DiskursGlossar

Begriffe besetzen 

Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte Ausdrücke: Semantischer Kampf, Bezeichnungspolitik, Bezeichnungskonkurrenz
Siehe auch: Perspektive, Bedeutung, Lexikalisches Diffundieren, Framing, Freund- und Feind-Begriffe
Autorin: Katharina Jacob
Version: 1.1 / Datum: 19.12.2022

Kurzzusammenfassung

In der Linguistik wird von Begriffe besetzen oder von semantischen Kämpfen gesprochen, wenn Akteure versuchen, Wörter oder Phrasen mit bestimmten, meist parteispezifischen Bedeutungen zu prägen, oder umgekehrt für einen bestimmten Sachverhalt eine prägnante Bezeichnung zu finden. Diese Bezeichnungspolitik zielt darauf, die eigene (politische) Position zu stärken und meistens auch gleichzeitig die gegnerische Position zu schwächen. Ein Streit um Sachverhalte zeigt sich dann als Streit um Worte, denn zwei oder mehrere Ausdrücke können ebenso in Konkurrenz treten (Bezeichnungskonkurrenz) wie zwei oder mehrere Bedeutungen, die einem Wort zugeschrieben werden (Bedeutungskonkurrenz). Die Bezeichnungspolitik kann explizit erfolgen, indem ein Begriff metakommunikativ als geeigneter eingeordnet wird als ein anderer. In den meisten Fällen erfolgt sie aber implizit, indem die Diskursakteure die Begriffe in ihrem bevorzugten Sinne verwenden, ohne eine explizite Bewertung vorzunehmen.

Erweiterte Begriffsklärung

In der Linguistik wird von Begriffe besetzen oder von semantischen Kämpfen im Sinne einer Bezeichnungspolitik gesprochen, wenn Akteure versuchen, Wörter auf der Ein- oder Mehrwortebene mit bestimmten, meist parteispezifischen Bedeutungen zu prägen, oder umgekehrt für einen bestimmten Sachverhalt eine prägnante Bezeichnung zu finden, mit dem Ziel, die eigene (politische) Position zu stärken und meistens auch gleichzeitig die gegnerische Position zu schwächen. Linguisten wie Josef Klein und Fritz Hermanns greifen hierbei gerne die Äußerung von Generalsekretär Kurt Biedenkopf auf, in der er 1973 die Rolle der Sprache im Ringen um politische Macht betonte und sagte, dass wir es mit einer „Revolution neuer Art“ zu tun haben, einer „Revolution der Gesellschaft durch die Sprache“ (zitiert aus Hermanns 1994: 21). Die gewaltsame Besetzung vor Ort wird also in eine linguistische Revolution transformiert. Besetzt werden dabei keine Gebäude oder Plätze, sondern Begriffe. In der Linguistik lässt sich dieser Vorgang als ein Prägen der Form-Inhalt-Beziehung sprachlicher Zeichen beschreiben (oder im Sinne der linguistischen Pragmatik als ein Prägen der Form-Funktion-Beziehung).

„Sprache ist nicht nur irgendein Instrument der Politik, sondern überhaupt erst die Bedingung ihrer Möglichkeit“ (Girnth 2010). In Sprache und ihrem Gebrauch wird das, was wir sagen, geformt. Wir sprechen immer aus einer bestimmten Perspektive und so ist Sprache kein neutrales Medium, sondern immer eines, in das sich Sichtweisen, Meinungen und damit auch unterschiedliche Positionen einschreiben. Da es zu den unterschiedlichen politischen Sachverhalten verschiedene Sichtweisen gibt, geraten nicht nur die Personen mit ihren Meinungen in Streit, in Konkurrenz treten auch ihre Wörter. So stehen Bezeichnungsformen nebeneinander (Angriffskrieg, Abnutzungskrieg oder Verteidigungskrieg), wenn auf die Kriegshandlungen in der Ukraine Bezug genommen wird. Aber auch Bedeutungsinhalte konkurrieren miteinander, der Ausdruck Impfkritiker kann im Sinne einer ,impfgegnerischenʻ Bedeutung verwendet werden (alle Impfungen werden grundsätzlich abgelehnt) oder einer ,impfvorsichtigenʻ Bedeutung (ein bestimmtes von der STIKO empfohlenes Vorgehen bezogen auf Alter, Menge, Häufigkeit etc. wird abgelehnt). In Sprache und ihrem Gebrauch wird also nicht nur das, was wir sagen, geformt. Die Perspektiven, die sich in die Sprache einschreiben, formen auch unser Denken und Wissen über politische Sachverhalte. Je häufiger Akteure in der Politik denselben Ausdruck verwenden, desto stärker prägt sich die damit einhergehende Sichtweise in den Sprach- und Denkgebrauch ein.

