DiskursGlossar

Bürokratie(-abbau)

Kategorie: Schlagwörter
Verwandte Ausdrücke: Bürokratisierung, Flexibilisierung, Deregulierung, Privatisierung
Siehe auch: Memes, Wahlplakat
Autorin: Susanna Weber
Version: 1.0 / Datum: 11.03.2025

Kurzzusammenfassung

Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ableitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung. Im Alltagsverständnis wird Bürokratie meist als (unnötig) einschränkende, oft undurchschaubare und kostenintensive Struktur wahrgenommen, die wiederum durch die Gruppe der Berufsbeamten oder staatlichen Angestellten repräsentiert wird. Dem gegenüber steht das politisch-soziologische Fachkonzept Max Webers von der Bürokratie als Erscheinungsform „rationaler Herrschaft“, als ordnender, verlässlicher und transparenter Rahmen der Staatstätigkeit und Schutz gegen Willkür.

Im öffentlichen Sprachgebrauch dominiert die Verwendung mit negativer Bewertung (Konnotation), wie auch die synonym gebrauchten umgangssprachlichen Ausdrücke Amtsschimmel, Wasserkopf, Paragraphenreiter oder Papierkrieg zeigen. Sie verweisen auf Erfahrungen von fehlender Bürger- bzw. Kundenorientierung, mit Formalismus (,strikte Regeltreue‘), Realitätsferne.

Erweiterte Begriffsklärung

Mit der Entstehung neuzeitlicher Staatsformen waren konkurrierende theoretische Modelle und die Kritik an der jeweiligen Regierungspraxis verbunden. Seit dem 18. Jahrhundert wurde ein bedeutsamer Teil dieser Kritik an konkretem Regierungshandeln unter dem Schlagwort Bürokratie kommuniziert. Zum ersten Mal taucht der Terminus bureaucratie bei Vincent de Gournay in den 1760er Jahren auf, im Rahmen seiner Kritik an der absolutistischen Verwaltung (vgl. Becker 2015; Felsch 2022). De Gournay bezeichnete die bureaucratie als neue Regierungsform neben Monarchie, Aristokratie und Demokratie. In der Folgezeit wurde auch die sie tragende Schicht, die Beamten, mit diesem Namen belegt (vgl. Albrow 1972: 13 f; 33). Im deutschen Sprachraum wurde das Schlagwort im Kontext der Kritik an der preußischen Verwaltung verwendet (vgl. von Mohl 1864: 330).

Als einflussreichster Theoretiker des 20. Jahrhunderts, der sich mit dem Konzept Bürokratie auseinandersetzte, gilt Max Weber, der sie als (idealtypische) Form und Funktionsweise rationaler Herrschaft und Schutz vor (staatlicher) Willkür interpretierte. Ihre wesentlichen Kennzeichen seien Professionalität, Unpersönlichkeit (im Sinne von Neutralität), Berechenbarkeit (aufgrund festgelegter Verfahren) und Transparenz (durch schriftliche Dokumentation) (vgl. Krems 2013). Später wurde seine Formulierung vom „stahlharten Gehäuse“ (was zunächst den Kapitalismus im Ganzen meinte) im Kontext kritischer Positionen, wie sie z. B. von Theoretikern der Frankfurter Schule (Horkheimer/Adorno) geäußert wurden, als Metapher für die „verwaltete Welt“ bürokratischer Organisationen gebraucht (vgl. Brühlmeier 2024).

Abb. 1: Zeitliche Häufigkeitsverteilung des Ausdrucks Bürokratie in Zeitungstexten des DWDS (2025).

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Rahmen der politischen Aufarbeitung durch kritische Intellektuelle die NS-Verwaltung und die Organisation der Juden-Vernichtung als exemplarische Anwendung bürokratischer Herrschaft eingeordnet (vgl. z. B. Baumann 1989).

