipierende ein hohes Maß an Diskurskompetenz. Der Schlüssel zur Auflösung des Dilemmas liegt somit leider nicht allein in dem beliebten Topos des besseren Erklärens, der oft von politischen Akteuren angeführt wird (z. B. [ …] appellierten an die demokratischen Parteien, politische Entscheidungsprozesse transparenter zu gestalten. Politik müsse künftig wieder mehr erklären […] [WAZ 2024]). In noch höherem Maße liegt der Schlüssel in der mühsamen Vermittlung und Anwendung von diskursiver Kompetenz im direkten und öffentlichen Diskurs.

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Quasthoff, Uta (2022): Sprachlich fit für Veränderungen: Die Konzepte ‚Bildungssprache‘ und Kontextualisierungskompetenz unter der Perspektive gesellschaftlicher Anforderungen. In: Knopp, Matthias; Bulut, Necle; Hippman, Kathrin; Jambor-Fahlen, Simone; Linnemann, Markus; Stephany, Sabine; Becker-Mrotzek, Michael (Hrsg.): Bildung in der digitalisierten Gesellschaft: was wir in Zukunft wissen und können müssen. Münster: Waxmann, S. 193–211. Online unter:
    https://www.waxmann.com/waxmann-buecher/?tx_p2waxmann_pi2%5bbuchnr%5d=4555&tx_
    p2waxmann_pi2%5baction%5d=show
    ; Zugriff: 22.03.2024.
  • Quasthoff, Uta; Heller, Vivien; Morek, Miriam (Hrsg.)(2021): Diskurserwerb in Familie, Peergroup und Unterricht: Passungen und Teilhabechancen. Berlin: De Gruyter.

Zitierte Literatur

  • Hausendorf, Heiko; Quasthoff, Uta (1996): Sprachentwicklung und Interaktion: Eine linguistische Studie zum Erwerb von Diskursfähigkeiten bei Kindern. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
  • Heller, Vivien (2012): Kommunikative Erfahrungen von Kindern in Familie und Unterricht: Passungen und Divergenzen. Tübingen: Stauffenburg.
  • Hoecke, Björn (2024): Tweet und Kommentar vom 20.01.2024 zu Bildmanipulationen auf Demos in Hamburg. Online unter: https://twitter.com/BjoernHoecke/status/1748763073437991152 ; Zugriff: 21.03.2024.
  • Leßmann, Ann-Christin (2020): Unterrichtsinteraktion in der Grundschule. Sequenzielle Analysen zur Ko-Konstruktion von Angemessenheit zwischen Lehrenden und Lernenden. Tübingen: Stauffenburg.
  • Morek, Miriam; Heller, Vivien (2021): Individualisierter Zuschnitt diskursiver Anforderung und Unterstützung. Finetuning diskurserwerbsförderlichen Lehrerhandelns in der Unterrichtsinteraktion. In: Quasthoff, Uta; Heller, Vivien; Morek, Miriam (Hrsg.): Diskurserwerb in Familie, Peergroup und Unterricht. Passungen und Teilhabechancen. Berlin: De Gruyter, S. 381–424.
  • Quasthoff, Uta; Kern, Friederike; Ohlhus, Sören; Stude, Juliane (2019): Diskurse und Texte von Kindern: Praktiken – Fähigkeiten – Ressourcen:  Erwerb. Tübingen: Stauffenburg.
  • Quasthoff, Uta; Heller, Vivien; Morek, Miriam (2021a): Diskurskompetenz und diskursive Partizipation als Schlüssel zur Teilhabe an Bildungsprozessen. Grundlegende Konzepte und Untersuchungslinien. In: Quasthoff, Uta; Heller, Vivien; Morek, Miriam (Hrsg.): Diskurserwerb in Familie, Peergroup und Unterricht. Passungen und Teilhabechancen. Berlin: De Gruyter, S. 13–34.
  • Quasthoff, Uta; Heller, Vivien; Morek, Miriam (2021b): Glossar – Diskurskompetenz und diskursive Partizipation. In: Quasthoff, Uta; Heller, Vivien; Morek, Miriam (Hrsg.): Diskurserwerb in Familie, Peergroup und Unterricht. Passungen und Teilhabechancen. Berlin: De Gruyter, S. 35–41.
  • Quasthoff, Uta; Kluger, Christian (2021): Familiale Interaktionsmuster als Erwerbsressource im längsschnittlichen Verlauf. In: Quasthoff, Uta; Heller, Vivien; Morek, Miriam (Hrsg.): Diskurserwerb in Familie, Peergroup und Unterricht. Passungen und Teilhabechancen. Berlin: De Gruyter, S. 107–156.
  • Warnke, Ingo H. (2018): Diskurslinguistik – Verdichtete Programmatik vor weitem Horizont. In: Warnke, Ingo H. (Hrsg.): Handbuch Diskurs. Berlin, Boston: De Gruyter, S. IX–XXXIV.
  • WAZ (2024): „Wohlstand in Gefahr“: Wirtschaft warnt vor Rechtsruck. In: WAZ.de. Online unter: https://www.waz.de/staedte/hattingen/article241520722/wohlstand-in-gefahr-breite-front-stellt-sich-gegen-rechts.html ; Zugriff: 22.03.2024.
  • Weinert, Franz E. (2001): Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In: Weinert, Franz E. (Hrsg.): Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim, Basel: Beltz, S. 17–32.

Abbildungsverzeichnis

Zitiervorschlag

Quasthoff, Uta (2024): Diskurskompetenz. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 27.03.2024. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/diskurskompetenz/.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Sagbarkeit

Im öffentlichen Diskurs findet sich häufig die strategische Behauptung, dass bestimmte Fakten oder Meinungen unsagbar seien. Auf diese Weise wird zum Ausdruck gebracht, dass es Grenzen des Sagbaren gebe, die im öffentlichen Diskurs Geltung hätten.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Topos der düsteren Zukunftsprognose

Der Topos der düsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...

Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)

Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?

Was ist ein Volk?

Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…