DiskursGlossar

Euphemismus

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Euphemisierung, euphemistisch, Hüllwörter
Siehe auch: Entlarven, Sprachpolitik, Manipulierung, Topos, Konnotation
Autorin: Roberta Rada
Version: 1.2 / Datum: 04.05.2021

Kurzzusammenfassung

Der Ausdruck Euphemisierung ist eine sprachliche Strategie, die den Einsatz von sprachlichen Mitteln mit verhüllender, verschleiernder, beschönigender, abschwächender Funktion im öffentlichen Sprachgebrauch meint. Der euphemistische Gebrauch von Wörtern und Ausdrücken versteht sich als perspektivierender Sprachgebrauch. Dabei sollen einerseits aus Takt und Höflichkeit Sachverhalte, die mit einem gesellschaftlichen Tabu belegt sind (z.B. Tod, körperliche Bedürfnisse usw.), mildernd benannt werden. Andererseits entspringt der Euphemismus, vor allem in der politischen Kommunikation, der Absicht, gefährliche, peinliche Sachverhalte zu verharmlosen.

Erweiterte Begriffsklärung

Der Euphemismus, ursprünglich ein rhetorisch-stilistischer Begriff, wird bereits seit ca. vier Jahrzehnten systematisch auf die Sprache der Politik bezogen. Im Kontext des öffentlichen Sprachgebrauchs und der politischen Kommunikation erlebt er als politolinguistischer Begriff besonders in den 1980-90er-Jahren einen ‚Boom‘. Bei der Thematisierung und Kritik öffentlichen politischen Sprachgebrauchs werden die Täuschungsabsicht und manipulative Wirkung verschleiernder Euphemismen diskutiert (siehe zum Aufdecken dieser Täuschungsabsichten auch den Artikel Entlarven). Seit den 2010er-Jahren wird er auch im diskurslinguistischen Rahmen untersucht.

Im Zusammenhang mit der strategischen Kommunikation wird von zweierlei Arten von Euphemismen ausgegangen (vgl. Rada 2001).

Die sog. verhüllenden Euphemismen haben eine allgemein menschliche Grundlage, sie dienten ursprünglich dazu, tabuisierte Wörter und Ausdrücke zu ersetzen. Als klassische Tabubereiche/-themen gelten Tod, Krankheiten, Sexualität (inklusive Genitalien, Menstruation, Nacktheit), körperliche Ausscheidungen usw. Welche sich von diesen in unserer Gegenwart halten, ist gruppen- und kulturspezifisch bzw. diskursbedingt. Im Hintergrund der verhüllenden Euphemismen steht heute die gesellschaftliche Norm, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, der Takt haben und aus Höflichkeit Rücksicht auf die Gefühle der Mitmenschen nehmen muss. Da diese motivierende Höflichkeits-Norm auch mit aktuellen Werten der Demokratisierungs- und Liberalisierungsprozesse in Wohlstandsgesellschaften im Einklang steht, spielen solche verhüllenden euphemistischen Benennungen auch in der politischen Kommunikation als Elemente des politisch korrekten Sprachgebrauchs eine wichtige Rolle. Ihr Gebrauch wird in der Öffentlichkeit verlangt sowie erwartet und er trägt auch zur sprachlichen Sensibilisierung bei (Sprachpolitik). So bezieht sich die Euphemisierung auf benachteiligte Menschengruppen im weiten Sinne, z.B. ethnische Minderheiten (Inuit) und von bestimmten sexuellen Normvorstellungen abweichende Menschengruppen (Homosexuelle). Aber auch alte (Senioren, Betagte) und arme Menschen (Einkommensschwache, Minderbemittelte), körperlich oder geistig behinderte Menschen sowie Süchtige (Alkoholkranke) gehören dazu.

