DiskursGlossar

Dehumanisierung vs. Anthropomorphisierung

Kategorie: Verschiebungen
Verwandte Ausdrücke: Entmenschlichung, Vermenschlichung, Anthropomorphisierung
Siehe auch: Freund- und Feind-Begriffe
Autorin: Nina Kalwa
Version: 1.0 / Datum: 07.10.2025

Kurzzusammenfassung

Mit Dehumanisierung bzw. Anthropomorphisierung werden solche kommunikativen Techniken und Praktiken bezeichnet, die Personen, Sachverhalten oder Gegenständen menschliche Eigenschaften ab- bzw. zusprechen. Dehumanisierung und Anthropomorphisierung können sowohl durch sprachliche Mittel als auch durch andere, z. B. bildliche, Zeichen vollzogen werden.

Praktiken und Techniken der Dehumanisierung sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass Menschen oder Artefakten, denen zuvor menschliche Eigenschaften attribuiert wurden, menschliche Eigenschaften abgesprochen werden, zum Beispiel indem ihnen Eigenschaften von Tieren oder Gegenständen zugeschrieben werden.

Dehumanisierung von Personen und Kollektiven durch sprachliche Mittel zum Zweck der Abwertung stellt eine Form der sprachlichen Gewalt dar. Anthropomorphisierung ist dagegen dadurch gekennzeichnet, dass Gegenständen oder Tieren menschliche Eigenschaften zugesprochen werden, sodass sie als menschenähnlich wahrgenommen werden.

Erweiterte Begriffsklärung

Sowohl Dehumanisierungen als auch Anthropomorphisierungen sind nur aufgrund bestimmter Vorstellungen vom Menschen erkennbar (vgl. Haslam 2006: 252), sie richten sich somit an bestimmten Menschenbildern, an Annahmen, wie der Mensch naturgegeben sei, oder an Annahmen über Eigenschaften, die allein dem Menschen eigen seien, aus. Dehumanisierung kann als ein analytisches Konzept verstanden werden, das in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen bearbeitet wird. Weißmann (2015: 80 ff.) bespricht etwa Dehumanisierung mit Bezug auf Genozide sowohl als sozialpsychologisches als auch als (organisations-)soziologisches Konzept. Innerhalb sozialpsychologischer Forschung werden nach Weißmann (2015) etwa Massaker im Rahmen von Genoziden damit erklärt, dass Täter psychische Prozesse durchlaufen haben, welche natürliche Hemmungen beim Töten anderer Menschen zum Beispiel durch Dehumanisierungen neutralisieren (vgl. Weiß 2015: 80). Zu diesen Erklärungen äußert Weißmann zugleich soziologische Zweifel und merkt an, dass, indem man Genozide mit solchen Dehumanisierungspraktiken erklärt, das „menschliche Zerstörungspotential unterschätzt“ werde (Weißmann 2015: 82). Bei der Betrachtung von Dehumanisierung aus soziologischer Perspektive hebt Weißmann (2015: 86) auch solche Prozesse sozialer Dehumanisierung hervor, bei der „das potentielle Opfer auf der Ebene der kommunikativen Praxis und des sozialen Handelns aus dem Bereich des Menschlichen ausgegrenzt wird“. Diese Ausgrenzung könne einerseits in Form von Entmenschlichung in der Kommunikation vollzogen werden, andererseits aber auch wenn ihnen kein gleichwertiges Teilhaberecht an Kommunikation zugesprochen wird (vgl. Weißmann 2015: 86).

Dehumanisierung von Menschen durch sprachliche Praktiken lässt sich neben Diffamierung, Degradierung und Diskriminierung in bestimmten Kontexten dem Phänomen der sprachlichen Gewalt zuordnen (vgl. Spieß 2022: 124). Das gilt häufig für politische und kommunikationsstrategische Kontexte, wenn durch die Absprache menschlicher Eigenschaften eine abwertende Perspektive eingenommen wird (im Unterschied etwa für sprachliche Aufwertungen: Sie ist ein Tiger / der Bürgermeister ist ein Löwe / er arbeitet wie eine Maschine u. ä.).

