DiskursReview | Arbeitspapiere

Schlaglichter des Kriegsdiskurses

Eine kleine Inventarauswahl zum öffentlichen Sprachgebrauch im Frühjahr 2022

von Felix Tripps und Friedemann Vogel sowie der Forschungsgruppe »Diskursmonitor«
Version: 2.0 / 03.01.2023

Spätestens seit dem Angriff und Einmarsch Russlands in der Ukraine dominiert der Krieg auch die bundesdeutschen Debatten und schlägt sich im medioen-politischen Sprachgebrauch nieder. Die folgende Inventarisierung von diskursprägenden Wortfeldern, Schlagwörtern und Topoi bildet lediglich einen kleinen Ausschnitt des Geschehens ab und fokussiert vor allem jene Phänomene, die über allgemeine Kriegsdiskurse hinaus in der aktuellen Auseinandersetzung eine besondere Rolle einnehmen. Die Sammlung entstammt aus kontinuierlichen Beobachtungen und Diskussionen in der Forschungsgruppe „Diskursmonitor und Diskursintervention“ (https://diskursmonitor.de), die sich seit 2019 um die Erfassung, Systematisierung und Dokumentation von strategischen Kommunikationspraktiken bemüht. Eine systematische Erhebung und korpusbasierte Auswertung sprachlicher, visueller und audiovisueller Zeichen im und um den Krieg stehen aber noch aus.

Neben der Übersicht über einige diskursprägenden Schlagworte, Wortfelder und Topoi bietet die untenstehende Liste auch jeweils eine kurze Beschreibung bzw. Einordnung aus diskursanalytischer Perspektive (aktualisierter Stand: 02.01.2023).

Bitte beachten Sie bei der Lektüre: es geht nicht um eine inhaltliche Bewertung der jeweils aufgerufenen Deutungsmuster oder um eine politische Positionierung, sondern um die Beschreibung der Funktionsweise der jeweiligen Ausdrücke in ihrem im Diskurs beobachtbaren regelhaften Gebrauch. Dabei kann es gerade ermangels einer systematischen Erhebung und Analyse sowohl zu Irrtümern als auch zu missverständlichen Beschreibungsparaphrasen kommen. Für Hinweise sind wir immer offen und dankbar. Für Erklärungen der hier verwendeten analytischen Fachkonzepte (z.B. „Stigmawort“, „Feindbegriff“ usw.) bitten wir um Berücksichtigung unseres Diskursglossars.

Hinweis zur Notation: Ausdrücke der Objektsprache (Aussagen von Diskursakteuren) werden kursiv wiedergegeben; analytische Deutungshypothesen zu handlungsleitenden Konzepten der Diskursakteure stehen in »doppelten französischen Anführungszeichen«.

#PutinsKrieg vs. #Russlandkrise: Benennungskonkurrenz (Hashtags) und damit einhergehender semantischer Kampf um die Perspektivierung des Agenten, vor allem zu Kriegsbeginn und in den ersten Kriegswochen (Februar/März 2022).

#unfassbar: Hashtag zum Ausdruck von emotionaler Betroffenheit durch die sich überschlagenden Ereignisse.

Abschreckung: Ausdruck, der häufig in Argumentationsmustern verwendet wird, die die militärische Aufrüstung und Mobilmachung in Europa befürworten. Die Demonstration militärischer Schlagkraft und Einsatzbereitschaft auf der Seite des Westens würde Russland von einer weiteren Ausweitung des Konfliktes abhalten. Dieser Topos ist das Gegenstück zur Argumentation, militärische Aufrüstung sowie Mobilmachung hätte eine provozierende Wirkung auf die russische Seite und würde die Gefahr einer Eskalation des militärischen Konfliktes durch Russland erhöhen (siehe eskalieren).

Aggressor: Stigmaausdruck (Feindbegriff) für die Rolle Russlands im Ukraine-Krieg. Teil eines Wortfeldes, das die Rollen einzelner Staaten im Ukraine-Krieg festsetzt und wertet. Illegitim und aus freien Stücken handelnder Angreifer als Gegenstück zur Ukraine, die zum »Opfer« wird bzw. als »Verteidigerin gegen den Aggressor« gedeutet wird. Diese Verwendung des Ausdrucks trägt zur Delegitimierung des militärischen Handelns Russlands bei und rechtfertigt gleichzeitig das militärische Handeln der Ukraine und anderer verbündeter Staaten als »Verteidiger«.
[Anmerkung aus gegebenem Anlass: Die hier gegebene Bedeutungsparaphrase soll die objektivierbare Tatsache, dass Russland in die Ukraine eingefallen ist, in keinster Weise relativieren. Die Stigmawort-Verwendung des Ausdrucks Aggressor im Diskurs (!) bleibt aber erhalten, gleich ob man der damit verbundenen politischen Positionierung zustimmt oder sie ablehnt.]

Atombombe: Schlagwort-Gebrauch des Ausdrucks zur Abschreckung des Gegners (z.B. durch das Andeuten von Bereitschaft, Atombomben einzusetzen). Findet sich analog dazu auch in Argumentationen, die unter den Gefahren-Topos fallen (eine Einmischung westlicher Staaten in den Krieg könne Russland zum Einsatz von Atomwaffen treiben).

Atomwaffen / Atomkrieg: Schlagwort, mit dem appellativ vor einer drohenden Eskalation(spirale) mit strategischen oder taktischen Atomraketen im Ukraine-Krieg gewarnt wird. Tendenziell dient es als Argument für eine stärkere Zurückhaltung westlicher Verbündeter (bei Waffenlieferungen usw.) und für die »Suche nach diplomatischen Lösungen«. Von Gegnern dieser Position wird der Verweis auf eine Atomwaffen-Eskalation durch Putin als »manipulativer Topos« zurückgewiesen.

