DiskursGlossar

Ortsbenennung

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Toponyme, Ortsnamen, Benennungspraxis, Toponomastik, Namenkunde
Siehe auch: Perspektive, Komposita, Begriffe besetzen, Moralisierung
Autorin: Sandra Herling
Version: 1.0 / Datum: 14.10.2025

Kurzzusammenfassung

Die Benennung von Orten dient in erster Linie dazu, den jeweiligen geografischen Ort zu lokalisieren und ihn zu identifizieren. Doch Ortsnamen besitzen eine soziale Dimension und spielen eine entscheidende Rolle bei der sprachlich-kulturellen Identitätskonstruktion. Dies wird besonders deutlich durch Forderungen nach Umbenennungen, die beispielsweise aktuell im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung stattgefunden haben. Der Wechsel von Ortsnamen zeigt, wie Sprache und Raum genutzt werden, um Erinnerungen und Machtverhältnisse zu reflektieren und neu zu verhandeln.

Erweiterte Begriffsklärung

Ortsbenennung bezeichnet einen sprachlichen Prozess, bei dem geografischen Objekten ein individueller Name verliehen wird. Dieser Benennungsakt entspringt dem „anthropologischen Grundbedürfnis“ (vgl. Nübling et al. 2015: 14) in der Lebenswelt vorkommende für den Menschen relevante Objekte – seien es von Menschen selbst geschaffene Objekte (z. B. Produkte, Institutionen) oder Orte – zu identifizieren, zu unterscheiden und kommunikativ zugänglich zu machen. Das Ergebnis des Prozesses ist schließlich die Vergabe von Toponymen (von griech. topos ‚Ort‘), die in der sprachwissenschaftlichen Teildisziplin, der Onomastik, eine eigene Namenklasse neben Anthroponymen (Personennamen), Zoonymen (Tiernamen), Phytonymen (Pflanzenamen), Praxonymen (Namen kultureller, ökonomischer Ereignisse), Ergonymen (Namen bewusst geschaffener Objekte), Phänonymen (Namen natürlicher Phänomene) und Poetonymen (fiktionalen Namen) darstellen.

Toponyme sind Namen, die sich auf verschiedene geografische Objekte sowohl auf der Erde als auch im Weltall beziehen. Zu den auf der Erde verortbaren Toponymen zählen Siedlungsnamen (Oikonyme), die auf Dörfer oder Städte referieren, Länder- und Staatsnamen (Choronyme) sowie Landschaftsnamen (auch Choronyme) wie z. B. Schwarzwald oder Provence. Gewässernamen (Hydronyme) umfassen Benennungen von fließenden und stehenden Gewässern wie z. B. Namen von Flüssen, Bächen, Kanälen, Seen, Teichen, Tümpeln, Meeren etc. Darüber hinaus zählen Oronyme (Namen von Bergen und Gebirgen), Hodonyme bzw. Dromonyme (Straßen-, Wege-, Verkehrsplatznamen), Oikodomonyme (Gebäude-, Hausnamen) sowie Agronyme (Flurnamen), die sich auf landwirtschaftlich genutzte Flächen und natürliche Objekte außerhalb von Siedlungen (beispielsweise Äcker, Wälder oder Wiesen) beziehen. Schließlich umfasst die Namenklasse der Toponyme noch Namen natürlicher geografischer Objekte wie z. B. Monde, Planeten, Sterne, interplanetarische Nebel etc. (vgl. Nübling et al. 2015: 206; 259).

Sprachlich betrachtet handelt es sich bei Toponymen um Konstruktionen, die auf Wortschatzelementen basieren. In der Regel werden (konkrete) Substantive (hierzu können auch andere Eigennamen zählen), aber auch Adjektive oder andere Wortarten zur Prägung von Namen herangezogen. Beispiele hierfür wären Schwarzwald oder Ludwigshafen. Im Laufe der Propialisierung, der Namenentstehung, können morphologische und phonologische Wandelprozesse stattfinden, die dazu führen, dass der Ortsname opak, d. h. nicht mehr lexikalisch transparent erscheint. Dies ist der Fall bei Spessart – sprachhistorisch aus Speshart (mit der Bedeutung ‚Spechtwald‘) entstanden (vgl. Nübling et al. 2015: 211).

Aus namenkundlicher Perspektive interessant ist zudem die Benennungsmotivik, d. h. die Frage, warum ein spezifischer Name für eine geografische Entität ausgewählt bzw. geprägt wurde. Prinzipiell lassen sich bei der Ortsbenennung zwei verschiedene Kategorien unterscheiden:

  1. Toponyme können zum einen deskriptiv sein (vgl. Hough 2016: 88). Ihr Benennungsmotiv ‚beschreibt‘ bestimmte topografische, geo-morphologische, klimatische etc. Begebenheiten, die zum Zeitpunkt der Benennung als auffällig wahrgenommen wurden. Als Beispiele seien folgende Bergnamen genannt: Sierra Nevada (span. ‚Schneegebirge‘) oder Mont Blanc (frz. ‚weißer Berg‘) weisen auf die Präsenz von Schnee hin. Der Name Erzgebirge spiegelt dort vorhandene Bodenressourcen wider, während dem Toponym Schwarzwald das Benennungsmotiv der Farbe des regionalen Nadelwaldes zugrunde liegt (vgl. Nübling et al. 2015: 237–238).
  2. Zum anderen kann das Benennungsmotiv kommemorativ sein und soll an bestimmte (historische) Persönlichkeiten, Ereignisse etc. erinnern (vgl. Hough 2016: 92). Ein Beispiel hierzu wäre der Berg Mount Everest, der nach dem Landvermesser namens George Everest benannt wurde (vgl. Nübling et al. 2015: 238).