Haben Wörter eine relativ feste politische Bedeutung und stehen in Kontrast oder sogar Konkurrenz zu anderen Wörtern, verstärkt sich ihr Verfestigungsgrad, indem sie durch die Medien oder andere Diskursakteure aufgegriffen und verbreitet werden. Nach Kuhn 1991 und Klein 1991 werden auf diese Weise also nicht nur Begriffe, sondern auch Medien besetzt. Je nach politischer Ausrichtung übernehmen die Medien die Begriffe, betreiben also selbst Bezeichnungspolitik, und streuen sie durch stetiges Aufgreifen. Und so gelangen die besetzen Begriffe an die Öffentlichkeit, werden an sie herangetragen und von Personen, Gruppen oder Institutionen weiterverwendet.

Die Bezeichnungspolitik kann explizit erfolgen, indem ein Begriff metakommunikativ als geeigneter eingeordnet wird als ein anderer (z.B. werden Begriffe explizit abgelehnt, von anderen abgegrenzt oder durch Anführungszeichen im Sinne eine Distanzierung markiert). In den meisten Fällen erfolgt diese Bezeichnungspolitik aber implizit, indem die Diskursakteure die Begriffe in ihrem bevorzugten Sinne verwenden, ohne eine explizite Bewertung vorzunehmen. Diese Verbreitung über den Text, die politische Rede oder das öffentliche Gespräch hinweg lässt sich diskurslinguistisch untersuchen. Wenn sich Texte, Reden, Gespräche oder multimodale Einheiten auf denselben Gegenstand beziehen und über diesen gemeinsamen Gegenstand miteinander verbunden sind, kann von Diskursen als Text-, Gespräch- und Bildnetze gesprochen werden. Ist die Verbreitung der Wörter erfolgreich, lassen sich auf der sprachlichen Oberfläche Sprachgebrauchsmuster im entsprechenden Diskurs beobachten. Begriffe werden also verwendet, wiederholt, setzen sich durch und besetzen so den allgemeinen Sprachgebrauch. Wenn routinierte Verwendungsweisen nicht nur sprachlich, sondern auch durch multimodale Einheiten (beispielsweise Videoclips) aufgegriffen werden, lassen sich nicht nur Sprachgebrauchs-, sondern auch Bildgebrauchsmuster beobachten. Visuelle Formen der Kommunikation (statische, aber auch bewegte Bilder) können in sprachliche Zusammenhänge (schriftlicher und mündlicher Kommunikation) eingebettet sein und in Konkurrenz treten (z.B. kann das Logo der Anti-Atomkraft-Bewegung Atomkraft? Nein danke als eine Form des Schlagbildes mit dem Logo Kernenergie? Ja bitte in Wettstreit geraten, siehe Jacob 2016). Schlagbilder können also ähnliche Funktionen haben wie Schlagworte und in semantischen Kampf geraten. Die diskursive Musterbildung geschieht dann diachron, also im Verlauf der Zeit, aber auch synchron, also über den Sprachgebrauch in unterschiedlichen Kommunikationsbereichen breit gestreut, beispielsweise in der Berichterstattung unterschiedlicher Medienorgane, im Aufgreifen der Sprachgebrauchsmuster durch andere Akteure in der Politik, in der Öffentlichkeit oder auch in der halböffentlichen Kommunikation wie beispielsweise in Verbänden und Vereinen und in der privaten Kommunikation zwischen Freunden und in der Familie.

