
DiskursGlossar
Propaganda
Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Werbung, Reklame, Marketing, Public (Customer) Relations (PR), Öffentlichkeitsarbeit, Agitation
Siehe auch: Manipulation, Agenda Setting, Werbung, Kampagne
Autorin: Susanna Weber
Version: 2.0 / 19.07.2024 [Frühere Version: 1.3]
Kurzzusammenfassung
Propaganda als Kommunikationstechnik und -praxis umfasst eine Vielzahl von sprachlichen und visuellen, meist mediengestützten Formen der gezielten Beeinflussung und Steuerung des Denkens, Fühlens und Handelns von Menschen. Propaganda-Techniken beruhen vor allem auf gesteuerter Auswahl und/oder Zensur von Informationen, auf polarisierenden Zuspitzungen und Personalisierungen. Darüber hinaus werden gezielt Impulse gesetzt, die unterbewusste Bedürfnisse und Emotionen ansprechen und an vorhandene Denkmuster anknüpfen.
Unter anderen Namen ist Propaganda in den Praktiken enthalten und weiterentwickelt, die heute z.B. Werbung, Public Relations, Öffentlichkeitsarbeit heißen und die jeweils neuesten Erkenntnisse aus Hirnforschung, Psychologie und Medienwissenschaften nutzen.
Erweiterte Begriffsklärung
Die Verwendungsgeschichte des Ausdrucks Propaganda zeigt markante Bedeutungsverschiebungen und Konjunkturen. Die Bewertungen wechselten mehrfach, ebenso die Hauptfelder des Wortgebrauchs: Religion, Politik, Ökonomie. Ursprünglich war Propaganda die (positiv bewertete) Bezeichnung für gegenreformatorische Missionierungsbestrebungen und eine entsprechende Institution der katholischen Kirche. In den Macht– und Meinungskämpfen der Französischen Revolution sowie späterer revolutionärer Bewegungen wurde Propaganda politisch zur gegenseitigen Kennzeichnung revolutionärer oder gegenrevolutionärer Argumentationen und Organisationen gebraucht. Im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten wurde Propaganda zum Zentralbegriff und bezeichnete die ausgefeilten Strategien der Steuerung öffentlicher Meinung und Handlungen, vor allem zur Verfolgung politischer Gegner und zur Kriegsvorbereitung. Gegenwärtig wird Propaganda überwiegend als negativ markierter historischer Beschreibungsbegriff verwendet. In der politischen Praxis wird der Gebrauch von Propaganda als Strategie in der Regel dem jeweiligen Gegner/Kontrahenten zugeschrieben.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Propaganda synonym mit Reklame als Bezeichnung für die zunehmenden und immer weiter perfektionierten Instrumente der Produkt-Werbung im Dienste der Nachfragesteigerung etabliert. Der Gebrauch im Rahmen politischer Erziehungs- und Überzeugungsarbeit war in den Hintergrund gerückt. Die Nationalsozialisten institutionalisierten Propaganda mit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Die Begriffskopplung spielt taktisch geschickt mit (noch) vorhandenen positiven Ressourcen von Aufklärung. Als einflussreiche zeitgenössische deutsche Publikation ist Propagandamittel der Staatsidee von Domizlaff (1932) zu nennen. Propaganda wurde als Bezeichnung für die Kommunikationstechniken der Nationalsozialisten ausdrücklich exklusiv beansprucht. Dem gegenüber sollte Reklame als Etikett für kommerzielle Werbe- und Beeinflussungstechniken verwendet werden. Die gemeinsamen Wurzeln und Grundüberzeugungen bleiben natürlich trotzdem sichtbar, angefangen von der (empirisch gestützten) Überzeugung, dass öffentliche Meinung ,gemacht‘ wird bis zu den verwendeten Techniken (vereinfachen, illustrieren, dramatisieren, wiederholen [vgl. Bernays 2007]).
