DiskursGlossar
Entlarven
Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: aufdecken, Debunking, desillusionieren
Siehe auch: Moralisierung, Verschwörungstheorie
Autor: Clemens Knobloch
Version: 1.2 / 15.01.2021
Kurzzusammenfassung
Entlarven ist als kritische Alltagstechnik zentral und allgegenwärtig, und aus diesem Grund so gut wie unsichtbar und wenig reflektiert. Entlarven besteht darin, das erklärte hohe Motiv einer Handlung durch Zuschreibung eines niedrigeren Motivs zu ersetzen. Damit einher geht ein Wahrheitsanspruch: Das entlarvte Motiv wird als wahrheitswidrig, das niedere als tatsächlich zutreffend proklamiert. Wenn A sagt, er möchte als Politiker ‚Verantwortung übernehmen‘, und B daraufhin sagt, A strebe tatsächlich nach Macht und wolle seine Interessen durchsetzen, dann entlarvt B. Wenn A sagt, Europa sei eine ‚Wertegemeinschaft‘, und B antwortet, Europa sei ein Raum verdichteter und enthemmter wirtschaftlicher Standortkonkurrenz, dann entlarvt B. Wenn A sagt, man müsse ‚den Flüchtlingen helfen‘, und B sagt, in der Migrationspolitik gehe es nur um die Durchsetzung wild globalisierter Arbeitsmärkte, dann entlarvt B. Wer ein selbst erklärtes oder zugeschriebenes hohes Motiv durch ein niedrigeres ersetzt, der bedient sich der Technik des Entlarvens.
Die alltagssprachliche Konnotation von Entlarven ist mehrfach gespalten. Nach der Seite des Objektarguments ist sie insofern höchst pejorativ (das Objekt herabsetzend), als es im öffentlichen Sprachgebrauch gewöhnlich Betrüger, Kriminelle, Hochstapler etc. sind, die entlarvt werden. Anders gesagt: Wer entlarvt werden muss, ist schon per se als Abweichler und Normverletzter identifiziert und diskreditiert. Nach der Seite des Subjekt-Arguments konnotiert Entlarven aber Verbindung zur aufgedeckten Wahrheit, also positiv. Alle fachlich neutralisierten Verwendungen des Ausdrucks schleppen diese Konnotationen mit, ob sie wollen oder nicht. Auch insofern ist Entlarven ein typisches Beispiel für die innere semantische Widersprüchlichkeit kritischer Begriffe.
Erweiterte Begriffsklärung
Da wir auch im kommunikativen Alltag beständig Motivzuschreibungen prozessieren, ist uns das Entlarven sehr vertraut. Die Vorwurfsformel „Du willst doch nur…“ ersetzt in der Regel ein vom Akteur erklärtes Handlungsmotiv durch die Zuschreibung eines anderen, weniger ‚wertvollen‘ Handlungsmotivs. Hinter allen erklärten ‚hohen‘ Motivationen verborgene Nutzen- und Interessenkalküle des Sprechers auszumachen, ist ein uralter sprachtheoretischer und rhetorischer Topos. Es ist gewissermaßen der Alltagsmodus der Sprachkritik, systematisch als sprachkritische Theorie ausgearbeitet u. a. bei Jeremy Bentham (1748-1832), dem Begründer des Utilitarismus.
So gesehen ist das Entlarven das einfache Gegenstück des Moralisierens: Eine Handlung zu moralisieren, verschiebt die ihr zugeschriebenen (eigenen oder fremden) Motive ‚nach oben‘, während das Entlarven die zugeschriebenen Motive ‚nach unten‘ in der Wertehierarchie verschiebt. Beide Techniken müssen stets im Zusammenhang gesehen werden, sie bedingen einander. Im Alltag haben Akteure die naheliegende Tendenz, ihre eigenen (bzw. der Eigengruppe zugerechneten) Motive aufzuwerten, zu moralisieren, während sie die Motive anderer Akteure (bzw. Fremdgruppen) eher abwerten bzw. entlarven. Migranten wollen nicht durch Flucht ‚sich und ihre Familien retten‘, sondern ‚in unsere Sozialsysteme einwandern‘ etc.
