DiskursGlossar

Dogwhistle

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Schibboleth, Chiffre
Siehe auch: Jargon, Euphemismus, Positionieren, Distanzieren, Nähe inszenieren, Schlagwort, Framing
Autor: Daniel Ivanov
Version: 1.0 / Datum: 27.11.2025

Kurzzusammenfassung

Unter Dogwhistle wird in Teilen der Forschung eine doppeldeutige Äußerung verstanden, die eine offene und eine verdeckte Botschaft an jeweils eine Zuhörerschaft kommuniziert. Die offene Botschaft ist üblicherweise für alle sprachfähigen Empfänger:innen verständlich. Die verdeckte Botschaft richtet sich an eine spezifische Zielgruppe gleich einer ‚Hundepfeife‘, deren Ton nur von Hunden wahrgenommen werden soll.

Der typische Ort, an dem diese diskursive Praktik zum Einsatz kommt, ist die politische Arena. Einerseits können mit dieser mehrdeutigen (multivokalen) Kommunikation beispielsweise mehrere potenzielle Wählergruppen erreicht werden. Andererseits bleiben in einer Dogwhistle sozial inakzeptable Äußerungen (beispielsweise rassistische Positionen) verdeckt, weil die offene Bedeutung der Dogwhistle üblicherweise harmloser erscheint. Zum Beispiel betont der Ausdruck Remigration im wörtlichen und fachlichen Sinne der ‚Rückwanderung‘ lediglich die Richtung der Migration. Als rechtsextreme Dogwhistle hingegen meint der Begriff programmatisch die massenhafte Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund.

Zum Wesen von Dogwhistles gehört, dass der Sprecher jegliche Kritik an der implizit transportierten und als problematisch wahrgenommenen Botschaft zurückweisen kann. Die Wirksamkeit der strategischen Abstreitbarkeit (auch plausible deniability genannt) entfaltet sich besser, wenn die verschleierte Botschaft im Wissenshorizont der Ingroup verbleibt und nicht allgemein bekannt wird.

Erweiterte Begriffsklärung

Erste Erwähnung fand der damals noch anders genutzte Begriff Dogwhistle im Kontext von Meinungsforschung.  Richard Morin beschrieb 1988 in der „Washington Post“ den „Dog Whistle Effect“ anhand der Beobachtung, dass kleine Änderungen in der Formulierung von Fragen große Änderungen im Antwortverhalten bewirkten. Eine Studie von Jon Horwitz und Mark Peffley (2005) zeigte, wie die Nutzung von Dogwhistles Vorurteile der Rezepient:innen aktivieren kann: US-amerikanische Probanden wurden befragt, ob sie lieber Geld in Gefängnisse investieren würden, um Kriminelle einzusperren, oder in Maßnahmen gegen Armut, um Verbrechen zu vermeiden. Der Kontrollbegriff inner city (eine Dogwhistle für den Stadtbereich mit hohem Anteil an afroamerikanischen Einwohner:innen) wirkte sich auf das Antwortverhalten aus: Befragte, bei denen mehr „racial stereotypes“ gemessen wurden, stimmten häufiger für die Investition in Gefängnisse, wenn eine Dogwhistle in der Frage enthalten war. Ohne Dogwhistle gab es keine bedeutsamen Unterschiede im Antwortverhalten der Befragten (vgl. Saul 2018: 367).

Der gegenwärtige fachsprachliche Gebrauch der Bezeichnung Dogwhistle betont weniger das potenzielle Antwortverhalten von Menschen, sondern die strategische Nutzung eines Ausdrucks, der zwei plausible Deutungen zulässt und an zwei verschiedene Gruppen gerichtet wird. Diese Teilung der Bedeutung und der Adressaten bezeichnet Anne Quaranto als „differentiellen Effekt“ (Quaranto 2022). Die ‚Verschlüsselung‘ einer Dogwhistle erfolgt im Gegensatz zu A1Z26-codierten Botschaften wie 1312 ( = ACAB = All Cops Are Bastards) oder 161 ( = AFA = Antifaschistische Aktion) mit einem alltagsverständlichen Begriff. Anstatt einer im öffentlichen Diskurs problematischen, skandalisierbaren oder sogar strafbewehrten Äußerung (z. B. Ausländer raus), greift man zu unverfänglichen bzw. mehrdeutigen Ausdrucksalternativen (wie Remigration, siehe auch Beispiele unten). Durch die ‚semantische Camouflage‘ wirkt die Äußerung auf die Outgroup weniger verdächtig. Alle hören oder lesen das gleiche Wort, aber nicht die gleiche Bedeutung.

