DiskursGlossar

Diskreditieren

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Abwerten, Diffamieren, Herabsetzen, Mobben, Verunglimpfung, Verleumdung
Siehe auch: Fake News, Invektivität, Lügenpresse, Gewaltaufruf
Autor/in: Friedrich Markewitz
Version: 1.0 / Datum: 27.05.2025

Kurzzusammenfassung

Das Diskreditieren ist eine Praktik, mit der Diskursakteure durch verschiedenste Strategien, die von Verunglimpfungen und Verleumdungen bis hin zu rufschädigenden Äußerungen reichen, abgewertet und herabgesetzt werden. Bekannte Formen diskreditierender Äußerungen der jüngeren Zeit im politischen Bereich sind z. B. Donald Trumps abschätzige Spitznamen für republikanische Konkurrent*innen, darunter Low Energy Jeb für Jeb Bush im Rahmen der republikanischen Vorwahlen für die Präsidentschaftswahl 2016 oder Meatball Ron für Ron DeSantis während dessen Vorbereitung auf den Präsidentschaftswahlkampf 2024 (siehe dazu ausführlicher Beispiel 1).

Die Praktik zählt zu den Invektiven und wird vor allem in bestimmten Kommunikationsbereichen und
-situationen, vornehmlich der Politik, geduldet. Zumeist zielen Diskreditierungshandlungen auf moralisch-sittliche Zusammenhänge bzw. werden entsprechende Verfehlungen behauptet. Seltener sind epistemische Diskreditierungen, vermittels derer der Wahrheitsgehalt von Aussagen der zu diskreditierenden Personen unterminiert wird. Dabei ist es vielfach unerheblich, ob die diskreditierenden Äußerungen selbst wahr sind. Kritik an Verfälschungen oder Unwahrheiten wird nämlich oft mit Bezügen auf (das Recht auf) freie Meinungsäußerung begegnet. Diskreditierte Akteure sind so unmittelbar herausgefordert, mit den Diskreditierungen umzugehen. Dabei reichen Gegenstrategien vom Ignorieren bis zu juristischen Schritten. Trotzdem bleibt es für Betroffene schwierig, in geeignetem Maße auf Diskreditierungshandlungen zu reagieren. Dies hängt auch mit massenmedialen Eigenlogiken zusammen, z. B. aufsehenerregende Ereignisse umfassender zu thematisieren und somit auch diskreditierende Inhalte bekannter werden zu lassen. Daher sind diskursive Ohnmachtsgefühle oft das Ziel von Diskreditierungen, die sich über längere Zeit noch verschärfen können. Denn für die Betroffenen ist es oft nicht oder nur schwer möglich, sich vom durch die Diskreditierung ausgelösten Medien– und/oder Diskursereignis zu lösen. Auch daher erscheint das Diskreditieren als eine verbreitete und zugleich gefährliche Praktik in öffentlichen, aber auch privateren Kontexten.

Erweiterte Begriffsklärung

Das Diskreditieren hat als invektive Praktik große Ähnlichkeiten zum Abwerten, Diffamieren, Herabsetzen, Verunglimpfen und Verleugnen. Das bringt zwangsläufig Abgrenzungs- und damit Typologisierungsprobleme mit sich. Diskreditierungspraktiken lassen sich aus historisch-einordnender Perspektive seit der Antike beobachten. Etymologisch setzt es sich aus den Wortbestandteilen dis ‚un-, weg-, zer-, aber auch auseinander‘ und credere ‚glauben, Glauben schenken, vertrauen, überzeugen, aber auch übergeben und überlassen‘ zusammen.

Ausgehend von antiken Zusammenhängen tritt schon Sokrates in Platons Dialogen gegenüber den Sophisten (einer philosophischen Richtung, die großen Wert auf rhetorisches Geschick legt) abwertend, herabsetzend und diskreditierend auf. So wirft Sokrates den Sophisten verschiedenfach vor, nicht Philosophie im Sinne redlicher Wahrheitsfindung zu betreiben, sondern rhetorische Überzeugungstricks für z. B. finanzielle Vorteile zu nutzen (vgl. Meissner 1898: 8). Wie wirkmächtig Diskreditierungen sind, zeigt sich ebenfalls anhand dieses Beispiels, war es doch über Jahrhunderte hinweg nahezu kanonische Einschätzung, dass die platonische Kritik an den Sophisten legitim war. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts ist man langsam dazu übergegangen, ihre Eigenständigkeit und ihren philosophischen Rang anzuerkennen:

Darnach stellt sich uns die Sophistik als eine aus der ganzen geschichtlichen Entwicklung mit Notwendigkeit sich ergebende Erscheinung dar, die eine hohe kulturhistorische Bedeutung hatte […]. Von diesem Gesichtspunkt aus gelangen wir nun zu dem Resultate, dass Platons Auffassung der Sophistik nicht von Einseitigkeit freigesprochen werden kann. (Meissner 1989: 15)

Anhand dieses Zitats zeigt sich auch, dass die Neubewertung der Sophisten Platons Ausführungen selbst in einem anderen, weniger neutralen Licht erscheinen lassen. Dies ist zugleich eine Herausforderung hinsichtlich der Erfassung diskreditierender Handlungen: Wann sind Äußerungen z. B. noch legitime, wenn auch harsche Kritik und wann wird die Grenze zum Diskreditieren erreicht?

