DiskursGlossar

Be-/Überlastungs-Topos

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Belastungstopos, Belastungsgrenze, Entlastung, Argumentationsmuster
Siehe auch: Topos, Autoritäts-Topos, Differenzierungstopos, Konsequenz-Topos, Opfer-Topos, Topos der düsteren Zukunftsprognose, Topos vom wirtschaftlichen Nutzen
Autor: Lina Sophie Giebeler
Version: 1.2 / Datum: 12.12.2022

Kurzzusammenfassung

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als analytisches Konzept wurde er von Martin Wengeler im Kontext der Analyse des deutschen Migrationsdiskurses benannt und geprägt (vgl. z.B. Wengeler 2003). Wengeler beschreibt die grundlegende Struktur des Be-/Überlastungstopos wie folgt:

Weil eine Person/eine Institution/ein Land mit bestimmten Problemen stark belastet oder überlastet ist oder weil eine solche Belastung droht, sollten Handlungen ausgeführt werden, die diese Belastung vermindern bzw. verhindern. (Wengeler 2007: 178)

Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos also ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert. Der Topos dient dabei der Legitimation (politischer) Handlungen oder Maßnahmen, die vorgeblich der Entlastung bzw. der Vermeidung eines durch Überlastung drohenden Krisenfalls dienen sollen. Das Konzept des ‚Erreichens/Überschreitens‘ einer Belastungsgrenze ist jedoch ein konstruierter, d.h. gesellschaftlich und politisch bestimmter Maßstab, der in aller Regel nicht oder nur begrenzt empirisch überprüft werden kann.

Erweiterte Begriffsklärung

Der Be-/Überlastungs-Topos als analytisches Konzept wurde von Martin Wengeler im Kontext der Analyse des deutschen Migrationsdiskurses benannt und geprägt (vgl. z.B. Wengeler 2003). Er wird zu den spezifischen Argumentationsmustern gezählt. Dabei bezieht sich seine Musterhaftigkeit weniger auf die formale Struktur, sondern vielmehr auf den inhaltlichen Gesichtspunkt einer Be-/Überlastungssituation, die es durch eine bestimmte Maßnahme zu verhindern oder abzuschwächen gilt. Typischerweise wird dieser Topos mithilfe zweier verschiedener Äußerungsmuster realisiert. Entweder wird etwas Bestimmtes explizit als be-/überlastet bezeichnet bzw. mit einer möglichen zukünftigen Be-/Überlastung charakterisiert, oder es ist von Belastungsgrenzen (oder Varianten dieses Ausdrucks) die Rede, die schon oder zukünftig erreicht/überschritten werden. Argumentierende fordern aber auch direkt eine Entlastung eines Gegenstandes, womit sie ihn implizit als be-/überlastet perspektivieren.

Klein (2000) zufolge kann man diesen Topos als eine spezifische Form des Konsequenz-Topos interpretieren. Eine Ausgangslage wird demnach nicht direkt bewertet, sondern erst in Bezug auf ihre möglichen Konsequenzen. Aus dieser Bewertung wird dann eine Handlungsaufforderung (quasilogisch) geschlussfolgert (vgl. Klein 2000: 637). Im Falle des Be-/Überlastungs-Topos ist die Konsequenz inhaltlich auf eine Be-/Überlastung eines Gegenstands festgelegt und wird naturgemäß stets negativ bewertet. Die Handlungsaufforderung ist die scheinbar notwendige bzw. alternativlose Maßnahme zur Entlastung des Gegenstands. Nach Kienpointner handelt es sich (aus logischer Perspektive) bei Argumenten, denen dieser Typ Topos zugrunde liegt, nicht um reale, sondern um fiktive Argumente. Sie sind fiktiv, da der Ausgang (also ob die Maßnahme zur Entlastung führt oder nicht) in der Zukunft liegt und somit ungewiss ist (vgl. Kienpointner 2011: 529 f.). Somit lässt sich an dieser Stelle auch die diskursive Funktion des Topos beschreiben. Man kann ihn als Technik der strategischen Kommunikation einsetzen, um eine bestimmte Handlung plausibel zu legitimieren, indem man auf die negativen Konsequenzen einer fiktiven Be-/Überlastungssituation verweist, sollte diese Handlung nicht ausgeführt werden.