An Webers Konzept der Bürokratie knüpfen auch Michel Foucault und Niklas Luhmann als einflussreiche Gesellschaftstheoretiker der Nachkriegszeit an. Luhmann wurde als Vertreter der Systemtheorie prominent und konzeptualisierte die Bürokratie als eigentlich „erfolgreiche Arbeitsstruktur“, die jedoch an ihre Grenzen gekommen sei und nun „Rationalitätsschäden“ erzeuge (vgl. Luhmann in Geissler 1978: 112). Foucaults Texte zur „Disziplinargesellschaft“ und sein Konzept der „Gouvernementalität“ regten an, genauer in den Blick zu nehmen, welche Wechselwirkungen zwischen Organisations- und Selbsttechnologien bestehen (vgl. Felsch 2022; Bröckling et al. 2000). Von Renate Mayntz (2022), einer einflussreichen Soziologin der Nachkriegsjahre, stammt die Formulierung „Die bürokratische [Herv. d. Verf.] Verwaltung ist somit als Präzisionsinstrument zur Ausübung von Herrschaft konstruiert.“

In der strategischen Kommunikation von Regierungen, Parteien und sonstigen Organisationen ist das Thema Bürokratie/Bürokratieabbau ein zyklisch wiederkehrendes, strittiges Thema, das in Kommissionen, über Gutachten, mit Gesetzen und Verordnungen, aber auch in Wahlkämpfen traktiert wird (für die Nachkriegszeit nachweisbar seit 1947, vgl. Jann 2005). So ist der Dokumentation einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) vom April 1978 zu entnehmen, dass heute verwendete Topoi wie z. B. „Bürokratie als Investitions- und Wachstumsbremse“ schon seit Jahrzehnten im Umlauf sind (vgl. Geissler 1978). Selbst die genannten Beispiele sind denen ganz ähnlich, die in heutigen Debatten ins Feld geführt werden (vgl. etwa FAZ vom 02.11.2024, wo beklagt wird, dass 45% von 1694 befragten Unternehmen in den vergangenen Jahren wegen bürokratischer Hürden Investitionen aufgeschoben hätten). M. Albrow (1972: 23) bezeichnete den oft behaupteten „Gegensatz zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Bürokratie [Herv. d. Verf.]“ als „Standardelement“ konservativer Ideologen des 20. Jahrhunderts. Wie stabil es geblieben ist, zeigt sich auch an aktuellen Argumentationsmustern des Normenkontrollrates (NKR, siehe Beispiele unten).

An oben genannter Tagung nahm auch der britische Soziologe C. Northcote Parkinson teil, dessen Thesen zur Ineffizienz und zum Wachstum von Bürokratien als „Parkinsons Gesetze“ über Jahre kolportiert wurden (Geissler 1978: 93–99).

Ein wissenschaftliches Gutachten des Wissenschaftlichen Instituts Öffentlicher Dienst (WIÖD) unter dem Titel Bürokratisierung und Entbürokratisierung, das dem Innenministerium 1979 vorgelegt wurde, stellte ein „Raster zur Überprüfung von Organisationen im Hinblick auf Bürokratisierungsprozesse“ (Titel; Wittkämper 1979) vor, das in seiner Kleinteiligkeit geradezu ein Spiegelbild des Ausgangsphänomens darstellt (allein das Inhaltsverzeichnis nimmt 4 Seiten in Anspruch). Die Diskrepanz zwischen den notwendig zu stellenden Fragen und den intern gegebenen Möglichkeiten, sie tatsächlich stellen zu können und gar zu beantworten, erweist sich als kaum bis nicht überwindbar.

In einem Sonderheft der Zeitschrift Leviathan mit dem Titel Bürokratie als Schicksal? von 1985 (Diamond 1985) wurde aus seinerzeit (links-)sozialdemokratisch orientierter Sicht eine fulminant kapitalismuskritische Bürokratiekritik umrissen:

[…] funktioniert Bürokratie als Hauptmittel, alle Arten von sozialen Bewegungen, von Revolten und Widerstandsformen zu verhindern; […]. (Diamond et al. 1985: 12)

Die einschlägigen negativen Utopien Huxleys und Orwells werden ebenso zitiert wie Metaphern der Bürokratie als Maschine (vgl. Huxley 2008: 223) oder der Bürokratie und Technologie als „Zwillinge“ (Orwell 1984: 225).