Essenzielle Eigenschaften von Toponymen sind ihre „ortsfeste Gebundenheit“ und „kartografische Fixierbarkeit“ (Nübling et al. 2015: 206). Aus diesen Merkmalen – wie auch aus den genannten Kategorien der Benennungsmotivik – lassen sich wiederum verschiedene Funktionen von Toponymen ableiten: Zum einen weisen sie – wie auch andere Namentypen (z. B. Personennamen) – eine „Identifizierungsfunktion“ auf (Debus 2012: 139). Durch die Namenvergabe wird ein bestimmtes geografisches Objekt eindeutig identifiziert und somit von anderen geografischen Entitäten differenziert. Diese Funktion ist insbesondere in der Kommunikation und kartografischen Dokumentation von zentraler Bedeutung, da sie eine präzise Referenzierung gewährleistet. Zum anderen besitzen Toponyme eine „Orientierungsfunktion“ (Debus 2012: 139); sie stellen räumliche Referenzpunkte dar, die es Individuen ermöglichen, sich in einem geografischen Raum zu orientieren. Toponyme dienen jedoch nicht nur der Identifizierung und Orientierung, sondern spiegeln auch kulturelle, sozio-politische und historische Bedeutungen wider.

Ein Blick auf die vorliegende Forschungsliteratur zur Toponomastik verdeutlicht jedoch einen starken Fokus auf der Etymologie. Im Vordergrund stehen hier sprachhistorische Fragestellungen – insbesondere nach dem zugrundeliegenden Etymon. Jedoch kristallisiert sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr ein Interesse an „der sozialen Dimension von Namengebung und Namenverwendung“ (Prinz 2021: 12) heraus. Die Wahl eines Namens, die dem Benennungsakt vorausgeht, ist nämlich in unterschiedlicher Weise von politischen, zeitlichen, regionalen Kontexten wie auch von ethnischen Auffassungen, religiösen Überzeugungen oder ästhetischen Empfindungen geprägt und reflektiert letztlich die Mentalität der Namengebenden (vgl. Debus 2012: 66).

Eine soziale Dimension zeigen bereits Ortsbenennungen im 5./6. Jahrhundert auf: Verschiedene Endungen der Toponyme weisen auf eine hierarchische Relation der Bewohner:innen hin. Beispielsweise wird durch das Suffix –ingen bei Siedlungsnamen die Abhängigkeit bzw. Zugehörigkeit der ansässigen Menschen zu einem Machthabenden versprachlicht (z. B. Sigmaringen geht auf die etymologische Bedeutung ‚bei den Leuten des Sigmars‘ zurück). Im Gegensatz dazu wurde bei den auf –heim endenden Ortsnamen der eigentliche Besitz und nicht die vom Besitzer bzw. Machthabenden abhängigen Menschen im Namengebungsakt berücksichtigt (z. B. Rüsselsheim ‚Heimat, Wohnort des Rucilo‘) (vgl. Debus 2012: 68; Nübling et al. 2015: 206).

Insbesondere Straßennamen und deren im Laufe der Geschichte variierenden Benennungspraxen verdeutlichen die vielfältigen Funktionen von Toponymen: Im Mittelalter entstanden Straßennamen aus ihrer Beschreibung in der alltäglichen Kommunikation (vgl. Kettner 1998: 101). Diese Namen waren in der Regel deskriptiv, das heißt, sie beschrieben die topografischen oder gesellschaftlichen Begebenheiten des geografischen Raumes. Eine Straße erhielt beispielsweise den Namen Krumme Straße aufgrund ihrer spezifischen Form; während die Gerbergasse nach den dort wirkenden Handwerkern benannt wurde. Solche primären, d. h. aus den Kommunikationsbedürfnissen entstandenen Straßennamen hatten vor allem eine Identifizierungs- und Orientierungsfunktion. Mit dem 18. Jahrhundert änderte sich jedoch die Benennungspraxis. Es entstanden so genannte sekundäre Straßennamen, die nicht mehr nur aus der alltäglichen Kommunikation hervorgingen, sondern vielmehr durch administrative Entscheidungen geprägt wurden. Die Namenwahl war tendenziell politisch motiviert, so dass Straßennamen eher eine Erinnerungsfunktion erfüllten, um bestimmte historische oder politische Kontexte sichtbar zu machen, anstatt nur der Orientierung zu dienen (vgl. Nübling et al. 2015: 245). Besonders im 20. Jahrhundert reflektierten Straßennamen den politischen Machtwechsel und dienten ideologischen Zwecken. Ein Beispiel hierfür ist die Benennung nach Personen oder Organisationen des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945, wie die Horst-Wessel-Straße in Mainz oder die Straße der SA in Berlin. Es kann davon ausgegangen werden, dass im Jahre 1933 fast jede deutsche Stadt eine Straße namens Adolf-Hitler-Straße besaß (vgl. Nübling et al. 2015: 247; Koß 2002: 152). Die Benennungen von Straßen zur Zeit des Nationalsozialismus stellten auch einen „Akt der politischen Gleichschaltung und der Eliminierung“ früherer Bezüge dar – wie das Beispiel in Coburg zeigt: Aus der Judengasse wurde die Marktgasse und aus dem Judenberg die Saarlandstraße (Koß 2002: 152). Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgten Umbenennungen. Beispielsweise hieß die Adolf-Hitler-Straße in Trier fortan Bahnhofstraße. In den 1950er Jahren sind eher ‚unverfängliche‘ Benennungsmotive (die sowohl deskriptiv als auch nicht-deskriptiv sein können) wie z. B. Namen von Erfindern oder Pflanzen-/Tierbezeichnungen zu beobachten wie z. B. Carl-Benz-Straße, Drosselweg etc. (vgl. Nübling et al. 2015: 248).

