DiskursGlossar

Agenda Setting

Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte Ausdrücke: Themensetzung, Thematisierungsfunktion, Agenda-building
Siehe auch: Zivilgesellschaft, Framing, Strategische Kommunikation, Kampagne
Autorin: Charlotte Dany
Version: 1.1 / Datum: 07.06.2023

Kurzzusammenfassung

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann. In der Politikwissenschaft bezieht sich der Begriff auch auf eine frühe Phase des Politikzyklus, in der Themen auf die Tagesordnung von politischen Entscheidungsinstanzen gebracht werden, um sie einer politischen Bearbeitung näherzubringen. Vor allem in Netzwerken organisierte NGO-Aktivist*innen erfüllen diese Agenda Setting-Funktion gegenüber Staaten und internationalen Organisationen. Sie entwickeln hierzu beispielsweise Kampagnen über nationalstaatliche Grenzen hinweg. In der Kommunikationswissenschaft wird das Agenda Setting als Thematisierungs- und Strukturierungsfunktion der Massenmedien gegenüber der Öffentlichkeit beschrieben: Medien können zu einem gewissen Grad und unter bestimmten Bedingungen beeinflussen, was öffentlich als Problem wahrgenommen wird und mit welcher Dringlichkeit.

Das Agenda Setting von politischen Akteuren und Medien ist eng miteinander verknüpft und bedingt sich gegenseitig; diese Interaktionseffekte werden als ,Agenda-building‘ bezeichnet. Häufig wird Agenda Setting als eine ermächtigende und emanzipatorische Diskursstrategie beschrieben, da sie marginalisierten Interessen politische Aufmerksamkeit verschaffen und politische Entscheidungsprozesse vorbereiten kann. Kritische Perspektiven verweisen hingegen auf das Problem einer zu engen Verbindung zwischen Medienagenda und politischer Agenda, was die Bildung einer informierten Öffentlichkeit verhindert (Stichworte: ,Politainment‘ oder ,Mediokratie‘). Dabei konzentriert sich die Agenda Setting-Macht auf einige wenige Akteure, die Zugang zu den Ressourcen und Kanälen haben. Im Alltagsgebrauch gibt es auch negative Verwendung, in dem Sinne, dass Themen aus politischem Kalkül unverhältnismäßig stark thematisiert werden, obwohl sie für nur wenige Menschen von Relevanz sind. Grundsätzlich problematisch sind Verzerrungen und Ausschlüsse, die mit Agenda Setting einhergehen: Agenda Setting ist notwendigerweise immer eine Entscheidung gegen das Sichtbarmachen von anderen Themen, und kann Diskurse einschränken oder gar verhindern.

Erweiterte Begriffsklärung

Agenda Setting sei notwendig, da politische Eliten dazu neigten, marginalisierten Gruppen und ihren Problemen den Zugang zum politischen Diskurs zu verweigern und daher gesellschaftlich relevante Themen ignorierten (vgl. Kersting 2022: 222). Durch Agenda Setting sollen solche Ausschlüsse vermieden und Themen auf die politische Tagungsordnung gebracht werden. Dafür lenken politische Akteure mithilfe der Medien Aufmerksamkeit auf ein Thema und deuten es auf eine bestimmte Art (framing). Sie sammeln Informationen und stellen sie bereit, skandalisieren das Thema und strukturieren es, um öffentlichen Druck zu erzeugen und politische Instanzen dazu zu drängen, politische Entscheidungen zu formulieren und sie umzusetzen. Inwiefern sie damit erreichen, dass marginalisierte Interessen dadurch tatsächlich stärker Gehör finden ist jedoch fraglich. Denn Agenda Setting geht gleichzeitig mit einer Engführung des Diskurses einher, der eher dazu geneigt scheint, ohnehin dominante Sichtweisen zu verstärken.

Ein wichtiger Bestandteil des Agenda Setting sind neben diesen kommunikativen Aktivitäten politische Strategien der Vernetzung. Denn für erfolgreiches Agenda Setting ist es wichtig, Verbündete zu haben. Beispielsweise greifen in transnationalen Netzwerken organisierte NGOs ein bis dahin als unproblematisch oder irrelevant angesehenes Thema auf, entwerfen dazu Kampagnen, vernetzen sich mit unterstützungsbereiten nationalstaatlichen politischen Akteuren und bringen sie so auf die Agenda internationaler Organisationen. Agenda Setting ist damit ein wichtiges Instrument politischer Einflussnahme für nichtstaatliche politische Akteure, wie NGOs. Um externe politische Akteure zu beeinflussen, muss jedoch auch zuerst innerhalb der NGOs ein Agenda Setting stattgefunden haben.

