DiskursGlossar

Greenwashing

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Greening, Deep Greenwash, Bluewashing
Siehe auch: Entlarven, Nachhaltigkeit, Moralisierung
Autorinnen: Joline Schmallenbach, Josephine König
Version: 1.1 / 24.01.2021

Kurzzusammenfassung

Unternehmen, Regierungen, Parteien oder Organisationen bedienen sich verschiedener Praktiken, um ihr Handeln in der Öffentlichkeit ökologischer und nachhaltiger darzustellen, als es tatsächlich ist. Sie reagieren damit auf eine durch den Klimawandel veränderte Welt und den daraus entstehenden Erwartungsdruck aus Gesellschaft und Politik. Strategien sind dabei unter anderem das gezielte Ausblenden von aus (klima-)politischer Sicht problematischen Unternehmenshandlungen oder Produkteigenschaften bei gleichzeitiger starker Betonung positiver Aspekte. Diese Praktiken werden aus einer kritischen Perspektive als Greenwashing (Grünfärben oder Grünwaschen) bezeichnet.

Erweiterte Begriffsklärung

Das Schlagwort Greenwashing findet Verwendung, wenn kritische Beobachter problematisieren, dass zwischen den Worten und den Taten einer Interessensgruppe in Bezug auf Umweltschutz oder ökologisches Engagement eine Diskrepanz vorliegt. So kann beispielsweise die strategische Konstruktion eines umweltfreundlichen Unternehmens- oder Produktimages als Greenwashing bezeichnet werden, insofern dieses als irreführend oder unzutreffend empfunden wird. Erstmals wurde der Begriff im Jahr 1986 von dem Umweltaktivisten Jay Westerveld in einem Essay über die Hotelindustrie verwendet. Westerveld kritisiert darin, dass durch einige Branchenvertreter die Wiederverwendung von Handtüchern als Verzicht aus ökologischen Gründen dargestellt werde, während diese Möglichkeit hauptsächlich dazu konzipiert worden sei, Kosten zu sparen (vgl. Becker-Olsen/ Potucek 2013). Seit dem Jahr 1999 steht der Ausdruck Greenwashing im Concise Oxford English Dictionary (vgl. Prexl 2010: 194).

Ein solches strategisches Verhalten, das als Greenwashing kritisiert werden kann, resultiert aus einem zunehmend raumfordernden Diskurs über Umweltschutz und Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft. Unternehmen – vor allem diejenigen, die umweltschädlichen Branchen wie der Energiegewinnungsbranche oder der Chemiebranche angehören – unterliegen sowohl umweltpolitischen Auflagen als auch einem moralischen Legitimierungsdruck und müssen sich im Spannungsfeld von Umweltschutz und technisch-ökonomischer Effizienz positionieren. Gleichzeitig erkennen die Akteure im Diskurs, dass sich Nachhaltigkeit als ein Verkaufsargument nutzen lässt, das sowohl das eigene Unternehmen als auch die Käufer seiner Produkte in einer ‚Gemeinschaft der Guten‘ positioniert (Prinzip der Moralisierung). Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen ist davon abhängig, wie sie mit ökologischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen umgehen. Mit anderen Worten: Nachhaltigkeit wird gefordert und wer nachhaltig handelt – oder vorgibt, es zu tun – profitiert. Um weiterhin Kunden, Stakeholder und die Gesellschaft zufrieden stellen zu können, greifen die Diskursakteure zu unterschiedlichen Strategien, um die eigenen Handlungen als in ökologischer oder sozialer Hinsicht verantwortungsvoll darzustellen (in PR- und Marketing-Kreisen ist auch die Rede von Green Marketing als Unternehmensstrategie, vgl. z.B. Weigand 2017). Sobald jedoch der Verdacht entsteht, dass sich Akteure mittels PR-Methoden als nachhaltiger darstellen, als sie es tatsächlich sind, können Vorwürfe des Greenwashings enstehen (vgl. Weigand 2017: 202f.) Das von diesem Begriff abgeleitete Schlagwort Bluewashing bezieht sich in analoger Weise auf eine unterstellte Überbetonung sozialen Handelns (vgl. Prexl 2010: 194).