Auch wenn Kolonialismus primär ein militärisches, wirtschaftliches und politisches Phänomen ist, so tragen weitere, d. h. sprachliche Faktoren wie auch die Namenvergabe zur Machtkonsolidierung bei. Die Benennung des vereinnahmten Raumes diente einerseits dazu, die Inbesitznahme des jeweiligen Gebietes und damit das Machtverhältnis zu demonstrieren. Andererseits konnte ein in den Kolonialgebieten vergebenes Toponym die Gewissheit kolonialer Machtausübung lokalisieren und memorieren. Dies soll am Beispiel Bingerville (Stadt in der Côte d’Ivoire/Elfenbeinküste) veranschaulicht werden (vgl. Herling 2022: 98): Strukturell betrachtet weisen Kolonialtoponyme eine quantitative Auffälligkeit auf, denn sie sind in der Regel binär konstruiert (vgl. Stolz/Warnke 2018: 22) – wie es auch Bingerville verdeutlicht: Das französische Appellativ ville mit der Bedeutung ‚Stadt‘ gibt an, um welches Geo-Objekt es sich handelt, in diesem Fall um eine Stadt. Die zweite Namenkomponente Binger ist ein Anthroponym und bezieht sich auf einen Akteur im Kolonialisierungsprozess, nämlich Louis-Gustave Binger (1856–1936), der maßgeblich an der Unterwerfung des damaligen Gebietes der Côte d’Ivoire beteiligt war und mehrere Jahre dort als Gouverneur amtierte (vgl. Stolz et al. 2016: 306). Während ville das benannte Objekt, die Stadt, ontologisch einordnet, markiert Binger symbolisch die Zugehörigkeit des Ortes zum Herrschaftsbereich des Kolonisators. Häufig wird die zweite Komponente eines Kolonialtoponyms mit Personennamen besetzt, um eine Assoziation mit der Kolonialmacht kommemorativ herzustellen (vgl. Stolz/Warnke 2018: 28). Zu ergänzen ist, dass dieser Konstruktionstypus in allen Kolonialgebieten auftaucht, was zur Annahme eines kanonischen Typus veranlasst (vgl. Stolz/Warnke 2018: 27) wie z. B. Willemstad, Lüderitzbucht oder Cañada San Diego.

Doch nicht nur in den einzelnen Kolonien werden Ortsnamen geprägt, sondern auch im Herkunftsland der jeweiligen Kolonialmacht erhalten Orte Namen mit kolonialen Bezügen. In Deutschland wurden beispielsweise in den 1930er Jahren die Namen Karl-Peters-Straße, Lüderitzstraße und Wissmannstraße für neu geschaffene Straßenzüge in der Stadt Mannheim vergeben, um an Kolonialakteure aus der Kaiserzeit zu erinnern (vgl. Ebert 2023: 2).

In der postkolonialen Phase können verschiedene Benennungspraxen zur Anwendung kommen: Die in der Kolonialzeit geprägten Ortsnamen werden ersetzt, um einen deutlichen Bruch mit der kolonialen Vergangenheit zu markieren und die eigene sprachliche und kulturelle Identität sowie die politische Souveränität und Unabhängigkeit hervorzuheben. Als Beispiel hierfür kann das Kolonialtoponym Léopoldville herangezogen werden, das im 19. Jahrhundert einen Ort bezeichnete, der zu Ehren des belgischen Königs Léopold II. benannt wurde. Nach der Unabhängigkeit erhielt die heutige Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo im Jahre 1966 den Namen Kinshasa (vgl. Stolz et al. 2016: 297; Herling 2022: 102). Des Weiteren können kolonial intendierte Ortsnamen in der postkolonialen Zeit weiterexistieren; ihre Gültigkeit reicht somit „bis weit über die faktischen Phasen kolonialer Machtausübung hinaus“ (Stolz/Warnke 2018: 2). Eine Anzahl von Orten wurden nicht umbenannt und sind daher noch immer Zeugnisse kolonialer Vergangenheit. Beispiele hierfür sind Los Angeles, San Francisco oder San Diego, die in der spanischen Kolonialzeit im Gebiet der heutigen USA geprägt wurden.