Daraus folgt, dass grundsätzlich immer auch die Haltung und Motivation des Entlarvers von den anderen entlarvt werden kann. Als kritische Technik oder Taktik ist das Entlarven insofern zwar alltäglich (und vielleicht sogar unvermeidlich), sein Aufklärungswert ist jedoch gering. Das hängt damit zusammen, dass es zwischen Politik und Öffentlichkeit lediglich die verbreitete Einstellung bestätigt, wonach ‚die Politik‘ ohnehin in der Hauptsache ihre eigene Interessensphäre im Blick habe und dem Publikum lediglich eine unglaubwürdige Fassade zeige, in der es stets nur um die höchsten Werte des Gemeinwohls geht. Man setzt sich für eine Politik ein, indem man sie unter ein ‚positives‘ (oder als positiv unterstelltes) motivationales Prinzip bringt, aber hinter jedem solchen positiven motivationalen Prinzip lassen sich sowohl die Niederungen seiner alltäglichen Implementierung als auch die profanen Interessen derjenigen ausmachen, die sich für das hohe Prinzip einsetzen. Alle Prinzipien können so mehr oder weniger einfach entlarvt werden. Das führt dazu, dass der Entlarver regelmäßig auch die programmatische Grundlage seiner eigenen Position untergräbt.
Zudem kennen wir aus der kommerzialisierten PR- und Werbesphäre eine massive Dauerpräsenz von Kommunikationen, an deren selbst erklärte Hochwertmotive ohnehin niemand glaubt, der seine Murmeln beisammen hat. Insgesamt beschränkt sich der politische Effekt des Entlarvens in der Regel auf die Zustimmung der Eigengruppe und die Selbstaufwertung des Sprechers. Der inszeniert sich als jemand, den man nicht so leicht täuschen kann – ein durchaus erstrebenswertes Image.
Hinzu kommt, dass Entlarven (nebst seinem Gegenstück, der moralisierenden Aufwertung) nicht allein in Alltag, Politik, Machtkommunikation beheimatet ist, sondern auch ein Verfahren, das in den Human- und Sozialwissenschaften verbreitet ist: Die Aufklärung entlarvt die Religion als machtbesessenen Priestertrug. Thomas Hobbes entlarvt den Staat als möglicherweise unschönes, aber nötiges Ergebnis einer Übereinkunft der Einzelnen, die sonst im vorstaatlichen Naturzustand des Krieges aller gegen alle verbleiben müssten (und mischt damit eine rhetorisch wirkungsvolle Moralisierung selbst autoritärer Staatsformen bei). Die Psychoanalyse legt die sexuellen Triebkräfte hinter und unseren Träumen, Kulturleistungen und Gewissensbissen frei. Diese Liste ließe sich beliebig verlängern.
Als Praxis und Technik ist Entlarven offenbar insofern elementar und ohne Alternative, als das Sprechen über menschliche (öffentliche, politische…) Angelegenheiten ohne die Selbst- und Fremdzuschreibung von Motiven unmöglich ist (vgl. Burke 1969). In diesem Spiel ist die sprachliche Moralisierung der Motive durchweg auf dem Vormarsch. Aus den ‚geschlossenen Abteilungen‘ der Psychiatrie werden ‚geschützte Stationen‘ und aus den spezialisierten ‚Förderschulen‘ für Behinderte wird der hoch moralisierte Imperativ zur ‚Inklusion‘ aller in die Regelschulen. All das ist moralische Aufwertung von Motiven, die wiederum nach Entlarvung ruft.
Je ausgeprägter die moralisierende Zuspitzung eines Diskurses, desto stärker scheint der Bedarf an Entlarvung zu wachsen: War Kant ein Rassist? Marx ein Antisemit? Ist die britische Labourparty antisemitisch? Sind die Gegner der staatlichen Coronapolitik eigentlich Verschwörungstheoretiker? Usw.
In das begriffliche Umfeld von Entlarven gehören auch Ausdrücke wie aufdecken, enttarnen etc. Investigative Organisationen (Fact Checker, Whistleblower, Lobby Control etc.) sind aber weniger mit der Differenz zwischen (vom Akteur) beanspruchten und (von anderen) entlarvten Motiven befasst als eher mit dem Aufdecken verheimlichter Tatsachen und Verbindungen. Beides geht insofern meist Hand in Hand, als sich hinter noblen erklärten Motiven meist auch verheimlichte Tatsachen befinden.
Beispiele
Zusammen genommen bilden Entlarven und Moralisieren eine zentrale Dimension der sprachlichen Dramatisierung menschlicher Angelegenheiten. Man kann aber kaum sagen, das Moralisieren sei eine Gegenstrategie zum Entlarven oder umgekehrt, weil beide sehr eng zusammengehören und auch nur zusammen vorgestellt werden können. Sie aktivieren in dieser Dimension entgegengesetzte diskursive Ressourcen. Entlarven organisiert den Anschluss an die Sphäre vom Sprecher beanspruchter Wahrheiten und Tatsachen und bringt diese Fakten in Stellung gegen beanspruchte Hochwertmotive. Moralisieren organisiert den Anschluss an die Sphäre verbindlicher und programmatischer Wertungen und bringt somit das ‚Sollen‘ gegen die nackten Tatsachen in Stellung.