Im Hinblick auf den öffentlichen Diskurs ermöglichen es Dogwhistles, kontroverse Äußerungen über öffentliche Kanäle mitzuteilen und graduell zu normalisieren. Beispielsweise verwies George W. Bush 2003 auf die wonder-working power des amerikanischen Volkes. Mit dieser Phrase, die einer religiösen Hymne entlehnt wurde, signalisierte Bush seine Nähe zu den evangelikalen Wähler:innen, ohne bei jenen Vorbehalte zu wecken, die gegenüber dem evangelikalen Milieu skeptisch eingestellt waren (siehe Beispiel 2). Bushs Äußerung verdeutlicht, dass Dogwhistles abgesehen von ihrer verdeckten Bedeutung auch eine Sprecherposition signalisieren. Vergleichbar wird bei einem Schibboleth ebenso eine Sprecherposition signalisiert, wenn etwa ein Akzent die Herkunft oder ein hörbarer Glottisschlag die progressive Haltung einer Person verrät. Die Dogwhistle unterscheidet sich vom Schibboleth vor allem durch ihre strategische Nutzung, die unter anderem darin besteht, ein Teilpublikum mit der latenten Botschaft zu erreichen und kontroverse Inhalte weniger angreifbar zu formulieren. 

Neben der Extra-Bedeutung und der Sprecherposition sind Dogwhistles dazu geeignet, Narrative zu wecken. So bezeichnet Eleonora Orlando Dogwhistles als eine narrativ-evozierende Kommunikationsform (Orlando 2023). Als Beispiel führt sie die Rede des argentinischen Präsidenten Juan Domingo Perón an, die er am 15. April 1953 gehalten hatte. Perón spricht davon, dass die wahre Demokratie darin bestehe, dass die Regierung ausschließlich die Interessen des Volkes (pueblo) verteidige. Der Ausdruck pueblo – so Orlando – habe bei den Zuhörenden das politische Narrativ einer Arbeiterklasse evoziert, welche von der konservativen Partei unterdrückt anstatt repräsentiert werde. Die politische Aufgabe, das ‚Volk‘ im Sinne der Arbeiterklasse zu vertreten entspreche dem „Peronistischen Katechismus“ (catecismo peronista). Mit dieser Formulierung habe Perón den Zuhörer:innen, die dem Peronismus zugewandt seien, zu verstehen gegeben, dass er Demokratie an der Arbeiterklasse ausrichten wolle. In der emotionalen Folge dürften mehr Menschen dieser Zielgruppe für Perón gestimmt haben (Orlando 2023: 22 f.).

Metapragmatisch betrachtet wird der Dogwhistle-Begriff hauptsächlich dafür genutzt, Äußerungen zu markieren, deren Standpunkt als gesellschaftlich inakzeptabel gilt. Dazu gehören beispielsweise rassistische und queerfeindliche Äußerungen sowie Verschwörungsmythen. Damit bezieht sich die Bezeichnung Dogwhistle auf Kommunikation, mit der Grenzen des Normalen bearbeitet werden, indem sie delegitimierte Positionen sagbar zu machen und allmählich in den öffentlichen Diskurs zu integrieren versucht. Dies geschieht nicht ohne Kritik von Außenstehenden, weil es oftmals auch Mitglieder der Outgroup gibt, die die latente Botschaft verstehen und sich über sie empören.

Trotzdem ermöglichen es Dogwhistles den Nutzenden, bei einer Aufdeckung abzustreiten, dass die verdeckte Bedeutung jemals so gemeint gewesen sei. Diese Ausweichtaktik wird als glaubhafte Abstreitbarkeit („plausible deniability“) bezeichnet (Sayeed et al. 2024: 8) Politische Akteure profitieren von der Mehrdeutigkeit der Sprache, indem sie verschiedene politische Orientierungen präsentieren können, ohne widersprüchlich zu erscheinen, weil die zwei Perspektiven bei zwei verschiedenen Gruppen ankommen. Gleichzeitig erleben die Adressat:innen eine diskursive Validierung, wenn sie ihre Gedanken durch die Dogwhistle auf den Begriff gebracht sehen (Sayeed et al. 2024: 8, 10 f.).