Berechtigte, sachhaltige Kritik an konkreten bürokratischen Missverhältnissen wie Kompetenzdiffusion, steigenden Kosten und Intransparenz wird in der strategischen Kommunikation oft instrumentalisiert, um grundsätzliche ökonomische Richtungsentscheidungen vorzubereiten oder zu festigen. Als Gegenbegriff zu Bürokratie wird in diesem Kontext meist Deregulierung ins Spiel gebracht, eines der beliebtesten Schlagwörter des Neoliberalismus. Dass unter diesem Label (hierzulande und weltweit) ein beispielloser Abbau von Rechtspositionen in der Arbeitswelt stattfand (Agenda 2010, die Zunahme sogenannter ,prekärer Arbeitsverhältnisse‘ und anderes mehr), Anfang der 2000er Jahre die Finanzmärkte ,liberalisiert/flexibilisiert‘ wurden und damit ökonomische Verwerfungen stattfanden, die bis heute wirken, ist vielen nicht mehr präsent. Deregulierung, maskiert als Bürokratieabbau, bedeutet, dass das Konzept des sogenannten ,freien Marktes‘ die Allokation jeglicher Güter regeln soll, und zwar ohne ,lästige‘ Eingriffe des Staates und in allen gesellschaftlichen Teilbereichen. Die zugrundeliegenden politischen und ökonomischen Interessenlagen werden dabei jedoch kaum differenziert (vgl. Jann et al. 2007).

Bürokratiekritik zielt in der Regel auf staatliche Institutionen und die Ausführenden. Dabei bleibt oft unbeachtet, dass sie gegenüber privaten Unternehmen oft genauso zutrifft. Als Beispiele dafür können die zahlreichen, kaum überschau- und vergleichbaren Tarifoptionen von Mobilfunkanbietern oder die Angebotsvarianten verschiedener (Kranken-)Versicherungsanbieter gelten, die für Laien nur schwer zu entschlüsseln sind.

Auch in der Kritik des Staatshandelns sozialistischer Systeme hatte die Auseinandersetzung mit Bürokratie einen wichtigen Stellenwert: Mangelverwaltung, Begünstigung der Mitglieder des (Partei-)Apparates und anderer ,Eliten‘ wurden darüber thematisiert sowie grundsätzliche Differenzen in der Einschätzung von zentralistischer (Partei-)Bürokratie und Selbstverwaltungsoptionen (vgl. Meyer 1979).

Beispiele

(1)

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, INSM, ein strikt neoliberaler Think-Tank, der von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird, veröffentlichte 2024 Ergebnisse einer (weder repräsentativen noch methodisch validen) Befragung, die nahezu alle im Umlauf befindlichen Stereotypen zum Thema aufgreift und reproduziert: Bürokratie wachse unaufhaltsam und unnötig, Bürokratie verhindere sowohl Innovationen wie Investitionen, verschärfe den Fachkräftemangel und verhindere Unternehmensgründungen (vgl. INSM 2024a; INSM 2024b). Als Allheilmittel wird auch hier vor allem Digitalisierung propagiert, also eine technologische ,Lösung‘ für ein politisches Problem.

Von Mitgliedern der INSM wird der Vorwurf der Bürokratisierung bevorzugt zur Delegitimierung politischer Entscheidungen und Verfahren verwendet, etwa in Bezug auf das sogenannte ,Lieferkettengesetz‘. Im Rahmen des CDU-Parteitages im Mai 2024, bei dem die INSM prominent vertreten war, konnte dieses (neben anderen als unnötig oder falsch deklarierten Gesetzen) publikumswirksam in einer eigens dazu vorbereiteten Apparatur geschreddert werden, was Kanzlerkandidat Merz auch tat (vgl. medico international 2024).