Diskreditierende Sprachhandlungen im Laufe der Geschichte sind sowohl gegen einzelne Akteure bzw. Akteursgruppen, aber auch ganze Rassen und Ethnien gerichtet. Schon der griechische Ausdruck barbaros (etymologischer Vorläufer des heutigen Ausdrucks Barbar) lässt sich in einem solchen Sinne deuten, ist dieser doch eine onomatopoetische Reduplikation (d. h. lautmalerische Wiederholung von Wortbestandteilen) von Stammeln – fremden (barbarischen) Völker wird so die Fähigkeit zur sinnhaften Kommunikation und damit verbundenen Prozessen wie der sinnhaften sowie erkenntnisfördernden Begriffsbildung abgesprochen.

Diskreditierungen richteten sich erwartbar vielgestaltig gegen marginalisierte Ethnien. Es ist wenig verwunderlich, dass sich eine lange Tradition jüdischer Diskreditierungen von der Antike bis in die Neuzeit ausmachen lässt: „nahezu 2000 Jahre lang wurde ein Bild von ‚dem‘ Juden geschaffen“ (Lobenstein-Reichmann 2021: 265); durchsetzt von religiösen, gesellschaftlichen, rassistischen und ideologischen Diskreditierungshandlungen mit rufschädigenden Vorwürfen; darunter fehlende Vaterlandstreue, feindseliger Hass gegenüber Andersgläubigen, Gottesmord sowie finanzieller Manipulation und Wucherei, bis hin zu Weltherrschaftsverschwörungstheorien (vgl. Lobenstein-Reichmann 2021: 267–279). All diese Diskreditierungen führen zu umfassenden Dehumanisierungen (vgl. Lobenstein-Reichmann 2008: 289) – mit den so fatalen wie bekannten Konsequenzen der Judenverfolgung der Neuzeit und Moderne. Wie sich diese Handlungen konkret-individuell auswirken, hat z. B. der Philologe Victor Klemperer für die Zeit des ‚Dritten Reiches‘ festgehalten:

Die von Klemperer hochgeschätzten Bewertungsmechanismen entlang beruflicher Leistung, Intelligenz und Vertrauen werden mit einem Male diskreditiert und marginalisiert. In seinem sozialen und beruflichen Umfeld erfährt Klemperer […] Respektverlust, Ignoranz, Marginalisierung und letztendlich geradezu totale Isolation. (Sepp 2017: 274)

Auch andere Akteursgruppen waren und sind davon betroffen, wie etwa Sinti und Roma, die über den abwertend verwendeten Ausdruck Zigeuner schon im Frühneuhochdeutschen diskreditiert wurden. Genauer gesagt lassen sich vermittels solcher Ausdrücke gleich zwei Diskreditierungshandlungen vollziehen:

Zum einen wird der so angesprochene ‚Nichtzigeuner‘ beleidigt, zum anderen werden mit dieser Ansprache die negativen Bewertungen gegenüber der so heißenden Gruppe bestätigt und weitergetragen. (Lobenstein-Reichmann 2013: 34)

Diese Form der doppelten Diskreditierung lässt sich bis in die heutige Zeit beobachten, angefangen von Kommunismus-Vorwürfen mehr oder weniger im gesamten Verlauf des 20. Jahrhunderts bis hin zu Vorwürfen des Woke-, Links-, Linksradikal-Seins (oft in verschiedenfacher Kombinierung der Ausdrücke).

Erkennbar wird, dass nahezu jeder diskreditierend handeln kann. Historisch wie gegenwärtig gibt es zwar bestimmte Akteure oder Akteursgruppen, deren Diskreditierungshandlungen stärker wahrgenommen werden – insbesondere Politiker*innen sowie Personen des öffentlichen Lebens –, das heißt aber nicht, dass nicht auch im privaten Raum solche Handlungen nicht nur möglich sind, sondern auch vollzogen werden (sie sind dahingehend nur nicht so auffällig). Dergestalt kann das Diskreditieren akteursbezogen als fast schon universelle Strategie gelten. Nichtsdestotrotz können verschiedene Dimensionen vor allem des Grades der Anonymität unterschieden werden. Dies ist vor allem bei Wahlkämpfen ein beliebtes Mittel:

