DiskursGlossar

Moralisierung

Kategorie: Verschiebungen
Verwandte Ausdrücke:
Moral, Ethik, Anerkennung, Sachzwang
Siehe auch: Verwissenschaftlichung, Normalisierung, Normalismus, Politische Korrektheit, Privileg, Links-Mitte-Rechts, Identitätspolitik, Inklusion
Autor: Clemens Knobloch
Version: 1.2 / 17.04.2020

Kurzzusammenfassung

Der Ausdruck Moralisierung wird zugleich als Analysebegriff und als operativer politischer Kampfbegriff (letzteres meist in kritischer, abwertender Absicht) verwendet. In allen Verwendungen müssen wir davon ausgehen, dass beide Sphären aufgerufen werden. Im politischen Feld konnotiert Moral eher negativ, Ethik eher positiv. Zudem suggeriert das Ableitungsmuster auf /-ieren, -ierung/, dass etwas in den Umkreis der Moral gebracht wird, was dort nicht hingehört, sondern eher in die Sphäre von Macht, Interesse, Aufmerksamkeit.

Erweiterte Begriffsklärung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse und ist insofern ein Repertoireelement neoliberaler Politiken der Alternativlosigkeit (neben Sachzwang und Systemimperativ). Moralisierende Kommunikationspraktiken versuchen, eine Art moralischen Sachzwang zu etablieren.

Ziel aller moralisierenden kommunikativen Praktiken ist die Selbstverortung des Sprechers in der Gemeinschaft der Guten und die Fremdverortung abweichender Sprecher im Außen der Bösen, der Nicht-Zugehörigen. Die thematisierte Person, Gruppe, Minderheit etc. wird zugleich der Realität nach als Stigma- und Opfergruppe konstituiert und dem Anspruch nach als schützenswert.

Das Anliegen, wirklich und vermeintlich marginalisierte Gruppen in ihrer Besonderheit sichtbar zu machen, ist darin paradox, als es Gleichbehandlung einfordert, sie aber mit den Mitteln der Ungleichbehandlung fördern will. Der reklamierte und anzuerkennende Opferstatus für die betroffenen Identitäten ist dabei meist Voraussetzung (mit der Folge, dass der anerkannte Opferstatus zu einer politischen Ressource wird). Wer bloß moralisiert, der unterliegt zwangsläufig gegen einen politischen Akteur, der darüber hinaus noch andere strategische Optionen hat.

Gegenwärtig wird der Ausdruck hauptsächlich von rechts gebraucht, um identitätspolitische Positionen zugunsten von Minderheiten, Stigmatisierten, offiziellen Opfergruppen zu diskreditieren. Bezeichnet werden damit Praktiken des ,politisch korrekt‘ Sprechens und der rhetorischen Hervorhebung anerkannter stigmatisierter, diskriminierter, benachteiligter Identitäten.

Moralkommunikation thematisiert bevorzugt Schwache, Minderheiten, Opfergruppen, richtet sich aber als Botschaft an die (in der Regel bessergestellte) eigene ,community‘. Man spricht moralisierend über andere, aber meist mit seinesgleichen. Niemand wird es wagen, einer Frau, einem Schwulen, einem Flüchtling zu sagen, wie man über diese Gruppen zu sprechen hat, aber in der eigenen ,community wird man das sehr wohl tun.

Den strategischen (und komplementären) Gegenpol der kommunikativen Moralisierung bildet die kommunikative Normalisierung von Ereignissen und Verhältnissen. Ihre Ressourcen sind Kurven, Statistiken, Normalverteilungen – und naturalisierende und normalisierende Semantiken. Normalisierende Sprachpraktiken reduzieren die Aufmerksamkeit für das Thematisierte, moralisierende Sprachpraktiken fokussieren die Aufmerksamkeit. Moralisierende Semantiken sind in der Regel zugleich denormalisierend (Skandalisierung, Empörung, Gekränktsein etc.). Normalisierende Semantiken sind im Gegenzug entmoralisierend: enhanced interrogation techniques für Folter, Kollateralschaden für in Kriegshandlungen getötet Zivilisten, Sexarbeiterin für Prostituierte etc.

Gemeinsam bilden Moralisierung und Normalisierung insofern ein strategisches Paar, als Politik- und Medienpraktiker in so gut wie allen Themenfeldern zwischen beiden Optionen nach Tagesbedarf wählen können (Link 2007). Flüchtlinge kann man als Opfer von Krieg, Vertreibung, Naturkatastrophen, Klimawandel heute moralisieren – und morgen als flexible und gesuchte Fachkräfte eines globalisierten Arbeitsmarktes normalisieren. In der Tat wird beides ständig vermischt.

Normalitätsgrenzen sind numerisch und statistisch und insofern immer mehr oder weniger willkürlich. Zwischen normaler und nicht-normaler Intelligenz gibt es ebenso wenig eine begründbare Grenze wie zwischen normalem und nicht-normalem Sexualverhalten, Einkommen, Lebensalter, Zinssatz etc. Aus diesem Grunde lassen sich gesetzte Normalitätsgrenzen leicht moralisieren: Warum muss die Grenze just an dieser Stelle sein?