Vor dem Hintergrund dieses strategischen Potenzials ist es nicht verwunderlich, dass einem der Topos häufiger in politischen Debatten oder Pressemitteilungen über politische Zusammenhänge begegnet. Er kann naturgemäß von Personen eingesetzt werden, die sich in der Position befinden, Entscheidungen über bestimmte Handlungen zu treffen oder anzuregen. Dies begründet sich vor allem im Praxisbezug der politischen Debatte: „sie dient nicht bloß der kognitiven Erschließung der Wirklichkeit, sondern dem Eingriff in sie“ (Ueding 2000: 495). Besonders erfolgreich lässt sich mit dieser Technik der Handlungslegitimierung operieren, wenn in dem Diskurs, in dem sie verwendet wird, bereits Optionen für drastische Konsequenzen prominent sind, wie es z.B. häufig in Krisen-Diskursen der Fall ist. Die politische Ausrichtung der jeweiligen Akteure kann dabei durchaus divers sein. Im Migrationsdiskurs bspw. entstammen Akteure, die auf diesen Topos zurückgreifen, vorwiegend dem konservativen, aber auch dem sozialliberalen Spektrum (vgl. Wengeler 2003: 425).

Wengeler macht darauf aufmerksam, dass die Verwendung des Be-/Überlastungs-Topos intensive Auswirkungen auf die gesellschaftliche Wahrnehmung der Wirklichkeit hat. Durch die sprachliche Konstruktion einer Belastungsgrenze, ggf. sogar mithilfe numerischer Größen, wie z.B. Zuwanderungszahlen, wird diese faktisch nicht existente Grenze zu einer wahrgenommenen Wirklichkeit, sobald sie sich im jeweiligen Diskurs durchsetzt (vgl. Wengeler 2003: 425). Dies gilt insbesondere im Zusammenhang globalpolitischer Themen.

Dadurch, dass häufig Personen in gefestigten und mächtigen Positionen diesen Topos verwenden, ist es schwierig, seine Plausibilität innerhalb eines Diskurses zu destabilisieren. Eine mögliche Gegenstrategie, die auf nicht-diskursiver Ebene valide funktionieren kann, ist die kritische Reflexion der konstruierten Belastungsgrenze: Warum genau sind bspw. 4000 geflüchtete Menschen im Zeitraum x die Belastungs(,ober‘)grenze? Was genau bedeutet die Überlastung des bürokratischen Apparates? Wer legt fest, dass hier tatsächlich eine Grenze vorliegen soll? Solche und ähnliche Fragen decken auf, dass es sich bei so etablierten Belastungsgrenzen in aller Regel um von Menschen festgelegte Maßstäbe handelt und eben nicht um empirisch überprüfbare tatsächliche Kontingente. Möglichkeiten zu wirkungsmächtigen Reflexionen dieser Form bestehen auf diskursiver Ebene nur begrenzt, bspw. im Rahmen von Guerillakommunikation. Zudem kann dem Be-/Überlastungs-Topos mit geeigneten Topoi, bspw. mit dem Analogie-Topos, begegnet werden. Den Analogie-Topos kann man auf Grundlage von Wengeler wie folgt paraphrasieren: ,Weil in einem anderen Kontext eine vergleichbare Handlung zu den Konsequenzen x geführt hat, sollte die Handlung in diesem Kontext (nicht) ausgeführt werden‘ (vgl. Wengeler 2003: 321). Salopp und mit dem Ziel, den Be-/Überlastungstopos zu destabilisieren formuliert: ,Es ist auch schon der Gegenstand y be-/überlastet gewesen und es ist auch ohne die Handlung z auszuführen gut ausgegangen‘.