Eine Strategie, die typischerweise als Greenwashing bezeichnet wird, ist die Verwendung unklarer Begriffe und Formulierungen wie etwa ,nachhaltig‘, ,grün‘, ,umweltfreundlich‘ oder ,regional‘. Diese Ausdrücke sind nicht rechtlich geschützt, allgemeinsprachlich vage und geben keinen Aufschluss darüber, ob ein Produkt oder eine Handlung tatsächlich nicht umweltschädlich ist. In der Finanzindustrie etwa werden nachhaltige Investitionsalternativen wie ,grüne‘ Geldanlagen angeboten. Dabei existieren keine einheitlichen Kriterien dafür, was eine umweltfreundliche Investition als solche qualifiziert. Besonders in der Produktwerbung werden häufig wenig aussagekräftige Gütesiegel verwendet, die einen unabhängigen Nachweis dafür liefern sollen, dass ein Produkt beispielsweise ,bio‘ oder ,fair‘ ist. Die Wege und Bedingungen des Herstellungsprozesses werden dabei jedoch häufig nicht transparent gemacht, wie etwa die CO₂-Belastung, die durch den Transport entsteht.  Eine weitere Greenwashing-Strategie ist die Betonung bestimmter positiver Produkteigenschaften oder Handlungen der eigenen Interessensgruppe bei gleichzeitigem Verschweigen (Erasing, Ausblendung) von solchen, die Anknüpfungspunkte für Kritik bieten. Obwohl ein Produkt also beispielsweise umweltschädlich ist, wird besonders hervorgehoben, dass es sich in einer recyclebaren Verpackung befindet. In Ergänzung zu den bisher beschriebenen Strategien wird oft eine ,grüne‘ Bildsprache eingesetzt, die von Kritikern als irreführend empfunden werden kann, etwa die Darstellung von Bäumen und naturbelassenen Landschaften oder die Verwendung grüner Farbe auf Verpackungen, in der Gestaltung des Webauftritts oder in Werbekampagnen.

Auch die Selbstzuschreibung von Verantwortungsbereitschaft spielt eine Rolle bei der Kommunikation eines sozialen oder ökologischen Images. Insbesondere Unternehmen positionieren sich als verantwortungsvolle Akteure im Nachhaltigkeitsdiskurs. Unter Berufung auf die sogenannte Corporate Social Responsibility (kurz: CSR) versuchen Unternehmen, sich ein ‚ökologisch-grünes‘ Image zuzulegen. Unter Corporate Social Responsibility wird die gesellschaftliche Verantwortung, eine freiwillige Gesellschaftsstrategie, verstanden (vgl. Schwalbach/Schwerk 2020). Einzelne Akteure haben dadurch die Möglichkeit, ihr Handeln im Nachhaltigkeitsdiskurs zu legitimieren und können unter Umständen sogar Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. So wird etwa betont, dass eigenverantwortlich Richtlinien eingeführt werden, um diesbezüglichen gesetzlichen Regelungsvorhaben den Anlass zu nehmen (vgl. Müller 2007). Auch klimapolitische und gesellschaftliche Debatten können auf diese Weise gänzlich von Akteuren ausgeblendet werden. Eine solche Strategie, bei der Unternehmen langfristig versuchen, mittels Selbstverpflichtungen Gesetzesvorgaben zu umgehen und somit einen Einfluss auf die Klimapolitik zu nehmen, wird auch als Deep Greenwash bezeichnet (vgl. Müller 2007: 3).

Interessant sind neben einer inhaltlichen Beschreibung des Ausdrucks Greenwashing auch die diskursiven Effekte, die mit der Verwendung des Schlagwortes einhergehen. Bei Greenwashing handelt es sich um einen Entlarvungsbegriff, mit dem einem Akteur, der sich auf hoch angesehene Werte beruft, niedrigere Motive (z.B. eigener finanzieller Vorteil) zugeschrieben werden, wobei ihm zugleich eine gewisse Täuschungsabsicht oder Heuchelei unterstellt wird. Zudem ermöglicht die dem Begriff innewohnende aufklärerische Haltung die positive Selbstdarstellung als jemand, der eine Täuschungsabsicht durchschaut.  Paradoxerweise ist jedoch der Aufklärungswert einer Greenwashing-Entlarvung zumindest in Bezug auf Unternehmen – die schon per definitionem in erster Linie am Prinzip der Gewinnmaximierung orientiert sind – relativ gering. Trotzdem: Wer mit einem Greenwashing-Vorwurf konfrontiert wird, läuft Gefahr, aus der Gemeinschaft der ‚ökologisch Engagierten‘ ausgeschlossen zu werden. Voraussetzung für einen solchen stigmatisierenden Effekt (der für Unternehmen z.B. im Falle eines Boykotts ernste wirtschaftliche Konsequenzen haben kann) ist, dass andere DiskursteilnehmerInnen die ökologische Werteorientierung des oder der Sprechenden teilen. In diesem Fall bestätigt der Begriff diejenigen, die sich im Gegensatz zu Greenwashing-Betreibenden als intrinsisch motivierte NaturschützerInnen sehen, in ihrem Selbstverständnis.

Aufgrund seines zuschreibenden und wertenden Charakters wird das Schlagwort Greenwashing kaum als (kommunikations-)wissenschaftlicher Beschreibungsbegriff gebraucht. Auch diskursanalytische Studien, die sich ausschließlich mit Greenwashing als Praktik befassen, lassen sich kaum finden. Einzelne Verweise finden sich in Arbeiten zur Analyse des Nachhaltigkeits- oder Umweltdiskurses (z.B. Schwegler 2018).