Als erstes Beispiel dafür soll die Kontroverse um einen Wahlkampfspot von 1988 dienen (URL: https://www.youtube.com/watch?v=qm3XTansvTs, Youtube (2012)): Um seinen demokratischen Gegner Michael Dukakis hinsichtlich dessen Positionen zur Verbrechensbekämpfung zu diskreditieren, wurde ein Spot im Umfeld des republikanischen Präsidentschaftskandidaten George H. W. Bush über ein von der Kampagne unabhängiges Komitee lanciert. In diesem Spot wurde das Verbrechen eines verurteilten, aber im Rahmen von Resozialisierungsprogrammen an Wochenenden freigelassenen afroamerikanischen Mannes (Willie Horton) instrumentalisiert, um dem demokratischen Kandidaten Dukakis zu schaden. Dies ist ein Beispiel für eine pseudoanonymisierte Diskreditierung, da die Bush-Kampagne zwar leugnen konnte, den Spot selbst hergestellt und veröffentlicht zu haben, sie aber trotzdem damit in Beziehung gesetzt wurde. Ein weiteres Beispiel für anonyme Diskreditierung gibt Abb. 1: Die auf dem Wahlplakat vollzogenen invektiven Handlungen lassen sich ebenso als rufschädigende Diskreditierungen lesen, wird doch der Kanzlerkandidat der Grünen im Wahlkampf 2024/25, Robert Habeck, als lügender sowie inkompetenter (Keine Ahnung) Politiker verunglimpft (siehe hierzu auch Adbusting):

Abb. 1: Anonyme Diskreditierungshandlung auf einem Wahlplakat der Grünen im Wahlkampf 2024/25 (NDR 2025).

Anhand des Wahlplakatbeispiels lassen sich zudem Voraussetzungen und Bedingungen glückender Diskreditierungshandlungen exemplifizieren: Das Diskreditieren ist eine Deligitimierungsstrategie (vgl. Leschzyk 2021: 127). Damit sie gelingt, bedarf es eines gewissen Maßes an Vertrauen in die Person, die diskreditiert oder aber ein gewisses Maß vorhandenen Misstrauens gegenüber der Person, die diskreditiert werden soll (vgl. Leschzyk 2021: 115–116). Damit die diskreditierenden Vorwürfe gegenüber Dukakis in den 1980ern und gegenüber Habeck in den 2020ern verfangen, muss entweder ein Misstrauen gegenüber deren Aufrichtigkeit, Geradlinigkeit, Kompetenz, Fairness oder Engagement (vgl. Leschzyk 2021: 121) vorherrschen, oder aber man spricht diese Kriterien ihren Gegner*innen zu – was im Falle George H. W. Bush einfacher funktioniert als im Beispiel der anonymisierten Diskreditierung. Wenn allein negative Vormeinungen ausreichend sind, ist dies ein Indiz für das allgemeinere öffentliche Bild der sozialen Rollen oder Berufe der diskreditierten Personen – in diesem Fall des Politikers. Insbesondere im Rahmen der Corona-Pandemie haben Politiker*innen erhebliche Vertrauensverluste erfahren müssen, was sich in umfassenden Diskreditierungshandlungen widergespiegelt hat (vgl. Leschzyk 2021: 138).

Aus einer etwas abstrakteren Perspektive ist eine weitere wichtige Voraussetzung die zumindest potenziell mögliche Freiheit des Ausdrucks. Irritierenderweise gehört das Diskreditieren somit zu den Praktiken, die die Habermas’sche Idee des herrschaftsfreien Diskurses zwar pervertieren, von solchen Grundbedingungen aber zehren bzw. dieser bedürfen, um ein- bzw. umgesetzt werden zu können. Dies erkennt man auch daran, dass Verteidigungen diskreditierender Handlungen dies oft mit Rekurs auf das Recht der freien Meinungsäußerung tun. Neben gesellschaftlich-diskursiven gibt es noch mediale Bedingungen, die das Diskreditieren befördern oder behindern. Zum einen hängen beide Aspekte miteinander zusammen – im Sinne einer freien und sich so auch frei äußernden Presse –, zum anderen sind es insbesondere staatlich kaum oder unregulierte Medien oder das Internet, die Diskreditierungshandlungen wahrscheinlicher machen (vgl. Marx 2013: 387).

Deutlich hat sich schon die Nähe des Diskreditierens zu anderen invektiven Praktiken abgezeichnet und vielfach wird es entweder als umbrella term, also Überbegriff für ähnliche Phänomene, oder als Unterelement eines anderen Phänomens, das dann als umbrella term fungiert, kategorisiert. Hinsichtlich der Arten und Typen besteht z. B. eine große Nähe zum Mobbing (vgl. Marx 2013: 387) oder Diskriminieren (vgl. Bak 2017: 148) – bezüglich letzterem sind beide Phänomene geeint in ihrem Bezug auf

lexikalisch, grammatisch, stilistisch gestaltete […] Prädikationen, mit denen bestimmte Autoren oder Autorengruppen andere Menschen und deren Gruppen kollektiv beeigenschaften und ihr Bild dadurch in der je zeittypischen kollektiven Wahrnehmung beeinflussen. (Lobenstein-Reichmann 2013: 91)

Versucht man sich an Zuordnungskriterien, so zeigt sich, dass Handlungen, die sich auf vor allem sittlich-moralische Abwertung und Verunglimpfung beziehen, meist als Diskreditierungshandlungen eingeordnet werden können (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 266–267). Seltener, aber dennoch anzutreffen, sind epistemische Kontexte, im Rahmen derer die zu diskreditierenden Personen der Lüge bezichtigt werden, um so rufschädigend zu wirken, während die diskreditierenden Personen sich selbst aufwerten: „Diese beiden Komponenten der Diskreditierung des Gegners, Inanspruchnahme des Wahrheitsbesitzes bei gleichzeitiger Erniedrigung des Kontrahenten, liegen dicht beieinander“ (Lobenstein-Reichmann 2008: 310).