Besuch (in Kiew): Der Besuch der Ukraine bzw. der Hauptstadt Kiew durch hochrangige PolitikerInnen gilt im Diskurs als Demonstration und Beleg für Solidarität mit dem Land; sich »verzögernde«, »abgesagte« oder »ungebetene« Besuche (wie im Falle von Olaf Scholz) wurden tendenziell moralisch sanktioniert. Besuche werden medial inszeniert und dienen zur Profilierung der Besuchenden.

Brücke (Erdgas, Kohleverstromung usw.): Alternatives Schlagwort zu Brückentechnologie und Indikator für den Topos, nicht-regenerative Energieressourcen (trotz Klimakrise) vorübergehend weiter zu nutzen; in den 2000er Jahren mit Bezug auf den Zeitpunkt, zu dem regenerative Energieressourcen in der Breite zur Verfügung stünden, aktuell mit Bezug auf die Dauer des Krieges und für die Dauer von (drohender) Energieknappheit.

Bucha / Butscha: Ortsname, der im gegenwärtigen Diskurs symbolisch für die Tatsache russischer Kriegsverbrechen und Amoralität steht. Mit dem Namen verbinden sich umfassende Berichte über eine große Zahl an zivilen Kriegsopfern und mit Hinweisen auf Folter u.a. Der Verweis auf den Ort wird unter anderem auch strategisch genutzt und ist dann zugleich zentraler argumentativer Bezugspunkt für die Durchsetzung militärischer Aufrüstung westlicher Staaten sowie zur Delegitimierung von Forderungen nach Friedensverhandlungen mit Russland.

David gegen Goliath: Kollektivsymbol, das metaphorisch für asymmetrische Konflikte verwendet wird. Durch den Gebrauch werden den Kriegsparteien bestimmte Attribute zugeschrieben. Russland als die »eindeutig überlegene« und »angsteinflößende« Streitmacht, der sich die Ukraine als »eigentlich hoffnungslos unterlegener« und »moralisch unterstützenswerter« Gegner entgegenstellt und aufgrund seiner »mutigen« und »cleveren« Art zu kämpfen aber unerwartete Siegchancen hat. Dieses Bild kann im Diskurs zur Heroisierung der ukrainischen Seite beitragen.

Defensivwaffen: (Euphemistisches) Schlagwort in der Debatte darüber, ob Deutschland die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützen soll. Durch den Ausdruck wird der Aspekt der (moralisch legitimen) Selbstverteidigung akzentuiert. Er trägt zu einer vereindeutigenden Angreifer-Verteidiger-Schematisierung bei. Außerdem suggeriert die Unterscheidung verschiedener Waffentypen, die Lieferung von Defensivwaffen sei eine weniger gravierende Einmischung in das Kriegsgeschehen und moralisch leichter zu rechtfertigen als die Lieferung von Offensivwaffen oder sogenannten schweren Waffen. Der Ausdruck wurde musterhaft gebraucht, um öffentliche Zustimmung für Waffenlieferungen von Deutschland an die Ukraine zu gewinnen und gleichzeitig die Rolle Deutschlands als indirekte Konfliktpartei zu relativieren. Siehe auch Waffen, schwere.

Demokratie, wehrhafte: Hochwert- und Fahnenwort zur Legitimierung militärischer Aktivitäten der Eigengruppe gegen erklärte Mitglieder (Staaten, Gruppen, Personen) einer Feindgruppe.

Demütigung: Teilweise generelles Prädikat für als »militärischen, wirtschaftlichen, personellen o.ä. (Gesichts)Verlust Putins« gedeutete Ereignisse, die auch die Überlegenheit der Ukraine bzw. ihrer Verbündeten demonstrieren sollen. Als Fahnenwort steht es für die Forderung, Russland bzw. Putin durch einen finalen Sieg der Ukraine eine »historische Schmach« zuzufügen und ihr damit den »Weltmacht«-Status abzusprechen. Für Gegner dieses Ziels bzw. Befürworter einer Verhandlungslösung ist der Ausdruck dagegen ein appellatives Stigmawort (Wir dürfen Russland nicht demütigen, Macron im Juni 2022), verbunden mit der Forderung, Russland bzw. Putin einen gesichtswahrenden Rückzug zu ermöglichen bzw. umgekehrt »Kurzschlusshandlungen oder eine unkalkulierbare Eskalation Russlands« zur Abwendung einer solchen »Schmach« zu vermeiden.

Desinformation: Stigmawort für – aus Sicht der (deutschen/westlichen) Eigengruppe – »propagandistische Aktivitäten« Russlands, denen man mit mehr Alltagssensibilität und aktiver Gegenpropaganda (Informationsmaterialien) aktiv begegnen müsse.

Diplomatie: Gegenschlagwort zu Stigmawörtern wie Kriegstreiberei u.a.; initialisiert die Forderung nach (mehr) Verhandlungsbemühungen zwischen Russland, Ukraine und Dritten; zeitweise im Diskurs »kontaminiert« mit Verweis auf eine »Nichtverhandlungsfähigkeit« von Putin und/oder an Voraussetzungen geknüpft (z.B. militärischer Druck auf Russland).

Diskriminierung (von Russen in Deutschland): Vor allem zu Beginn des Krieges vermehrt Meldungen über verbale oder tätliche Angriffe gegen »russisch-stämmige« oder russisch-sprechende MitbürgerInnen oder Geschäfte in Deutschland.