Auf Seiten der Arbeiterbewegung wurde Propaganda als Instrument der politischen Bildung und Erziehung verstanden, war aber nicht unumstritten (vgl. Münzenberg 1937). Später etablierte sich in der sozialistischen/kommunistischen Bewegung die Kopplung und gleichzeitige Unterscheidung von Agitation und Propaganda, beides wurde positiv bewertet. Mit Bezug auf Lenins Auffassung wurde Propaganda eher mit gedrucktem Material (Schriften, Plakate etc.) verbunden, Agitation mit dem gesprochenen Wort. Propaganda ist hier assoziiert mit Schulung/Erziehung, Agitation mit Mobilisierung. Auch in der DDR blieb Propaganda eine positiv besetzte Bezeichnung.
Auch ohne die ausdrückliche Kennzeichnung mit dem Namen Propaganda waren die unmittelbare Nachkriegszeit und die Zeit des folgenden Kalten Krieges Hoch-Zeiten des Propagandaeinsatzes aller relevanten Akteure: Ob in der Werbung für die Marshallplan-Maßnahmen der USA, die als rein humanitär/demokratische Aktivitäten beworben wurden, nicht aber als ökonomischen Interessen folgend und zur politischen Beeinflussung gegen ,den Kommunismus‘, in der Konstruktion von Raketenlücken und anderen Bedrohungen zur Begründung von Rüstungseskalationen – das gesamte Arsenal von Propagandatechniken wurde und wird eingesetzt.
Seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es in Deutschland, vor allem aber in den USA, sozialwissenschaftliche Forschung zu Propaganda (vgl. Plenge 1921; Lasswell 1927). Das schon 1928 in den USA erschienene, aber erst seit 2007 auf Deutsch verfügbare Buch von Edward Bernays (einem Neffen Sigmund Freuds) mit dem Titel Propaganda. Die Kunst der Public Relations enthält in erstaunlicher Deutlichkeit die Beschreibung aller relevanten Strategien der Meinungs- und Entscheidungsmanipulation, die nach Auffassung von Bernays sowohl im politischen Raum wie in der Ökonomie zum Einsatz gebracht werden und werden sollten. Wichtige Theoretiker der modernen public relations (PR), wie Propaganda von Bernays später auch genannt wurde, stützten und stützen sich bis heute auf seine Konzepte. Grundlegend für Bernays wiederum war Walter Lippmanns Standardwerk Die öffentliche Meinung von 1922. Lippmann unterstrich z. B., dass öffentliche Meinung grundlegend durch übernommene Denkmuster und Stereotypen geprägt und durch Propaganda veränderbar sei. Bernays ging davon aus, dass die „bewusste und zielgerichtete Manipulation von Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen (…) wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften“ sei. Mehr noch, er setzt „eine stille gesellschaftliche Übereinkunft“ darüber voraus, „dass unser Blick durch den Einsatz von Propaganda lediglich auf eine reduzierte Auswahl an Gedanken und Gegenständen fällt“ und damit die Gesellschaft durch „im Hintergrund arbeitende Führungsinstanzen“ gesteuert werden kann (Bernays 2007: 20 f.). Er hielt dies für völlig legitim und nur dann für ,unethisch‘, wenn bewusst und gezielt mit Lügen gearbeitet werde.
Die zuvor schon in der Wirtschaft verwendeten erfolgreichen Strategien zur Nachfrageerzeugung empfiehlt er ausdrücklich auch für das Feld der Politik: nicht argumentieren, sondern abgestimmt auf die Zielgruppe Gefühle ansprechen (illustrieren, dramatisieren, inszenieren), einflussreiche Personen des öffentlichen Lebens als Identifikationsvorbilder und Multiplikatoren einsetzen, Informationen medienkompatibel filtern (vgl. Bernays 2007: 83 ff.). Es liegt nahe und ist seinen Argumenten abzulesen, dass er auch die modernen tiefen- und massenpsychologischen Erkenntnisse über Triebstrukturen, Verdrängung, Verschiebung etc. nutzte. Vordergründig entweder naiv oder wissenschaftlich-technokratisch argumentierend stellte sich Bernays in den 50er Jahren in den Dienst der United Fruit Company, um den demokratisch gewählten Präsidenten Guatemalas zu stürzen (s.u.).