Beispiele

(1)  Im Diskurs um die Covid-19-Pandemie finden sich zahlreiche Beispiele, in denen der Be-/Überlastungs-Topos in Bezugnahme auf das Gesundheitssystem konkrete Anwendung erfährt. Dies geschieht im folgenden Beispiel im Rahmen der politischen Kommunikation, mit dem Ziel, eine Einzelmaßnahme des Infektionsschutzes zu legitimieren bzw. ihre Durchsetzung zu erwirken. Die SPD-Politikerin Heike Baehrens argumentiert am 17. März 2022 wie folgt für das Einführen einer allgemeinen Impfpflicht für erwachsene Personen in Deutschland:

Wir wollen unsere Gesellschaft und unser Gesundheitswesen vor Überlastung schützen.      Dazu müssen wir eine hohe Grundimmunisierung aufbauen. (Deutscher Bundestag 2022: 1503)

Ein wenig abstrakter und ergänzend paraphrasiert meint diese Aussage in ihrem Äußerungskontext: ,Es droht in der Zukunft eine Überlastung des Gesundheitssystems, die verhindert werden muss. Grund dafür ist eine zu geringe Immunisierungsquote.  Also muss eine allgemeine Impfpflicht eingeführt werden, um die Immunisierungsquote zu steigern‘. Baehrens argumentiert zwar formallogisch nicht korrekt, aber die Schlussfolgerung erscheint plausibel. Allerdings werden dabei mögliche andere Schlussfolgerungen, also Alternativen zur allgemeinen Impfpflicht, nicht berücksichtigt.

(2) Wengeler zeichnet die Verwendung des Be-/Überlastungs-Topos historisch als Konstante des Migrationsdiskurses nach. Dabei sind es unterschiedliche Systeme, Institutionen oder auch Regionen, die seit den 1970ern als be-/überlastet dargestellt werden (vgl. Wengeler 2007: 178). Auch in der Gegenwart ist der Topos in Politik und Presse präsent und wird teils sogar als sprachliches Muster reflektiert. Im Tagesspiegel äußerte sich am 25. April 2017 der Diskursakteur und Historiker Klaus Bade folgendermaßen:

 Die ,Grenzen der Belastbarkeit durch Zuwanderung‘ waren in den Reden politisch Verantwortlicher praktisch immer erreicht, gern auch, wie der damalige sozialdemokratische Innenminister Otto Schily 1999 unermüdlich verbreitete, schon ,überschritten‘. (Tagesspiegel 2017)

(3) Auch im Diskurs der Energiekrise ist der Be-/Überlastungs-Topos prominent und wird häufig mittels des Ausdrucks Belastungsgrenze realisiert. Der Deutsche Handelsverband HDE versucht im folgenden Twitter-Post vom 28.09.2022 der „Forderung nach Wirtschaftshilfen“ Nachdruck zu verleihen, indem er den Einzelhandel als be-/überlastet perspektiviert. Dabei sind die einzelnen Bestandteile des Topos (das be-/überlastete Element, die Belastungssituation, die zu erwartenden negativen Konsequenzen, die entlastende Maßnahme) vage formuliert, was Rezipienten einen breiten Spielraum für Spekulationen lässt und so die Gesamtaussage konsensfähiger macht.

Abb. 1.: Handelsverband HDE: #Einzelhandel gerät an Belastungsgrenze und bekräftigt Forderung nach #Wirtschaftshilfen.  Twitter-Post vom 28.09.2022.

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Wengeler, Martin (2000): Von »Belastungen«, »wirtschaftlichem Nutzen« und »politischen Zielen«. Die öffentliche Einwanderungsdiskussion in Deutschland, Österreich und der Schweiz Anfang der 70er Jahre. Einwanderungsdiskurse. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 135-157.