Doomscrolling: Schlagwort für als Belastung empfundenes, exzessives und auch Hilflosigkeit signalisierendes Konsumieren negativer Nachrichten; v.a. zu Kriegsbeginn oft thematisiert bzw. wiederaufgegriffen.

Energiekrieg: Schlagwort, mit dem der Handel mit Energieträgern wie Gas und Öl als Teil der russischen Kriegsführung gegen die Ukraine und deren Unterstützer benannt wird. Vor allem im Zusammenhang mit ausbleibenden Lieferungen von Seiten Russlands verwendet (siehe auch Wirtschaftskrieg). Der Ausdruck dient außerdem argumentativ zur Legitimierung unterschiedlichster, potentiell umstrittener (sozial-, bildungs- und energie-) politischer Entscheidungen.

Energiesparen / Spritsparen gegen Putin (sowohl affirmativ als auch sarkastisch: Frieren gegen Putin bzw. für die Ukraine): Schlagwort verbunden mit dem moralischen Appell, bestimmte als »russisch« akzentuierte Energieressourcen (insb. Öl und Gas) einzusparen und damit auch »drohendem« Energiemangel entgegenzuwirken. Ähnliche Verwendungen: „Fahrradfahren ärgert Putin“ (WDR); Putins Angriffskrieg gegen die #Ukraine – finanziert von unseren Öl-ImportenWas jetzt hilft: Runter vom Gas und Sprit sparen!“ (Campact). In affirmativer Verwendung kollektivieren diese Formeln (gedanklich-konzeptuell) auch eine Kriegsbeteiligung: sie insinuieren, jeder könne mitmachen, einen eigenen Teil dazu beitragen und »mitkämpfen« etc.

Bild1 Das bedeutet Putins Angriff für unseren Alltag
Abb. 1: „Das bedeutet Putins Angriff für unseren Alltag“. Quelle: Bild Online vom 25.02.2022. Zugriff: 15.07.2022.

Eskalation / Eskalationsdominanz: Appellatives Schlagwort der BefürworterInnen einer diplomatischen Lösung mit Verweis auf die »Fähigkeit Russlands, jede westliche Aufrüstung und Stärkung der Schlagkraft der Ukraine mit größeren militärischen Ressourcen beantworten zu können«. Siehe auch Atomwaffen.

eskalieren: Verb in transitivem Gebrauch, tendenziell als Kritik an Waffenlieferungen an die Ukraine oder ausgedehnte Sanktionen gegen Russland, verbunden mit dem Vorwurf des Inkaufnehmens oder gar Provozierens einer »Gewaltspirale«. Siehe auch Atombombe.

Experten / Expertinnen: Der Ausdruck steht für den ausgeprägten Einsatz des Autoritätstopos im mediopolitischen Diskurs, nach dem wesentliche politische Einschätzungen und Entscheidungen durch ExpertInnenmeinungen legitimiert werden (müssen). Im fortgeschrittenen Kriegsdiskurs zeigt sich allerdings eine ähnliche Entwicklung wie schon zuvor im Pandemiediskurs: von der absoluten, unhinterfragten Geltung des Expertenstatus (Pandemie: v.a. Akteure aus den Bereichen Virologie und Epidemiologie; im Kriegsdiskurs: v.a. Mitglieder in Transatlantiker-Think-Tanks und Akteure aus den Bereichen Militärstrategie und Politikwissenschaft) hin zu einem Konflikt um die legitime Zurechnung des Expertenstatus (Expertenstreit), im hiesigen Kriegsdiskurs vor allem als Rivalität zwischen PolitikwissenschaftlerInnen, OstexpertInnen (LandeskundlerInnen), KonfliktforscherInnen u.a.

Flüchtlinge, gute vs. schlechte: Metadiskursives Schlagwort zur kritischen Benennung von Doppelstandards im Umgang mit Flüchtlingen unterschiedlicher Herkunft (v.a. aus Syrien/Afghanistan vs. Ukraine).

Freiheit: Aktualisiertes (Dauer-)Hochwert- und Fahnenwort in der Freund-Feind-Schematisierung »freiheitliche Ukraine/Westen« vs. »unfreies, diktatorisches Russland« (vgl. z.B. Paul Ronzheimers Kommentar in der Bild mit dem Titel Europas Freiheit wird in der Ukraine verteidigt).

Freiheitsenergie: Appellatives Fahnenwort zur Bezeichnung von regenerativen Energien (bzw. dazugehörigen Technologien), eingebracht von Finanzminister Lindner am 20.04.2022 zur Legitimierung der Regierungspolitik sowie vermutlich auch zur Immunisierung gegen mögliche Kritik von FDP-Anhängern an einem (scheinbaren) Paradigmenwechsel der FDP; siehe auch Freiheit.

Gewinnen / nicht gewinnen / nicht verlieren: Semantischer Kampf um die Bezeichnung des Ziels der Ukraine bzw. des Ziels westlicher Unterstützung gegen Russland; während konservative Regierungen (wie die Großbritanniens) und Parteien dafür plädieren, die Ukraine müsse gegen Russland gewinnen, lehnen Sozialdemokraten und Liberale dieses Ziel ab mit Verweis auf die Gefahr eines möglichen neuen Weltkriegs. Russland dürfe – so das Fahnensyntagma von Bundeskanzler Scholz – nicht gewinnen bzw. die Ukraine den Krieg nicht verlieren.