Propaganda als Element strategischer Kommunikation ist besonders ausgeprägt im Feld der Sicherheits- und Militärpolitik. Hier wurde zuletzt das Konzept und die Praxis des embedded journalism aus der Zeit des Irak-Krieges (2003) auffällig, mit dem die westlichen Kriegsparteien dezidiert und massiv die Berichterstattung ausgewählter Journalisten im Sinne eigener Interessen lenkten. Darüber hinaus findet Propaganda kontinuierlich u.a. im Rahmen verschiedener Formen von Lobbyismus und internet-basierter sogenannter ,Influencer-Portale‘ statt. Im Feld der Politikberatung werden entsprechende Praktiken, teils mit neuen Namen versehen und angepasst an die Möglichkeiten moderner Medien, massiv eingesetzt (Agenda Setting, Branding, Campaigning). Propaganda wird verdeckt oder unter Geheimhaltung betrieben, wie in der Regel bei Kriegspropaganda. Andererseits sind Handbücher und Anleitungen für kommerzielles und politisches Marketing zumindest potentiell für die Öffentlichkeit zugänglich, es gibt entsprechende Lehrstühle an Hochschulen und privaten Institutionen.
2023 erschien unter dem etwas reißerischen Titel Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO (Tögel 2023) eine Untersuchung von Jonas Tögel zu Kriegspropaganda. Streckenweise recht didaktisch geschrieben (mit etlichen Redundanzen z. B.) präsentiert er in Bezug auf grundlegende Prinzipien von Propaganda nichts Neues. Das Buch ist dennoch nützlich, da er die aktuellen Manipulationstechniken und ihre Realisierung einerseits in die Kontinuität von Kriegspropaganda stellt und andererseits fokussiert, wie heute nahezu jeder Internetnutzer – meist ohne Wissen und ohne Zustimmung – als Adressat und ,Zulieferer‘ für manipulative Techniken vereinnahmt werden kann.
Wichtig ist auch Tögels Beschreibung der konkreten Aktivitäten des NATO-Think Tanks („Innovation Hub“), der sich explizit mit „Cognitive Warfare“ befasst und vor allem die Verweise auf Texte von Francois du Cluzel, einem der zentralen Stichwort-Geber und Mitglied des „Innovation Hub“. Hier werden die aktuellen Schauplätze und Strategien des „Cognitive Warfare“ anschaulich gemacht: von der Nutzung von „influencern“ und „Mikro-Targeting“ über „Nudging-Programme“ und „Integrity-Initiatives“ (vgl. Tögel 2023, Kap: V, VI). In einer NATO-Verlautbarung klingt das z. B. so:
„Der Cognitive Warfare ist die fortschrittlichste Form der mentalen Manipulation des Menschen, die eine Beeinflussung des individuellen oder kollektiven Verhaltens mit dem Ziel ermöglicht, einen taktischen oder strategischen Vorteil zu erlangen. In diesem Handlungsbereich wird das menschliche Gehirn zum Schlachtfeld.“(Montocchio zit. nach Tögel 2023: 189 f.)
Die Verwüstungen, die dabei angerichtet werden, sind längst wahrnehmbar, während Gegenkräfte nahezu machtlos erscheinen.
Eine spezifisch westlich-kapitalistische Variante von Propaganda-Kommunikation wurde in den 70er Jahren von Wolfgang Fritz Haug analysiert. In seiner Kritik der Warenästhetik von 1971 beschrieb er eindrücklich, wie sich in der Kreation von Marken kommerzielle Verwertungsinteressen und politisches Machtstreben verschränken (auch ,der Führer‘ war Ergebnis einer solchen Intervention; politische Parteien sprechen in Selbstbeschreibungen von ihrem Markenkern). Die Marke kann als Kristallisationspunkt von Erlösungserwartungen, sexualisierten Macht- bzw. Unterwerfungsfantasien und Ängsten dienen, die als erfüllbar bzw. lösbar durch den entsprechenden Kauf- bzw. Wahlakt präsentiert werden.
Nicht zufällig wird als Ziel von politischer Propaganda von mehreren einflussreichen Autoren die Herstellung eines gesellschaftlichen Konsenses angesehen (Lippmann, Bernays, Chomsky), was in der Alltagssprache als stark positiv verstandener Wert gilt. Konsens kann jedoch auch fiktional konstruiert werden. So beruht z. B. die aktuell diskutierte sogenannte ,Widerspruchslösung‘ bei der Organentnahme zu Transplantationszwecken auf einer massiven Konsensfiktion (also Propaganda), indem sie dekretiert, dass alle Betroffenen, die nicht explizit und aktiv widersprechen, als Zustimmende einzustufen seien.