Die Dogwhistle erfüllt ihre Funktion dann besonders gut, wenn sie möglichst viele Mitglieder der Zielgruppe erreicht, aber möglichst wenige von den Außenstehenden. Bestimmte Ereignisse können aber dazu beitragen, dass sich die latente Botschaft unter den Außenstehenden ausbreitet (Sayeed et al. 2024: 6). Umgekehrt kann eine andeutende Formulierung frühzeitig in ihren Implikationen entlarvt werden, bevor sie den Charakter einer Dogwhistle entwickelt.

Beispiele

(1) In der Migrationsforschung bedeutet der Ausdruck Remigration die Rückwanderung von Immigranten in ihr Herkunftsland (siehe ausführlich dazu den Artikel zum Schlagwort Remigration). Damit gibt der Begriff hauptsächlich die Richtung der Migration an (Oltmer 2016: 15). Die AfD forderte in ihrem Programm zur Bundestagswahl 2021 umfangreiche Remigrationsmaßnahmen und nutzte den Ausdruck nicht in seinem fachsprachlichem Gebrauch, wie er etwa in den Sozialwissenschaften bekannt ist, sondern programmatisch und euphemistisch, da es um die Umsetzung einer Politik geht, die die Auswanderung von Menschen mit Migrationshintergrund erzwingt oder befördert. Der Ausdruck Remigration eignete sich für die Nutzung als Dogwhistle. Einerseits sympathisieren rechtsextreme Zuhörer:innen mit dem Aufruf zur Remigration in seinem völkisch-nationalistischen Verständnis. Andererseits ist es möglich, dass die Dogwhistle bei Menschen außerhalb des rechtsextremen Spektrums auf Akzeptanz trifft, weil der Begriff Remigration mit seiner vermeintlich neutralen, bildungssprachlichen Gestalt Deutungen nahelegt, die mit demokratischen Prinzipien vereinbar wären.

(2) George W. Bush sagte 2003 in seiner Ansprache zur State of the Union:

Yet there’s power, wonder-working power, in the goodness and idealism and faith of the American people.

Die Äußerung richtete sich an verschiedene Zielgruppen zugleich (sogenannte Mehrfachadressierung). Die allgemeine Zielgruppe waren alle Zuhörer:innen der Ansprache. Zugleich sprach Bush als besondere Zielgruppe die evangelikale Glaubensgemeinschaft an, die mit der Phrase wonder-working power ein oft gesungenes Lobpreislied („Power in the Blood“) assoziierte.

Bush deutete inhaltlich an, die „wunderwirkende Kraft“ des Glaubens der amerikanischen Bevölkerung verdanke sich dem christlichen Glauben oder stehe zumindest mit dem christlichen Glauben in Verbindung. Angehörige von evangelikalen Glaubensgemeinschaften sind mit den Lyrics des christlichen Liedes, in dem die Phrase wonder-working power vorkommt, vertraut und sie können das entsprechende Narrativ abrufen. Vor diesem Hintergrund signalisierte Bush mit seiner Äußerung eine Verbundenheit zum evangelikalen Milieu. Das könnte wiederum eine emotionale Wirkung auf die spezifische Zuhörerschaft gehabt haben: Die Evangelikalen könnten sich mit Bush identifiziert haben und damit könnte sich ihre Bereitschaft erhöht haben, in der nächsten Wahl für Bush zu stimmen. Für Bush dürfte der Vorteil darin bestanden haben, dass er so einerseits die Evangelikalen erreichte, andererseits auch Zuhörer:innen ansprach, die von einem zu deutlichen Frömmigkeitsstil womöglich abgeschreckt worden wären (zu diesem Beispiel vgl. auch Sayeed et al. 2024 und Saul 2023: 362).

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Sayeed, Asad; Breitholtz, Ellen; Cooper, Robin; Lindgren, Elina; Rettenegger, Gregor; Rönnerstrand, Björn (2024): The utility of (political) dogwhistles – a life cycle perspective. In: Journal of Language and Politics, Jg. 24, Heft 1, S. 1–21.

Zitierte Literatur und Belege

  • Amadeu Antonio Stiftung (2021): deconstruct antisemitism! Antisemitische Codes und Metaphern erkennen. Online unter: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/nwo-zog-und-globalisten-deconstructantisemitism/ ; Zugriff am 02.02.2025.

  • Morin, Richard (1988): Behind The Numbers. Confessions Of A Pollster. In: The Washington Post. Online unter: https://www.washingtonpost.com/archive/opinions/1988/10/16/behind-the-numbers-confessions-of-a-pollster/3523c065-11b5-42ba-9986-c317bdecf2dd/ ; Zugriff am 18.06.2025.