Hacking / Hacktivismus: Schlagwort, üblicherweise von Politik und Medien pejorativ gebraucht zur Kriminalisierung von »IT-Manipulation« und Gruppen wie Anonymous; in den ersten Wochen des Krieges wurden mit dem Schlagwort allerdings in affirmativer Weise IT-Angriffe auf russische Infrastruktur bezeichnet und Gruppen wie Anonymous (eine Gruppe, die von Regierungen tendenziell kriminalisiert wird und deren Authentizität immer unprüfbar bleibt) zumindest vorübergehend in ihrem Image rehabilitiert.

Held: Achtungstitel von Politik und Presse für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj; die Heroisierung wird auch grafisch visualisiert, etwa durch Montagen des Präsidenten als Marvel-Comicheld (populäre Fiction-Serie); siehe auch David gegen Goliath.

Hitler: Mit fortschreitendem Kriegsverlauf nehmen Vergleiche zwischen russischen und nationalsozialistischen Kriegsaktivitäten (und -verbrechen) sowie Putin-Hitler-Vergleiche zu; sie sind oft Teil von Argumentationsketten zur Stützung von Forderungen nach einem stärkerem (militärischen) Eingreifen europäischer Staaten in den Krieg.

Influencer / Influencerin: Generelle Bezeichnung für populäre Internet-Akteure mit großer Reichweite (siehe hierzu auch den Artikel im DiskurGlossar); im Kriegskontext stehen InfluencerInnen teilweise in der Kritik, als PropagandistInnen im Dienste Russlands aktiv zu sein. Siehe auch Experten/ExpertInnen.

Interessenausgleich: Fahnenwort von KritikerInnen der Waffenlieferungen bzw. BefürworterInnen einer diplomatischen Lösung unter Berücksichtigung von russischen Sicherheitsinteressen bzw. Einflusssphären.

Keine [fachliche] Ahnung: In der Debatte um politische Handlungsmöglichkeiten im Russland-Ukraine-Krieg wird insbesondere jenen, die für Verhandlungen, eine diplomatische Lösung des Konfliktes oder gegen Waffenlieferungen/Sanktionen plädieren, mangelnde Fachexpertise (respektive Vernunftfähigkeit) vorgeworfen und infolge das Recht auf (öffentliche) Diskursbeteiligung abgesprochen.

Kiew vs. Kyjiw: Benennungskonkurrenz bei der Bezeichnung der ukrainischen Hauptstadt mit Blick auf unterschiedliche Ableitungen aus dem Russischen (dann als »kolonialistisch« konnotiert: Kiew) oder dem Ukrainischen (als »moralisch korrekte«, also sich solidarisierende Schreibung, weil aus dem Ukrainischen abgeleitet).

Konfliktparteien als Quelle: Nach zunehmender Kritik an der unmarkierten Übernahme von Äußerungen von Kriegsparteien werden bei Berichten über Kriegsverläufe bei der ARD und anderen öffentlichen Medienanstalten Disclaimer in der genannten oder ähnlichen Form eingesetzt, um auf den Mangel an Informationsprüfung hinzuweisen (was die Redaktionen allerdings nicht davon abhält, auch ungeprüfte Informationen zu verteilen).

Krankheit (Putins): Der Ausdruck findet sich häufig im Zusammenhang mit der psychiatrischen Pathologisierung des Verhalten Putins; zeitweise gab es in der deutschen Medienberichterstattung viel Spekulation um eine psychische Erkrankung Putins, zuletzt auch vermehrt Spekulationen bzgl. seiner physischen Gesundheit (z.B. Krebserkrankung als Handlungsmotivation). Die Pathologisierung Putins delegitimiert seine Weltdeutung und birgt außerdem das Potenzial, seine Machtposition nach innen zu schwächen.

Kriegsmüdigkeit: Stigmawort – nach Übersetzung des tatsächlich gebrauchten Ausdrucks Fatigue wurde Kriegsmüdigkeit in Presseartikeln der Außenministerin zugeschrieben (25.05.2022) – zur Diskreditierung einer Situation bzw. von Personengruppen als »unzureichend gegen den russischen Angriff motiviert« bzw. als Appell für »mehr Engagement gegen den Feind«.

Kriegspartei (, aktive): siehe Stellvertreterkrieg.

Kriegstreiber: Stigmaausdruck (Feindbegriff) zur Diskreditierung von Diskursakteuren, die sich für die militärische Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland einsetzen.

Kriegsverbrechen: Sowohl Analysebegriff aus dem Kriegsrecht als auch operativer Kampfbegriff in der mediopolitischen Debatte zur Legitimierung höherer (militärischer) Einsätze bzw. stärkerer Sanktionen gegen Russland. Als Kampfbegrff: (kriegsdiskurstypisches, um seine Geltungsreichweite umkämpftes) Schlagwort, mit dem jeweils der anderen Kriegspartei moralisch »illegitime« Gewalt vor allem gegenüber ZivilistInnen oder SoldatInnen vorgeworfen wird. Im bundesdeutschen Mediendiskurs wurden mit dem Schlagwort vor allem Massengräberfunde im Falle von ukrainischen Städterückeroberungen in Verbindung gebracht und vereinzelt Foltervorwürde gegenüber der ukrainischen Armee erhoben.

Kulturelle Vernichtung: Stigmawort verbunden mit dem Vorwurf, Russland ziele mit seinem Krieg auf eine »umfassende Auslöschung« ukrainischer Traditionen und Kultur zugunsten einer »Wiederherstellung einer kulturellen russischen Hegemonie«. In diesem Kontext wird »Putins Totalitätsanspruch« auch mit Praktiken des Hitler-Deutschland verglichen. Die öffentliche Thematisierung dient in aller Regel argumentativ zur Legitimierung (der Forderung weiterer) westlich-militärischer Hilfsmaßnahmen.

