
DiskursGlossar
Agenda Setting
Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte Ausdrücke: Themensetzung, Thematisierungsfunktion, Agenda-building
Siehe auch: Zivilgesellschaft, Framing, Strategische Kommunikation, Kampagne
Autorin: Charlotte Dany
Version: 1.1 / Datum: 07.06.2023
Kurzzusammenfassung
Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann. In der Politikwissenschaft bezieht sich der Begriff auch auf eine frühe Phase des Politikzyklus, in der Themen auf die Tagesordnung von politischen Entscheidungsinstanzen gebracht werden, um sie einer politischen Bearbeitung näherzubringen. Vor allem in Netzwerken organisierte NGO-Aktivist*innen erfüllen diese Agenda Setting-Funktion gegenüber Staaten und internationalen Organisationen. Sie entwickeln hierzu beispielsweise Kampagnen über nationalstaatliche Grenzen hinweg. In der Kommunikationswissenschaft wird das Agenda Setting als Thematisierungs- und Strukturierungsfunktion der Massenmedien gegenüber der Öffentlichkeit beschrieben: Medien können zu einem gewissen Grad und unter bestimmten Bedingungen beeinflussen, was öffentlich als Problem wahrgenommen wird und mit welcher Dringlichkeit.
Das Agenda Setting von politischen Akteuren und Medien ist eng miteinander verknüpft und bedingt sich gegenseitig; diese Interaktionseffekte werden als ,Agenda-building‘ bezeichnet. Häufig wird Agenda Setting als eine ermächtigende und emanzipatorische Diskursstrategie beschrieben, da sie marginalisierten Interessen politische Aufmerksamkeit verschaffen und politische Entscheidungsprozesse vorbereiten kann. Kritische Perspektiven verweisen hingegen auf das Problem einer zu engen Verbindung zwischen Medienagenda und politischer Agenda, was die Bildung einer informierten Öffentlichkeit verhindert (Stichworte: ,Politainment‘ oder ,Mediokratie‘). Dabei konzentriert sich die Agenda Setting-Macht auf einige wenige Akteure, die Zugang zu den Ressourcen und Kanälen haben. Im Alltagsgebrauch gibt es auch negative Verwendung, in dem Sinne, dass Themen aus politischem Kalkül unverhältnismäßig stark thematisiert werden, obwohl sie für nur wenige Menschen von Relevanz sind. Grundsätzlich problematisch sind Verzerrungen und Ausschlüsse, die mit Agenda Setting einhergehen: Agenda Setting ist notwendigerweise immer eine Entscheidung gegen das Sichtbarmachen von anderen Themen, und kann Diskurse einschränken oder gar verhindern.
Erweiterte Begriffsklärung
Agenda Setting sei notwendig, da politische Eliten dazu neigten, marginalisierten Gruppen und ihren Problemen den Zugang zum politischen Diskurs zu verweigern und daher gesellschaftlich relevante Themen ignorierten (vgl. Kersting 2022: 222). Durch Agenda Setting sollen solche Ausschlüsse vermieden und Themen auf die politische Tagungsordnung gebracht werden. Dafür lenken politische Akteure mithilfe der Medien Aufmerksamkeit auf ein Thema und deuten es auf eine bestimmte Art (framing). Sie sammeln Informationen und stellen sie bereit, skandalisieren das Thema und strukturieren es, um öffentlichen Druck zu erzeugen und politische Instanzen dazu zu drängen, politische Entscheidungen zu formulieren und sie umzusetzen. Inwiefern sie damit erreichen, dass marginalisierte Interessen dadurch tatsächlich stärker Gehör finden ist jedoch fraglich. Denn Agenda Setting geht gleichzeitig mit einer Engführung des Diskurses einher, der eher dazu geneigt scheint, ohnehin dominante Sichtweisen zu verstärken.
Ein wichtiger Bestandteil des Agenda Setting sind neben diesen kommunikativen Aktivitäten politische Strategien der Vernetzung. Denn für erfolgreiches Agenda Setting ist es wichtig, Verbündete zu haben. Beispielsweise greifen in transnationalen Netzwerken organisierte NGOs ein bis dahin als unproblematisch oder irrelevant angesehenes Thema auf, entwerfen dazu Kampagnen, vernetzen sich mit unterstützungsbereiten nationalstaatlichen politischen Akteuren und bringen sie so auf die Agenda internationaler Organisationen. Agenda Setting ist damit ein wichtiges Instrument politischer Einflussnahme für nichtstaatliche politische Akteure, wie NGOs. Um externe politische Akteure zu beeinflussen, muss jedoch auch zuerst innerhalb der NGOs ein Agenda Setting stattgefunden haben.
