DiskursGlossar

Geschlechtergerechte Sprache

Kategorie: Schlagwörter
Verwandte Ausdrücke: geschlechtersensible Sprache, gendergerechte Sprache, geschlechtergerechter/gendergerechter Sprachgebrauch, kurz auch: Gendern
Siehe auch: Identitätspolitik, Moralisierung, Politische Korrektheit
Autorin: Gisela Zifonun
Version: 1.3 / Datum: 19.07.2021

Kurzzusammenfassung

Mit dem heute als Fahnenwort gebrauchten Ausdruck geschlechtergerechte Sprache ist die Forderung verbunden, bei Personenbezeichnungen die einseitige, für diskriminierend erklärte Bezugnahme auf einen bestimmten Sexus, konkret: auf das männliche Geschlecht, zu unterlassen.  

Kritisiert wird in erster Linie der Gebrauch von Maskulina als ,generisches Maskulinum‘ wie in die Bürger dieses Landes, die Studenten. Zur Vermeidung der damit aus dieser Sicht verbundenen Diskriminierung werden zwei Strategien des ,Genderns‘ vorgeschlagen und für den Sprachgebrauch in Institutionen z.T. verbindlich vorgeschrieben: die Sichtbarmachung z.B. durch Doppelformen (wie die Bürger und Bürgerinnen dieses Landes), durch typografische Markierung (wie in die BürgerInnen/Bürger*innen dieses Landes) und die Neutralisierung (wie in die Studierenden).

Als Argumente für das Gendern werden geltend gemacht: Gebote von Höflichkeit oder Rücksichtnahme, die Anerkennung von Diversität und das Anrecht auf Inklusion. Im Hintergrund steht die Vorstellung einer starken Abhängigkeit des Denkens vom Sprechen: Die sprachliche Dominanz des Männlichen sei somit Ausdruck von Sexismus und befördere ihn gleichzeitig aktiv. Der durch das Gendern eingeleitete Sprachwandel sei also Ausdruck und Motor eines notwendigen gesellschaftlichen Wandels zugleich.

Gegen das Gendern wird die Unwirksamkeit von Sprachregelungen gegenüber realen Machtverhältnissen ins Feld geführt, daneben die Umständlichkeit oder gar Unleserlichkeit gegenderter Texte und die damit verbundenen Schwierigkeiten für bildungsfernere und nicht-muttersprachliche Personen. Ein weiteres Argument ist der als unzulässig erachtete Eingriff in das Sprachsystem mit seinen gewachsenen Strukturen. Es handle sich zudem um eine fragwürdige Moralisierung des Sprachgebrauchs von Seiten identitätspolitischer Positionen, durch die die Sprecher und Sprecherinnen in unzulässiger Weise bevormundet würden. 

Die Debatte in Fachkreisen wie in Diskussionsrunden und in Internetforen nimmt in jüngster Zeit an Schärfe zu, angeheizt durch die politische Instrumentalisierung von rechts mit einer Polemik gegen ‚Genderwahn‘ und political correctness.

Erweiterte Begriffsklärung

Der Zusammenhang zwischen der sprachlichen Kategorie Genus und der biologischen Kategorie Sexus ist auf Personenbezeichnungen (sowie Bezeichnungen für höhere Tiere) beschränkt und gilt auch dort nicht durchgängig. Das feminine Genus ist bei Personenbezeichnungen (teilweise auch bei Bezeichnungen für Tiere; vgl. die Stute versus der Hengst) mit dem weiblichen Sexus verknüpft wie etwa bei den Verwandtschaftsbezeichnungen (die Mutter, die Schwester), das maskuline Genus mit dem männlichen (der Vater, der Bruder). Maskuline Wörter (wie Mensch) und feminine Wörter (wie Person) können jedoch auch geschlechtsneutral sein. Zudem werden maskuline Wörter wie (der) Lehrer, (der) Student auch für Personen beiderlei Geschlechts gebraucht. Nach gängiger linguistischer Lehrmeinung wird seit dem Strukturalismus, einer sehr einflussreichen (sprach-)wissenschaftlichen Forschungsrichtung, dieses so genannte ,generische Maskulinum‘ aus Strukturmerkmalen des Sprachsystems indoeuropäischer Sprachen hergeleitet: Im Deutschen, im Lateinischen oder Russischen usw. sind die Genera nicht gleichwertig, sondern das Maskulinum ist das ,unmarkierte‘, d.h. das dominante Genus: Es kann bei Personenbezeichnungen nicht nur für den männlichen Sexus stehen, sondern auch für Personen unter Absehung vom Sexus. Plakativ wurde daraus in der feministischen Bewegung der 1980er Jahre die Charakterisierung des Deutschen als ‚Männersprache‘ abgeleitet. Die Zurückführung der Genera auf Sexuskategorien lässt sich historisch nicht nachweisen. Alternativ wird als primäre Semantik des Maskulinums die Bezeichnung von konkreten Einzelgegenständen, des Femininums hingegen die von abstrakten Gegenständen (vgl. Freiheit, Verantwortung) und Kollektiven (vgl. Gesellschaft) vorgeschlagen (vgl. Werner 2012): Die Assoziation mit dem Sexus sei erst im Laufe der Sprachgeschichte entstanden und die Dominanz des Maskulinums sei nicht direkt der Geschlechterordnung zuzuschreiben, sondern folge aus der kognitiven wie sprachlichen Salienz von konkreten Dingen. So sind die ‚einfachen‘ Substantive des Deutschen, diejenigen ohne Ableitungsaffixe, zu zwei Dritteln Maskulina, unter ihnen an erster Stelle Bezeichnungen für konkrete Gegenstände wie Tisch, Stuhl usw. Allerdings dürfte im Laienverständnis eine Identifikation von maskulin mit männlich und feminin mit weiblich nach wie vor gegeben und damit der Boden für die Vorstellung bereitet sein, dass maskuline Wörter für Männer und nur für Männer stehen.