Für die Analyse von öffentlichen Diskursen sind aber in erster Linie die verschleiernden Euphemismen von Interesse. Ihr Gebrauch hängt mit dem wachsenden Bedarf zusammen, unliebsame, peinliche und gefährliche Sachverhalte sowie schockierende, brutale Ereignisse in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Umwelt usw. zu verharmlosen und zu verschleiern. Sie lassen sich mit den unterschiedlichen politisch-ideologischen Sichtweisen und Interessen konkurrierender Akteursgruppen in Zusammenhang bringen, die mittels unterschiedlicher, perspektivierender Sprachgebräuche ausgedrückt werden. Was beispielsweise aus globaler Sicht oder aus der Sicht der Unternehmensleitung lediglich die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Regionen mit niedrigeren Kosten ist, kann aus der Sicht der Beschäftigten als die Streichung von Arbeitsplätzengelten (vgl. Rocco 2015). In diesem Sinne gilt jeder euphemistische Sprachgebrauch als eine Art perspektivierenden Sprachgebrauchs. Die verschleiernden Euphemismen sind dabei durch einen spezifischen Perspektivierungsaspekt geprägt. Dieser wird in dem Ausklammern von Problemen, in dem ‚Ent-Problematisieren (vgl. Schröter/Carius 2009: 40 ff.) gesehen. Dies bedeutet konkreter, dass politisch-strategisch ein spezifischer Aspekt assoziativ gemieden bzw. durch einen die eigenen Interessen der Akteursgruppen besser legitimierenden Ausdruck ersetzt wird. Somit soll durch die Euphemisierung eine problem- und konfliktfreie diskursive Welt konstituiert werden. Da die Perspektiven in soziokulturell-historisch bedingten Diskursen ausgehandelt werden, kann behauptet werden, dass bestimmte Wörter und Ausdrücke eben in und von diesen Diskursen zu Euphemismen gemacht werden und damit an diese gebunden sind, z.B. Euphemismen der NS-Zeit (Endlösung), der DDR-Zeit (antifaschistische Schutzwall) usw. (vgl. Schlosser 2007). Euphemistische Ausdrücke sind also in Diskursen typisch, in denen wir es mit Interessenkonflikten zu tun haben. Die Rezeption und Produktion von Euphemismen ist daher stark kontextbedingt, auch die Kategorisierung von bestimmten Ausdrücken als euphemistisch oder nicht euphemistisch kann ausschließlich im diskursiven Kontext erfasst werden (vgl. Rocco 2015).

In der politischen Kommunikation wird die Euphemisierung als sprachliche Technik in mehrere umfassende diskursive Handlungsmuster eingebunden. Akteure greifen zu verschleiernden Euphemismen, um Macht zu erhalten bzw. auszubauen. Zum einen dient der Gebrauch von Euphemismen dazu, die eigene politische Handlung zu rechtfertigen und aufzuwerten. Negative Auswirkungen, unwillkommene, besorgniserregende, ethisch-emotionale und sozial problematische Aspekte eigener Maßnahmen und eigenen politischen Handelns sollen verborgen bleiben, z.B. kriegerische Handlungen, schlechte Werte bei Wirtschaftswachstum oder Krisen. Mittels verschleiernder Euphemismen können die politischen Akteure öffentlich Gesicht wahren und sich selbst schützen. Die verschleiernden Euphemismen dienen neben einer solchen Tarnung auch zur Täuschung der Anderen. Sie werden daher oft mit Manipulation und Lüge zu Propagandazwecken in Zusammenhang gebracht. Es ist daher auch kein Zufall, dass zahlreiche verschleiernde Euphemismen zu Unwörtern des Jahres gewählt werden, z.B. Diätenanpassung, Schalterhygiene.