Aus einer Vielzahl an Problematiken und Ungerechtigkeiten entscheiden NGOs, welchen Themen sie sich zuwenden. Sie wählen solche Themen aus, die erfolgversprechend sind, weil sie sich beispielsweise gut für Kampagnen eignen. Dazu gehört, dass sie als ungerecht empfunden werden und Empörungspotential aufweisen. Sie sollten es erlauben, eine Geschichte zu erzählen, in der Gut und Böse klar bestimmbar sind. Aber nicht alle Themen, die diese Charakteristika aufweisen, werden von NGOs aufgegriffen. So haben internationale NGOs während des Bosnien-Krieges die Stigmatisierung und das Leid von Kindern, die nach Kriegsvergewaltigungen geboren wurden, nicht zum Thema gemacht, obwohl es sich dafür angeboten hätte (vgl. Carpenter 2010). Ob ein Thema auf die Agenda von NGOs kommt und zum Gegenstand von Kampagnen wird, um nationale und internationale politische Prozesse zu beeinflussen, ist abhängig von komplexen Dynamiken innerhalb der NGO-Netzwerke. Agenda Setting ist somit auch immer die Entscheidung gegen die Thematisierung anderer Themen. 

Zum Agenda Setting in NGOs gehört nicht nur, zu entscheiden, welche Themen überhaupt in Kampagnen kommen, sondern auch wie: also mit Verweis auf welche Prinzipien und mithilfe welcher Strategien internationale Diplomat*innen, Journalist*innen oder Staatsoberhäupter beispielsweise auf eine Menschenrechtsproblematik aufmerksam gemacht werden (vgl. Wong 2014: 80). NGOs sind dann besonders erfolgreich, wenn das interne Agenda Setting in den Händen einiger weniger Personen zentralisiert ist, die für die gesamte Organisation sprechen können (vgl. Wong 2014: 76). Wenige Führungspersonen haben dann innerhalb der Organisationen viel informelle Macht für die Themensetzung. Insofern bestimmt nicht so sehr die Wichtigkeit der Themen oder das Ausmaß der Ungerechtigkeit, welche Themen auf die Agenda kommen. Ausschlaggebend ist eher die interne Organisationsstruktur der NGOs sowie die Entscheidungsmacht Einzelner.

Es wird diskutiert, welche Auswirkungen die Nutzung sozialer Medien auf Agenda Setting hat. Einerseits wird befürchtet, dass die Möglichkeiten „direkter, ungefilterter online Kommunikationsformate“ das klassische Agenda Setting der Massenmedien und politischer Akteure unter Druck setzen könnte (Korte/Richter 2022: 151). Soziale Medien bieten jedoch auch Potential für Agenda Setting, wenn auch auf andere Weise. Die Agenda Setting-Macht scheint sich eher zu vervielfältigen, wenn Menschen sich zu Themenkomplexen leichter zusammenschließen und darüber ohne Kosten oder Zeitaufwand direkt berichten und viele anderen Menschen erreichen können. Auch bedienen sich politische Akteure verstärkt sozialen Medien: NGOs nutzen zunehmend Facebook oder Instagram, um Themen mehr Öffentlichkeit zu geben und Druck auf politische Entscheidungsinstanzen auszuüben. So nutzen beispielsweise humanitäre NGOs soziale Medien, um auf das Leid der Flüchtlinge und Migrant*innen aufmerksam zu machen, die seit 2014 verstärkt über gefährliche Routen nach Europa kommen. Auch rechtspopulistische Gruppen nutzen gezielt soziale Medien, eigene Online-Medien sowie Messenger-Dienste, um Themen zu setzen und ihnen öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Jenseits der ,Lügenpresse dienen ihnen soziale Medien als wichtige Komponente einer rechtspopulistischen Kommunikationsstrategie, was die Verbreitung von Desinformationen erleichtert.

Beispiele

Eindeutige empirische Belege für die Wirkungen der Medien auf die öffentliche Agenda sind rar. Es gibt jedoch eindrucksvolle historische und aktuelle Beispiele für erfolgreiches Agenda Setting durch politische Akteure.

(1) So haben NGOs zur Abschaffung der Sklaverei beigetragen und das Frauenwahlrecht mit durchgesetzt, indem sie die menschenrechtlichen Problematiken von Sklaverei und den Ausschluss von Frauen von politischer Teilhabe durch Kampagnen öffentlich skandalisiert haben (vgl. Keck und Sikkink 1998: 40 f.). Eindrucksvoll sind diese Beispiele, weil hier etwas, was vorher als völlig normal und unproblematisch galt, international geächtet wurde. Das illustriert die ermächtigende und emanzipatorische Funktion des Agenda Setting über Grenzen hinweg.