Zitierte Literatur und Belege

  • Der Tagesspiegel (2017): Migrationsforscher und Berater Bade zieht Bilanz – Achtung, Ausländer! Online unter: https://www.tagesspiegel.de/meinung/migrationsforscher-und-berater-bade-zieht-bilanz-achtung-auslaender/19711722.html ; Zugriff: 22.08.2022.
  • Deutscher Bundestag (2022): Plenarprotokoll. 20. Wahlperiode, 21. Sitzung am 17.03.2022. Online unter: https://dserver.bundestag.de/btp/20/20021.pdf#P.1503 ; Zugriff: 14.08.2022.
  • Kienpointner, Manfred (2011): Fiktive Argumente. Deutsches Jahrbuch Philosophie, vol. 2, S. 505-538.
  • Klein, Josef (2000): Komplexe topische Muster – Vom Einzeltopos zur diskurstyp-spezifischen Topos-Konfiguration. In: Schirren, Thomas; Ueding, Gert (Hrsg.): Topik und Rhetorik – Ein interdisziplinäres Symposium. Tübingen: Niemeyer, S. 623-649.
  • Ueding, Gert (2000): Politische Topik. In: Schirren, Thomas; Ueding, Gert (Hrsg.): Topik und Rhetorik – Ein interdisziplinäres Symposium. Berlin; Boston: De Gruyter, S. 487-497.
  • Wengeler, Martin (2007): Topos und Diskurs – Möglichkeiten und Grenzen der topologischen Analyse gesellschaftlicher Debatten. Warnke, Ingo H. (Hrsg.): Diskurslinguistik nach Foucault: Theorie und Gegenstände. Berlin; Boston: De Gruyter.
  • Wengeler, Martin (2003): Topos und Diskurs: Begründung einer argumentationsanalytischen Methode und ihre Anwendung auf den Migrationsdiskurs (1960 – 1985). Tübingen: Niemeyer.

Abbildungsverzeichnis

Zitiervorschlag

Giebeler, Lina Sophie (2022): Be-/Überlastungs-Topos. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 12.12.2022. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/be-ueberlastungs-topos.  

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Diskurssemantische Verschiebung

Mit dem Begriff der diskurssemantischen Verschiebung wird in der Diskursforschung ein Wandel in der öffentlichen Sprache und Kommunikation verstanden, der auf mittel- oder län-gerfristige Veränderung des Denkens, Handelns und/oder Fühlens größerer Gesellschafts-gruppen hinweist.

Domäne

Der Begriff der Domäne ist aus der soziologisch orientierten Sprachforschung in die Diskursforschung übernommen worden. Hier wird der Begriff dafür verwendet, um Muster im Sprachgebrauch und kollektiven Denken von sozialen Gruppen nach situationsübergreifenden Tätigkeitsbereichen zu sortieren.

Positionieren

Positionieren ist Grundbestandteil menschlicher Kommunikation. Wann immer wir miteinander interagieren und kommunizieren, bringen wir uns selbst, andere und die Objekte, über die wir sprechen, in bestimmte Relationen zueinander.

Deutungsmuster

Unter einem Deutungsmuster wird die problem- und lösungsbezogene Interpretation gesellschaftlicher und politischer Tatbestände verstanden, die Aussicht auf Akzeptanz in sozialen Gruppen hat. Der Begriff des Deutungsmusters hat Ähnlichkeit mit den Begriffen der Theorie und Ideologie. Meist werden gesellschaftlich verbreitete Leitdeutungen, die oft mit Schlagwörtern und Argumentationsmustern einhergehen (wie Globalisierung, Kapitalismus, Leistungsgesellschaft, Chancengleichheit etc.) als Beispiele für Deutungsmuster genannt.

Sinnformel

‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.

Praktik

Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Narrativ

Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Techniken

Dogwhistle

Unter Dogwhistle wird in Teilen der Forschung eine doppeldeutige Äußerung verstanden, die eine offene und eine verdeckte Botschaft an jeweils eine Zuhörerschaft kommuniziert.

Boykottaufruf

Der Boykottaufruf ist eine Maßnahme, die darauf abzielt, ein Ziel, also meist eine Verhaltensänderung des Boykottierten, hervorzurufen, indem zu einem Abbruch etwa der wirtschaftlichen oder sozialen Beziehungen zu diesem aufgefordert wird.

Tabuisieren

Das Wort Tabuisierung bezeichnet die Praxis, etwas Unerwünschtes, Anstößiges oder Peinliches unsichtbar zu machen oder als nicht akzeptabel zu markieren. Das Tabuisierte gilt dann moralisch als unsagbar, unzeigbar oder unmachbar.

Aus dem Zusammenhang reißen

Das Aus-dem-Zusammenhang-Reißen gehört in den Funktionskreis der Redewiedergabe bzw. der Wiedergabe kommunikativer Ereignisse. Es kann (1) als intentionale argumentativ-polemische Strategie für ganz unterschiedliche diskursive Zielsetzungen von Akteuren genutzt werden, oder (2) es kann SprecherInnen und SchreiberInnen in unbeabsichtigter, fehlerhafter Weise unterlaufen.