Mathias (2015: 98) unterscheidet verschiedene Formen der expliziten sprachlichen Dehumanisierung. Eine explizite sprachliche Dehumanisierung liege etwa dann vor, wenn Menschen bzw. soziale Gruppen von Menschen mit signifizierenden Zeichen versehen werden, die im Verständnis (Semantik) einer Sprechergemeinschaft entweder einen anderen Referenten als den Menschen denotieren (z. B. Tiere, Krankheiten, Pflanzen, Naturphänomene oder Gegenstände) und somit vorwiegend metaphorischer Natur sind. Beispiele hierfür sind „pejorative Tiersymboliken in judenfeindlichen Diskursfragmenten“ , wie sie in der „neueren und jüngsten Geschichte im deutschen Sprachraum vorkommen“ (Urban 2018: 13). Mathias (2015: 98) hebt aber auch solche expliziten Formen sprachlicher Dehumanisierung hervor, die durch die Verwendung bestimmter Ausdrücke entstehen, „die in einer entsprechenden Relation zum bezeichneten menschlichen Referenten stehen“ (z. B. ‚indiskrete‘ Körperteile) oder aber „Körperausscheidungen jeder Art“. Die Funktionen und Auswirkungen von Dehumanisierungen können unterschiedlich gravierend sein. Extreme Formen und Auswirkungen der Dehumanisierung fanden sich in der nationalsozialistischen Propaganda (1927–1945), in denen Juden grundsätzliche menschliche Eigenschaften abgesprochen wurden (vgl. Landry et al. 2022). Dagegen wird im Bereich der Medizin Dehumanisierung teilweise als notwendige Bewältigungsstrategie im Umgang mit Sterbenden betrachtet (vgl. Schulman-Green 2003). Dehumanisierungen konstituieren immer eine Asymmetrie zwischen Dehumanisierenden als Abwertenden und Dehumanisierten als Abgewerteten. Nick Haslam (2006, 252 ff.) unterscheidet verschiedene Domänen, in denen Dehumanisierungen vollzogen werden, wie Ethnizität, Gender und Pornographie, Invalidität, Medizin, Technologie und weitere.

Haslam (2006) hat ein integratives Modell der Dehumanisierung entwickelt, bei dem zwischen zwei Formen der Dehumanisierung unterschieden wird. Beide Formen setzen eine bestimmte Vorstellung des Menschseins voraus, die schließlich einem Menschen oder einer Gruppe von Menschen abgesprochen werden. Haslam (2006: 257 f.) differenziert auf Basis von Vorarbeiten zwischen Eigenschaften, die einzigartig menschlich sind (wie moralisches Empfinden und Rationalität) und Eigenschaften, die die menschliche Natur ausmachen (wie z. B. Agentivität). Diese Unterscheidungen in „Human Uniqueness“ und „Human Nature“ führt für Haslam (2006: 257) dann auch zu unterschiedlichen Formen der Dehumanisierung. Lind (2024: 349) deutet Haslams Modell der Dehumanisierung schließlich als „Negativ-Vorlage für ein Modell der Anthropomorphisierung“ um und geht mit Bezug auf die Anthropomorphisierung von Sprachassistenzsystemen davon aus, „dass die Zuschreibung menschlicher Merkmale sowohl auf lexikalisch-semantischer als auch auf syntaktisch-struktureller Ebene“ erfolgen kann. Nach Fuchs (2021: 348) führt die Anthropomorphisierung von künstlichen Systemen wiederum zu einer Dehumanisierung des menschlichen Bewusstseins, das „vielen heute nur noch als eine Summe von Algorithmen, eine komplexe Datenstruktur im Gehirn, die im Prinzip auch von elektronischen Systemen realisiert werden könnte“ erscheine und „nicht mehr an den lebendigen Körper gebunden ist.“

Insgesamt ist die Anthropomorphisierung bezogen auf sogenannte Künstliche Intelligenz bzw. große Sprachmodelle in den vergangenen Jahren vielfach diskutiert worden (vgl. z. B. Salles et al. 2020, Fuchs 2021, Felder/Kückelhaus 2025). Fuchs (2021: 348) stellt heraus, dass es nahezu keine menschlichen Fähigkeiten mehr gebe, „die künstlichen Systemen nicht schon jetzt zugeschrieben werden: Wahrnehmen, Erkennen, Denken, Schlussfolgern, Bewerten oder Entscheiden.“ Mit der Anthropomorphisierung von KI-Systemen geht nach Fuchs (2021: 348) wiederum eine Dehumanisierung bezogen auf das menschliche Bewusstsein einher.