Aus der Perspektive demokratischer Öffentlichkeit ist Propaganda als Machtmittel und Herrschaftsinstrument einzuordnen. Sie gehört zum Repertoire von Konzepten ,weicher‘ Führung, also zu den sprachlichen, symbolischen, szenischen Gegebenheiten, die meist ohne unmittelbare materielle Gewalt funktionieren, anders als zum Beispiel Unterwerfung unter rigide Arbeits- bzw. Ausbeutungsbedingungen (Ich-AG) – die aber subjektiv als Autonomiegewinne erlebt werden.
Als Gegenstrategien zu Propaganda werden aus unterschiedlichen Gruppierungen der demokratischen Öffentlichkeit und ihren Akteuren vor allem Mittel vorgeschlagen und erprobt, die auf Transparenz und Aufklärung setzen (Ethik-Codes, Transparenzregeln, Lobby-Register u.ä.) bzw. diese selbstständig herstellen, wenn die üblichen Instrumente nicht ausreichen (Recherche-Netzwerke, Whistleblower, Leaks, Guerilla-Kommunikation).
Beispiele
(1) 1953 hatte in Guatemala der demokratisch gewählte Präsident Jacobo Arbenz begonnen, die bisher nahezu unbeschränkte Verfügungsgewalt des US-amerikanischen Konzerns „United Fruit Company“ im Land einzudämmen. Unterstützt von der CIA wurde Arbenz in einer von Edward Bernays entworfenen Kampagne in allen Medien als Kommunist denunziert und als Bedrohung für die USA dargestellt. Der Coup gelang, die „United Fruit Company“ erhielt alle Verfügungsrechte zurück, und seither ist der Ausdruck ,Bananen-Republik‘ in der Welt Synonym für Staaten, die nicht von den gewählten Repräsentanten des eigenen Landes regiert werden, sondern von den ökonomischen Interessen meist internationaler Konzerne.
(2) Eine aktuelle (September 2019) Plakatwerbeaktion der Bundeswehr lässt sich, zumindest in Teilen, als Beispiel für Propaganda analysieren: Der Militärapparat präsentiert sich nicht nur als ,normales‘ Unternehmen, sondern auch als Ziel einer Berufung. Als Blickfang sind auf den Plakaten Personen in Halbtotale abgebildet, die zufrieden und freundlich auf den Betrachter blicken. Pro Plakat gibt es nur je ein Schlagwort: Office, Tech, Ausbildung, darunter die Zeile Folge Deiner Berufung. Außer dem offiziellen Emblem der Bundeswehr weist nichts auf den Auftraggeber hin, die hochtechnisierte Armee des Landes, die mittlerweile auch wieder an einem Angriffskrieg beteiligt war und an zahlreichen Kriegs- bzw. Kriseneinsätzen teilnimmt. Als sprachliche/szenische Mittel werden folgende eingesetzt:
- Personalisierung (nicht der Militärapparat wird gezeigt, sondern Zivilisten)
- Emotionalisierung (Ansprache mit intimem Du, Berufung als Wort mit religiösen Assoziationen)
- Dekontextualisierung (keine Uniform, keine Waffen, kein Hinweis auf den Zweck eines Militärapparates oder konkrete Einsätze, Anspielen der religiös-spirituellen Sphäre durch Berufung)
Literatur
Zum Weiterlesen
- Bernays, Edward (2007): Propaganda. Kempten: Orange-Press.
- Burke, Kenneth (1971): Die Rhetorik in Hitlers „Mein Kampf“ und andere Essays zur Strategie der Überredung. Frankfurt a.M: Suhrkamp.
- Bussemer, Thymian (2005): Propaganda. Konzepte und Theorien. Wiesbaden VS.
- Voigt, Gerhard (1975): Goebbels als Markentechniker. In: Haug, Wolfgang. F. (Hrsg.): Warenästhetik. Beiträge zur Diskussion, Weiterentwicklung und Vermittlung ihrer Kritik. Frankfurt: Suhrkamp, S. 231–260.