Die Auseinandersetzung mit dem Besetzen von Begriffen hat sich in den 1960er Jahren etabliert. Zunächst sprach der Philosoph Hermann Lübbe von „Streit um Worte“ (Hermanns 1994: 26). Wörter werden gebraucht und lösen „Assoziationen, Stellungnahmen, Erwartungen“ aus (Lübbe 1967: 65; zitiert aus Hermanns 1994: 27). Wörter bzw. Phrasen haben Handlungseigenschaften. Das bedeutet, dass Wörter nicht einfach nur gesagt werden, sondern mit sprachlichen Handlungen einhergehen, die Veränderungen in der Äußerungssituation und im weiteren politischen Geschehen nach sich ziehen. Und weil sie Positionen auslösen, werden Wörter dazu verwendet, um zu streiten. Sie haben eine Art Stellvertreterfunktion, verweisen also indexikalisch auf die eigene bzw. gegnerische Gruppe und deren Sichtweise:

[S]ie legen Richtung und Meinung fest, ermöglichen die Erfahrung politischer Zugehörigkeit    und fixieren im Ganzen jene Aktions- oder Zustimmungsbereitschaft, ohne die politisches   Handeln nicht möglich wäre (Lübbe 1967: 56; zitiert aus Hermanns 1994: 28).

Lübbe schlug vor, weniger um Worte zu streiten, sondern diese erst einmal zu definieren und dann im Anschluss zu argumentieren (vgl. Hermanns 1994: 27). Ähnliche Beobachtungen zur politischen Kommunikation wurden in dem Aufsatz Essentially Contested Concepts von Walter Bryce Gallie 1955/56 niedergeschrieben. Lübbe muss ihn nicht gekannt haben, denn er wurde erstmals von Dieckmann 1969 im deutschsprachigen Raum rezipiert und so war es Lübbe, der das Konzept des Streits um Worte prägte und die sprachwissenschaftliche Diskussion maßgeblich anregte (Hermanns 1994: 26). Statt „Streit um Worte“ oder „Wortstreit“ wird seit Reinhart Koselleck oft von „semantischen Kämpfen“ gesprochen (1972: 113; zitiert aus Hermanns 1994; 30). Georg Stötzel hat dazu 1990 einen für die weitere linguistische Diskussion zentralen Aufsatz geschrieben.

Das Konzept der semantischen Kämpfe wird von vielen Linguist*inn*en aufgegriffen und nicht nur für die politische Kommunikation, sondern auch auf die Fachkommunikation allgemein übertragen. Nicht nur in der Politik, sondern auch in anderen gesellschaftlichen Handlungsfeldern, in sogenannten Wissensdomänen (wie beispielsweise im Recht, in der Wirtschaft, Bildung oder Medizin oder in den Naturwissenschaften), wird um angemessene Bezeichnungsverwendungen und Bedeutungszuschreibungen gestritten (vgl. Felder 2006). Ein Beispiel wäre die Sterbehilfedebatte, in der die Mehrworteinheiten menschenwürdig sterben und menschenwürdig leben bis zuletzt nebeneinander stehen. Die Debatte zeigt, dass es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, wann Sterben beginnt und Leben endet (vgl. Felder/Stegmeier 2012). Auch hier geschieht dies nicht immer explizit, etwa durch eine metasprachliche Thematisierung. Begriffe werden implizit besetzt, indem die eine Akteursgruppe schlicht anders spricht als die andere. Semantische Kämpfe sind demnach essenzielle Kommunikationspraktiken im Sprachgebrauch unserer Gesellschaft.

Ekkehard Felder spricht in seiner Übertragung des Konzepts semantischer Kämpfe auf andere Wissensdomänen von Bedeutungsfixierungsversuchen, wenn ein und derselbe Ausdruck verwendet wird, damit aber unterschiedliche „Teilbedeutungen“ (Felder 2006: 15) einhergehen. Hermanns nennt diesen linguistischen Fall Bedeutungskonkurrenz im Unterschied zur Bezeichnungskonkurrenz, der vorliegt, wenn umstritten ist, welche von mindestens zwei Bezeichnungen für einen Sachverhalt die richtige ist (Hermanns 1994: 33).

Bei der Bedeutungskonkurrenz bzw. dem Bedeutungsfixierungsversuch werden um einen Ausdruck herum, in der näheren sprachlichen Umgebung (im sogenannten Kotext), andere Nebenbedeutungen versprachlicht, als in der anderen näheren sprachlichen Umgebung des identischen Ausdrucks. Die Bezeichnung social distancing kann beispielsweise in dem einen Textbeitrag positiv konnotiert sein, im Sinne einer räumlichen Trennung, um die Infektionen im Rahmen der Coronapandemie zu verringern. In einem anderen Redebeitrag sind mit dem identischen Mehrwort die negativen Folgen der politischen Maßnahmen gemeint, die soziale Isolation, die mit verheerenden physischen und psychischen Reaktionen einhergehen kann. Die unterschiedlichen Teilbedeutungen, die durch den Kotext um das Mehrwort herum entstehen und das Mehrwort, metaphorisch gesprochen, semantisch färben, konstituieren unterschiedliche Sachverhalte. Felder spricht in diesem Zusammenhang von „Sachverhaltsfixierungsakt“ (2006: 15).