(2)

Weniger ist mehr! Einfacher ist besser! Digital ist schneller! – das muss die Parole sein. (Goebel 2023: 7)

Mit diesen markigen Botschaften mahnte der Vorsitzende des NKR, des Nationalen Normenkontrollrats, Lutz Göbel, im Vorwort zum Jahresbericht für 2023 eine Trendwende beim Bürokratieabbau (NKR 2023: 6) an. Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) ist laut Selbstdarstellung eine „unabhängige“ Institution, die seit 2006 den Bundestag berät. „Auftrag des NKR ist es, die Gesetzentwürfe der Bundesregierung dahingehend zu prüfen, ob die Kosten methodengerecht und verständlich dargestellt wurden, ob es praxistauglichere Alternativen gibt und ob die Ministerien bei der Gesetzestexterstellung eine digitale Umsetzung von Beginn an mitgedacht haben“ (NKR 2025). Der NKR sieht sich als gänzlich ,unpolitische‘ Einrichtung, in deren 2023 gegründetem Zentrum für Legistik vor allem die „Digitaltauglichkeit“ (NKR 2023: 37) von geplanten Gesetzen und Verordnungen geprüft werden soll.

(3)

Im Oktober 2024 verabschiedete der Bundestag das von der amtierenden Regierung eingebrachte, mittlerweile 4. Gesetz zum Bürokratieabbau (2024). Es enthält unter anderem die auf den ersten Blick unspektakuläre Regelung zur Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Steuer- und Buchungsbelege (Art. 3) von 10 auf 8 (in bestimmten Fällen auf 6) Jahre. Nicht nur Landesfinanzministerien übten daran Kritik, wegen der zu erwartenden Steuer-Mindereinnahmen (aufgrund früher verjährender Steuerhinterziehungen (tagesschau 2024). Die Organisation Finanzwende machte darauf aufmerksam, dass diese Regelung unter anderem die großangelegten Steuerhinterziehungsaktionen begünstigt (durch die Möglichkeit, belastende Unterlagen früher zu vernichten), die unter dem Stichwort Cum-Ex bzw. Cum-Cum, bekannt und bisher nur zu einem kleinen Teil aufgeklärt oder gerichtlich verfolgt wurden, zu schweigen von der Erstattung der immensen Beträge, die als Steuereinnahmen verloren gingen (vgl. DLF 2024; Finanzwende e. V. 2024).

(4)

Es gibt nichts, was nicht ,eventisiert‘ wird, um in der herrschenden Aufmerksamkeitsökonomie wahrgenommen zu werden, so auch das Thema Bürokratie. Seit 2018 jährlich durchgeführt und in der Nach-Corona-Zeit im Rahmen eines sogenannten Deutschen Aufbau- und Resilienzplan(s) besonders gefördert (mit EU-Mitteln), wird das Creative Bureaucracy-Festival. Ähnlich wie in den Hochglanz-Angeboten der Unternehmensberater wird auch hier Kreativität als catchword eingesetzt, um zu suggerieren, dass mit höherem Einsatz individueller Ressourcen das System Bürokratie wesentlich verbessert werden könne (vgl. Creative Bureaucracy 2024a). In welchem Rahmen das gesamte Projekt zu denken ist, lässt sich an einzelnen Programmpunkten des vorangegangenen Festivals ablesen, bei denen auch die Akteure der Hinterbühnen benannt sind, z. B. wenn ein Workshop, der sich damit beschäftigt, wie Städte als Experimentierfeld für demokratische Innovationen und gesellschaftlichen Fortschritt dienen können ausgerechnet von der BMW-Stiftung Herbert Quandt gesponsert wird (Creative Bureaucracy 2024b).