Zum anderen wird der Gebrauch von verschleiernden Euphemismen auch zur Abwertung des politischen Gegners genutzt. Die Äußerungen und Standpunkte des politischen Gegners als euphemistisch zu bezeichnen, nennt man ‚Euphemismusvorwurf. Es handelt sich um eine metasprachliche Handlung, die nicht ausschließlich eine rein deskriptive Feststellung ist, sondern sie ist auch sprachkritisch ausgerichtet. Der Euphemismusvorwurf meint nämlich auch ein Urteil: Wer Euphemismen gebraucht, der bedient sich dieser in manipulativer Absicht, will Probleme verschweigen und ist daher unaufrichtig und unehrlich. Der Euphemismusvorwurf ist ein beliebtes Streitargument (Topos) in politischen Auseinandersetzungen, Euphemismus wird insofern als Kampf- oder Stigmawort verwendet und wiederum mit absichtlicher Manipulation und Täuschung in Zusammenhang gebracht.

Der Euphemismusvorwurf suggeriert nämlich, als hätten die ihn formulierenden Akteure den wahren und objektiven, also nicht euphemistischen Ausdruck. In der diskuslinguistischen Forschung wird jedoch davon ausgegangen, dass es die Wahrheit als solche nicht gibt und sie erst von unterschiedlichen Akteuren interessengeleitet sprachlich konstruiert wird. So muss ein jeder Sprachgebrauch, auch der euphemistische, lediglich als ein perspektivierender Sprachgebrauch unter den anderen betrachtet werden (vgl. Niehr 2019). Vor diesem Hintergrund kann aber auch die manipulative Absicht des Gebrauchs von Euphemismen in Frage gestellt werden. Wenn nämlich für die SprachteilhaberInnen mehrere (alle) im Diskurs konkurrierenden Ideologien und Ansichten mittels (konkurrierenden) perspektivierenden Sprachgebrauchs (so auch des euphemistischen) erschließbar sind, können sie sich ein eigenes Bild über die in ihren Augen jeweils angemessene Darstellung der Wirklichkeit machen.

Die für verschleiernde Euphemismen charakteristische Perspektivierung, nämlich das ‚Ent-Problematisieren‘, wird durch eine spezifische sprachliche Prägung gewährleistet. Sie müssen formal-semantisch so beschaffen sein, dass sie die negativen Teilaspekte der bezeichneten problematischen Sachverhalte ausblenden und relative zu diesen positive bzw. positivere (weil zum Beispiel neutrale) Vorstellungen und Konnotationen erzeugen (vgl. Rada 2001). Dazu werden ein oder mehrere Teilaspekte des Bezeichneten perspektiviert, die die Aufmerksamkeit von den gefährlichen, unangenehmen, negativen ablenken. Insgesamt sollen also die bezeichneten Sachen in einem günstige(re)n Licht für die LeserInnen/HörerInnen erscheinen. Mit dem Ausdruck erweiterte Hörmethoden wurden beispielsweise bestimmte Zwangsmethoden, wie Schlafentzug und Waterboarding, zur Vernehmung von Terrorverdächtigen bezeichnet. Die euphemistische Benennung besteht zum einen aus einem vagen Ausdruck, der den Oberbegriff benennt (es geht um eine Art Hörmethode) und aus einem mehrdeutigen Attribut (erweitert). Mit beiden Elementen verbinden sich neutrale Assoziationen. Es wird also die genaue Art der Hörmethoden, die als Foltern einzustufen sind, verdeckt, so werden auch die negativen Vorstellungen zum Foltern ausgeklammert.

Die sprachlichen Realisierungsformen von Euphemismen sind recht vielfältig (vgl. Rada 2011, Forster 2005, Schröter/Carius 2009: 40-43). Hinsichtlich ihrer sprachlichen Komplexität lassen sie sich typischerweise den Ebenen des Wortes (z.B. Tarifkorrektur, Kollateralschaden) sowie der Wortverbindung (keine größeren Einschränkungen) und eher weniger der Grammatik (z.B. die Verwendung des integrativen wir statt ich, → Konsensfiktion) zuordnen. In euphemistischer Funktion können z.B. Metaphern, Metonyme, Oxymora (Null- oder Negativwachstum), Fremdwörter (Kollateralschaden), Fachwörter (Gentrifizierung, vgl. Beispielanalyse unten) sowie vage, verallgemeinernde (Waffe statt Atombombe) und mehrdeutige Ausdrücke usw., gebraucht werden.