Der Begriff geschlechtergerechte Sprache selbst kam zu Beginn der 1990er Jahre im Zusammenhang mit ersten Gesetzesinitiativen zur sprachlichen Gleichstellung von Männern und Frauen auf, entstammt also der Behördensprache. Zunächst waren dabei nur in Reaktion auf den Sprachfeminismus Frauen als potenziell  Diskriminierte im Blick, im Zuge der neueren  Debatte auch Personen, die sich jenseits klassischer Sexuskategorien einordnen oder sich differenzierten Kategorien des sozialen Geschlechts (Genders) zuordnen. Zahlreiche Behörden, Universitäten und andere Institutionen legen in oft von den Gleichstellungsbeauftragten erarbeiteten Leitfäden detaillierte Vorschläge zur Umsetzung beider Strategien vor. Die rechtliche Haltbarkeit solcher Regelungen ist umstritten. Vor allem im Zuge der LGBTQ-Bewegung, von #MeToo und im Anschluss an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ,dritten Geschlecht‘ im Jahr 2017 wurde die Geschlechterdebatte ausgeweitet, und es formierten sich innerhalb der Sprachwissenschaft, im Kulturbetrieb und in den Neuen Medien unterschiedliche Lager. Die Befürworter des Genderns innerhalb der Linguistik berufen sich seit der Jahrhundertwende auf zahlreiche psycholinguistische Studien, mit denen der Nachweis erbracht worden sein soll, dass das ,generische Maskulinum‘ die Vorstellung männlicher Personen bei den Rezipienten deutlich begünstige, selbst wo Weltwissen und Kontext eher für weibliche Personen als Gemeinte sprechen (vgl. Kotthoff/Nübling 2018). Gegen das Design und die Validität solcher Studien wurden jedoch auch Bedenken angemeldet, etwa gegen die ungenügende Berücksichtigung von Kontext und semantischem Status der jeweiligen Verwendung einer maskulinen Personenbezeichnung (vgl. Zifonun 2018). Gleichzeitig wurde das Inventar der sprachlichen Mittel des Genderns um den Unterstrich und vor allem den Genderstern angereichert. Für den Genderstern wurde mit dem Knacklaut auch eine gesprochene Realisierungsform kreiert, was deutlich zur massenmedialen Verbreitung beitrug. Neuerdings wird auch in den Massenmedien verstärkt ,gegendert‘.