In jüngster Vergangenheit lassen sich vermehrt vor allem in den (sozialen) Medien geführte metasprachliche Diskussionen beobachten, die sich mit kolonial konnotierten Toponymen auseinandersetzen. Ein ausschlaggebendes Moment war zweifellos in diesem Zusammenhang die Black Lives Matter-Bewegung. Es handelt sich hierbei um eine Bewegung, die bereits 2013 in den USA entstand und sich gegen Rassismus und Gewalt gegenüber Schwarzen Menschen/People of Color einsetzte. Die Bewegung erlebte 2020 einen bedeutenden Aufschwung und wurde weltweit nach der Tötung George Floyds durch einen weißen Polizisten bekannt. Doch nicht nur die systematische Ungerechtigkeit und Polizeigewalt stand im Fokus der Diskussionen, sondern auch die sprachliche Manifestierung des Rassismus (vgl. Herling 2021: 330). In diesem Zusammenhang werden auch Eigennamen kritisch hinterfragt, was teilweise wiederum zu öffentlichen Forderungen nach Umbenennungen führte. In den letzten Jahren sind mehrere geografische Orte wie auch Namen von Produkten oder Unternehmen im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung umbenannt worden. Zu letzteren sei die 2021 erfolgte Umbenennung der bekannten Reismarke Uncle Ben‘s zu Ben’s Original oder die Umbenennung der Schokoladenkekse namens Afrika zu Perpetuum erwähnt. Der Süßwarenhersteller Bahlsen reagierte auf die insbesondere in den sozialen Medien geäußerte Kritik, dass der Produktname Afrika in Verbindung mit dem Design der Verpackung (ein Keks mit dunkler Schokolade) als rassistisch empfunden werde. Infolgedessen entschied sich das Unternehmen für eine Umbenennung und Neugestaltung der Verpackung (vgl. Herling 2022: 94–95); siehe auch Moralisierung.

Angestoßen durch die Black Lives Matter-Bewegung liegt der Fokus – wie bereits erwähnt – in der metasprachlichen Debatte auch auf rassistisch und kolonial intendierten Toponymen. In der belgischen Hauptstadt führte der 2020 initiierte Dekolonisierungsprozess unter anderem zu einer Straßenumbenennung. Das Besondere daran war, dass es sich nicht um eine top-down-Entscheidung handelte, da die Brüsseler Bevölkerung abstimmen konnte. Die Entscheidung fiel auf den Namen einer belgischen Sängerin. Die Umbenennung des Tunnels Léopold II in Tunnel Annie Cord berücksichtigt somit die Dekolonisierung als auch die geringe Berücksichtigung von Frauennamen im urbanen Raum (vgl. Herling 2022: 108).

Die Diskussionen über die Umbenennung betreffen nicht nur Toponyme auf der Erdoberfläche, sondern auch im Weltraum. Ein Beispiel hierfür sind die Magellanschen Wolken, zwei Galaxien, die nach dem portugiesischen Seefahrer Ferdinand Magellan benannt wurden. Obwohl Magellan während seiner Weltumseglung im Jahr 1520 zwei Nebelflecken in der Nähe der Milchstraße entdeckte, erhielten diese erst im 19. Jahrhundert seinen Namen. Trotz der Tatsache, dass Magellan kein Astronom war, tragen heute viele astronomische Objekte, Institutionen und Instrumente seinen Namen. Im Jahr 2024 forderte eine Gruppe von US-amerikanischen Astronom:innen die Umbenennung der Magellanschen Wolken. Sie argumentierten, dass der Namensgeber im Kontext des Kolonialismus, Rassismus und der Sklaverei stand und dass Menschen in verschiedenen Sprach- und Kulturräumen die beiden Galaxien bereits vor ihm entdeckt und benannt hatten. In der Mapuche-Sprache, einer indigenen Sprache Chiles, werden diese Himmelskörper beispielsweise Rvganko genannt (vgl. de los Reyes 2023). Es bleibt abzuwarten, ob die Forderung umgesetzt wird.

Die Tatsache, dass die Benennung von Orten ein komplexes Zusammenspiel von Sprache, Kultur, Identität und Politik sein kann, zeigt auch das Phänomen der Mehrnamigkeit. Hierunter wird u. a. die Benennung eines geografischen Objektes in verschiedenen Sprachen aufgefasst. Beispielsweise begegnet man auf belgischen Autobahnen den Ortsnamen Lüttich, Luik und Liège für ein- und denselben geografischen Ort. Es handelt sich hierbei um den deutschen, niederländischen und französischen Namen der in der Region Wallonien gelegenen Stadt. In der Onomastik werden diese verschiedensprachigen Namenformen für ein geografisches Referenzobjekt teilweise unter dem Begriff der „interlingualen Allonymie“ gefasst (Wochele 2021: 210). Sie können aus einer gemeinsamen historischen Form entstanden und bei Entlehnung in andere Sprachen verschiedenen Sprachwandelprozessen unterworfen worden sein. Dies ist der Fall bei Mainz: Aus dem lateinischen Namen Mogontiacum entstand im Französischen Mayence oder im Spanischen Maguncia. Außerdem können verschiedene Allonyme auf unterschiedliche historische Basen zurückgehen – wie es das Beispiel Deutschland, frz. Allemagne, engl. Germany zeigt (vgl. Wochele 2021: 210–211; Nübling et al. 2015: 42; 232). In mehrsprachigen Regionen können interlinguale Allonyme ein erhebliches Konfliktpotenzial bergen, da sie Fragen der sprachlich-kulturellen Identität, aber auch Machtverhältnisse berühren. In verschiedenen Regionen Frankreichs wird der Vielsprachigkeit des Landes zumindest in der öffentlichen Beschilderung Rechnung getragen. So sind beispielsweise in der Bretagne Orts- und Straßenschilder zweisprachig, d. h. bretonisch und französisch. Im Elsass dementsprechend elsässisch-französisch. Nach einer langjährigen Debatte sind die Eingangsschilder der Stadt Straßburg seit 2017 sogar dreisprachig: frz. Strasbourg, hochdeutsch Straßburg und elsässisch Strossburi. Auf Korsika stößt die zweisprachige Beschilderung jedoch teilweise auf heftigen Widerstand, der sich darin äußert, dass die französische Namenvariante durch Farbe unkenntlich gemacht oder gewaltsam vom Straßenschild entfernt wird (durch Schüsse) (Bildmaterial siehe: https://www.korsika.fr/files/a1043/articles/1043/korsische-sprache/). Auch auf Mallorca wird der Sprachenkonflikt zwischen der ersten Landessprache, Katalanisch, und der überregionalen Amtssprache Spanisch anhand der Ortsnamen sichtbar. Selbst wenn der lautliche und grafische Unterschied zwischen beiden Namenformen nur gering ist – wie die Beispiele Puigpunyent (katalanische Variante) und Puigpuñent (spanische Variante) zeigen, wird die spanische Namenform regelmäßig auf Ortsschildern übersprüht/übermalt, da sie als sprachlich-kulturelle Unterdrückung des Katalanischen, das die mallorquinische Identität symbolisiert, wahrgenommen wird.