Lobbying

Lobbying ist eine Form strategischer Kommunikation, die sich primär an Akteure in der Politik richtet. Beim Lobbying wird ein Bündel von kommunikativen Tätigkeiten mit dem Ziel eingesetzt, die Entscheidungen von Personen mit politischem Mandat oder den Entstehungsprozess von neuen Gesetzestexten interessengeleitet zu beeinflussen.

Karten

Karten dienen dazu, Raumausschnitte im Hinblick auf ausgewählte Charakteristika so darzustellen, dass die Informationen unmittelbar in ihrem Zusammenhang erfasst und gut kommuniziert werden können. Dazu ist es notwendig, Daten und Darstellungsweisen auszuwählen und komplexe und oft umkämpfte Prozesse der Wirklichkeit in einfachen Darstellungen zu fixieren.

Pressemitteilung

Pressemitteilungen sind standardisierte Mitteilungen von Organisationen, die sich an Journalist:innen und andere Multiplikator:innen richten. Sie dienen der offiziellen und zitierfähigen Informationsweitergabe und übernehmen zugleich strategische Funktionen in der öffentlichen Kommunikation und Meinungssteuerung.

Shitstorm

Der Begriff Shitstorm beschreibt eine relativ junge Diskurskonstellation, die seit den 2010er Jahren an Bedeutung gewonnen hat und gemeinhin als Online-Wutausbruch bezeichnet wer-den kann.

Tarnschrift

Als Tarnschrift bezeichnet man unter den Bedingungen von Zensur und Verfolgungsrisiko veröffentliche Texte, die insbesondere in der strategischen Kommunikation des NS-Widerstands eine zentrale Rolle spielten.

Ortsbenennung

Die Benennung von Orten dient in erster Linie dazu, den jeweiligen geografischen Ort zu lokalisieren und ihn zu identifizieren. Doch Ortsnamen besitzen eine soziale Dimension und spielen eine entscheidende Rolle bei der sprachlich-kulturellen Identitätskonstruktion.

Schlagwörter

Echokammer

Der Begriff der Echokammer steht in seiner heutigen Verwendung vor allem im Zusammenhang mit der Nutzung Sozialer Medien. Er verweist metaphorisch auf einen digitalen Kommunikations- und Resonanzraum, in dem Mediennutzer*innen lediglich Inhalten begegnen, die ihre eigenen, bereits bestehenden Ansichten bestätigen, während abweichende Perspektiven und Meinungen ausgeblendet bzw. abgelehnt werden.

Relativieren

Der Ausdruck relativieren besitzt zwei zentrale Bedeutungsvarianten: In bildungssprachlichen und wissenschaftlichen Kontexten bezeichnet er eine analytische Praxis, bei der Aussagen, Begriffe oder Phänomene durch Bezugnahme auf andere Sachverhalte eingeordnet, differen-ziert und in ihrer Geltung präzisiert werden.

Massendemokratie

Geprägt wurde der Begriff Massendemokratie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von völkisch-konservativen Akteuren (prominent darunter Carl Schmitt 1926). Der Ausdruck Masse hatte damals bei den bürgerlichen Eliten eine rundum bedrohliche Assoziation.

Social Bots

Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.

Kriegsmüdigkeit

Der Ausdruck Kriegsmüdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische Ermüdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch für das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.

Woke

Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.

Identität

Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.

Wohlstand

Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

Remigration

Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.

Radikalisierung

Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.

Verschiebungen

Dehumanisierung

Mit Dehumanisierung bzw. Anthropomorphisierung werden solche kommunikativen Techniken und Praktiken bezeichnet, die Personen, Sachverhalten oder Gegenständen menschliche Eigenschaften ab- bzw. zusprechen. Dehumanisierung und Anthropomorphisierung können sowohl durch sprachliche Mittel als auch durch andere, z. B. bildliche, Zeichen vollzogen werden.

Kriminalisierung

Kriminalität meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden.

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Partizipatorischer Diskurs

Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament

Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)

Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit

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Die Macht der Worte 3/4: Sprachliche Denkschablonen

DiskursReview Die Macht der Worte (3/4):Sprachliche Denkschablonen Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe

DiskursReview Die Macht der Worte (2/4): Freund-Feind-Begriffe Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen

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Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.