Beispiele

(1) Dehumanisierung in Zusammenhang mit Migration

Innerhalb von Migrationsdiskursen werden sprachliche Praktiken der Dehumanisierung von Einzelakteuren vollzogen. So spricht etwa Thilo Sarrazin in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ bezogen auf muslimische Frauen von Importbräuten (Sarrazin 2010: 288) und spricht den Frauen damit Eigenschaften von Waren zu (vgl. Kalwa 2013: 282). Im Zusammenhang mit Migration werden sprachliche Praktiken auch zur Legitimation politischer Entscheidungen verwendet, etwa wenn in Bezeichnungen für zu verabschiedende Gesetze Wassermetaphoriken verwendet werden, die Migration als Naturkatastrophe konstituieren (z. B. das von Friedrich Merz im Januar 2025 zur Abstimmung gestellte Zustrombegrenzungsgesetz).

(2) Dehumanisierungen im Zusammenhang mit Antisemitismus

Monika Urban (2018) beschreibt in ihrem Buch verschiedene Bezeichnungen aus dem Bereich der Tiermetaphorik zur Abwertung von Juden und Jüdinnen im 19. und 20. Jahrhundert (auch nach Ende des NS-Regimes). Sie zeigt dabei auf, wie diese Tiersymboliken zur Konzeptualisierung des Anderen fungieren, das zur Höherbewertung des Eigenen führt. Urban unterscheidet zum Beispiel zwischen ‚uneigentlichen‘ (zum Beispiel Teufel, Dämon oder Ungeheuer), ‚höheren‘ (z. B. Schwein, Sau oder (Blut-)Hund) und ‚niederen‘ Tieren (z. B. Ratte oder Schlange). Auch Timo Büchner weist auf antisemitische Tiermetaphern wie Parasit und Ungeziefer in der Musik des Rechtsrocks hin. Dehumanisierende Sprache im Allgemeinen, die heute in unterschiedlichen Kontexten in Erscheinung tritt, hat laut Büchner sowohl mit extrem rechter Ideologie, aber auch mit den Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft zu tun und sei als Alarmsignal zu werten (vgl. Büchner 2022: 208; vgl. auch Freund-Feind-Begriffe).

(3) Vermenschlichung von Maschinen

Vermenschlichungen (Anthropomorphisierungen) finden sich häufig im Zusammenhang mit sogenannter Künstlicher Intelligenz, und zwar bezogen auf sprachliche wie auch auf bildliche Zeichen. Der Online-Blog notmyrobot weist auf verschiedene vermenschlichende Bilder von künstlicher Intelligenz hin (https://notmyrobot.home.blog). Verschiedene Ausdrücke wie lernen, Bewusstsein, reasoning im Kontext des Ausdrucks Künstliche Intelligenz lassen diese menschlich erscheinen. Teilweise werden Künstlicher Intelligenz metaphorisch sogar Krankheitssymptome zugeschrieben, wie etwa im Texttitel ChatGPT auf der Couch:

Ausschnitt eines Online-Artikels der Universität Zürich. Titel: ChatGPT auf der Couch: Entspannung für gestresste KI.
Abb. 1: Online-Artikel ChatGPT auf der Couch: Entspannung für gestresste KI (UZH 2025).

 

 

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Haslam, Nick (2006): Dehumanization: An Integrative Review. In: Personality and Social Psychology Review, Jg. 10, Heft 3, S. 252–264.

  • Urban, Monika (2018): Von Ratten, Schmeißfliegen und Heuschrecken. Judenfeindliche Tiersymbolisierungen und die postfaschistischen Grenzen des Sagbaren. Köln: Herbert von Halem Verlag.