Im Kontext der Allonyme zu unterscheiden sind die beiden Begriffe Endonyme und Exonyme. Eine endonymische Namenform ist ein Name in der Sprache, die in der Umgebung des jeweiligen geografischen Objekts gesprochen wird. Wenn ein geografisches Objekt außerhalb eines bestimmten Sprachgebiets X liegt, aber dennoch einen Namen in der Sprache X besitzt, spricht man von einem Exonym. So ist Mainz das Endonym für die rheinland-pfälzische Stadt, während die französische Namenform Mayence ein Exonym darstellt (vgl. Wochele 2021: 210–211). Bezüglich der Verwendung von Toponymen in Karten, Schulbüchern, Dokumenten, stellt sich prinzipiell die Frage, ob nun das Endonym oder Exonym verwendet werden soll. Auch in der Öffentlichkeit, z. B. im Straßenverkehr, ist diese Frage relevant. Soll beispielsweise auf der Autobahn Richtung Niederlande der deutsche Städtename Nimwegen oder der niederländische Nijmegen auf Verkehrsschildern zu lesen sein? Im Falle der Côte d’Ivoire hat sich 1985 die Regierung selbst gegen die Verwendung von Exonymen (wie z. B. Elfenbeinküste, engl. Ivory Coast, span. Costa de Marfil) in der internationalen, offiziellen Kommunikation ausgesprochen. Seitdem wird in Deutschland ausschließlich der endonymische Ländername Côte d’Ivoire in der offiziellen Kommunikation verwendet (siehe Länderverzeichnis Auswärtiges Amt). Zuständig für den einheitlichen Gebrauch bzw. für die Standardisierung geografischer Namen sind sowohl die Vereinten Nationen als auch der für den deutschsprachigen Raum verantwortliche „Ständige Ausschuss für geographische Namen“ (StAGN) (zusätzlich für Österreich ist noch die „Arbeitsgemeinschaft Kartographische Ortsnamenskunde“ (AKO) zuständig). Die Vereinten Nationen empfehlen generell den Gebrauch von Endonymen, um die jeweilige sprachlich-kulturelle Identität zu betonen und zu würdigen. Dennoch erkennen sie an, dass Exonyme eine wichtige Rolle in der Verständigung innerhalb einer Sprachgemeinschaft haben bzw. sich gut in die sprachlichen Strukturen einer Sprache einfügen.

Beispiele

(1) Kyjiw/Kiew

Der Name der ukrainischen Hauptstadt lautet auf Ukrainisch Київ und wird in die deutsche Orthographie als Kyjiw transkribiert, während die russische Namenvariante Kiew (Киев) ist. Die ukrainische Regierung startete 2018 die Kampagne #KyivNotKiev, um internationale Institutionen zur Verwendung des Endonyms (Kyiv) zu bewegen. Insbesondere nach 2022 ist die Wahl zwischen Kyjiw und Kiew nicht nur eine Frage der Sprache, sondern auch ein politisches Statement. Deutschsprachige Medien wie z. B. Der Spiegel oder DIE ZEIT sprechen sich in Anlehnung an das Auswärtige Amt (vgl. Länderverzeichnis 2024) für den ausschließlichen Gebrauch der ukrainischen Namenvariante aus und betonen somit ihre Solidarität mit der Ukraine sowie deren politische und kulturelle Eigenständigkeit. Nicht unbedeutend für die Wahrnehmung von Ortsnamenvarianten ist die Darstellung bei digitalen Kartenanbietern wie Google Maps. Auch hier fiel die Entscheidung auf die Verwendung des ukrainischsprachigen Toponyms Kyjiw (vgl. Wikipedia 2025; von Rohr 2024)

(2) Mohrenstraße (Berlin)