Wirkungsvolle Gegenstrategien müssen sich darum nicht allein gegen das Entlarven, sondern gegen die ganze Dimension richten, zu der Entlarven und Moralisieren gemeinsam gehören.
Das ist insofern nicht einfach, als wir auch im vermeintlich neutralen und wertungsfreien ‚Distanzmodus‘ des wissenschaftlichen Sprechens gar nicht anders können als zu dramatisieren und Motive zuzurechnen, womit wir automatisch wieder im Spielfeld des Entlarvens und Moralisierens sind.
Eine interessante Variable für die Wirkung des Entlarvens ist sicher die ‚Fallhöhe‘ zwischen den offiziell erklärten und den als faktisch entlarvten Motiven. Es ist z.B. kaum vorstellbar, dass eine ‚Moralagentur‘ wie die katholische Kirche jemals ihre moralische Autorität über das Sexualverhalten der Gläubigen umfassend erneuern kann, nachdem nachgewiesen ist, dass sie jahrzehntelang offenbar recht verbreitete Praktiken des Kindesmissbrauchs durch ihre Angehörigen systematisch gedeckt und vertuscht hat. Wollte die katholische Kirche ihr Image als Moralagentur im massendemokratischen Diskurs erhalten, wäre sie gezwungen, mit allen Mitteln juristisch aufzuklären und Täter zu bestrafen sowie glaubhaft ‚Besserungsabsicht‘ zu inszenieren. Von beidem ist wenig zu sehen.
Semantisch und pragmatisch wirkungsvolle Gegenstrategien müssten motivational entgegengesetzte, hohe und niedrige Bewertungen zusammenfügen und somit eine Perspektive ermöglichen, die motivationale Ambivalenz erhält und erkenntnisfördernd einsetzt, anstatt sich umstandslos auf die ‚gute‘ oder die ‚böse‘ Seite zu schlagen. Terminologische Beispiele sind Ausdrücke wie ‚schöpferische Zerstörung‘ (als Eigenschaft der kapitalistischen Dynamik bei Schumpeter) oder ‚trained incapacity‘, erworbene, erlernte Unfähigkeit (in der Soziologie Thorstein Veblens), ‚konservative Revolution‘, ‚antagonistische Kooperation‘ etc. Sie ermöglichen es, höhere Motive im Lichte ihrer niedrigeren Gegenstücke zu sehen und umgekehrt. Sie taugen aber auch dazu, rhetorisch beide Seiten eines Wertgegensatzes für die eigene Partei zu reklamieren, sind also selbst wiederum ambivalent. Wer etwa eine völkerrechtswidrige Aggression als ‚humanitäre Intervention‘ ausflaggt, der besetzt Moral und kriegerischen Angriff mit ein und demselben Ausdruck, und er kann sich jederzeit auf eines der beiden Bewertungszentren zurückziehen [perspective by incongruity, KB].
Aus diesem Grunde sind für die Dimension des Entlarvens und Moralisierens Diskurskonstellationen besonders aufschlussreich, in denen es einen dramatischen Richtungswechsel in der öffentlichen Bewertung von politischen Handlungen und Programmen gibt. Ein Beispiel: In der (neoliberalen) Sozialpolitik lässt sich ein radikaler Wertungswechsel im Sprechen über Sozialhilfe/Hartz IV beobachten. Von der wohlfahrtsstaatlichen ‚Absicherung gegen Armut‘ hin zur neoliberalen ‚Entmündigung‘ und ‚Bevormundung‘ des Einzelnen durch staatliche Hilfen. Nach dieser öffentlichen Umwertung staatlicher Handlungsmotive kann an die Stelle der ‚fürsorglichen‘ Wohlfahrtsterminologie dann die Rhetorik der Aktivierung, des Fitmachens für den Arbeitsmarkt, des Empowerments, des Ich-Unternehmers treten.