Warum können Begriffe besetzt werden, warum lässt sich um die Semantik kämpfen? Sprache und ihr Gebrauch sind stabil und zugleich dynamisch. Ohne sprachliche Konventionen könnten wir uns nicht verständigen. Wie ein Satz aufgebaut ist, was die Kernbedeutung von bestimmten Wörtern ist oder wie Äußerungen in spezifischen Kommunikationssituationen üblicherweise verwendet werden, ist in einer Sprachgemeinschaft konventionalisiert. In immer wiederkehrenden Verwendungsweisen der Sprache schlagen sich Kommunikationsroutinen nieder und die Sprachgebrauchsmuster prägen den Diskurs. Zugleich bleibt Sprache durch ihren stetigen Gebrauch offen für Veränderung, Diskurse sind dynamisch, und so hat jedes einzelne Wort das Potential, in seiner Bedeutung verändert zu werden, jeder Sachverhalt bietet die Möglichkeit, mit anderen Wörtern beschrieben und dadurch auf ganz spezifische Weise hergestellt zu werden (vgl. dieses Spannungsverhältnis im Bereich der Semantik und Grammatik am Beispiel des Coronapandemiediskurses in Jacob/Landschoff 2022).

Diese Vagheit der Wortbedeutung ist „kein Mangel, sondern Bedingung ihrer politischen Wirksamkeit“ (Lübbe 1967: 55; zitiert aus Hermanns: 28). Sie ermöglicht politische Eingrenzung und parteikonturierte Meinungsbildung, zieht aber auch soziale Ausgrenzung oder politische Machtaushandlungen nach sich. Beim Sprachgebrauch gibt es keine Wortgewinner und -verlierer. Durch die Dynamik des Sprachgebrauchs und die Verfestigung in diskursiven Sprachgebrauchsmustern kann eine Wortbedeutung oder -bezeichnung lediglich eine Art „Oberhand“ bekommen (Klein 1989: 29; Kuhn 1991). Wandruszka spricht in diesem Zusammenhang von einer „inneren Mehrsprachigkeit“ der Sprachen (zitiert aus Hermanns 1994: 32). Unterschiedliche Sprachen unterscheiden sich nicht nur, sondern auch innerhalb einer Sprache entsteht ein Mehrklang, eine Polyphonie. Wenn Begriffe besetzt werden, wenn semantisch gekämpft wird, können wir immer davon ausgehen, dass eine Mehrdeutigkeit aufgrund verschiedener Sichtweisen vorliegt. Bedeutungs- und Bezeichnungsvarianten entsprechen unterschiedlichen Ideologien, also divergierenden Denkweisen und Bestrebungen. Sprecher*inn*en sind bemüht, dass ihre Gruppensprache Gemeinsprache wird, die Bedeutung soll allgemein und vorherrschend sein. Im Unterschied zur klassischen Polysemie, wie sie in der Semantik beschrieben wird, leben diese Wörter aber nicht friedlich nebeneinander, sondern sind umstritten und treten in Konkurrenz. Sprache und ihr Gebrauch lädt damit zum demokratischen Dialog, zur sozialen und politischen Eingrenzung ein, ist aber auch Schauplatz für Aushandlung von Macht und sozialer Ausgrenzung.