Im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung wurden vor allem ab 2020 verstärkt Forderungen laut, geografische Orte mit rassistisch empfundenen Namen umzubenennen. Im Fokus standen z. B. Straßennamen in verschiedenen deutschen Städten mit der lexikalischen Komponente Mohr– . Sprachhistorisch bedeutete Mohr ab dem 9. Jh. ‚aus Mauretanien, Nordafrika stammend‘. Ab dem 16. Jahrhundert bezog sich die Bezeichnung im kolonialen Diskurs auf Schwarze Menschen bzw. Sklav:innen. Für die Umbenennung der Mohrenstraße in Berlin wurden zahlreiche Demonstrationen veranstaltet und auch eine online-Petition lanciert, die ca. 15.000 Menschen unterzeichneten. Befürworter:innen weisen insbesondere auf den kolonialen Kontext hin. Mitunter wird allerdings im Laiendiskurs eine falsche Wortherkunft (basierend auf griech. moros ‚dumm‘) angeführt, um die rassistische Bedeutung zu untermauern. 2020 wurde seitens der Berliner Regierungsebene der Umbenennung zugestimmt. Zukünftig soll die Straße Anton-Wilhelm-Amo-Straße heißen, um an den ersten Wissenschaftler afrikanischer Herkunft an einer deutschen Universität (18. Jh.) zu erinnern (vgl. Herling 2021). Die Umbenennung ist jedoch 2025 noch nicht erfolgt, da Bewohner:innen gegen eine Umbenennung geklagt haben und der Gerichtsentscheid noch aussteht. In diesem Fall wie auch in anderen werden der administrative Aufwand, die entstehenden Kosten durch eine Adressänderung, aber auch das Festhalten an bestehende historische Begebenheiten als Gegenargumente aufgeführt.

(3) Denali versus Mount McKinley; Golf von Mexiko versus Golf von Amerika

Nach Amtsantritt (2025) hat der US-amerikanische Präsident Donald Trump gleich zwei Namenwechsel von geografischen Orten vorgenommen und dadurch eine internationale Diskussion ausgelöst, in der vor allem die Frage aufgeworfen wird, ob Trump überhaupt dazu befähigt ist. Der höchste Berg der USA, in Alaska gelegen, trug ursprünglich den Namen Denali, welcher aus der Koyukon-Sprache (athabaskische Sprachfamilie) stammt und die Bedeutung ‚der Hohe‘ besitzt. Im Jahre 1896 verlieh ein Goldgräber dem Berg zu Ehren des damaligen US-Präsidentschaftskandidaten William McKinley und späteren 25. Präsident der Vereinigten Staaten – ungeachtet der Tatsache, dass bereits ein indigenes Toponym existierte – den Namen Mount McKinley. Die 2015 erfolgte Rückbenennung zum ursprünglichen Namen Denali durch den damaligen Präsidenten Barack Obama kann als ein Akt der kulturellen Anerkennung der indigenen Identität betrachtet werden. Schließlich wurde am 20. Januar 2025 durch eine Exekutivanordnung des amtierenden Präsidenten der Berg wieder in Mount McKinley umbenannt. Der veranlasste Namenwechsel ist wie auch die Umbenennung des Meeres politisch motiviert und zeigt deutlich, wie Ortsbenennung für Machtdemonstrationen instrumentalisiert werden können. Im Falle des alaskischen Berges ist Donald Trump durchaus befähigt, die Umbenennung vorzunehmen, da sich das zu benennende Objekt im Staatsgebiet der USA befindet. Dies stellt sich jedoch beim Golf von Mexiko anders dar. Es handelt sich hierbei um ein Meer, das – wie alle anderen Meere – laut der Vereinten Nationen zum gemeinsamen Erbe der Menschheit gehört. Zum Staatsgebiet der Anrainerstaaten zählen lediglich 12 Seemeilen. Donald Trumps Namenänderung kann in den USA umgesetzt werden, hat aber auf internationaler Ebene erst dann Konsequenzen, wenn die für die Namengebung von Meeren zuständige Internationale Hydrographische Organisation dem Namenwechsel zustimmt (vgl. USGS 2025; Karstensen 2025; Ständiger Ausschuss für Geographische Namen (StAGN) 2025).

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Jordan, Peter (2022): Breslau oder Wrocław? Das Begriffspaar Endonym/Exonym als Kernthema der kritischen Toponomastik. Wie politische Haltungen den Gebrauch geographischer Namen bestimmen. Stuttgart: Steiner.