Aus einer Vielzahl an Problematiken und Ungerechtigkeiten entscheiden NGOs, welchen Themen sie sich zuwenden. Sie wählen solche Themen aus, die erfolgversprechend sind, weil sie sich beispielsweise gut für Kampagnen eignen. Dazu gehört, dass sie als ungerecht empfunden werden und Empörungspotential aufweisen. Sie sollten es erlauben, eine Geschichte zu erzählen, in der Gut und Böse klar bestimmbar sind. Aber nicht alle Themen, die diese Charakteristika aufweisen, werden von NGOs aufgegriffen. So haben internationale NGOs während des Bosnien-Krieges die Stigmatisierung und das Leid von Kindern, die nach Kriegsvergewaltigungen geboren wurden, nicht zum Thema gemacht, obwohl es sich dafür angeboten hätte (vgl. Carpenter 2010). Ob ein Thema auf die Agenda von NGOs kommt und zum Gegenstand von Kampagnen wird, um nationale und internationale politische Prozesse zu beeinflussen, ist abhängig von komplexen Dynamiken innerhalb der NGO-Netzwerke. Agenda Setting ist somit auch immer die Entscheidung gegen die Thematisierung anderer Themen.
Zum Agenda Setting in NGOs gehört nicht nur, zu entscheiden, welche Themen überhaupt in Kampagnen kommen, sondern auch wie: also mit Verweis auf welche Prinzipien und mithilfe welcher Strategien internationale Diplomat*innen, Journalist*innen oder Staatsoberhäupter beispielsweise auf eine Menschenrechtsproblematik aufmerksam gemacht werden (vgl. Wong 2014: 80). NGOs sind dann besonders erfolgreich, wenn das interne Agenda Setting in den Händen einiger weniger Personen zentralisiert ist, die für die gesamte Organisation sprechen können (vgl. Wong 2014: 76). Wenige Führungspersonen haben dann innerhalb der Organisationen viel informelle Macht für die Themensetzung. Insofern bestimmt nicht so sehr die Wichtigkeit der Themen oder das Ausmaß der Ungerechtigkeit, welche Themen auf die Agenda kommen. Ausschlaggebend ist eher die interne Organisationsstruktur der NGOs sowie die Entscheidungsmacht Einzelner.
Es wird diskutiert, welche Auswirkungen die Nutzung sozialer Medien auf Agenda Setting hat. Einerseits wird befürchtet, dass die Möglichkeiten „direkter, ungefilterter online Kommunikationsformate“ das klassische Agenda Setting der Massenmedien und politischer Akteure unter Druck setzen könnte (Korte/Richter 2022: 151). Soziale Medien bieten jedoch auch Potential für Agenda Setting, wenn auch auf andere Weise. Die Agenda Setting-Macht scheint sich eher zu vervielfältigen, wenn Menschen sich zu Themenkomplexen leichter zusammenschließen und darüber ohne Kosten oder Zeitaufwand direkt berichten und viele anderen Menschen erreichen können. Auch bedienen sich politische Akteure verstärkt sozialen Medien: NGOs nutzen zunehmend Facebook oder Instagram, um Themen mehr Öffentlichkeit zu geben und Druck auf politische Entscheidungsinstanzen auszuüben. So nutzen beispielsweise humanitäre NGOs soziale Medien, um auf das Leid der Flüchtlinge und Migrant*innen aufmerksam zu machen, die seit 2014 verstärkt über gefährliche Routen nach Europa kommen. Auch rechtspopulistische Gruppen nutzen gezielt soziale Medien, eigene Online-Medien sowie Messenger-Dienste, um Themen zu setzen und ihnen öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Jenseits der ,Lügenpresse‘ dienen ihnen soziale Medien als wichtige Komponente einer rechtspopulistischen Kommunikationsstrategie, was die Verbreitung von Desinformationen erleichtert.
Beispiele
Eindeutige empirische Belege für die Wirkungen der Medien auf die öffentliche Agenda sind rar. Es gibt jedoch eindrucksvolle historische und aktuelle Beispiele für erfolgreiches Agenda Setting durch politische Akteure.
(1) So haben NGOs zur Abschaffung der Sklaverei beigetragen und das Frauenwahlrecht mit durchgesetzt, indem sie die menschenrechtlichen Problematiken von Sklaverei und den Ausschluss von Frauen von politischer Teilhabe durch Kampagnen öffentlich skandalisiert haben (vgl. Keck und Sikkink 1998: 40 f.). Eindrucksvoll sind diese Beispiele, weil hier etwas, was vorher als völlig normal und unproblematisch galt, international geächtet wurde. Das illustriert die ermächtigende und emanzipatorische Funktion des Agenda Setting über Grenzen hinweg.