Zitierte Literatur und Belege
- Bernays, Edward (2007): Propaganda. Die Kunst der Public Relations. Kempten: Orange-Press.
- Chomsky, Noam; Hermann, Edward (1988): Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media. New York: Pantheon Books.
- Domizlaff, Hans (1932): Propagandamittel der Staatsidee. Altona: Domizlaff.
- Haug, Wolfgang F. (1971): Kritik der Warenästhetik. Frankfurt: Suhrkamp.
- Lasswell, Harold (1927): Propaganda Technique in the World War. London: Kegan.
- Lippmann, Walter (1990): Die öffentliche Meinung. Bochum: Brockmeyer.
- Münzenberg, Willi (1937): Propaganda als Waffe. Paris: du Carrefour.
- Plenge, Johann (1921): Deutsche Propaganda. Die Lehre von der Propaganda als praktische Gesellschaftslehre. Bremen: Angelsachsen-Verl.
-
Tögel, Jonas (2023): Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO. Frankfurt: Westend Verlag.
Zitiervorschlag
Weber, Susanna (2024): Propaganda. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 19.07.2024 (v. 2.0). Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/propaganda.
Grundbegriffe
Diskurssemantische Verschiebung
Mit dem Begriff der diskurssemantischen Verschiebung wird in der Diskursforschung ein Wandel in der öffentlichen Sprache und Kommunikation verstanden, der auf mittel- oder län-gerfristige Veränderung des Denkens, Handelns und/oder Fühlens größerer Gesellschafts-gruppen hinweist.
Domäne
Der Begriff der Domäne ist aus der soziologisch orientierten Sprachforschung in die Diskursforschung übernommen worden. Hier wird der Begriff dafür verwendet, um Muster im Sprachgebrauch und kollektiven Denken von sozialen Gruppen nach situationsübergreifenden Tätigkeitsbereichen zu sortieren.
Positionieren
Positionieren ist Grundbestandteil menschlicher Kommunikation. Wann immer wir miteinander interagieren und kommunizieren, bringen wir uns selbst, andere und die Objekte, über die wir sprechen, in bestimmte Relationen zueinander.
Deutungsmuster
Unter einem Deutungsmuster wird die problem- und lösungsbezogene Interpretation gesellschaftlicher und politischer Tatbestände verstanden, die Aussicht auf Akzeptanz in sozialen Gruppen hat. Der Begriff des Deutungsmusters hat Ähnlichkeit mit den Begriffen der Theorie und Ideologie. Meist werden gesellschaftlich verbreitete Leitdeutungen, die oft mit Schlagwörtern und Argumentationsmustern einhergehen (wie Globalisierung, Kapitalismus, Leistungsgesellschaft, Chancengleichheit etc.) als Beispiele für Deutungsmuster genannt.
Sinnformel
‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.
Praktik
Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).
Kontextualisieren
Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.
Narrativ
Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.
Argumentation
Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.
Hegemonie
Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.
Techniken
Dogwhistle
Unter Dogwhistle wird in Teilen der Forschung eine doppeldeutige Äußerung verstanden, die eine offene und eine verdeckte Botschaft an jeweils eine Zuhörerschaft kommuniziert.
Boykottaufruf
Der Boykottaufruf ist eine Maßnahme, die darauf abzielt, ein Ziel, also meist eine Verhaltensänderung des Boykottierten, hervorzurufen, indem zu einem Abbruch etwa der wirtschaftlichen oder sozialen Beziehungen zu diesem aufgefordert wird.
Tabuisieren
Das Wort Tabuisierung bezeichnet die Praxis, etwas Unerwünschtes, Anstößiges oder Peinliches unsichtbar zu machen oder als nicht akzeptabel zu markieren. Das Tabuisierte gilt dann moralisch als unsagbar, unzeigbar oder unmachbar.
Aus dem Zusammenhang reißen
Das Aus-dem-Zusammenhang-Reißen gehört in den Funktionskreis der Redewiedergabe bzw. der Wiedergabe kommunikativer Ereignisse. Es kann (1) als intentionale argumentativ-polemische Strategie für ganz unterschiedliche diskursive Zielsetzungen von Akteuren genutzt werden, oder (2) es kann SprecherInnen und SchreiberInnen in unbeabsichtigter, fehlerhafter Weise unterlaufen.