Beispiele

(1) In der politischen Debatte um die Einführung des sogenannten Betreuungsgeldes (die Debatte erfolgte v.a. zwischen 2012 und 2013, 2013 wurde es dann eingeführt, 2015 vom Bundesverfassungsgericht jedoch als nichtig erklärt) standen sich Bezeichnungen wie beispielsweise Betreuungsgeld, Herdprämie oder Gluckengehalt gegenüber, obwohl sich die Personen oder Parteien, die diese Wörter verwenden, auf ein- und denselben Sachverhalt beziehen, und zwar die staatliche Förderung für die Zeit, in der Eltern nach der Geburt ihr Kind betreuen und kein Einkommen haben (vgl. Jacob/Mattfeldt 2016). Mit dem Ausdruck Herdprämie versuchten die Gegner*innen, die politische Diskussion zu polarisieren und aufzuzeigen, dass mit diesen Bemühungen ein antiquiertes Familienbild einhergehe, dass das Betreuungsgeld nutzlos oder gar kontraproduktiv sei:

Denn wem nutzt eine Monatsprämie für Eltern, die ihr ein- bis dreijähriges Kind nicht in eine öffentliche Kita stecken? Genau: den Eltern, die ihr Kind in eine teure Privatkita schicken oder von einer noch teureren Privatnanny betreuen lassen. Das Betreuungsgeld: nicht etwa eine „Herdprämie“ für die CSU-nahe Hausfrau – i wo! – , sondern recht eigentlich ein Besserverdiener-Programm zum Ausbau des privaten Betreuungsmarktes. Wenn dazu noch das Betreuungsgeld für weniger Betuchte direkt in die Versicherungswirtschaft fließt (private Bildungs- und Rentenvorsorge), dann geben vielleicht auch die Wirtschaftsverbände Ruhe. Was will ein Rainer Brüderle mehr? (taz 2012)

Mit der Bezeichnung Herdprämie sollte beispielsweise eine ganz bestimmte Bedeutung verbunden werden: Finanziell prämiert, also mit einem Preis in Form von Geld, werden Personen, die ihr Kind zu Hause betreuen. Die Kinderbetreuung wird mit dieser Bezeichnung gar nicht hervorgehoben, sondern der Herd, mit dem viele tradierte Assoziationen einhergehen können, beispielsweise ein konservatives Weltbild, in dem die Hausfrau am Herd steht und diejenige ist, die auch maßgeblich die Kinderbetreuung übernimmt. Mit dem Ausdruck Herdprämie geht also eine Abwertung einher, die auf verschiedenen Ebenen zu verorten ist, der Bezug ist daher vage: kritisiert wird die politische Idee, die Initiative der CDU bis zum Gesetzentwurf sowie das tradierte Familienbild, was damit einhergeht. Bei diesem Beispiel wird also nicht nur ein Begriff besetzt, also versucht, die Beziehung zwischen Bezeichnung und Bedeutung festzusetzen. Mit der Bezeichnung soll auch innerhalb der Politik Gedankengut und politisches Handeln mit einer Partei eng verbunden und ihr zugeordnet werden. Befürworter*innen vermeiden den Ausdruck Herdprämie oder verwenden ihn nur, um die gegnerische Sicht in ihrer Rede rhetorisch geschickt aufzugreifen oder zurückzuweisen und die eigene Meinung stark zu machen.

(2) Bevor der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn 2015 eingeführt wurde, war die politische Debatte darum kontrovers. Die CDU lehnte diese Initiative viele Jahre ab, weil die Sorge bestand, dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn den Arbeitsplatzmarkt bedrohen könne. Um Arbeitsplätze für Geringqualifizierte adäquat zu entlohnen, wollte sie hingegen ein Mindesteinkommen einführen, das sich aus Lohn und staatlichem Lohnzuschuss zusammensetzen sollte. So standen sich in der Debatte 2008 zwei Ausdrücke gegenüber, Mindestlohn und Mindesteinkommen. Mit beiden Ausdrücken wurde auf die Bezahlung geringqualifizierter Personen Bezug genommen, durch die Ähnlichkeit der Ausdrücke war es der CDU möglich, einen vergleichbaren Bezugsrahmen zu schaffen und zu signalisieren, dass es um einen ähnlichen Sachverhalt handelt. Durch die Verwendung von -einkommen statt -lohn sollte lediglich die Art und Weise der Finanzierung sichtbar werden. 2009 lehnte die CDU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag zwar einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn ab, 2010 befürwortete Ursula von der Leyen jedoch zumindest Branchen-Mindestlöhne. 2011 forderte die Christlich-Demokratische-Arbeitnehmergemeinschaft (CDA) parteiintern die Einführung von Mindestlöhnen, kurze Zeit später konnte die CDU auf Bundesebene überzeugt werden. Und so wurde auf dem 24. CDU-Parteitag am 14./15. November 2011 festgelegt:

Die CDU hält es für notwendig, eine allgemeine verbindliche Lohnuntergrenze in den Bereichen einzuführen, in denen ein tarifvertraglich festgelegter Lohn nicht existiert. Die Lohnuntergrenze wird durch eine Kommission der Tarifpartner festgelegt und soll sich an den für allgemein verbindlich erklärten tariflich vereinbarten Lohnuntergrenzen orientieren. Die Festlegung von Einzelheiten und weiteren Differenzierungen obliegt der Kommission. Wir wollen eine durch Tarifpartner bestimmte und damit marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze und keinen politischen Mindestlohn (Sonstige Beschlüsse vom 24. Parteitag des CDU Deutschlands vom 13.-15. November 2011: 2).

Auf diese Weise wurde dem Konzept des Mindestlohns zugestimmt, bevorzugt wurde hingegen der Ausdruck Lohngrenze, um einerseits die Art der Regulierung hervorzuheben (der Mindestlohn wird nicht von der Politik, sondern von der Wirtschaft bestimmt) und andererseits den lang ausgefochtenen Streit nicht zu verlieren bzw. den Gegnern in die Tasche zu spielen. Dieses Beispiel zeigt zum einen, dass sich semantische Kämpfe nicht nur zwischen Parteien abspielen können, sondern auch innerhalb einer Partei um Wörter gerungen wird. Zum anderen wird deutlich, dass verschiedene konkurrierende Ausdrücke nicht immer auf exakt denselben Sachverhalt Bezug nehmen. Häufig werden auch alternative, konkurrierende Ausdrücke gewählt, um auf eine minimale Veränderung beim Sachverhaltsbezug hinzuweisen. Bei der Bezeichnungskonkurrenz Betreuungsgeld versus Herdprämie standen sich politische Meinungen gegenüber. Beim zweiten Beispiel gehen mit den Ausdrücken unterschiedliche, aber ähnliche Sachverhalte einher.

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Klein, Josef (2017): Um Begriffe kämpfen. In: Niehr, Thomas; Kilian, Jörg; Wengeler, Martin (Hrsg.): Handbuch Sprache und Politik. Band 2. Bremen: Hempen, S. 773–793.
  • Wengeler, Martin (2017): Wortschatz I: Schlagwörter, politische Leitvokabeln und der Streit um Worte. In: Roth, Kersten Sven; Wengeler, Martin; Ziem, Alexander (Hrsg.): Handbuch Sprache in Politik und Gesellschaft. Berlin/Boston: de Gruyter, S. 22–46.