Diese Debatte erhält dadurch besondere Brisanz, dass sich in ihr fachlich-linguistische und moralisch-politische Anliegen exemplarisch kreuzen. Dabei treffen in der innerlinguistischen Debatte einerseits unterschiedliche Sprachkonzeptionen aufeinander, wenn der Eigenwert und die interne Logik des Sprachsystems gegen das Primat eines Sprachgebrauchs ausgespielt werden, der von moralischen Einstellungen und gesellschaftlichen Zielsetzungen bestimmt ist. Diese Trennlinie korreliert teilweise mit einer Divergenz in den Forscher-Generationen und Teildisziplinen und weist damit Parallelen mit den Fronten im Bereich Cancel Culture auf. Für die Linguistik bietet das Thema die sonst kaum gegebene Möglichkeit, im öffentlichen Diskurs wahrgenommen zu werden und Resonanz zu erfahren. Einen mit den medizinischen Experten (Virologie, Epidemologie) in der Corona-Pandemie vergleichbaren Zuwachs an Renommee ist jedoch kaum zu erwarten. Der beim genderbewegten Publikum zu beobachtende Bedarf nach Ratgebern für ,richtiges Gendern‘ (vgl. Diewald/Steinhauer 2017) spiegelt eher ein Verständnis der Linguistik als Dienstleistungsbetrieb denn als ernst zu nehmende und relevante Wissenschaft wider.  Mit zunehmender öffentlicher Sichtbarkeit wächst jedoch auch die Gefahr der Vereinnahmung durch politische Lager mit der Zuspitzung von Debatten zum Sprachkampf: Nationalidentitäre Einstellungen versus linke Identitätspolitik (vgl. Lobin 2021). Von rechts, auch von der AfD, wird gendergerechte Sprache dabei als ,ideologischer Genderunfug‘ oder ,Genderwahn‘ oder ,Anschlag auf die Meinungsfreiheit‘ abgewertet. Andererseits werden Kritiker des Genderns z.T. der Nähe zu rechtem Denken verdächtigt. Ähnlich wie bei anderen umstrittenen Feldern der zeitgeistverhafteten gesellschaftlichen Debatte wird auch hier mit Strategien der wechselseitigen Unterstellung und dem Opfer-Topos gearbeitet. Allerdings wird das Links-Rechts-Schema – mit der Einordnung linker Positionen als pro und rechter Positionen als kontra Gendern – kaum dem Meinungsspektrum der Debattierenden gerecht. Linke Kritik an der Identitätspolitik, sprich: an der ggf. überzogenen Rücksichtnahme auf die Empfindlichkeiten von Gruppen zulasten einer Orientierung am Gemeinwohl bzw. universalen Werten (vgl. z.B. Pfaller 2017), kann auch die Kritik an gendersensibler Sprache einschließen.

Zur Haltung in der breiten Öffentlichkeit bzw. der ,schweigenden Mehrheit‘ liegen keine im Hinblick auf alle Aspekte des Themas verlässlichen Daten vor. Nach einer Umfrage von Infratest vom Mai 2021 lehnen ca. zwei Drittel der Befragten ,Gendersprache‘ (Binnen-I bzw. Knacklaut oder Partizipien wie Zuhörende) ab. Überwiegen dürfte vor allem aber ein kopfschüttelndes Unverständnis artikuliert etwa in „Wozu das?“ oder „Haben wir keine anderen Probleme?“

Beispiele

Verglichen mit der Fülle von individuellen Meinungsbeiträgen unterschiedlichster Spielarten – von sachlich bis zu hochemotional oder gar diffamierend – die in Print- wie in Online-Medien zum Thema verbreitet werden, bieten Diskussionsrunden die Möglichkeit zur direkten Konfrontation und ggf. zu Abgleich und Bewertung von Positionierungen. In einer als exemplarisch für die fachinterne Debatte herangezogenen Podiumsdiskussion an der Uni Gießen (s. hier für das Video) wurden in erster Linie sprachbezogene Themen kontrovers diskutiert. Während Peter Eisenberg Eingriffe in das standardsprachliche Sprachsystem, wie sie etwa mit dem Genderstern oder gar dem ,generischen Femininum‘ vorgeschlagen werden, ablehnt, befürwortet Gabriele Diewald das Experimentieren mit Innovationen, die den Sprachwandel, der ohnehin im dynamischen System Sprache unerlässlich sei, in Richtung Gendergerechtigkeit vorantreiben können. Umstritten ist ebenso die Frage, ob es das generische Maskulinum ,immer schon‘ gegeben habe oder ob es sich um eine im Laufe der Sprachentwicklung unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen entstandene und heute auch außer Kraft setzbare Konvention handle. Diskutiert wird aber auch die Frage, wer hier in welcher Form sprachregelnd eingreifen darf. Während die Skeptiker (Eisenberg und Ekkehard Felder) in der Einforderung (bestimmter Formen) von geschlechtergerechter Sprache eine Bevormundung des mündigen Bürgers sehen, durch die zudem die Teilhabe des ,kleinen Mannes‘ gefährdet werde, spricht die Befürworterin von einer ,Vorreiterfunktion‘ engagierter Gruppen. 