(2) Ein aktuelleres Beispiel, dessen historische Bedeutung sich erst noch zeigen muss, ist eine NGO-Kampagne, die ein Lieferkettengesetz auf EU-Ebene vorbereitete. In der Initiative Lieferkettengesetz schlossen sich 130 NGOs zusammen, um ein EU-weites Lieferkettengesetz zu fordern. Das soll im gesamten Produktions- und Lieferprozess Umwelt- und Menschenrechtsstandards garantieren. Erste Erfolge sind zu verzeichnen: Die Europäische Kommission hat 2022 eine Richtlinie als Vorschlag erarbeitet und in Deutschland ist 2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft getreten. Auch wenn das Gesetz gegenwärtig von verschiedenen Seiten kritisiert wird, weil es nicht das erreicht, was es soll, so ist das Agenda Setting doch gelungen: Die Kampagne stellte Öffentlichkeit und Druck her zu einem eigentlich sehr sperrigen Thema. Sie fokussierte die Diskussion auf die Notwendigkeit, einen gesetzlichen Rahmen in der EU zu schaffen. Der Ruf nach einem ,gesetzlichen Rahmen‘ wurde zum Kernthema der Social Media und Straßenprotestkampagne, der mit emotional zugänglicheren Themen kombiniert werden konnte. Der gesetzliche Rahmen werde gebraucht ,gegen Gewinne ohne Gewissen‘, ,für Fashion ohne Victims‘ oder ,damit Menschenrechte nicht durch den Kakao gezogen werden‘. Das Agenda Setting wurde in diesem Fall begünstigt durch einen bereits vorhandenen politischen Willen, der jedoch in der Umsetzung durch ökonomische und unternehmerische Interessen begrenzt war. Gleichzeitig illustriert dieses Beispiel Grenzen des Agenda Setting: Wie die politischen Instanzen das Thema bearbeiten, kann nur bedingt beeinflusst werden, und auch in der Öffentlichkeit kann sich ein Thema nur über einen kurzen Zeitraum halten.
(3) Problematisch wird Agenda Setting dann, wenn Themen aus politischem Kalkül gesetzt werden, und in Bezug auf ihre tatsächliche Relevanz zeitweise übermäßig viel Aufmerksamkeit erhalten. Hierzu gehören das unter anderem von rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien geforderte Niqab- oder Burka-Verbot in Deutschland, Österreich und der Schweiz, welches viel mediale und öffentliche Aufmerksamkeit erfahren hat, obwohl es nur sehr wenige Menschen betrifft. Auf diese Weise kann Agenda Setting zu einem Instrument im neu-rechten Kulturkampf durch das Setzen von ,Kampfbegriffen‘ werden.
Literatur
Zum Weiterlesen
- McCombs, Maxwell; Valenzuela, Sebastian (2020): Setting the Agenda: Mass Media and Public Opinion, 3. Aufl., Cambridge: Polity.
- Weimann, Gabriel; Brosius, Hans-Bernd (2017): Redirecting the agenda. Agenda-Setting in the online Era, Agenda Setting Journal 1:1, S. 63-101.
Zitierte Literatur und Belege
- Carpenter, R. Charli (2010): Forgetting children born of war. Setting the human rights agenda in Bosnia and beyond. New York: Columbia University Press.
- Keck, Margaret Elizabeth; Sikkink, Kathryn (1998): Activists beyond borders. Advocacy networks in international politics. Ithaca: Cornell University Press.
- Kersting, Norbert (2022): Öffentlichkeit und deliberative und direkte Demokratie. In: Borucki, Isabelle; Kleinen-von Königslöw, Katharina; Marschall, Stefan; Zerback, Thomas (Hrsg.): Handbuch Politische Kommunikation. Wiesbaden, Heidelberg: Springer VS, S. 219–233.
- Korte, Karl-Rudolf; Richter, Philipp (2022): Politische Akteure und Institutionen der politischen Kommunikation. In: Borucki, Isabelle; Kleinen-von Königslöw, Katharina; Marschall, Stefan; Zerback, Thomas (Hrsg.): Handbuch Politische Kommunikation. Wiesbaden, Heidelberg: Springer VS, S. 147–158.
- Wong, Wendy H. (2014): Internal affairs. How the structure of NGOs transforms human rights. Ithaca: Cornell University Press.