Weitere solche größeren diskursiven Umwertungen sind z. B.: die Umstellung vom klassischen Helden-Nationalismus zum Opfer-Nationalismus, bei der die Legitimität der nationalen Anliegen nicht aus den vergangenen Heldentaten der Nation/Ethnie, sondern aus einer Unterdrückungs-, Diskriminierungs-, Verfolgungsgeschichte abgeleitet wird (Israel, Kurdistan, Armenien, Katalonien, Baskenland…) – oder aber durch die demonstrative Identifizierung mit fremden Verfolgungsgeschichten (Knobloch 2020).
Eine historische Diskursschwelle bildet in diesem Zusammenhang auch die liberale Doktrin der ‚unsichtbaren Hand‘ des Marktes (Adam Smith), die aus den eigensüchtigen Motiven aller einzelnen Marktakteure ein System entstehen lässt, das dem Gemeinwesen maximalen Nutzen und maximale Wohlfahrt beschert. Die ‚private vices‘ werden zu ‚public benefits‘ (Bernard de Mandeville). Waren ‚Egoismus‘ und ‚Gemeinwohl‘ zuvor moralisch extreme Gegensätze, werden durch diese Doktrin die beiden Pole in ihr Gegenteil transformiert: Wer fortan dem Gemeinwohl dienen möchte, der muss das privat-egoistische Nutzenmotiv der Einzelnen fördern. Wer hingegen direkt das Gemeinwohl fördern möchte, der stört und behindert die egoistische Nutzenmaximierung und erreicht somit das Gegenteil dessen, was er anstrebt. Damit wechseln Egoismus und Gemeinwohlorientierung die Positionen in der Bewertungshierarchie. Fischer (vgl. Fischer 2006) spricht in diesem Zusammenhang vom ‚semantischen Coup des Liberalismus‘. Solche Umstellungen in der Hierarchie legitimer Motive verändern das Gleichgewicht zwischen moralisierenden und entlarvenden Techniken in der kommunikativen Ökonomie einer Gesellschaft. Wer fortan eine Handlung als ‚egoistisch‘ entlarvt, der bekommt zu hören, dass sie genau deswegen maximal zum Gemeinwohl beiträgt.
Man achte also auf alle Versuche, öffentlich etablierte Werthierarchien umzuwerten, umzustellen. Jeder solche Umwertungsversuch ist auf Geländegewinn aus. Und jeder solche Umwertungsversuch lässt Entlarvungsversuche ins Leere laufen und öffnet Räume für die Moralisierung von politischen Programmen.
Literatur
Weiterführende Literatur
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Burke, Kenneth (1973): The Virtues and Limitations of Debunking. In: ders.: The Philosophy of Literary Form. Berkeley, L.A.: University of California Press, S. 168–190. [Deutsch: Burke, Kenneth (1967): Vom Nutzen und Nachtteil des Entlarvens. In: ders.: Die Rhetorik in Hitlers ‚Mein Kampf‘ und andere Essays zur Strategie der Überredung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 93–115.]
Zitierte Literatur
- Burke, Kenneth (1969): A Grammar of Motives. Berkeley, L.A.: University of California Press.
- Fischer, Karsten (2006): Moralkommunikation der Macht. Politische Konstruktion sozialer Kohäsion im Wohlfahrtsstaat. Wiesbaden: VS.
- Knobloch, Clemens (2020): Die Figur des Opfers und ihre Transformation im politischen Diskurs der Gegenwart. In: Zeitschrift für Politik, Heft 4, Jg. 67, S. 455–472.
Zitiervorschlag
Knobloch, Clemens (2021): Entlarven. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 15.01.2021. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/entlarven.
Grundbegriffe
Hegemonie
Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.
Diskurskompetenz
Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.
Agenda Setting
Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.
Medien
Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.
Macht
Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.
Normalismus
Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.
Wissen
Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.
Werbung
Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.
Mediale Kontrolle
Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.
Freund- und Feind-Begriffe
Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.
Techniken
Sündenbock
Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.
Redenschreiben
Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.
Offener Brief
Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.
Kommunikationsverweigerung
Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.
Flugblatt
Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.
Passivierung
Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).
Aufopferungs-Topos
Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.
Opfer-Topos
Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.
Analogie-Topos
Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.
Topos der düsteren Zukunftsprognose
Der Topos der düsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.
Schlagwörter
Verfassung
Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.
Toxizität / das Toxische
Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.
Zivilgesellschaft
Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.
Demokratie
Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.
Plagiat/Plagiarismus
Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.
Fake News
Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.
Lügenpresse
Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.
Antisemitismus
Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.
Grammatiknazi / Grammar Nazi
Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.
Respekt
Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.
Verschiebungen
Versicherheitlichung
In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.
Ökonomisierung
Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren
Moralisierung
Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.
Konstellationen
Skandal
Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.