Anders einordnen lassen sich Events wie diese mit dem Buch des Organisationssoziologen Stefan Kühl mit dem Titel Brauchbare Illegalität (2020) in dem der Autor (scharfsinnig bis manchmal zynisch) Funktion und Folgen sowohl der strikten Regelbefolgung – als zentrales Element von Bürokratie – und ihrer Nichtbeachtung, ihres Unterlaufens zu unterschiedlichen Zwecken darstellt. Jenseits von Schlagwörtern und Appellen an disruptive, innovative Potentiale kreativer Bürokratie wird hier das Funktionieren von Herrschaftssystemen und -techniken plausibel beschrieben. Weitere erhellende und zum Teil brisante Einsichten zum Thema, die die skizzierten Sichtweisen mit dem Fokus auf die „politische Ökonomie“ schärfen, bieten Studien und Analysen, die über die (immer noch bestehende bzw. neu formierte) Macht von Mafia-Organisationen publiziert wurden (letztere profitieren vor allem von Verflechtungen illegaler/extralegaler und legaler Strukturen in der Verwaltung des Staates, seiner Bürokratie (vgl. Saviano 2007)) und Analysen zu weiteren „Rackets“, wie z. B. Netzwerken und Oligarchien, ob im nach-sowjetischen Osten und Lateinamerika (vgl. Lindemann 2024), aber auch hierzulande im Kontext von Lobbyisten-Netzwerken (vgl. Lobbypedia 2024). Sogar der inzwischen ernannte erste Minister für Entbürokratisierung in Hessen räumte ein: „Fast jede Regelung hat eine Lobby“ (FAZ 2025).

 

Literatur

Zum Weiterlesen

Zitierte Literatur und Belege

Abbildungsverzeichnis

Zitiervorschlag

Weber, Susanna (2025): Bürokratie. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 11.03.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/buerokratie.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Narrativ

Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Metapher

In der politischen Berichterstattung ist oft davon die Rede, dass eine bestimmte Partei einen Gesetzesentwurf blockiert. Weil das Wort in diesem Zusammenhang so konventionell ist, kann man leicht übersehen, dass es sich dabei um eine Metapher handelt.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Techniken

Schlagbilder

Der Terminus Schlagbild bezeichnet mehr oder weniger inszenierte Bilder. Ihre Bedeutung beruht nicht nur auf ihren sichtbaren (ikonischen) Formen, sondern vielmehr auf den symbolischen Inhalten, die sich durch vielfache mediale Wiederholung und Konventionen gefestigt haben.

Invektivität / Metainvektivität

Invektivität ist ein Überbegriff für den Phänomenbereich der Herabsetzung und Ausschließung mittels symbolischer Praktiken. In Invektiven (z.B. Spott, Beleidigung, sprachliche Aggression, Diskriminierung, Hassrede) werden Einzelnen oder Gruppen marginalisierte oder niedrige soziale Positionen zugeschrieben, Zugehörigkeiten zu Gemeinschaften abgesprochen oder Identitäten negiert.

Parole

Die Parole ist ein kleines, potentes sprachliches Werkzeug, das in der politischen Kommunikation unerlässlich ist und zweckgebunden in politischen Mobilisierungen eingesetzt wird.

Komposita

. In der politischen Rhetorik tragen Komposita zur Prägnanz und Emotionalität von Botschaften bei, indem sie komplexe Sachverhalte und politische Themen in zentralen Begriffen bündeln, in griffige Schlagworte packen und diese für den gesellschaftlichen Diskurs zur Verfügung stellen (zum Beispiel Krisenmodus, Zeitenwende oder Rückführungspatenschaften).

Nicht-Entschuldigen / Nonpology

Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen.

Liken

Die eigentliche Funktion des Likens geht jedoch über das Signalisieren von Zustimmung hinaus und ist konstitutiv für das Funktionieren sozialer Medienplattformen und das Aushandeln von verschiedenen Formen der Sozialität auf diesen.

Hashtag

Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).

Diminutiv

Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).

Sündenbock

Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.

Redenschreiben

Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.

Schlagwörter

Politisch korrekt / Politische Korrektheit

Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt.

Kipppunkt

Als öffentliches Schlagwort ist Kipppunkt Teil eines Argumentationsmusters: es behauptet ein ‚Herannahen und baldiges Überschreiten einer unumkehrbaren Sachverhaltsänderung, die fatale bzw. dystopische Folgeschäden auslöst, wenn nicht umgehend bestimmte Maßnahmen eingeleitet oder unterlassen werden.‘

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Verschiebungen

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

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Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.

Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...