Sprachlich-kommunikative Realisierungsformen des Diskreditierens sind so vielgestaltig wie erwartbar. Oft verorten sie sich innerhalb verschiedener Pole: So kann einerseits durch pragmatische Normverstöße, anhand von Beleidigungen, offensiven Ausdrucksweisen oder durch andere Formen des derben, aggressiven oder invektiven Ausdrucks, diskreditiert werden, ebenso wie andererseits durch das Vermeiden von Normverstößen, z. B. das Imitieren opferseitigen Sprachgebrauchs im Sinne ironischer Persiflage (‚Vielen lieben Dank für deine guten Ratschläge, da habe ich jetzt viel zum Nachdenken und Reflektieren‘). Auch scheinbar unauffällige Äußerungen, wie dass jemand ‚eine Handlung trotz all seiner Einschränkungen gut erfüllt hat‘, kann so diskreditierende Wirkung entfalten, bedenkt man darin enthaltende invektive Implikationen (vgl. Marx 2013: 388–391).

Dergestalt deuten sich auch die Funktionen des Diskreditierens an: Grundsätzlich geht es um die Abwertung der anderen und zugleich die Aufwertung sowie Durchsetzung der eigenen Person sowie Position. Dergestalt spielt vor allem der Diskursfaktor Macht eine wichtige Rolle: Durch das Diskreditieren wird immer in irgendeiner Form diskursive Macht gegenüber denjenigen ausgeübt, die diskreditiert werden und dadurch zugleich in irgendeiner Form einen Machtverlust erfahren sollen. Dabei ist die Funktionalität des Diskreditierens an seine diskursive Legitimität gebunden: Verstoßen Diskreditierungshandlungen gegen Regeln des Diskurses, in dem diese stattfinden, kann sich die diskreditierende Wirkung zwar anfangs entfalten, sich dann aber gegen die diskreditierende Person wenden.

Zwar gibt es hinsichtlich des Diskreditierens keine gebräuchlichen Gegenstrategien, die stets erfolgsversprechend erscheinen. Nichtsdestoweniger gibt es aber eine Vielzahl an Möglichkeiten des Entgegnens: Angefangen beim Ignorieren, über das Zurückweisen diskreditierender Äußerungen bis hin zu der gefährlichen Strategie des selbst diskreditierenden Agierens (was eine Eskalationsspirale nach sich ziehen kann) und juristischen Maßnahmen. Auch Formen des Humors können als Gegenstrategien fungieren, wie anhand des Präsidentschaftswahlkampfes 1984 zwischen Ronald Reagan und Walter Mondale beispielhaft nachvollzogen werden kann: Reagan, zu diesem Zeitpunkt mit 73 Jahren der älteste Kandidat auf dieses Amt, griff in einer Debatte geschickt das potenziell diskreditierende Thema seines Alters auf und äußerte, er wolle die Jugend und Unerfahrenheit seines Gegners nicht für politische Zwecke ausnutzen (Mondale war zu diesem Zeitpunkt 56). Nicht nur konnte er so sein Alter als potenziell diskreditierendes Thema nivellieren, zugleich agierte er mit dieser Äußerung selbst indirekt diskreditierend, stellte er sich doch so als politisch erfahrener dar als sein Gegner (siehe dazu auch Beispiel (1)). Grundsätzlich bleibt, insbesondere bei öffentlichen Diskreditierungen, aber trotz aller möglichen Gegenstrategien das Risiko bestehen, dass das diskreditierende Thema weiterhin mit der diskreditierten Person in Verbindung gebracht wird.

Beispiele

(1) Diskreditierung im politischen Diskurs unter demokratischen Bedingungen des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes 2020

Welcome to the race Sleepy Joe. (Trump-Tweet vom 25.04.2020) (Haltiwanger 2020)