Zitierte Literatur

  • CDU (2011): 24. Parteitag der CDU Deutschlands. Sonstige Beschlüsse. Online unter: https://archiv.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/111115-sonstige-beschluesse.pdf?file=1 ; Zugriff: 17.12.2022.
  • Felder, Ekkehard (2006): Semantische Kämpfe in Wissensdomänen. Eine Einführung in Benennungs-, Bedeutungs- und Sachverhaltsfixierungs-Konkurrenzen. In: Ders. (Hrsg.): Semantische Kämpfe. Macht und Sprache in den Wissenschaften. Berlin/New York: de Gruyter (Linguistik – Impulse und Tendenzen, Bd. 19), S. 13–46.
  • Felder, Ekkehard; Stegmeier, Jörn (2012): ,Menschenwürdig sterben’ versus ,menschenwürdig leben bis zuletzt’: Semantische Kämpfe in einem Textkorpus zum Sterbehilfe-Diskurs. In: Anderheiden Michael; Eckart, Wolfgang U. (Hrsg.): Handbuch Sterben und Menschenwürde. Berlin/Boston: de Gruyter, S. 329–346.
  • Girnth, Heiko (2010): Einstieg: Sprache und Politik. Auf: Bundeszentrale für politische Bildung, online unter: https://www.bpb.de/themen/parteien/sprache-und-politik/42678/einstieg-sprache-und-politik/ ; Zugriff: 04.08.2022)
  • Hermanns, Fritz (1994): Schlüssel-, Schlag- und Fahnenwörter. Zu Begrifflichkeit und Theorie der lexikalischen „politischen Semantik“. Arbeiten aus dem Sonderforschungsbereich 245 Sprache und Situation. Heidelberg/Mannheim.
  • Jacob, Katharina (2016): Das diskurslinguistische Potential salienter politischer Sätze. In: Beßlich, Barbara/Felder, Ekkehard (Hrsg.): Geschichte(n) fiktional und faktual. Literarische und diskursive Erinnerungen im 20. und 21. Jahrhundert. Bern u. a.: Peter Lang (Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A: Kongressberichte 125), S. 331–353.
  • Jacob, Katharina; Landschoff, Jöran (2022): Stabilität und Dynamik in Semantik und Grammatik am Beispiel des Coronapandemiediskurses – ein Dialog. In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur. 18. Jahrgang, Heft 01, S. 83–105.
  • Jacob, Katharina; Mattfeldt, Anna (2016): Mehrsprachige Zugänge zu gesellschaftspolitischen Kontroversen. Ein siebenschrittiges Verfahren zur Erschließung diskursiver Konflikte anhand des deutsch- und englischsprachigen Mediendiskurses zum Betreuungsgeld. In: Vogel, Friedemann; Luth, Janine; Ptashnyk, Stefaniya (Hrsg.): Linguistische Zugänge zu Konflikten in europäischen Sprachräumen. Korpus – Pragmatik – kontrovers. Heidelberg: Winter (Schriften des Europäischen Zentrums für Sprachwissenschaften 4), S. 291–316.
  • Klein, Josef (1989): Wortschatz, Wortkampf, Wortfelder in der Politik. In: Ders. (Hrsg.): Politische Semantik. Bedeutungsanalytische und sprachkritische Beiträge zur politischen Sprachverwendung. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 3–50.
  • Klein, Josef (1991): Kann man „Begriffe besetzen?“ Zur linguistischen Differenzierung einer plakativen politischen Metapher. In: Liedtke, Frank; Wengeler, Martin; Böke, Karin (Hrsg.): Begriffe besetzen. Strategien des Sprachgebrauchs in der Politik. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 44–69.
  • Kuhn, Fritz (1991): Begriffe besetzen. Anmerkungen zu einer Metapher aus der Welt der Machbarkeit. In: Liedtke, Frank; Wengeler, Martin; Böke, Karin (Hrsg.): Begriffe besetzen. Strategien des Sprachgebrauchs in der Politik. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 90–110.
  • Stötzel, Georg (1990): Semantische Kämpfe im öffentlichen Sprachgebrauch. In: Stickel, Gerhard (Hrsg.): Deutsche Gegenwartssprache. Tendenzen und Perspektiven. Berlin/New York: de Gruyter, S. 45–65.
  • taz, die tageszeitung (2012): Tausche Gebühr gegen Prämie. Artikel vom 24.10.2010. Online unter: https://taz.de/Kommentar-Betreuungsgeld/!5081050/ ; Zugriff: 17.12.2022.

Zitiervorschlag

Katharina Jacob (2022): Begriffe besetzen. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 19.12.2022. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/begriffe-besetzen.

Grundbegriffe

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Sagbarkeit

Im öffentlichen Diskurs findet sich häufig die strategische Behauptung, dass bestimmte Fakten oder Meinungen unsagbar seien. Auf diese Weise wird zum Ausdruck gebracht, dass es Grenzen des Sagbaren gebe, die im öffentlichen Diskurs Geltung hätten.

Kulturelle Grammatik

Kulturelle Grammatik steht für ein System von Regeln und/oder etablierten Regelmäßigkeiten, die Formen richtiger und/oder normaler Kommunikation und Interaktion auszeichnen.

Techniken

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Wahlkampf

Wahlkämpfe sind Zeiten stark intensivierter politischer Kommunikation. Politische Parteien entwickeln Programme für die nächste Legislaturperiode in der Hoffnung, durch entsprechenden Stimmengewinn zu deren Umsetzung ermächtigt zu werden.

Wir

Das Pronomen wir erfüllt aber noch eine weitere diskursive Funktion: Ein Fundament des politischen Diskurses sind dynamische politische Ideologien: Glaubens- und Wissenssysteme von politischen und sozialen Gruppen.

Petition

Petitionen sind eine der am meisten genutzten Partizipationsformen nach Wahlen. Sie sind sowohl ein Mittel der politischen Beteiligung als auch ein Protestmittel und damit Zwitterwesen in der politischen Landschaft. Durch die Digitalisierung haben sich Petitionen zudem maßgeblich verändert, ihre Zahl hat zugenommen, ebenso wie die Zahl der Plattformen, auf denen sich Petitionen starten lassen.