Zitierte Literatur und Belege

  • Auswärtiges Amt (2024): Länderverzeichnis für den amtlichen Gebrauch in der Bundesrepublik Deutschland. Online unter: www.auswaertiges-amt.de/resource/blob/215256/1b85108f6fc20e2934c08509805b8a08/laenderverzeichnis-data.pdf ; Zugriff: 16.10.2025.
  • Debus, Friedhelm (2012): Namenkunde und Namengeschichte. Berlin: Erich Schmidt Verlag.
  • de los Reyes, Mia (2023): Astronomers Need to Rename the Magellanic Clouds. Physics Magazine, 12.09.2023. Online unter: https://physics.aps.org/articles/v16/152 ; Zugriff: 07.09.2025.
  • Ebert, Verena (2023): Sprachlich-diskursive Dekolonisierung. Eine Studie zu Umbenennungen kolonialer Straßennamen. In: Sprachreport, Jg. 29, Heft 4, S. 1–13.
  • Herling, Sandra (2021): Laienlinguistische Namenkritik im Kontext der Black Lives Matter-Bewegung. In: Hengst, Karlheinz (Hrsg.): Namenforschung und Namenberatung. Dietlind Kremer und Gabriele Rodríguez zum 60. Geburtstag. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, S. 329–360.
  • Herling, Sandra (2022): Der Einfluss der Black Lives Matter-Bewegung auf die frankophone Toponymie. Fallbeispiele aus Belgien, Frankreich, Québec, dem Senegal und der Côte d’Ivoire. In: apropos [Perspektiven auf die Romania], Jg. 2022, Heft 8, S. 93–118.
  • Hough, Carole (2016): Settlement Names. In: Hough, Carole (Hrsg.): The Oxford Handbook of Names and Naming, Oxford: Oxford University Press, S. 87–103.
  • Karstensen, Johannes (2025): Was ist ein Meer? GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Online unter: https://www.geomar.de/entdecken/artikel/was-ist-ein-meer ; Zugriff: 07.09.2025.
  • Kettner, Bernd-Ulrich (1998): Straßennamen (am Beispiel der Stadt Marburg). In: Nail, Norbert (Hrsg.): Die Welt der Namen. Marburg: Universitätsbibliothek Marburg, S. 101–120.
  • Koß, Gerhard (2002): Namenforschung. Eine Einführung in die Onomastik. Tübingen: Niemeyer.
  • Nübling, Damaris; Fahlbusch, Fabian; Heuser, Rita (2015): Namen. Eine Einführung in die Onomastik. Tübingen: narr.
  • Prinz, Michael (2021): Germanistische Toponomastik gestern und heute: Eine forschungsgeschichtliche Annäherung. In: Prinz, Michael; Dräger, Kathrin; Heuser, Rita (Hrsg.): Toponyme: Standortbestimmung und Perspektiven. Berlin, Boston: de Gruyter, S. 3–28.
  • von Rohr, Mathieu (2024): Warum der SPIEGEL statt Kiew nun Kyjiw schreibt. Spiegel Online, vom 30.10.2024. Online unter: https://www.spiegel.de/ausland/kyjiw-statt-kiew-warum-der-spiegel-seine-schreibweise-aendert-a-8a873cc8-ec2c-4cb7-921c-215cbc1e4f1f ; Zugriff: 07.09.2025.
  • StAGN (2025): Stellungnahme des Ständigen Ausschusses für Geographische Namen zur Umbenennung
    geografischer Objekte. Online unter: https://www.bkg.bund.de/SharedDocs/Downloads/BKG/DE/Downloads-Social-Media/StAGN_Stellungnahme-2025.pdf?__blob=publicationFile&v=3 ; Zugriff: 16.10.2025.
  • Stolz, Thomas; Warnke, Ingo H. (2018): System- und diskurslinguistische Einblicke in die vergleichende Kolonialtoponomastik. Eine gemeinsame Einführung. In: Stolz, Thomas; Warnke, Ingo H. (Hrsg.): Vergleichende Kolonialtoponomastik. Strukturen und Funktionen kolonialer Ortsbenennung, Berlin, Boston: de Gruyter, S. 1–75.
  • Stolz, Thomas; Warnke, Ingo H.; Levkovych, Nataliya (2016): Colonial Place Names in a Comparative Perspective. In: Beiträge zur Namenforschung, Jg. 51, Heft 3–4, S. 279–355.
  • U.S. Geological Survey (USGS) (2025): 1414314. 20.01.2025. Online unter: https://edits.nationalmap.gov/apps/gaz-domestic/public/gaz-record/1414314 ; Zugriff: 07.09.2025.
  • Wikipedia (2025): KyivNotKiev. Online unter: https://en.wikipedia.org/wiki/KyivNotKiev ; Zugriff: 07.09.2025.
  • Wochele, Holger (2021): Agram, Beograd und København. Empirische Befunde aus einer Befragung zu Kenntnis und Verwendung von Exonymen. In: Dräger, Kathrin; Heuser, Rita; Prinz, Michael (Hrsg.): Toponyme. Standortbestimmung und Perspektiven. Berlin: de Gruyter, S. 209–222.

Zitiervorschlag

Herling, Sandra (2025): Ortsbenennung. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 14.10.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/ortsbenennung.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Positionieren

Positionieren ist Grundbestandteil menschlicher Kommunikation. Wann immer wir miteinander interagieren und kommunizieren, bringen wir uns selbst, andere und die Objekte, über die wir sprechen, in bestimmte Relationen zueinander.

Deutungsmuster

Unter einem Deutungsmuster wird die problem- und lösungsbezogene Interpretation gesellschaftlicher und politischer Tatbestände verstanden, die Aussicht auf Akzeptanz in sozialen Gruppen hat. Der Begriff des Deutungsmusters hat Ähnlichkeit mit den Begriffen der Theorie und Ideologie. Meist werden gesellschaftlich verbreitete Leitdeutungen, die oft mit Schlagwörtern und Argumentationsmustern einhergehen (wie Globalisierung, Kapitalismus, Leistungsgesellschaft, Chancengleichheit etc.) als Beispiele für Deutungsmuster genannt.

Sinnformel

‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.

Praktik

Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Narrativ

Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Techniken

Tarnschrift

Als Tarnschrift bezeichnet man unter den Bedingungen von Zensur und Verfolgungsrisiko veröffentliche Texte, die insbesondere in der strategischen Kommunikation des NS-Widerstands eine zentrale Rolle spielten.