Gebräuchlich sind vor allem zwei Gegenstrategien: [a] Ridikülisierung durch Übertreibung, und [b] Provozierte Empörung durch gezielten strategischen Tabubruch. Was die Ridkülisierung betrifft, so wird es zusehends schwierig, sich etwas auszudenken, was der Empfindlichkeitskult nicht bereits real implementiert: Da gibt es hoch privilegierte Angehörige der globalen Fußballmafia, der Kulturprominenz, der Massenkultur, die sich erfolgreich an der Öffentlichkeit als Opfer von Rassismus und Sexismus präsentieren. Und was kann nicht alles an manchem US-Campus als Mikroaggression und ,trigger warning-bedürftige Äußerung etabliert werden. Es gibt sogar die These, dass die Selbstviktimisierung nur für Angehörige der Mittel- und Oberschichten eine erfolgversprechende Strategie sei (Pfaller 2017: 118).

Beispiele

(1) Muster eines hoch moralisierten politischen Konfliktes ist der Streit um die schulische Inklusion: Sonderschulen (euphemistisch: Schulen für Kinder mit Förderbedarf) gelten als stigmatisierend. Inklusion beinhaltet das Recht aller Schüler, die regulären Schulen zu besuchen. Damit verlieren Kinder mit (diversen) Lernschwierigkeiten aber auch das Recht auf hoch spezialisierte Förderung und auf ein speziell auf sie abgestimmtes förderndes Umfeld. Und sie partizipieren an einem hoch kompetitiven und leistungsorientierten ,normalen‘ Schulsystem, dessen Anforderungen sie in der Regel nicht erfüllen können, obwohl es ihnen Normalität verspricht. Es ist ein wenig so, als ob man die Onkologie abschaffen wollte, um Krebskranke nicht zu diskriminieren (vgl. Knobloch 2018: 191 ff.).

(2) Muster eines hoch moralisierten politischen Konfliktes ist weiterhin der Streit um achtungsvolle Sprachregelungen ,speech codes‘, politisch korrekte Sprachregelungen: Politisch korrektes Sprechen definiert anscheinend das Verhältnis zwischen dem Sprecher und den Gruppen, ,über‘ die er spricht (als respektvoll, deren Selbstbild und Identität achtend, nicht diskriminierend etc.). Tatsächlich aber definiert es in der Hauptsache die Beziehung des Sprechers zu den Personen, ,mit‘ denen er spricht, ,mit denen‘ oder ,gegen die‘ er eine moralische Gemeinschaft bildet. Und zwar eine Gemeinschaft, die definiert ist durch ein ritualisiertes Verhältnis zu einer anerkannten Opfergruppe. Deren rituelle Anerkennung als benachteiligt, stigmatisiert etc. unterstreicht – wie viele Formen der Anerkennung – letztlich die Überlegenheit der anerkennenden Gruppen. Über offizialisierte Sprachregelungen (Gendern und andere ,speech codes‘) wird moralisiertes Sprechen zu einem Machtinstrument, durch das Institutionen ihre eigenen moralischen ,Images‘ pflegen und rituelle Konformität ihrer Mitglieder sichern: Wer gegen solche ,speech codes‘ verstößt, verliert die Rückendeckung seiner Institution und wird als imagegefährdend ausgeschlossen.

Literatur 

Zum Weiterlesen

  • Link, Jürgen (2007): Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Stuttgart: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Pfaller, Robert (2017): Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur. Frankfurt/M.: Fischer.
  • Knobloch, Clemens (2018): Das sogenannt Gute. Zur Selbstmoralisierung der Meinungsmacht. Siegen: universi.

Zitierte Literatur

  • Bischof, Norbert (2012): Moral. Ihre Natur, ihre Dynamik und ihre Schatten. Wien: Böhlau.
  • Fischer, Karsten (2006): Moralkommunikation der Macht. Politische Konstruktion sozialer Kohäsion im Wohlfahrtsstaat. Wiesbaden: VS.
  • Simmel, Georg (1989): Einleitung in die Moralwissenschaft. Erster Band. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
  • Knobloch, Clemens (1998): Moralisierung und Sachzwang. Politische Kommunikation in der Massendemokratie. Duisburg: DISS.
  • Knobloch, Clemens (2018): Das sogenannt Gute. Zur Selbstmoralisierung der Meinungsmacht. Siegen: universi.
  • Stegemann, Bernd (2018): Die Moralfalle. Für eine Befreiung linker Politik. Berlin: Matthes & Seitz.

Zitiervorschlag

Knobloch, Clemens (2020): Moralisierung. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 17.04.2020. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/moralisierung.

Grundbegriffe

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Techniken

Nicht-Entschuldigen / Nonpology

Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen.

Hashtag

Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).

Diminutiv

Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).

Sündenbock

Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.

Redenschreiben

Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.