Insbesondere in Wahlkampfzeiten agieren politische Akteure diskreditierend, um ihre Gegner*innen ab- und sich selbst aufzuwerten. Der 45. und 47. Präsident Donald Trump kann in einem negativen Sinne als Meister dieser Strategie beschrieben werden. Verschiedenfach ist er durch geschickt konstruierte diskreditierende Spitznamen aufgefallen, vermittels derer er (vermeintliche) Schwächen seiner Gegner*in verdichtet erfassen konnte. So auch im Präsidentschaftswahlkampf 2020 gegen seinen demokratischen Konkurrenten Joe Biden, den er im oben zitierten Tweet als Sleepy Joe tituliert. Einerseits spielt (der nur vier Jahre jüngere) Trump damit auf das schon im Wahlkampf 2020 als problematisch wahrgenommene Alter Bidens an, um so dessen
z. B. kognitive Kompetenzen in Frage zu stellen, andererseits suggeriert er damit auch fehlende Entscheidungs- sowie Durchsetzungskraft. Letzteres hat im gesamten Wahlkampf eine Rolle gespielt, da Biden aufgrund der Corona-Pandemie vielfach auf öffentliche Wahlkampfauftritte verzichtete – im Gegensatz zu Trump. Sleepy Joe war zudem nicht der einzige diskreditierende Spitzname, mit dem Trump Biden belegte. Im Laufe der nächsten Jahre folgten weitere, darunter Crooked Joe, Joe Hiden oder Slow Joe (vgl. Wikipedia-Artikel). Bis auf Crooked Joe, mit dem Biden dem Vorwurf der Korruption und Bestechlichkeit ausgesetzt wurde, zielen die anderen diskreditierenden Spitznamen in eine ähnliche Richtung, sollen fehlende Energie und altersbedingte kognitive Defizite unterstellen (Slow Joe) sowie die Abwesenheit öffentlicher Auftritte thematisieren (Joe Hiden), um Trump als geeigneteren Kandidaten erscheinen zu lassen. Wie geschickt Trump mit diskreditierenden Äußerungen umgeht, zeigt Bidens Reaktion. Auf den diskreditierenden Spitznamen Sleepy Joe angesprochen, reagiert Biden dergestalt, indem er Trump als clown bezeichnet (vgl. Haltiwanger 2020) – was im Gegensatz zu Trumps spezifisch-zielgerichteter Äußerung zu unkonkret sowie ungefährlich wirkt (und deswegen auch medial nicht verfing; im Gegensatz zu Sleepy Joe).

(2) Diskreditierung im politischen Diskurs unter den totalitären Bedingungen des ‚Dritten Reiches‘

Es muss in diesem Zusammenhang noch die Diskreditierung des Sozialismus, durch die systematische Diskreditierung des Aufbaus des Sozialismus in der Sowjetunion, seitens der SPD und besonders des „Vorwärts“ erwähnt werden. Wer den „Vorwärts“ von 1918 bis in die letzte Zeit nachliest, kann sehen, mit welcher Unsumme, verbissener Gehässigkeit und totalen Unverständnis jede Schwierigkeit des Aufbaus des Sozialismus in der SU kommentiert und als das Wesentliche in der Entwicklung der SU dargestellt wurde. Statt den Arbeitern und Kleinbürgern den Aufbau des Sozialismus in der SU mit seinen Schwierigkeiten zu erklären, sie auf das Neue in der Geschichte der Menschheit aufmerksam zu machen, entwickelten die SPD und besonders der „Vorwärts“ – man kann es nicht anders ausdrücken – eine systematische Greuelpropaganda. Die nationalsozialistische Propaganda gegen die SU findet in ihrer täglichen Hetze wahrlich eine reiche Tradition, hinterlassen von der sozialdemokratischen Propaganda, vor. Die Greuelpropaganda gegen die SU wird übrigens bis zum heutigen Tage im „Neuen Vorwärts“ fortgesetzt – nachdem es einige Zeit schien, als ob sich der „Neue Vorwärts“ eines Besseren besonnen hätte. (Tarnschrift 0689 (1937): 3)

Eine Gegenstrategie bei Diskreditierungshandlungen ist die Aufarbeitung und Richtigstellung. Dies zeigt sich auch anhand des Ausschnittes aus einem kommunistischen Text innerhalb einer Tarnschrift während des ‚Dritten Reiches‘. Inhaltlich bezieht sich dieser auf die langjährigen Konflikte zwischen kommunistischen und sozialdemokratischen Akteursgruppen während der Weimarer Republik und zu Beginn des ‚Dritten Reiches‘ – ein Konflikt, der lange Zeit eine geeinte Widerstandsfront gegen den Nationalsozialismus verhinderte. Aus kommunistischer Perspektive werden die Diskreditierungsstrategien sozialdemokratischer Akteure (SPD) und Publikationsorgane (Vorwärts) kritisiert. Deutlich werden Aspekte, vor allem auf sittlich-moralischer Ebene, benannt, von der verbissenen Gehässigkeit und dem totalen Unverständnis gegenüber kommunistischen Akteuren und Positionen bis hin zur Greuelpropaganda, auf deren Tradition nun die nationalsozialistische Propaganda zurückgreifen kann. Im Rahmen dieses In-Beziehung-Setzens von Sozialdemokratie und Nationalsozialismus können die Äußerungen zugleich als Diskreditierungshandlungen selbst charakterisiert werden – ein Beispiel für das Zusammenspiel aus Diskreditierung und Gegendiskreditierung.