Influencer / Influencerin

Influencer:innen sind Personen, die auf Social-Media-Plattformen regelmäßig selbst produzierte Inhalte publizieren und damit eine öffentliche Reichweite über ihre Follower:innen aufbauen. Influencer:innen haben das Potenzial, Rezipient:innen in ihrem Wissen, Einstellungen und Verhalten zu beeinflussen (engl. to influence).

Schlagwörter

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Geschlechtergerechte Sprache

Mit dem heute als Fahnenwort gebrauchten Ausdruck geschlechtergerechte Sprache ist die Forderung verbunden, bei Personenbezeichnungen die einseitige, für diskriminierend erklärte Bezugnahme auf einen bestimmten Sexus, konkret: auf das männliche Geschlecht, zu unterlassen.

Identitätspolitik

Der Ausdruck steht heute für eine politische Konstellation, in der konkurrierende Wir-Gemeinschaften mit einer Diskriminierungs- und Benachteiligungsgeschichte in der Öffentlichkeit um Anerkennung konkurrieren. An der Oberfläche geht es ‚identitären‘ Wir-Gemeinschaften darum, die eigene Diskriminierung als Ermächtigungsmotiv an die Öffentlichkeit zu tragen.

Cancel Culture

Cancel Culture ist ein Kampf- und Stigmawort, das sich in skandalisierender Absicht gegen die Praxis (und oft auch bereits gegen die Forderung) des Absagens, Ausladens, Boykottierens moralisch missliebiger und politisch bekämpfter Personen, Organisationen und Positionen in Wissenschaft, Kultur und Politik wendet.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…

Satzsemantik von Vorhersage und Nutzen-Risiko-Abwägung: Die STIKO-Impfempfehlung für 12- bis 17-Jährige vom 18. August 2021

“Die Forschung muss… sich in die Lage versetzen, die politischen Implikationen, die sie hat, anzunehmen und auszuforschen, um nicht beim ersten Knall der Peitsche durch alle ihr vorgehaltenen Reifen zu springen. Diese Integrität kann die Wissenschaft gerade dadurch unter Beweis stellen, dass sie dem herrschenden Druck, praktische Tabus in theoretische umzuwandeln, widersteht” (Beck 1986, 283)

Review-Rückblick

In dieser Rubrik veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen kurze Notizen zu Ereignissen oder Phänomenen, die in den vergangenen Wochen in der strategischen und öffentlichen Kommunikation zu beobachten waren. Die Texte kommentieren subjektiv, unsystematisch, teils widersprüchlich und hoffentlich pointiert. Sie erheben keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, beobachten ihren Gegenstand aber von einer diskursanalytischen und -interventionistischen Position aus und sollen zum Widerspruch einladen. Sie repräsentieren nicht die Position der Redaktion des Diskursmonitors, sondern ihrer jeweiligen Autorinnen und Autoren.

Rasse, Rassismus

1) Zu Beginn drei exemplarische Medienereignisse aus der jüngsten Vergangenheit, in denen es um den Komplex Rasse, Rassismus ging…

Freund-Feind-Begriffe: Zum diskurssemantischen Feld soziopolitischer Kollektivierung

Mit jeder sprachlichen Äußerung (und das schließt das Nicht-Äußern mit ein) positioniert sich der Sprecher oder Schreiber sowohl innerhalb eines von ihm intersubjektiv (re)konstruierten als auch eines objektiven (d.h. objektivierbaren) diskursiven Raum sozialer Gruppen. Möglich ist dies nur aufgrund der sozialsymbolischen (indexikalischen) Bedeutung kommunikativer Zeichen im Bühlerschen Sinne…

PR, Punk oder Provinz: Wie Corona-Forschung die Öffentlichkeit (nicht) erregt.

Jeden Tag erreichen uns neue Nachrichten, neue Zahlen, neue Grafiken zur laufenden Corona-Pandemie. Wer erinnert sich da noch daran, was vor zwei oder drei Monaten oder vor einer Woche öffentlich diskutiert wurde? Vielleicht sind nur zwei Debatten wirklich in unserem öffentlichen Gedächtnis hängen geblieben, unter anderem, weil sie es zu eigenen Twitter-Hashtags gebracht haben: #HeinsbergProtokoll und #IchHabeBesseresZuTun…