Zitiervorschlag
Dany, Charlotte (2023): Agenda Setting. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 07.06.2023. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/agenda-setting.
DiskursGlossar
Grundbegriffe
Diskurssemantische Verschiebung
Mit dem Begriff der diskurssemantischen Verschiebung wird in der Diskursforschung ein Wandel in der öffentlichen Sprache und Kommunikation verstanden, der auf mittel- oder län-gerfristige Veränderung des Denkens, Handelns und/oder Fühlens größerer Gesellschafts-gruppen hinweist.
Domäne
Der Begriff der Domäne ist aus der soziologisch orientierten Sprachforschung in die Diskursforschung übernommen worden. Hier wird der Begriff dafür verwendet, um Muster im Sprachgebrauch und kollektiven Denken von sozialen Gruppen nach situationsübergreifenden Tätigkeitsbereichen zu sortieren.
Positionieren
Positionieren ist Grundbestandteil menschlicher Kommunikation. Wann immer wir miteinander interagieren und kommunizieren, bringen wir uns selbst, andere und die Objekte, über die wir sprechen, in bestimmte Relationen zueinander.
Deutungsmuster
Unter einem Deutungsmuster wird die problem- und lösungsbezogene Interpretation gesellschaftlicher und politischer Tatbestände verstanden, die Aussicht auf Akzeptanz in sozialen Gruppen hat. Der Begriff des Deutungsmusters hat Ähnlichkeit mit den Begriffen der Theorie und Ideologie. Meist werden gesellschaftlich verbreitete Leitdeutungen, die oft mit Schlagwörtern und Argumentationsmustern einhergehen (wie Globalisierung, Kapitalismus, Leistungsgesellschaft, Chancengleichheit etc.) als Beispiele für Deutungsmuster genannt.
Sinnformel
‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.
Praktik
Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).
Kontextualisieren
Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.
Narrativ
Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.
Argumentation
Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.
Hegemonie
Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.
Techniken
Dogwhistle
Unter Dogwhistle wird in Teilen der Forschung eine doppeldeutige Äußerung verstanden, die eine offene und eine verdeckte Botschaft an jeweils eine Zuhörerschaft kommuniziert.
Boykottaufruf
Der Boykottaufruf ist eine Maßnahme, die darauf abzielt, ein Ziel, also meist eine Verhaltensänderung des Boykottierten, hervorzurufen, indem zu einem Abbruch etwa der wirtschaftlichen oder sozialen Beziehungen zu diesem aufgefordert wird.
Tabuisieren
Das Wort Tabuisierung bezeichnet die Praxis, etwas Unerwünschtes, Anstößiges oder Peinliches unsichtbar zu machen oder als nicht akzeptabel zu markieren. Das Tabuisierte gilt dann moralisch als unsagbar, unzeigbar oder unmachbar.
Aus dem Zusammenhang reißen
Das Aus-dem-Zusammenhang-Reißen gehört in den Funktionskreis der Redewiedergabe bzw. der Wiedergabe kommunikativer Ereignisse. Es kann (1) als intentionale argumentativ-polemische Strategie für ganz unterschiedliche diskursive Zielsetzungen von Akteuren genutzt werden, oder (2) es kann SprecherInnen und SchreiberInnen in unbeabsichtigter, fehlerhafter Weise unterlaufen.
Lobbying
Lobbying ist eine Form strategischer Kommunikation, die sich primär an Akteure in der Politik richtet. Beim Lobbying wird ein Bündel von kommunikativen Tätigkeiten mit dem Ziel eingesetzt, die Entscheidungen von Personen mit politischem Mandat oder den Entstehungsprozess von neuen Gesetzestexten interessengeleitet zu beeinflussen.
Karten
Karten dienen dazu, Raumausschnitte im Hinblick auf ausgewählte Charakteristika so darzustellen, dass die Informationen unmittelbar in ihrem Zusammenhang erfasst und gut kommuniziert werden können. Dazu ist es notwendig, Daten und Darstellungsweisen auszuwählen und komplexe und oft umkämpfte Prozesse der Wirklichkeit in einfachen Darstellungen zu fixieren.
Pressemitteilung
Pressemitteilungen sind standardisierte Mitteilungen von Organisationen, die sich an Journalist:innen und andere Multiplikator:innen richten. Sie dienen der offiziellen und zitierfähigen Informationsweitergabe und übernehmen zugleich strategische Funktionen in der öffentlichen Kommunikation und Meinungssteuerung.
Shitstorm
Der Begriff Shitstorm beschreibt eine relativ junge Diskurskonstellation, die seit den 2010er Jahren an Bedeutung gewonnen hat und gemeinhin als Online-Wutausbruch bezeichnet wer-den kann.