Euphemismen, insbesondere die verschleiernden, nutzen sich oft ab. Wenn man nämlich die verschleiernde Absicht, den Versuch der Ausblendung der Probleme durchschaut, kann der Euphemismus seine Funktion nicht mehr erfüllen. Hierbei ist das Ausmaß an geteiltem diskursiven Wissen um diese Strategie ausschlaggebend. So streben Akteure danach, ihre Euphemismen zu aktualisieren bzw. zu ersetzen. Ein neuer Euphemismus muss gefunden werden, der zumindest kurzfristig geeignet ist, die negativen Aspekte des Bezeichneten auszublenden. Diesen Prozess nennt man ‚Euphemismus-Tretmühle‘. Das klassische Beispiel dafür sind die verhüllenden Euphemismen für Neger, so Schwarzer – Farbiger – Afroamerikaner.

Traditionell wird der Einsatz des Dysphemismus als Gegenstrategie angesehen. Dysphemistisches Sprechen meint den pejorisierenden, Personen(gruppen) und Ideen stigmatisierenden oder disqualifizierenden Sprachgebrauch (vgl. Rocco 2015). Ein Beispiel für Dysphemismus aus dem politisch-medialen Hartz-IV-Diskurs ist soziale Hängematte (ebd.). Mit dem Ausdruck werden Menschen, die kurz- oder langfristig auf staatliche Hilfe angewiesen sind, pauschal als Faulpelze abgeurteilt.

Beispiele

(1) Gentrifizierung

Amerikas große Lüge, die Vertuschung seines rassistischen Wesens – für Coates zeigt sie sich im Euphemismus ‚Gentrifizierung‘. In seinem Artikel Das Erbe von Malcolm X spricht der schwarze Autor von seiner Wut, wenn er durch Washington oder Brooklyn läuft, wo ‚die Gentrifizierung wie ein Sturm hindurchgefegt ist‘. Erbittert ist Coates nicht nur, weil vor allem ‚Schwarze weggefegt wurden‘, sondern auch, weil Gentrifizierung ein beschönigender Name für Vorherrschaft der Weißen sei. ‚Wer das Wort Gentrifizierung benutzt, lügt unmittelbar’… (Hermsmeier 2017)

Das Beispiel illustriert den Euphemismusvorwurf, indem der Ausdruck Gentrifizierung als Euphemismus und sein Gebrauch als Lüge bezeichnet werden. Der Begriff Gentrifizierung ist im sozioökonomischen Fachdiskurs entstanden und meint dort den Strukturwandel großstädtischer Viertel, der in der Aufwertung eines Stadtteils durch dessen Sanierung oder Umbau besteht. Das Ziel ist, zahlungskräftige(re) EigentümerInnen und MieterInnen anzulocken. Der Euphemismusvorwurf basiert darauf, dass das Fachwort im Rassismusdiskurs nicht in seiner fachsprachlichen Bedeutung, sondern in einer verschleiernden Funktion gebraucht wird. Gentrifizierung verdeckt nämlich ein soziales Problem, das als Folge des Strukturwandels entsteht. Sie betrifft nämlich Stadtteile, in denen ursprünglich eine ‚schwarze‘ Bevölkerung ansässig ist/war, die nun durch wohlhabendere ,weiße‘ Bevölkerungsschichten verdrängt wird. Nur letztere können sich die steigenden Wohnungs- und/oder Mietpreise leisten. Das Beispiel illustriert auch die Bedingtheit von Euphemismen durch den Diskurskontext.