Legitime Interessen: Der Ausdruck wird im Diskurs verwendet, um das Handeln Russlands im Ukraine-Krieg zu rechtfertigen und zu normalisieren. Das mit diesem Ausdruck verbundene Deutungsangebot steht im starken Gegensatz zu anderen, die Russland als Aggressor in einem »unmoralischem Angriffskrieg« konstituieren.

Memes: Die einfachen Text-Bild-Collagen mit oft humorvollem (auch zynischem, ironischem) Kommentar eines Sachverhalts oder einer Person(engruppe) sind in sozialen Medien seit einigen Jahren sehr beliebt (siehe auch den Artikel im DiskursGlossar); im Kriegsdiskurs werden sich nicht nur von engagierten Privatpersonen, sondern auch von professionalisierten (v.a. ukrainischen, aber auch russischen) Propaganda-Accounts gezielt zur Selbstheroisierung bzw. Feindkonstruktion eingesetzt.

Nazi / Entnazifizierung: In den ersten Kriegswochen nutzte die russische Führung das Schlagwort der Entnazifizierung als Argumentationstopos zur Legitimierung des militärischen Angriffs auf die Ukraine. Inzwischen ist der offizielle Gebrauch dieses Schlagworts stark zurückgegangen; im öffentlichen Diskurs (z.B. auf Social Media) finden sich aber auch aktuell noch zahlreiche Belege für die Verwendung des Schlagworts als Stigma- bzw. Kontaminationsausdruck zur Diskreditierung der ukrainischen Führung (z.B. #Naziukraine auf Twitter). Diese Deutung steht der Heroisierung der ukrainischen Seite (siehe hierzu Held, David gegen Goliath) diametral gegenüber. Ein besonders deutliches Beispiel hierfür ist der Deutungskampf um das ukrainische Asow-Regiment. Dessen Kämpfer werden von ukrainischer Seite als Nationalhelden des Widerstandes gefeiert, wohingegen die russische Führung mit Bezug zu dem zum Zeitpunkt seiner Gründung bestehenden rechtsextremen Hintergrund eine Deutung des Regiments als faschistische Kampftruppe propagiert.

Offener Brief: Textsortenbezeichnung für während der Kriegszeit (2022) vermehrt in Presseorganen publizierte bzw. diskutierte öffentliche Aufrufe von Prominenten für/gegen bestimmte politische Richtungen oder Entscheidungen im Umgang mit den Kriegsparteien. Zwischenzeitlich stand/steht die Textsortenbezeichnung auch als Quasi-Stigmaausdruck für eine »moralisch abzulehnende/ nicht-integre [verhandlungsorientierte] politische Haltung«.

Ordnung, neue (auch: Neue Weltordnung bzw. alte Ordnung in Trümmern): Fahnenwort insb. von BefürworterInnen (zur Legitimierung) einer neuen militärischen Infrastruktur in Deutschland, Europa und Nato; siehe auch Zeitenwende.

Propaganda: Der Ausdruck wird sowohl als sachorientierter Analysebegriff zur Beschreibung einer Kommunikationstechnik sowie als Unwertwort zur Diskreditierung von Akteuren gebraucht (siehe auch den Artikel im DiskursGlossar). Im operativen Gebrauch als Unwertwort wird er zumeist im Sinne des Vorwurfs verwendet, eine Konfliktpartei betreibe die gezielte Beeinflussung des Denkens, Fühlens und Handelns von Menschen durch eine illegitime Auswahl, Zuspitzung und Emotionalisierung der kommunizierten Information. Dieser Vorwurf suggeriert eine vermeintliche Dichotomie aus »Propaganda« auf der einen und »sachlicher Information« auf der anderen Seite und blendet aus, dass in Kriegszeiten üblicherweise alle Parteien Formen der strategischen Kommunikation zur Verhaltensbeeinflussung einsetzen.

Regime Change: Analysebegriff in der Politikwissenschaft und politischer Kampfbegriff, unter anderem als Benennung eines erklärten strategischen Ziels gebraucht von US-Präsident Biden mit Blick auf Russland.

Sanktionen: Überbegriff für Maßnahmen, die vor allem den wirtschaftlichen Handel und die wirtschaftliche Kooperation mit Russland einschränken (sollen), um Russland mit den dadurch entstandenen negativen Konsequenzen für die eigene Wirtschaft zur Beendigung des Angriffskrieges zu bewegen. Durch den Ausdruck werden Maßnahmen, die die Wirtschaft Russlands schwächen sollen als »Reaktion auf ein bestrafungswürdiges Handeln Russlands« konstituiert und moralisch legitimiert.

Sicherheitsarchitektur: Analytisch (fachsprachlich) gebraucht bezeichnet der Begriff Strukturen, Möglichkeiten und Grenzen unterschiedlichster Verteidigungs- und Angriffstechniken eines Kollektivs; als Kampfbegriff wird der Ausdruck als Teil eines Argumentationsmusters verwendet, wonach gegenwärtige oder kommende Bedrohungsszenarien einen Auf- und Ausbau von militärischen Möglichkeiten (insb. Waffensysteme, Spezialeinheiten usw.) notwendig machten.