Lobbying
Lobbying ist eine Form strategischer Kommunikation, die sich primär an Akteure in der Politik richtet. Beim Lobbying wird ein Bündel von kommunikativen Tätigkeiten mit dem Ziel eingesetzt, die Entscheidungen von Personen mit politischem Mandat oder den Entstehungsprozess von neuen Gesetzestexten interessengeleitet zu beeinflussen.
Karten
Karten dienen dazu, Raumausschnitte im Hinblick auf ausgewählte Charakteristika so darzustellen, dass die Informationen unmittelbar in ihrem Zusammenhang erfasst und gut kommuniziert werden können. Dazu ist es notwendig, Daten und Darstellungsweisen auszuwählen und komplexe und oft umkämpfte Prozesse der Wirklichkeit in einfachen Darstellungen zu fixieren.
Pressemitteilung
Pressemitteilungen sind standardisierte Mitteilungen von Organisationen, die sich an Journalist:innen und andere Multiplikator:innen richten. Sie dienen der offiziellen und zitierfähigen Informationsweitergabe und übernehmen zugleich strategische Funktionen in der öffentlichen Kommunikation und Meinungssteuerung.
Shitstorm
Der Begriff Shitstorm beschreibt eine relativ junge Diskurskonstellation, die seit den 2010er Jahren an Bedeutung gewonnen hat und gemeinhin als Online-Wutausbruch bezeichnet wer-den kann.
Tarnschrift
Als Tarnschrift bezeichnet man unter den Bedingungen von Zensur und Verfolgungsrisiko veröffentliche Texte, die insbesondere in der strategischen Kommunikation des NS-Widerstands eine zentrale Rolle spielten.
Ortsbenennung
Die Benennung von Orten dient in erster Linie dazu, den jeweiligen geografischen Ort zu lokalisieren und ihn zu identifizieren. Doch Ortsnamen besitzen eine soziale Dimension und spielen eine entscheidende Rolle bei der sprachlich-kulturellen Identitätskonstruktion.
Schlagwörter
Echokammer
Der Begriff der Echokammer steht in seiner heutigen Verwendung vor allem im Zusammenhang mit der Nutzung Sozialer Medien. Er verweist metaphorisch auf einen digitalen Kommunikations- und Resonanzraum, in dem Mediennutzer*innen lediglich Inhalten begegnen, die ihre eigenen, bereits bestehenden Ansichten bestätigen, während abweichende Perspektiven und Meinungen ausgeblendet bzw. abgelehnt werden.
Relativieren
Der Ausdruck relativieren besitzt zwei zentrale Bedeutungsvarianten: In bildungssprachlichen und wissenschaftlichen Kontexten bezeichnet er eine analytische Praxis, bei der Aussagen, Begriffe oder Phänomene durch Bezugnahme auf andere Sachverhalte eingeordnet, differen-ziert und in ihrer Geltung präzisiert werden.
Massendemokratie
Geprägt wurde der Begriff Massendemokratie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von völkisch-konservativen Akteuren (prominent darunter Carl Schmitt 1926). Der Ausdruck Masse hatte damals bei den bürgerlichen Eliten eine rundum bedrohliche Assoziation.
Social Bots
Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.
Kriegsmüdigkeit
Der Ausdruck Kriegsmüdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische Ermüdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch für das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.
Woke
Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.
Identität
Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.
Wohlstand
Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.
Remigration
Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.
Radikalisierung
Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.
Verschiebungen
Dehumanisierung
Mit Dehumanisierung bzw. Anthropomorphisierung werden solche kommunikativen Techniken und Praktiken bezeichnet, die Personen, Sachverhalten oder Gegenständen menschliche Eigenschaften ab- bzw. zusprechen. Dehumanisierung und Anthropomorphisierung können sowohl durch sprachliche Mittel als auch durch andere, z. B. bildliche, Zeichen vollzogen werden.
Kriminalisierung
Kriminalität meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden.
Versicherheitlichung
In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.
Ökonomisierung
Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren
Moralisierung
Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.
Konstellationen
Partizipatorischer Diskurs
Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.
Skandal
Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.