(3) Diskreditierung innerhalb der fachlichen Community in Bezug auf bestimmte Krankheits-/Störungstypen

Indess stehen doch die einzelnen Leidenschaften als Motive strafbarer Handlungen in einem verschiedenen Verhältnisse zur Zurechnungsfähigkeit, worüber mir einige Andeutungen vergönnt werden mögen. Am strengsten werden unter ihnen stets die egoistischen der Ehr-, Herrsch- und Habsucht zu beurtheilen sein, da sie schon an und für sich im Widerspruche mit dem sittlichen Princip stehen, weil sie stets ihre Zwecke auf Kosten fremder Wohlfahrt zu befördern streben. Sie können nur durch eine sehr wachsame Reflexion im Zaum gehalten werden, damit sie nicht immerfort den Antrieb zu Rechtsüberschreitungen geben. Wenn die Gesetzgebung ihnen nicht einen besonders starken Damm entgegenstellte, so würden sie schon längst die ganze Erde verwüstet haben. (Ideler 1854: 56)

Die Universalität und Selbstverständlichkeit diskreditierender Sprachhandlungen zeigt sich auch in scheinbar unverdächtigen Textgattungen, wie in diesem Fall einem Gutachten eines Psychiaters aus dem 19. Jahrhundert. Darin wird ein bestimmter Krankheits- bzw. Störungstyp charakterisiert. Doch zeigen sich schnell invektive Züge der Beschreibung, die, dem Diskreditieren charakteristisch, erneut auf sittlich-moralischer Ebene (sittlichen Princip) stattfinden. Insbesondere im letzten Satz finden sich grob-negative Verallgemeinerungen, um daraus Konsequenzen abzuleiten. Auch offenbart sich anhand des Beispiels der Diskursfaktor Macht, unterscheidet der Psychiater Ideler doch zwischen in Zaum zu haltenden Kranken, die bei zu wenig Aufmerksamkeit längst die ganze Erde verwüstet hätten, und ihm selbst sowie anderen seiner Profession, die diese mittels sehr wachsamer Reflexion im Zaum halten. Die Gefahr machtvoller Psychiatrien gegenüber ohnmächtigen, weitestgehend entrechteten Patient*innen ist etwas, das insbesondere der Diskursforscher Michel Foucault umfassend aufgearbeitet hat. Ein Nebendiskurs dieser Machtthematisierung ist das Aufarbeiten und Reflektieren invektiver, abwertend-stigmatisierender Äußerungen über Patient*innen. Denn gerade diese, in ihrer sozialen Rolle als Patient*innen oftmals ohnmächtige oder handlungseingeschränkte Personen können so, wie das Beispiel zeigt, rasch kollektiviert, entindividualisiert und in ihrem Krankheits- bzw. Störungsspektrum diskreditiert werden.

(4) Diskreditierung innerhalb der fachlichen Community im Rahmen eines Briefes von Martin Heidegger an Karl Jaspers über ihren Kollegen Ernst Robert Curtius.

Zufolge einer Übung aus den letzten und früheren Jahren merkte ich zwar sogleich an dem Ton und dem niedrigen Niveau der Anpöbelung durch E.R. Curtius, daß hier im Eigentlichen das Vorhaben faul sei. Aber daß ein Mann, der jetzt doch als der erste Philologe der Welt gefeiert sein will, so schlecht lese, hätte ich doch nicht erwartet […]. Mir ist das Ganze unverständlich und ekelhaft. Aber die Öffentlichkeit füttert sich nur von solchen leeren Sensationen. (Heidegger 1990 [1949]: 180)

Das Besondere des Invektivitätskonzeptes besteht darin, dass es nicht von zwei Positionen ausgeht – einer invektiv handelnden Person und einer Person, an die die Invektive gerichtet ist –, sondern von dreien: Neben der invektiv handelnden Person und der Person, an die die Invektive gerichtet ist, gibt es noch andere Personen (eine Art von Publikum), die zentral (mit-)entscheiden, ob eine Äußerung als invektiv einzustufen ist oder nicht. Das bedeutet, dass z. B. Forschende sprachliche Handlungen als invektiv charakterisieren können, selbst wenn diese nicht durch die Personen, gegen die die Invektiven gerichtet sind, wahrgenommen oder so interpretiert werden (vgl. Schütz 2024: 242). Dies trifft auf dieses Beispiel zu, wird doch die diskreditierte Person, der Wissenschaftler Ernst Robert Curtius, die Äußerungen des Philosophen Martin Heideggers in einem Brief an Karl Jaspers wahrscheinlich nie mitbekommen (haben). Nichtsdestotrotz zeigt sich anhand Heideggers Ausführungen ein abwertender, herabsetzender und verunglimpfender Impetus; so spricht er vom niedrigen Niveau der Anpöbelung durch Curtius und wertet ihn in seiner sozialen Rolle bzw. seinem Beruf als Philologe ab, der sein eigenes Handwerk nicht versteht (so schlecht lese). Auch dieses Beispiel indiziert die Selbstverständlichkeit diskreditierender Handlungen in unterschiedlichen kommunikativen Umständen und Situationen.