Tarnschrift
Als Tarnschrift bezeichnet man unter den Bedingungen von Zensur und Verfolgungsrisiko veröffentliche Texte, die insbesondere in der strategischen Kommunikation des NS-Widerstands eine zentrale Rolle spielten.
Ortsbenennung
Die Benennung von Orten dient in erster Linie dazu, den jeweiligen geografischen Ort zu lokalisieren und ihn zu identifizieren. Doch Ortsnamen besitzen eine soziale Dimension und spielen eine entscheidende Rolle bei der sprachlich-kulturellen Identitätskonstruktion.
Schlagwörter
Echokammer
Der Begriff der Echokammer steht in seiner heutigen Verwendung vor allem im Zusammenhang mit der Nutzung Sozialer Medien. Er verweist metaphorisch auf einen digitalen Kommunikations- und Resonanzraum, in dem Mediennutzer*innen lediglich Inhalten begegnen, die ihre eigenen, bereits bestehenden Ansichten bestätigen, während abweichende Perspektiven und Meinungen ausgeblendet bzw. abgelehnt werden.
Relativieren
Der Ausdruck relativieren besitzt zwei zentrale Bedeutungsvarianten: In bildungssprachlichen und wissenschaftlichen Kontexten bezeichnet er eine analytische Praxis, bei der Aussagen, Begriffe oder Phänomene durch Bezugnahme auf andere Sachverhalte eingeordnet, differen-ziert und in ihrer Geltung präzisiert werden.
Massendemokratie
Geprägt wurde der Begriff Massendemokratie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von völkisch-konservativen Akteuren (prominent darunter Carl Schmitt 1926). Der Ausdruck Masse hatte damals bei den bürgerlichen Eliten eine rundum bedrohliche Assoziation.
Social Bots
Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.
Kriegsmüdigkeit
Der Ausdruck Kriegsmüdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische Ermüdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch für das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.
Woke
Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.
Identität
Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.
Wohlstand
Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.
Remigration
Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.
Radikalisierung
Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.
Verschiebungen
Dehumanisierung
Mit Dehumanisierung bzw. Anthropomorphisierung werden solche kommunikativen Techniken und Praktiken bezeichnet, die Personen, Sachverhalten oder Gegenständen menschliche Eigenschaften ab- bzw. zusprechen. Dehumanisierung und Anthropomorphisierung können sowohl durch sprachliche Mittel als auch durch andere, z. B. bildliche, Zeichen vollzogen werden.
Kriminalisierung
Kriminalität meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden.
Versicherheitlichung
In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.
Ökonomisierung
Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren
Moralisierung
Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.
Konstellationen
Partizipatorischer Diskurs
Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.
Skandal
Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.
DiskursReview
Review-Artikel
Musk, Zuckerberg, Döpfner – Wie digitale Monopole die Demokratie bedrohen und wie könnte eine demokratische Alternative dazu aussehen?
Die Tech-Milliardäre Musk (Tesla, X,xAI) Zuckerberg (Meta), Bezos (Amazon) oder Pichai (Alphabet) sind nicht Spielball der Märkte, sondern umgekehrt sind die Märkte Spielball der Tech-Oligopolisten geworden.
Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament
Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)
Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit
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Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe
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Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen
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Relativieren – kontextualisieren – differenzieren
Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.
Wehrhafte Demokratie: Vom Wirtschaftskrieg zur Kriegswirtschaft
Weitgehend ohne Öffentlichkeit und situiert in rechtlichen Grauzonen findet derzeit die Militarisierung der ursprünglich als „Friedensprojekt“ gedachten EU statt.
Tagung 2025: „Das geht zu weit!“ Sprachlich-kommunikative Strategien der Legitimierung und Delegitimierung von Protest in öffentlichen, medialen und politischen Diskursen
„Das geht zu weit!“ Sprachlich-kommunikative Strategien der Legitimierung undDelegitimierung von Protest in öffentlichen, medialen und politischen Diskursen Tagung der Forschungsgruppe Diskursmonitor Tagung: 04. bis 5. Juni 2025 | Ort: Freie Universität Berlin...
„Remigration“ – Ein Riss im Schleier der Vagheit. Diskursive Strategien rund um das Remigrationskonzept und die Correctiv-Recherchen
Die am 10. Januar veröffentlichte Correctiv-Recherche über ein rechtes Vernetzungstreffen in Potsdam sorgte für erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit und die größten Demonstrationen gegen Rechtsaußen seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Im Fokus der Kritik…