Singularität: Schlagwort zur Auszeichnung der Shoa als einzigartiges Ereignis (Verbrechen), das jeden Vergleich mit anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit diskursiv tabuisiert; sichtbar wurde der Ausdruck infolge von Vergleichen von Kriegsereignissen und -verbrechen in der Ukraine mit den Verbrechen der Nazis durch Präsident Selenskij am 20.03.2022 vor der Knesset, ein Vergleich, der insb. in der ausländischen Presse auf Ablehnung stieß.

Sofapazifisten / Unterwerfungspazifisten / Lumpenpazifisten / Pazifismus: Stigmaausdruck (Feindbegriff) zur Diskreditierung von Diskursakteuren als »weltfremd« und »verantwortungslos« bis »ängstlich«, wenn sie für diplomatische Lösungen und Verhandlungen mit Russland plädier(t)en.

Solidarität: Hochwertwort, das im polarisierten Kriegsdiskurs vornehmlich von Diskursakteuren eingesetzt wird, um sich selbst (symbolisch) dem Freundeslager der Ukraine zuzuordnen. Die Inanspruchnahme des Prädikats dient tendenziell zur Immunisierung von politischen Entscheidungen (z.B. Waffenlieferungen) gegen Kritik; wer entsprechende Maßnahmen infragestellt, gilt dann als »unsolidarisch«.

Sondertribunal: Fahnenwort für die Forderung der Ukraine, Russland bzw. führende Mitglieder der russischen Regierung für den Angriff auf die Ukraine vor einem internationalen Sondergericht zur Rechenschaft zu ziehen (siehe auch Kriegsverbrechen).

Spezialoperation (vs. Krieg vs. Angriffskrieg vs. Vernichtungskrieg): Euphemistischer Ausdruck im semantischen Kampf um die Benennung des militärischen Angriffs Russlands auf die Ukraine, der vor allem von der russischen Führung verwendet wird. Durch den Ausdruck sollen bestimmte konzeptuelle Aspekte des kriegerischen Angriffs Russlands diskursiv ausgeklammert werden, die in den konkurrierenden Benennungen anderer DiskursteilnehmerInnen wie Angriffskrieg oder Vernichtungskrieg akzentuiert werden (z.B. »Waffengewalt«, »Angriff«, »großes Ausmaß«, »Zerstörung« u.ä.). Die Begriffsstrategie ähnelt anderen Euphemismen zur Vermeidung des Ausdrucks Krieg und seiner negativen Konnotationen wie Kampfeinsatz oder Stabilisierungseinsatz (vgl. den Benennungskampf im Falle des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan 2009).

Staaten, unfreundliche / feindliche: Im Mai 2022 setzte die russische Regierung knapp 50 Staaten auf eine offizielle Liste unfreundlicher Staaten. Mit dieser Reaktion auf die zahlreichen wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Ukraine nimmt Russland eine diskursive Polarisierung von staatlichen Beziehungen im Sinne eine binären Freund-Feind-Zuordnung vor, die auch als diskursive Legitimationsquelle für politisch-wirtschaftlichen Maßnahmen gegen ebendiese unfreundlichen Staaten dient.

Stellvertreterkrieg: Schlagwort Russlands sowie auch von KritikerInnen westlicher Waffenlieferungen an die Ukraine, verbunden mit der Warnung, der Westen könne (absichtlich oder versehentlich infolge von Fehlangriffen) als aktive Kriegspartei in einen direkten (Welt-)Krieg mit Russland hineingezogen werden.

(Kriegs)Terror: Stigma- bzw. Unwertwort, mit dem das Handeln von Kriegsfeinden bezeichnet wird. Moralische Delegitimierung von militärischen Handlungen des Feindes (hier: Russland) und sogleich Legitimierung kriegerischer Handlungen der eigenen Seite als »Reaktion auf« bzw. »Verteidigung gegen den Terror« des Feindes.

TikTok-War: Schlagwort, das sich vor allem in englischsprachiger Medienberichterstattung zum Ukrainekrieg findet und mit dem prägnant auf den Sachverhalt referiert wird, dass dem Online-Videoportal und sozialen Netzwerk TikTok bzgl. der medialen Vermittlung und Rezeption des Kriegsgeschehens eine zentrale Rolle zukommt. Die einfache Zugänglichkeit und Verwendungsmöglichkeit der Plattform für ProduzentInnen wie RezipientInnen via Smartphone, ihr Fokus auf kurze Videoclips sowie Ihre große Beliebtheit machen TikTok zu einem idealen Medium für niedrigschwellige Kriegsberichterstattung, strategische Kommunikation und Propaganda. Da mit jedem Krieg immer auch ein Informations- und Deutungskrieg einhergeht, überrascht es nicht, dass die zum jeweiligen Zeitpunkt weit verbreiteten (und leicht zugänglichen) Kanäle der Informationsvermittlung die Berichterstattung sowie strategische Kommunikation (bis hin zur Propaganda) des Konfliktes prägen (vgl. etwa den Bericht im Telegraph vom 25.02.2022, Bericht im Telegraph vom 25.02.2022).

troll, Russen-, Putin-: Vor allem in sozialen Medien – abwertende Degradierungs- und Kontaminationsvokabel für Personen, denen in irgendeiner Form »Sympathien für Russland/Putin« unterstellt und »diskursmanipulatives/störendes Verhalten« vorgeworfen wird. Solche »Sympathien« müssen nicht belegt, nur behauptet werden. Siehe auch Sofapazifist u.ä.