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Marx, Konstanze (2017): Diskursphänomen Cybermobbing. Ein internetlinguistischer Zugang zu (digitaler) Gewalt. Berlin, Boston: de Gruyter.

  • Meier-Vieracker, Simon; Kämper, Heidrun; Warnke, Ingo H. (2024) (Hrsg.): Invective Discourse. Berlin, Boston: de Gruyter.

Zitierte Literatur und Belege

  • Bak, Pawel (2017): Offene und versteckte Aggression im Gebrauch von Dysphemismen und Euphemismen. In: Bonacchi, Silvia (Hrsg.): Verbale Aggression. Multidisziplinäre Zugänge zur verletzenden Macht der Sprache. Berlin, Boston: de Gruyter, S. 145–168.

  • Haltiwanger, John (2020): Joe Biden has a new nickname for Trump after the president called him ‚Sleepy Joe‘. In: Business Insider. Online unter: https://www.businessinsider.com/joe-biden-has-nickname-for-trump-after-president-called-him-sleepy-joe-2019-5 ; Zugriff: 03.04.2025.

  • Heidegger, Martin/Jaspers, Karl (1990) [1920-1963]: Briefwechsel 1920–1963. Frankfurt a. M.: Vittorio Klostermann.

  • Ideler, Karl Wilhelm (1854): Neue Auswahl medicinisch-gerichtlicher Gutachten zur Gerichtlichen Psychologie. Berlin: August Hirschwald.

  • Leschzyk, Dinah K. (2021): Diskreditierung in der Krise. Rhetorische Angriffe auf die Vertrauenswürdigkeit der österreichischen Regierung. In: Bülow, Lars; Diehr, Anne; Pfurtscheller, Daniel; Thome, Sebastian (Hrsg.): Corona-Diskurse in und über Österreich. Wien: Universitätsverlag, S. 113–151.

  • Lobenstein-Reichmann, Anja (2021): Vom Antijudaismus zum Antisemitismus – Ein diskursanalytischer Rückblick am Beispiel von Jugo Bettauers Stadt ohne Juden. In: Bär, Jochen (Hrsg.): Historische Text- und Diskurssemantik. Berlin, Boston: de Gruyter, S. 264–293.

  • Lobenstein-Reichmann, Anja (2013): Sprachliche Ausgrenzung im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Berlin, Boston: de Gruyter.

  • Lobenstein-Reichmann, Anja (2008): Houston Stewart Chamberlain – Zur textlichen Konstruktion einer Weltanschauung. Eine sprach-, diskurs- und ideologiegeschichtliche Analyse. Berlin, New York: de Gruyter.

  • Marx, Konstanze (2013): Diskreditierung im Internet als persuasive Strategie – Fallbeispiele. In: Elisabeth Knipf-Komlosi (Hrsg.): Dynamik der Sprache(n) und der Disziplinen. Budapest: ELTE, S. 387–394.

  • Meissner, Johannes (1898): Erläuterung und Würdigung des Urteils Platons über die Sophistik. Wissenschaftliche Beilage zum dreiunddreissigsten Jahresbericht der Realschule und des Progymnasiums zu Solingen. Solingen: Albert Pfeiffer.

  • Schütz, Johannes (2024): Beleidigungen, Schmähungen, Angriffe. Invektive Dynamiken und rassistische Gewalt in der späten DDR. In: Schwerhoff, Gerd; Fehlemann, Silke; Greschke, Heike; Kanzler, Katja (Hrsg.): An den Grenzen der Invektivität. Frankfurt a. M.: Campus, S. 239–256.

  • Sepp, Arvi (2017): Kulturhistorische Blicke auf die Sprache des Dritten Reiches und die antisemitische Hassrede. Victor Klemperers Auseinandersetzung mit der verbalen Verletzung im Nationalsozialismus. In: Bonacchi, Silvia (Hrsg.): Verbale Aggression. Multidisziplinäre Zugänge zur verletzenden Macht der Sprache. Berlin, Boston: de Gruyter, S. 269–287.

  • Tarnschrift 0689 (1937): Baudissin, E. Gräfin von: Kriegskameraden und andere Erzählungen. Online unter: http://db.saur.de/DGO/basicFullCitationView.jsf?documentId=BTS-0672 ; Zugriff: 03.04.2025.

  • Thurn, Anabelle (2018): Rufmord in der späten römischen Republik. Charakterbezogene Diffamierungsstrategien in Ciceros Reden und Briefen. Berlin, Boston: de Gruyter.

  • Wikipedia: List of nicknames used by Donald Trump. Online unter: https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_nicknames_used_by_Donald_Trump#Domestic_political_figures ; Zugriff: 03.04.2025.

  • Youtube (2012): Bush „Willie Horton“ ad ’88. Veröffentlicht unter Heathstory. 18.08.2012. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=qm3XTansvTs ; Zugriff: 23.05.2025.