Beispiele

Eine Kampagne des Energieversorgungskonzerns RWE aus dem Jahr 2009 wurde durch verschiedene Medienakteure und Umweltverbände als ein Fall von Greenwashing kritisiert. In einem animierten Werbespot läuft ein Energieriese (s. Abb. 1) durch die Natur und setzt unter anderem Windräder in die Wiese und Gezeitenkraftwerke in den Meeresboden. Musikalisch unterlegt mit I love the mountains von Houaida Goulli dominieren grüne Wiesen, blauer Himmel und klares Wasser die visuelle Darstellung. Das Unternehmen versucht darzustellen, welche Möglichkeiten es für eine alternative Energiegewinnung ergreift. Bei zwei Minuten Videolaufzeit nimmt die Darstellung des Kohletagebaus dabei nur drei Sekunden ein und Referenzen auf Atomenergie fehlen gänzlich, was verschiedentlich als grobe Missrepräsentation des Energieportfolios des Unternehmens kritisiert wurde (vgl. z.B. Dorfer 2010).  Mit dieser PR-Kampagne reagierte RWE auf den wachsenden öffentlichen Druck auf die Klimapolitik des Konzerns (der beispielsweise durch Lobbyismus-Affären, der jahrelangen Auseinandersetzung um den Hambacher Wald und den Ausstieg aus der Kohleverstromung genährt wurde). Als einer der führenden Energieversorger in Deutschland gehört RWE zu den größten CO₂-Emittenten und damit zu den umweltschädlichsten Unternehmen. Die Kampagne um den Energieriesen versucht, dieses Image zu korrigieren. KritikerInnen verurteilten den Werbespot jedoch für die deutliche Überbetonung nachhaltiger Handlungen als einen extremen Fall von Greenwashing (z.B. Dorfer 2010, Thumann 2009) und wiesen auf den geringen Anteil der erneuerbaren Energien am RWE-Strommix (ca. 3,5% im Jahr 2008) sowie auf einen Mangel an Investitionen in diesem Bereich hin (Greenpeace 2009: 20 ff.).

 

Abb. 1: Screenshot aus dem Werbespot mit dem „Energieriesen“ der RWE Power AG (2009).

Literatur

Zum Weiterlesen

Zitierte Literatur

  • Becker-Olsen Karen; Potucek Sean (2013): Greenwashing. In: Idowu, Samuel O. et al. (Hrsg.): Encyclopedia of Corporate Social Responsibility. Berlin, Heidelberg: Springer, S. 1318–1323.

  • Dorfer, Tobias (2010): RWE – das Märchen vom grünen Riesen. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/energie-werbefilm-und-wahrheit-rwe-das-maerchen-vom-gruenen-riesen-1.162052-2 ; Zugriff: 21.12.2020.

  • Greenpeace (2009): Investitionen der vier großen Energiekonzerne in Erneuerbare Energien. Bestand, Ziele und Planungen von E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall konzernweit und in Deutschland. Online unter: https://www.greenpeace.de/publikationen/EVU-Studie_2011_0.pdf ; Zugriff: 21.12.2020.

  • Müller, Ulrich (2007). Greenwash in Zeiten des Klimawandels. Wie Unternehmen ihr Image grün färben. Köln: Lobby Control. Initiative für Transparenz und Demokratie. Online unter: https://www.lobbycontrol.de/wp-content/uploads/greenwash-studie.pdf ; Zugriff: 19.09.2020.

  • Prexl, Anja (2010): Nachhaltigkeit kommunizieren – nachhaltig kommunizieren. Analyse des Potenzials der Public Relations für eine nachhaltige Unternehmens- und Gesellschaftsentwicklung. Wiesbaden: VS Verlag.

  • Schwalbach, Joachim; Schwerk, Anja (2020): Corporate Governance und Corporate Social Responsibility: Grundlagen und Konsequenzen für die Kommunikation. In: Zerfaß, Ansgar;

  • Piwinger, Manfred; Röttger, Ulrike (Hrsg.): Handbuch Unternehmenskommunikation. Strategie, Management, Wertschöpfung. Wiesbaden: Springer.

  • Thumann, Viktoria (2009): RWE – Richtig Wenig Erneuerbare Energien. URL: https://www.greenpeace.de/themen/energiewende/fossile-energien/rwe-richtig-wenig-erneuerbare-energien ; Zugriff: 21.12.2020.

  • Weigand, Heiner (2017): Green Marketing. Erfolgsstrategien für kleine und mittelständische Unternehmen. Freiburg: Haufe.

  • Schwegler, Carolin (2018): Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft. Eine diskurslinguistische Untersuchung von Argumentationen und Kommunikationsstrategien. Heidelberg: Dissertation.

Abbildungsverzeichnis

Zitiervorschlag

Schmallenbach, Joline/König, Josephine (2021): Greenwashing. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 24.01.2021. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/greenwashing/.

 

Grundbegriffe

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Techniken

Nicht-Entschuldigen / Nonpology

Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen.

Hashtag

Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).

Diminutiv

Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).

Sündenbock

Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.

Redenschreiben

Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.