In der öffentlichen Debatte,  exemplarisch vertreten durch die ZDF-Sendung „Politisch korrekte Sprache – Muss das sein? 13 Fragen“ (s. hier für das Video), wird das Thema gendergerechte Sprache oft zusammen mit dem Thema Gebrauch anstößiger / stigmatisierter (z.B. rassistischer) Begriffe unter dem Label ,politisch korrekte Sprache‘ diskutiert. Eine Autorin, ein Autor, zwei Journalistinnen, eine Transaktivistin und ein Kabarettist sind unter anderem uneinig bei der Bewertung der Strategien Sichtbarbarmachung von Diversität versus genderneutrale Sprache. Für Genderneutralität wird geltend gemacht, dass der permanente Verweis auf das Geschlecht der Vielfalt personaler Rollen widerspreche. Dem wird entgegengehalten, dass echte Genderneutralität im Deutschen auch bei Nutzung des generischen Maskulinums nicht erreicht werden könne, da genusspezifische Pronomina (wie er/sie; jeder/jede) kaum vermieden werden können. Besonders umstritten ist die Frage der Zulässigkeit von Vorschriften in Behörden oder Firmen bzw. genereller die Akzeptanz der in Teilen des Kulturbetriebs ausgeübten Einflussnahme durch das Gendern. Die genderskeptische Fraktion befürchtet ein – für die demokratische Kultur bedenkliches – Auseinanderdriften zwischen dem Verhalten  im öffentlichen Raum, bei  dem viele sich dem Zeitgeist anschlössen, und im privaten Bereich, wo sie an der gewohnten Praxis festhielten. Auch eine Vertiefung der gesellschaftlichen Spaltung zwischen den Milieus sei zu befürchten. Dem hält die Fraktion der Genderbefürworter und -befürworterinnen entgegen, bisher Marginalisierte, also Frauen und Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität, sollten im Sinne ausgleichender Gerechtigkeit jetzt Vorrechte genießen. Dieses Argument stößt ebenfalls auf Widerspruch, da keineswegs von einer geschlossenen Gruppe von Marginalisierten mit übereinstimmenden Einstellungen auszugehen sei.  

 

Literatur

Zitierte Literatur

  • Diewald, Gabriel; Steinhauer, Anja (2017): Richtig gendern. Wie Sie angemessen und verständlich schreiben. Berlin: Duden.
  • Kotthoff, Helga; Nübling, Damaris (2018): Genderlinguistik. Eine Einführung in Sprache, Gespräch und Geschlecht. Tübingen: Narr.
  • Lobin, Henning (2021): Sprachkampf. Wie die Neue Rechte die deutsche Sprache instrumentalisiert. Berlin: Duden.
  • Pfaller, Robert (2017). Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur. Frankfurt a.M.: Fischer.
  • Werner, Martina (2012): Genus, Derivation und Quantifikation. Zur Funktion der Suffigierung und verwandter Phänomene im Deutschen. Berlin; Boston: De Gruyter.
  • Zifonun, Gisela (2018): Die demokratische Pflicht und das Sprachsystem: Erneute Diskussion um einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch. In: Sprachreport, Heft 4, Jg. 34, S. 44–56.

Verlinkte Onlinequellen

  • ZDF (2020): Politisch korrekte Sprache. Muss das sein? Online unter: https://www.zdf.de/kultur/13-fragen/sprache-13f-102.html ; Zugriff: 27.04.2023.
  • Zentrum für Medien und Interaktivität (ZIM) (2019): Podiumsdisskusion. Studierende, SuS, Bürger*innenmeister*innen. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=QqMPpX5RzJI ; Zugriff: 27.04.2023.

Zitiervorschlag

Zifonun, Gisela (2021): Geschlechtergerechte Sprache. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 19.7.2021. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/geschlechtergerechte-sprache.

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Wahlkampf

Wahlkämpfe sind Zeiten stark intensivierter politischer Kommunikation. Politische Parteien entwickeln Programme für die nächste Legislaturperiode in der Hoffnung, durch entsprechenden Stimmengewinn zu deren Umsetzung ermächtigt zu werden.

Schlagwörter

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Identitätspolitik

Der Ausdruck steht heute für eine politische Konstellation, in der konkurrierende Wir-Gemeinschaften mit einer Diskriminierungs- und Benachteiligungsgeschichte in der Öffentlichkeit um Anerkennung konkurrieren. An der Oberfläche geht es ‚identitären‘ Wir-Gemeinschaften darum, die eigene Diskriminierung als Ermächtigungsmotiv an die Öffentlichkeit zu tragen.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.