Zitierte Literatur

  • @notmyrobots (o. J.): Welcome. Online unter: https://notmyrobot.home.blog ; Zugriff: 20.08.2025.
  • Büchner, Timo (2022): „Reißt die Schlangenbrut vom Thron!“ Antisemitische Tiermetaphern im Rechtsrock. In: Kanitz, Maria; Geck, Lukas (Hrsg.): Klaviatur des Hasses. Antisemitismus in der Musik. Baden-Baden: Nomos, S. 189–213.
  • Felder, Ekkehard; Kückelhaus, Marcel (2025): Das definierende Sprachmodell (LLM): Anthropomorphisierung in der Mensch-Maschine-Interaktion. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Jg. 55, S. 431–448.
  • Fuchs, Thomas (2021): Menschliche und künstliche Intelligenz. Ein kritischer Vergleich. In: Holm-Hadulla, Rainer M.; Funke, Joachim; Wink, Michael (Hrsg.): Intelligenz: Theoretische Grundlagen und praktische Anwendungen. Heidelberg: University Publishing, S. 347–362.
  • Haslam, Nick (2006): Dehumanization: An Integrative Review. In: Personality and Social Psychology Review, Jg. 10, Heft 3, S. 252–264.
  • Kalwa, Nina (2013): Das Konzept „Islam“. Eine diskurslinguistische Untersuchung. Berlin, Boston: De Gruyter.
  • Landry, Alexander P.; Orr, Ram I.; Mere, Kayla (2022): Dehumanization and mass violence: A study of mental state language in Nazi propaganda (1927–1945). PLOS ONE, Jg. 17, Heft 11, e0274957.
  • Lind, Miriam (2022): „Alexa, 3, Sprachassistentin, hat die Religion für sich entdeckt“ – Die sprachliche Anthropomorphisierung von Assistenzsystemen. In: Lind, Miriam (Hrsg.): Mensch – Tier – Maschine. Sprachliche Praktiken an und jenseits der Außengrenze des Humanen. Bielefeld: transcript, S. 347–370.
  • Mathias, Alexa (2015): Metaphern zur Dehumanisierung von Feindbildern. Eine korpuslinguistische Untersuchung zum Sprachgebrauch in rechtsextremen Musikszenen. Frankfurt a. M. (u. a.): Peter Lang.
  • Salles, Arleen; Evers, Kathinka; Farisco, Michele (2020): Anthropomorphism in AI. In: AJOB Neuroscience, Jg. 11, Heft 2, S. 88–95.
  • Sarrazin, Thilo (2010): Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen. München: Deutsche Verlags-Anstalt.
  • Schulman-Green, Dena (2003): Coping Mechanisms of Physicians Who Routinely Work with Dying Patients. In: OMEGA – Journal of Death and Dying, Jg. 47, Heft 3, S. 253–264.
  • Spieß, Constanze (2022): Dehumanisierungsstrategien im öffentlich-politischen Bioethikdiskurs um Präimplantationsdiagnostik. In: Lind, Miriam (Hrsg.): Mensch – Tier – Maschine. Sprachliche Praktiken an und jenseits der Außengrenze des Humanen. Bielefeld: transcript, S. 121–147.
  • Universität Zürich (2025): ChatGPT auf der Couch: Entspannung für gestresste KI. Vom 03.03.2025. Online unter: https://www.news.uzh.ch/de/articles/media/2025/KI-Therapie.html ; Zugriff: 20.08.2025.
  • Urban, Monika (2018): Von Ratten, Schmeißfliegen und Heuschrecken. Judenfeindliche Tiersymbolisierungen und die postfaschistischen Grenzen des Sagbaren. Köln: Herbert von Halem Verlag.
  • Weißmann, Martin (2015): Organisierte Entmenschlichung. Zur Produktion, Funktion und Ersetzbarkeit sozialer und psychischer Dehumanisierung in Genoziden. In: Gruber, Alexander; Kühl, Stefan (Hrsg.): Soziologische Analysen des Holocaust. Wiesbaden: Springer VS, S. 79–128.

Abbildungsverzeichnis

Zitiervorschlag

Kalwa, Nina (2025): Dehumanisierung. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 07.10.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/dehumanisierung/.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Deutungsmuster

Unter einem Deutungsmuster wird die problem- und lösungsbezogene Interpretation gesellschaftlicher und politischer Tatbestände verstanden, die Aussicht auf Akzeptanz in sozialen Gruppen hat. Der Begriff des Deutungsmusters hat Ähnlichkeit mit den Begriffen der Theorie und Ideologie. Meist werden gesellschaftlich verbreitete Leitdeutungen, die oft mit Schlagwörtern und Argumentationsmustern einhergehen (wie Globalisierung, Kapitalismus, Leistungsgesellschaft, Chancengleichheit etc.) als Beispiele für Deutungsmuster genannt.

Sinnformel

‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.

Praktik

Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Narrativ

Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Techniken

Strategische Prozessführung

Der Begriff strategische Prozessführung kombiniert die Worte Strategie im Sinne von Plan und Taktik‘ und Prozessführung im Sinne von ‚Klage vor Gericht‘. Eine einheitliche Definition des Konzepts existiert bislang nicht. Meist werden hierunter (Muster)Klagen von NGOs und Bürgerrechtsorganisationen verstanden, mit denen über den Einzelfall hinausgehende soziale und gesellschaftspolitische Ziele verfolgt werden.