Abbildungsverzeichnis

Zitiervorschlag

Markewitz, Friedrich (2025): Diskreditieren. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 27.05.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/diskreditieren.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Narrativ

Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Metapher

In der politischen Berichterstattung ist oft davon die Rede, dass eine bestimmte Partei einen Gesetzesentwurf blockiert. Weil das Wort in diesem Zusammenhang so konventionell ist, kann man leicht übersehen, dass es sich dabei um eine Metapher handelt.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Techniken

Ironie

Ironie (altgriechisch εἰρωνεία (eirōneía), wörtlich ‚Verstellung‘, ‚Vortäuschung‘) ist in unserer unmittelbaren und massenmedialen Kommunikationskultur sehr bedeutsam. Sie arbeitet mit einem Bewertungsgegensatz zwischen Gesagtem und Gemeintem.

Wiederholen

Das Wiederholen von Äußerungen in öffentlichen (politischen) Diskursen zielt darauf, das Denken anderer zu beeinflussen, Wissen zu popularisieren, einseitige (z. B. fanatisierende, beschwörende, hysterische, ablenkende, pseudosachliche) Konstruktionen von Wahrheit zu erzeugen, um die soziale Wirklichkeit als intersubjektiven Konsens im einseitigen Interesse des „Senders“ zu verändern. Grundvoraussetzung ist die Annahme, dass das kollektive Denken stets mächtiger als das individuelle Denken ist.

Nähe inszenieren

Die Inszenierung von Nähe beschreibt eine Kommunikations>>praktik, bei der Akteur:innen Techniken einsetzen, um Vertrautheit, Sympathie und Authentizität zu vermitteln (z.B. das Angebot einer:s Vorgesetzten, zu duzen).

Diplomatie

Diplomatie bezeichnet im engeren Sinne eine Form der Kommunikation zwischen offiziellen Vertretern von Staaten, die die Aufgabe haben, zwischenstaatliche Beziehungen durch und für Verhandlungen aufrecht zu erhalten. Diese Vertreter können Politiker oder Beamte, insbesondere des diplomatischen Dienstes, sowie Vertreter internationaler Organisationen sein.

Typografie

Typografie bezeichnet im modernen Gebrauch generell die Gestaltung und visuelle Darstellung von Schrift, Text und (in einem erweiterten Sinne) auch die Dokument-Gesamtgestaltung (inklusive visueller Formen wie Abbildungen, Tabellen, Taxono-mien usw.) im Bereich maschinell hergestellter Texte (sowohl im Druck als auch auf dem Bildschirm)

Fact Checking

Fact Checking ist eine kommunikationsstrategische Interventionstechnik, bei der eine Diskursaussage auf Bild oder Textbasis unter dem Gesichtspunkt der Faktizität bewertet wird. Sie ist überwiegend in journalistische Formate eingebettet, die als Faktencheck bezeichnet werden.

Distanzieren

Distanzieren bezeichnet die Abgrenzung eines individuellen oder organisationalen Akteurs von einem anderen Akteur. Eine Distanzierung kann kommunikativ oder operativ vollzogen werden, d. h. die Abgrenzung findet verbal oder unter Aufkündigung eines Arbeitsverhältnisses statt.

Kontaktschuld-Topos

« Zurück zur ArtikelübersichtKontaktschuld-Topos Kategorie: TechnikenVerwandte Ausdrücke: Assoziationsschuld, Applaus von falscher Seite, ad hominem, Guilt by AssociationSiehe auch: Verschwörungstheorie, Moralisierung, Freund-Feind-Begriffe, Topos, Opfer-ToposAutoren:...

Schlagbilder

Der Terminus Schlagbild bezeichnet mehr oder weniger inszenierte Bilder. Ihre Bedeutung beruht nicht nur auf ihren sichtbaren (ikonischen) Formen, sondern vielmehr auf den symbolischen Inhalten, die sich durch vielfache mediale Wiederholung und Konventionen gefestigt haben.

Invektivität / Metainvektivität

Invektivität ist ein Überbegriff für den Phänomenbereich der Herabsetzung und Ausschließung mittels symbolischer Praktiken. In Invektiven (z.B. Spott, Beleidigung, sprachliche Aggression, Diskriminierung, Hassrede) werden Einzelnen oder Gruppen marginalisierte oder niedrige soziale Positionen zugeschrieben, Zugehörigkeiten zu Gemeinschaften abgesprochen oder Identitäten negiert.

Schlagwörter

Wohlstand

Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

Remigration

Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.

Radikalisierung

Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.

Bürokratie

Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.

Politisch korrekt / Politische Korrektheit

Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt.

Kipppunkt

Als öffentliches Schlagwort ist Kipppunkt Teil eines Argumentationsmusters: es behauptet ein ‚Herannahen und baldiges Überschreiten einer unumkehrbaren Sachverhaltsänderung, die fatale bzw. dystopische Folgeschäden auslöst, wenn nicht umgehend bestimmte Maßnahmen eingeleitet oder unterlassen werden.‘

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Verschiebungen

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Partizipatorischer Diskurs

Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament

Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)

Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit

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Die Macht der Worte 3/4: Sprachliche Denkschablonen

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Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe

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Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen

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Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.