(2) Rückführungspatenschaften

Das Wort Rückführungspatenschaften ist 2020 in Deutschland u.a. mit der Begründung zu einem Unwort des Jahres gewählt worden, dass es in euphemistischer Funktion verwendet wird. Das im Euphemismus bezeichnete neue Konzept der Asyl- und Migrationspolitik der EU meint Folgendes:

„Die EU-Staaten, die sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, sollen ihrer „Solidarität“ mit den anderen Mitgliedern der EU dadurch gerecht werden, dass sie die Verantwortung für die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber übernehmen.“ (Unwort des Jahres: 2020)

In der neuen Wortbildungskonstruktion Rückführungspatenschaften wird grundsätzlich die Abschiebung von Flüchtlingen verschleiert. Die verschleiernde Funktion ergibt sich zum einen aus den positiven Vorstellungen zum ursprünglich christlich geprägten Begriff Patenschaft, der für Verantwortungsübernahme und Unterstützung im Interesse von Hilfsbedürftigen steht und somit positiv bewertet wird. Andererseits wird im Glied Rückführung die Abschiebung lediglich als eine neutrale Handlung des in eine bestimmte Richtung, an einen bestimmten Ort Bringens perspektiviert. Die negativen Folgen für die Betroffenen sollen dabei nicht wahrgenommen werden. Insgesamt erscheint im Euphemismus die Abschiebung als etwas im Interesse und zur Unterstützung der Abgeschobenen vollzogene positive Tat.

 

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Strauß, Gerhard; Haß, Ulrike; Harras, Gisela (1989): Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist. Ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch. Berlin; New York: de Gruyter.

Zitierte Literatur

  • Forster, Iris (2005): Lexikalische Verführer – euphemistischer Wortschatz und Wortgebrauch in der politischen Sprache. In: Kilian, Jörg (Hrsg.): Sprache und Politik. Deutsch im demokratischen Staat. Mannheim: Dudenverlag, S. 195‒209.
  • Hermsmeier, Lukas: Gentrifizierung. Kaffee am Außenposten. Online unter: https://www.zeit.de/kultur/2017-11/gentrifizierung-brooklyn-bedford-stuyvesant-rassismus ; Zugriff: 05.04.2023.
  • Niehr, Thomas (2019): Euphemismus – (k)eine Kategorie der linguistisch-deskriptiven Diskursanalyse? In: Rocco, Goranka; Schafroth, Elmar (Hrsg.): Vergleichende Diskurslinguistik. Methoden und Forschungspraxis. Berlin: Peter Lang, S. 93‒112.
  • Rada, Roberta (2001): Tabus und Euphemismen in der deutschen Gegenwartsprache. Mit besonderer Berücksichtigung der Eigenschaften von Euphemismen. Budapest: Akadémiai Kiadó.
  • Rocco, Goranka (2015):  Euphemismen und Dysphemismen im Flexibilisierungsdiskurs. Auf dem Weg zu einem mehrperspektivischen Untersuchungsdesign. In: Lingue e Linguaggi, Heft 0, Jg. 13, S. 257‒275.
  • Schlosser, Horst-Dieter (2007): Verhüllen – verdrängen – beschönigen. Euphemismus im kulturellen Wandel. In: Gesellschaft für Deutsche Sprache (Hrsg.): Muttersprache, Heft 4, Jg. 117, S. 281‒195.
  • Schröter, Melanie; Carius, Björn (2009): Vom politischen Gebrauch der Sprache. Wort, Text, Diskurs. Eine Einführung. Frankfurt am Main: Peter Lang, S. 40‒43.
  • Unwort des Jahres (2020): Wahl des 30. „Unworts des Jahres“. Online unter: http://www.unwortdesjahres.net/fileadmin/unwort/Pressemitteilungen/pressemitteilung_unwort2020.pdf ; Zugriff: 04.05.2021.

Zitiervorschlag

Rada, Roberta (2021): Euphemismus. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 04.05.2021. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/euphemismus.

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Topos der düsteren Zukunftsprognose

Der Topos der düsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellation

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.