Verantwortung: Ausdruck, der im Kriegsdiskurs in unterschiedlichen Verwendungsweisen zu finden ist. Einerseits wird er als Schlagwort gebraucht, mit dem die Unterstützung der Ukraine als »moralisch geboten« argumentiert wird (Verantwortung übernehmen). Andererseits wird der Ausdruck im Sinne einer Forderung danach gebraucht, Russland für sein »unmoralisches« und »völkerrechtsrechtswidriges« Handeln zur Rechenschaft zu ziehen (Russland zur Verantwortung ziehen).

Verhandlungen: Fahnenwort einer heterogenen Gruppe von Diskursakteuren, die für eine Verhandlungslösung des Russisch-Ukrainischen Krieges und/oder eine Waffenruhe bzw. gegen weitere Waffenlieferungen plädieren. Für die gegnerische Akteursgruppe, die eine Verhandlungslösung mit Blick auf den russischen Aggressor ablehnt, ist die affirmative Verwendung dieses Wortes ein Zeichen für »Realitätsferne«, »Unsolidarität« oder gar »Putin-Sympathien« (vgl. Putinversteher u.ä.).

verheizen / Kanonenfutter: Zwischenzeitliches Schlagwort zur abwertenden Bezeichnung hoher Verluste des russischen Militärs an der Front unter Einbeziehung »schlecht ausgebildeter Frischberufener« in der zweiten Jahreshälfte 2022. Mit dem Ausdruck geht auch der Vorwurf mangelnder Moral der russischen Kriegsführung einher.

Verlust / Zurückdrängen / zurückerobern u.ä.: Die tagesaktuelle Kriegsberichterstattung ist geprägt von einem breiten Wortfeld, das Veränderungen und Verschiebungen des Grenzgeschehens nicht nur wiedergibt, sondern auch mitkonstituiert: im hiesigen Diskurs sind die Berichte zum Frontverlauf vor allem Bezugspunkt bei der (De)Legitimierung von militärischer Unterstützung (insb. Waffenlieferungen) für die Ukraine, der Aufgabe von besetzten Gebieten und von Diplomatieappellen.

Verluste [des jeweils anderen]: Typisches Schlagwort, das vor allem die militärischen (personellen, materiellen, lokalen) Kosten der gegnerischen Fremdgruppe – hier vor allem Russlands – betont, während zugleich implizit oder explizit die Kriegskosten der Eigengruppe relativiert und die eigene Überlegenheit demonstriert werden sollen.

-versteher/kuschler, Putin-/Russen-: Stigma- bzw. Kontaminationsausdruck zur Diskreditierung von Diskursakteuren; Feindbegriff; richtet sich mit weitem Skopus gegen Positionen, die zum Beispiel für einen Interessensausgleich mit Russland plädieren und/oder auf andere, den »russischen Angriff relativierende« Mitursachen (z.B. Nato-Osterweiterung) verweisen.

Völkermord / Genozid: Der Ausdruck ist Teil eines semantischen Kampfes um die (alltagsweltliche und juristische) Einordnung des Krieges, ob Russland nicht nur Kriegsverbrechen begehe, sondern die ukrainische Bevölkerung systematisch vernichten wolle. Der Deutungskampf wird besonders dann virulent, wenn Städte von ukrainischem Militär zurückerobert und Hinweise zu Massengräbern oder Folterungen, oder auch Angriffe auf zivile Einrichtungen berichtet werden. Mit der möglichen »Anerkennung« als Völkermord im Sinne der Vereinten Nationen steht auch ein aktiveres Eingreifen internationaler Militärverbände (der NATO wie im Falle des Kosovos oder auch der UN) in den Kriegsverlauf im Raum. Die Situation wird auch mit historischen Völkermorden Stalins und Hitlers verglichen. Siehe auch Kulturelle Vernichtung.

Waffen, schwere: Vor allem politisch gebrauchtes Schlagwort ohne Legaldefinition, mit dem im Zusammenhang mit der militärischen Unterstützung der Ukraine zwischen verschiedenen Kategorien von Waffen unterschieden wird. Die zum Teil hitzig geführte politische Debatte darüber, ob Deutschland Waffen in ein Kriegsgebiet liefern soll, kann mithilfe dieser Unterscheidung differenzierter geführt werden als eine Ja-Nein-Frage. Die zugrundeliegende Annahme hierbei ist, dass die Lieferung nicht-schwerer Waffen an die Ukraine ein weniger gravierender Eingriff in den Krieg sei als die Unterstützung mit sogenannten schweren Waffen. Während die Bundesregierung in den ersten Kriegsmonaten die Lieferung sog. schwerer Waffen an die Ukraine noch ablehnte, scheint diese Lieferung – zumindest diskursiv – nunmehr als öffentlich akzeptierte Prämisse zu gelten (vgl. auch Defensivwaffen).

Waffenlieferung: Polarisierender Schlüssel- und Kampfbegriff in der Frage, wie auf die russische Invasion angemessen zu reagieren sei; zugleich zwischenzeitlich auch diskursiver Angelpunkt der binären Vorstellung von Beteiligung am Krieg: »wer liefert«, beteilige sich am Krieg, wer »nicht liefert«, sei außen vor. Siehe auch Defensivwaffen.

Weckruf: Ausdruck zur Deutung von Sachverhalten oder Ereignissen als so einschneidend und/oder eindeutig, dass aus ihnen eine »klare« (und oft als »alternativlos« behauptete) Handlungsanweisung folgt. Damit geht einher, dass konkurrierende Deutungsangebote als »nicht mehr tragbar« konstituiert werden. Siehe auch Zeitenwende.

Weltkrieg: Der Ausdruck wird häufig in Argumentationsmustern verwendet, die eine militärische Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten ablehnen, da diese zu einer Eskalation des Kriegsgeschehens führen würde und die Gefahr eines »3. Weltkriegs« erhöhe (Gefahren-Topos).