(2) Ein aktuelleres Beispiel, dessen historische Bedeutung sich erst noch zeigen muss, ist eine NGO-Kampagne, die ein Lieferkettengesetz auf EU-Ebene vorbereitete. In der Initiative Lieferkettengesetz schlossen sich 130 NGOs zusammen, um ein EU-weites Lieferkettengesetz zu fordern. Das soll im gesamten Produktions- und Lieferprozess Umwelt- und Menschenrechtsstandards garantieren. Erste Erfolge sind zu verzeichnen: Die Europäische Kommission hat 2022 eine Richtlinie als Vorschlag erarbeitet und in Deutschland ist 2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft getreten. Auch wenn das Gesetz gegenwärtig von verschiedenen Seiten kritisiert wird, weil es nicht das erreicht, was es soll, so ist das Agenda Setting doch gelungen: Die Kampagne stellte Öffentlichkeit und Druck her zu einem eigentlich sehr sperrigen Thema. Sie fokussierte die Diskussion auf die Notwendigkeit, einen gesetzlichen Rahmen in der EU zu schaffen. Der Ruf nach einem ,gesetzlichen Rahmen‘ wurde zum Kernthema der Social Media und Straßenprotestkampagne, der mit emotional zugänglicheren Themen kombiniert werden konnte. Der gesetzliche Rahmen werde gebraucht ,gegen Gewinne ohne Gewissen‘, ,für Fashion ohne Victims‘ oder ,damit Menschenrechte nicht durch den Kakao gezogen werden‘. Das Agenda Setting wurde in diesem Fall begünstigt durch einen bereits vorhandenen politischen Willen, der jedoch in der Umsetzung durch ökonomische und unternehmerische Interessen begrenzt war. Gleichzeitig illustriert dieses Beispiel Grenzen des Agenda Setting: Wie die politischen Instanzen das Thema bearbeiten, kann nur bedingt beeinflusst werden, und auch in der Öffentlichkeit kann sich ein Thema nur über einen kurzen Zeitraum halten.

(3) Problematisch wird Agenda Setting dann, wenn Themen aus politischem Kalkül gesetzt werden, und in Bezug auf ihre tatsächliche Relevanz zeitweise übermäßig viel Aufmerksamkeit erhalten. Hierzu gehören das unter anderem von rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien geforderte Niqab- oder Burka-Verbot in Deutschland, Österreich und der Schweiz, welches viel mediale und öffentliche Aufmerksamkeit erfahren hat, obwohl es nur sehr wenige Menschen betrifft. Auf diese Weise kann Agenda Setting zu einem Instrument im neu-rechten Kulturkampf durch das Setzen von ,Kampfbegriffen‘ werden. 

Literatur

Zum Weiterlesen

  • McCombs, Maxwell; Valenzuela, Sebastian (2020): Setting the Agenda: Mass Media and Public Opinion, 3. Aufl., Cambridge: Polity.
  • Weimann, Gabriel; Brosius, Hans-Bernd (2017): Redirecting the agenda. Agenda-Setting in the online Era, Agenda Setting Journal 1:1, S. 63-101.

Zitierte Literatur

  • Carpenter, R. Charli (2010): Forgetting children born of war. Setting the human rights agenda in Bosnia and beyond. New York: Columbia University Press.
  • Keck, Margaret Elizabeth; Sikkink, Kathryn (1998): Activists beyond borders. Advocacy networks in international politics. Ithaca: Cornell University Press.
  • Kersting, Norbert (2022): Öffentlichkeit und deliberative und direkte Demokratie. In: Borucki, Isabelle; Kleinen-von Königslöw, Katharina; Marschall, Stefan; Zerback, Thomas (Hrsg.): Handbuch Politische Kommunikation. Wiesbaden, Heidelberg: Springer VS, S. 219–233.
  • Korte, Karl-Rudolf; Richter, Philipp (2022): Politische Akteure und Institutionen der politischen Kommunikation. In: Borucki, Isabelle; Kleinen-von Königslöw, Katharina; Marschall, Stefan; Zerback, Thomas (Hrsg.): Handbuch Politische Kommunikation. Wiesbaden, Heidelberg: Springer VS, S. 147–158.
  • Wong, Wendy H. (2014): Internal affairs. How the structure of NGOs transforms human rights. Ithaca: Cornell University Press.

Zitiervorschlag

Dany, Charlotte (2023): Agenda Setting. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 07.06.2023. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/agenda-setting.  

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Techniken

Nicht-Entschuldigen / Nonpology

Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen.

Hashtag

Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).

Diminutiv

Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).

Sündenbock

Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.

Redenschreiben

Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.

Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...

Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)

Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?

Was ist ein Volk?

Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…