Finanz-Topos

Mit dem Finanz-Topos werden im Diskurs Argumente gebildet, mit denen Akteure bestimmte Maßnahmen als finanziell sinnvoll befürworten oder als unrentabel zurückzuweisen.

Strategische Prozessführung

Der Begriff strategische Prozessführung kombiniert die Worte Strategie im Sinne von Plan und Taktik‘ und Prozessführung im Sinne von ‚Klage vor Gericht‘. Eine einheitliche Definition des Konzepts existiert bislang nicht. Meist werden hierunter (Muster)Klagen von NGOs und Bürgerrechtsorganisationen verstanden, mit denen über den Einzelfall hinausgehende soziale und gesellschaftspolitische Ziele verfolgt werden.

Inszenierte Kontroverse

Inszenierte Kontroversen liegen vor, wenn Politiker, Vertreter von Interessengruppen, Aktivisten, Journalisten, Influencer oder andere öffentlich wirksame Akteure potentiell strittige Themen möglichst effektvoll in einen Diskurs einbringen oder einen entsprechenden Diskurs auslösen, und zwar um entsprechende Perspektivierungen bestimmter Konfliktlagen im eigenen Interesse konfrontativ zu prägen.

-ismus

Bei Ismen geht es ursprünglich um die Wortendung (sog. Suffix) -ismus (Plural -ismen), mit der Substantive mit substantivischem oder adjektivischem Wortstamm (Basis) gebildet werden (z.B. Vulkan-ismus oder Aktiv-ismus).

Persuasion

Persuasion kommt vom lateinischen Verb persuadere und bedeutet ‚überzeugen, überreden‘ (gebildet aus suadere ‚raten, empfehlen‘ und per ‚durch, über‘).‘). Der Begriff stammt aus der Rhetorik, in der es vor allem darum geht, wie man Hörer:innen oder Leser:innen auf seine Seite bringt: wie man sie zum Beispiel in einem Gerichtsprozess von der Schuld oder Unschuld eines/einer Angeklagten überzeugt, wie man sie politisch zur Parteinahme überredet oder wie man sie ganz allgemein für sich selbst oder einen bestimmten Gegenstand/Sachverhalt einnimmt.

Zensur

Zensur sowie die Praktik des Zensierens sind Machtpraktiken der Einschränkung, Kontrolle und des Verbots von Besitz oder Rezeption von Kunstwerken, Medien, aber auch von Äußerungen bzw. einzelnen Sätzen, Sprüchen, Phrasen bis hin zu Wörtern.

Ironie

Ironie (altgriechisch εἰρωνεία (eirōneía), wörtlich ‚Verstellung‘, ‚Vortäuschung‘) ist in unserer unmittelbaren und massenmedialen Kommunikationskultur sehr bedeutsam. Sie arbeitet mit einem Bewertungsgegensatz zwischen Gesagtem und Gemeintem.

Wiederholen

Das Wiederholen von Äußerungen in öffentlichen (politischen) Diskursen zielt darauf, das Denken anderer zu beeinflussen, Wissen zu popularisieren, einseitige (z. B. fanatisierende, beschwörende, hysterische, ablenkende, pseudosachliche) Konstruktionen von Wahrheit zu erzeugen, um die soziale Wirklichkeit als intersubjektiven Konsens im einseitigen Interesse des „Senders“ zu verändern. Grundvoraussetzung ist die Annahme, dass das kollektive Denken stets mächtiger als das individuelle Denken ist.

Diskreditieren

Das Diskreditieren ist eine Praktik, mit der Diskursakteure durch verschiedenste Strategien, die von Verunglimpfungen und Verleumdungen bis hin zu rufschädigenden Äußerungen reichen, abgewertet und herabgesetzt werden.

Schlagwörter

Massendemokratie

Geprägt wurde der Begriff Massendemokratie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von völkisch-konservativen Akteuren (prominent darunter Carl Schmitt 1926). Der Ausdruck Masse hatte damals bei den bürgerlichen Eliten eine rundum bedrohliche Assoziation.

Social Bots

Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.

Kriegsmüdigkeit

Der Ausdruck Kriegsmüdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische Ermüdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch für das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.

Woke

Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.

Identität

Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.

Wohlstand

Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

Remigration

Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.

Radikalisierung

Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.

Bürokratie

Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.

Politisch korrekt / Politische Korrektheit

Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt.

Verschiebungen

Dehumanisierung

Mit Dehumanisierung bzw. Anthropomorphisierung werden solche kommunikativen Techniken und Praktiken bezeichnet, die Personen, Sachverhalten oder Gegenständen menschliche Eigenschaften ab- bzw. zusprechen. Dehumanisierung und Anthropomorphisierung können sowohl durch sprachliche Mittel als auch durch andere, z. B. bildliche, Zeichen vollzogen werden.

Kriminalisierung

Kriminalität meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden.

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Partizipatorischer Diskurs

Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament

Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)

Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit

DiskursReview Die Macht der Worte (4/4):So geht kultivierter Streit Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 3/4: Sprachliche Denkschablonen

DiskursReview Die Macht der Worte (3/4):Sprachliche Denkschablonen Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe

DiskursReview Die Macht der Worte (2/4): Freund-Feind-Begriffe Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen

DiskursReviewDie Macht der Worte (1/4): Wörter als Waffen Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 / 06.03.2025...

Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.