Inszenierte Kontroverse

Inszenierte Kontroversen liegen vor, wenn Politiker, Vertreter von Interessengruppen, Aktivisten, Journalisten, Influencer oder andere öffentlich wirksame Akteure potentiell strittige Themen möglichst effektvoll in einen Diskurs einbringen oder einen entsprechenden Diskurs auslösen, und zwar um entsprechende Perspektivierungen bestimmter Konfliktlagen im eigenen Interesse konfrontativ zu prägen.

-ismus

Bei Ismen geht es ursprünglich um die Wortendung (sog. Suffix) -ismus (Plural -ismen), mit der Substantive mit substantivischem oder adjektivischem Wortstamm (Basis) gebildet werden (z.B. Vulkan-ismus oder Aktiv-ismus).

Persuasion

Persuasion kommt vom lateinischen Verb persuadere und bedeutet ‚überzeugen, überreden‘ (gebildet aus suadere ‚raten, empfehlen‘ und per ‚durch, über‘).‘). Der Begriff stammt aus der Rhetorik, in der es vor allem darum geht, wie man Hörer:innen oder Leser:innen auf seine Seite bringt: wie man sie zum Beispiel in einem Gerichtsprozess von der Schuld oder Unschuld eines/einer Angeklagten überzeugt, wie man sie politisch zur Parteinahme überredet oder wie man sie ganz allgemein für sich selbst oder einen bestimmten Gegenstand/Sachverhalt einnimmt.

Zensur

Zensur sowie die Praktik des Zensierens sind Machtpraktiken der Einschränkung, Kontrolle und des Verbots von Besitz oder Rezeption von Kunstwerken, Medien, aber auch von Äußerungen bzw. einzelnen Sätzen, Sprüchen, Phrasen bis hin zu Wörtern.

Ironie

Ironie (altgriechisch εἰρωνεία (eirōneía), wörtlich ‚Verstellung‘, ‚Vortäuschung‘) ist in unserer unmittelbaren und massenmedialen Kommunikationskultur sehr bedeutsam. Sie arbeitet mit einem Bewertungsgegensatz zwischen Gesagtem und Gemeintem.

Wiederholen

Das Wiederholen von Äußerungen in öffentlichen (politischen) Diskursen zielt darauf, das Denken anderer zu beeinflussen, Wissen zu popularisieren, einseitige (z. B. fanatisierende, beschwörende, hysterische, ablenkende, pseudosachliche) Konstruktionen von Wahrheit zu erzeugen, um die soziale Wirklichkeit als intersubjektiven Konsens im einseitigen Interesse des „Senders“ zu verändern. Grundvoraussetzung ist die Annahme, dass das kollektive Denken stets mächtiger als das individuelle Denken ist.

Diskreditieren

Das Diskreditieren ist eine Praktik, mit der Diskursakteure durch verschiedenste Strategien, die von Verunglimpfungen und Verleumdungen bis hin zu rufschädigenden Äußerungen reichen, abgewertet und herabgesetzt werden.

Nähe inszenieren

Die Inszenierung von Nähe beschreibt eine Kommunikations>>praktik, bei der Akteur:innen Techniken einsetzen, um Vertrautheit, Sympathie und Authentizität zu vermitteln (z.B. das Angebot einer:s Vorgesetzten, zu duzen).

Diplomatie

Diplomatie bezeichnet im engeren Sinne eine Form der Kommunikation zwischen offiziellen Vertretern von Staaten, die die Aufgabe haben, zwischenstaatliche Beziehungen durch und für Verhandlungen aufrecht zu erhalten. Diese Vertreter können Politiker oder Beamte, insbesondere des diplomatischen Dienstes, sowie Vertreter internationaler Organisationen sein.

Schlagwörter

Massendemokratie

Geprägt wurde der Begriff Massendemokratie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von völkisch-konservativen Akteuren (prominent darunter Carl Schmitt 1926). Der Ausdruck Masse hatte damals bei den bürgerlichen Eliten eine rundum bedrohliche Assoziation.

Social Bots

Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.

Kriegsmüdigkeit

Der Ausdruck Kriegsmüdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische Ermüdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch für das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.

Woke

Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.

Identität

Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.

Wohlstand

Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

Remigration

Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.

Radikalisierung

Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.

Bürokratie

Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.

Politisch korrekt / Politische Korrektheit

Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt.

Verschiebungen

Kriminalisierung

Kriminalität meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden.

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Partizipatorischer Diskurs

Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament

Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)

Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit

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Die Macht der Worte 3/4: Sprachliche Denkschablonen

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Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe

DiskursReview Die Macht der Worte (2/4): Freund-Feind-Begriffe Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen

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Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.