Werte, westliche: Hochwert- und Fahnenwort, den Diskurs moralisierend (Differenzierung zwischen »guten, richtigen« westlichen Werten und dem »moralisch zu verurteilenden Russland«); die »Füllung« dieser Werte bleibt in der Regel unklar, als Präsupposition den RezipientInnen überlassen oder wird mit ebenso abstrakten Hochwertwörtern wie Demokratie, Freiheit u.ä. kontextualisiert.

Whataboutism: Generell Stigmaausdruck zur Tabuisierung von Vergleichen verbunden mit dem Verwurf eines »Ablenkungsverhaltens« (Themenverschiebung); im aktuellen Kriegsdiskurs vor allem als Abwehr- und Desavouierungsstrategie eingesetzt bei Hinweisen auf imperialistische Kriege an anderer Stelle oder auf strategische Interessen von NATO und USA.

Bild2 Tweet Whataboutism Wagenknecht
Abb. 2:  Tweet zu Whataboutism bei Sahra Wagenknecht. Quelle: Twitter. Zugriff: 15.07.2022.

Wirtschaftskrieg: Schlagwort, mit dem nicht-militärische Handlungen als Teil der Kriegsführung benannt werden. Wird im Diskurs vor allem im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland verwendet (Wirtschaftskrieg gegen Russland) und konstituiert auch solche Staaten als Kriegsparteien, die zwar nicht militärisch am Kriegsgeschehen beteiligt sind, aber wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland mittragen. Der Ausdruck fand und findet sich auch außerhalb des Ukraine-Krieges oft als Vorwurf gegenüber anderen Ländern, sie ergriffen aus Sicht des Schlagwortverwenders »illegitime wirtschaftspolitische (z.B. nationalistisch/protektionistische) Maßnahmen« – vor allem in der machtpolitischen Auseinandersetzung zwischen China, USA und EU.

Z: Das einem <Z> ähnelnde Zeichen, auf russische Militärfahrzeuge aufgemalt oder -gesprayt, sorgt in Politik und Medien zu Kriegsbeginn für Spekulation über dessen Bedeutung. Bis heute ist nicht geklärt, ob es sich dabei (und bei anderen Zeichen) um Abkürzungen für Herkunfts- und Zielangaben oder für propagandistische Losungen handelt. Im Kriegsverlauf wird vor allem das <Z> zum propagandistischen Identifikationssymbol in russischen Medien (z.B.: als Helden-Symbol stilisiert; russische TalkshowmoderatorInnen tragen das Symbol, in Werbesendungen formieren sich Menschengruppen zu einem Z, um ihre Solidarität mit der russischen Armee zu demonstrieren u.ä.).

Zäsur: Siehe Zeitenwende.

Zeitenwende: Mit dem Ausdruck sollen politische Entscheidungen – wie etwa massiv steigende Wehretats – als unvermeidliche Folgen einer sich veränderten Welt gedeutet und somit gegen Kritik immunisiert werden. Widerspruch sowie alternative Forderungen werden dadurch diskursiv erschwert bzw. als »nicht mehr zu der veränderten Welt passend« delegitimiert.

Bild3 Zeitenwende Kanzler Scholz
Abb. 3: Kanzler Scholz spricht von „Zeitenwende“. Quelle: Bundesregierung. Zugriff: 15.07.2022.

Zensur: Der Ausdruck ist generell verbunden mit dem Vorwurf, Medien und Behörden seien in ihrer Handlungsfreiheit bei der Informationsbeschaffung und Berichterstattung behindert. Im westlichen Kriegsdiskurs kodiert er nahezu ausschließlich die Unterdrückung westlicher Medien in Russland (Einschränkung russischer Medien in Deutschland wird dagegen als »Schutz der Bevölkerung vor Fake-News und Propaganda« begründet; die politisch motivierte Kriminalisierung von Journalisten wir Julian Assange wird tendenziell von westlichen Regierungen überwiegend ignoriert), während russische Akteure ihren Kriegseinsatz u.a. mit der Unterdrückung russischer Medien und Kultur in der Ukraine legitimieren.

Zusammenstehen (auch: Geschlossenheit): Fahnenwort und Losung westlicher Verbündeter (v.a. NATO und EU), das Konsens und Entschlossenheit bei der Unterstützung der Ukraine gegenüber des russischen Angriffs demonstrieren soll. Angesichts der tatsächlichen Dissonanzen (etwa mit Blick auf Ungarn) hat der Ausdruck auch eine sozialdisziplinierende Funktion nach innen (Konsensfiktion zur Delegitimierung abweichender Positionen) und/oder ist Teil von medialen Konsensfiktionen.

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Abbildungsverzeichnis

Zitiervorschlag

Tripps, Felix und Vogel, Friedemann sowie der Forschungsgruppe »Diskursmonitor« (2023): Schlaglichter des Kriegsdiskurses: eine kleine Inventarauswahl zum öffentlichen Sprachgebrauch seit dem Frühjahr 2022. In: Diskursmonitor. Online-Plattform zur Aufklärung und Dokumentation von strategischer Kommunikation. Online unter: https://diskursmonitor.de/review/schlaglichter-des-kriegsdiskurses-eine-kleine-inventarauswahl-zum-oeffentlichen-sprachgebrauch-im-fruehjahr-2022/ (v2.0 / 03.01.2023).

Die Erstversion (v1.0 / 18.07.2022) wurde parallel publiziert in: DISS-Journal 2022.