  • Oltmer, Jochen (2016): Globale Migration. Geschichte und Gegenwart. 2., überarbeitete Auflage. München: C.H. Beck.

  • Orlando, Eleonora (2023): Dogwhistling as a narrative-evoking form of communication. In: Manuscrito Vol, Jg. 46, Heft 3, S. 1–35.

  • Quaranto, Anne (2022): Dog whistles, covertly coded speech, and the practices that enable them. In: Synthese Jg. 200, Heft 330, S. 1–34.

  • Saul, Jennifer (2018): Dogwhistles, Political Manipulation, and Philosophy of Language. In: Fogal, Daniel; Harris, Daniel W.; Moss, Matt (Hrsg.): New Work on Speech Acts. Oxford: Oxford University Press, S. 360–383.

  • Sayeed, Asad; Breitholtz, Ellen; Cooper, Robin; Lindgren, Elina; Rettenegger, Gregor; Rönnerstrand, Björn (2024): The utility of (political) dogwhistles – a life cycle perspective. In: Journal of Language and Politics, Jg. 24, Heft 1, S. 1–21.

Zitiervorschlag

Ivanov, Daniel (2025): Dogwhistle. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 27.11.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/dogwhistle.  

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Diskurssemantische Verschiebung

Mit dem Begriff der diskurssemantischen Verschiebung wird in der Diskursforschung ein Wandel in der öffentlichen Sprache und Kommunikation verstanden, der auf mittel- oder län-gerfristige Veränderung des Denkens, Handelns und/oder Fühlens größerer Gesellschafts-gruppen hinweist.

Domäne

Der Begriff der Domäne ist aus der soziologisch orientierten Sprachforschung in die Diskursforschung übernommen worden. Hier wird der Begriff dafür verwendet, um Muster im Sprachgebrauch und kollektiven Denken von sozialen Gruppen nach situationsübergreifenden Tätigkeitsbereichen zu sortieren.

Positionieren

Positionieren ist Grundbestandteil menschlicher Kommunikation. Wann immer wir miteinander interagieren und kommunizieren, bringen wir uns selbst, andere und die Objekte, über die wir sprechen, in bestimmte Relationen zueinander.

Deutungsmuster

Unter einem Deutungsmuster wird die problem- und lösungsbezogene Interpretation gesellschaftlicher und politischer Tatbestände verstanden, die Aussicht auf Akzeptanz in sozialen Gruppen hat. Der Begriff des Deutungsmusters hat Ähnlichkeit mit den Begriffen der Theorie und Ideologie. Meist werden gesellschaftlich verbreitete Leitdeutungen, die oft mit Schlagwörtern und Argumentationsmustern einhergehen (wie Globalisierung, Kapitalismus, Leistungsgesellschaft, Chancengleichheit etc.) als Beispiele für Deutungsmuster genannt.

Sinnformel

‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.

Praktik

Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Narrativ

Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Techniken

Boykottaufruf

Der Boykottaufruf ist eine Maßnahme, die darauf abzielt, ein Ziel, also meist eine Verhaltensänderung des Boykottierten, hervorzurufen, indem zu einem Abbruch etwa der wirtschaftlichen oder sozialen Beziehungen zu diesem aufgefordert wird.

Tabuisieren

Das Wort Tabuisierung bezeichnet die Praxis, etwas Unerwünschtes, Anstößiges oder Peinliches unsichtbar zu machen oder als nicht akzeptabel zu markieren. Das Tabuisierte gilt dann moralisch als unsagbar, unzeigbar oder unmachbar.

Aus dem Zusammenhang reißen

Das Aus-dem-Zusammenhang-Reißen gehört in den Funktionskreis der Redewiedergabe bzw. der Wiedergabe kommunikativer Ereignisse. Es kann (1) als intentionale argumentativ-polemische Strategie für ganz unterschiedliche diskursive Zielsetzungen von Akteuren genutzt werden, oder (2) es kann SprecherInnen und SchreiberInnen in unbeabsichtigter, fehlerhafter Weise unterlaufen.

Lobbying

Lobbying ist eine Form strategischer Kommunikation, die sich primär an Akteure in der Politik richtet. Beim Lobbying wird ein Bündel von kommunikativen Tätigkeiten mit dem Ziel eingesetzt, die Entscheidungen von Personen mit politischem Mandat oder den Entstehungsprozess von neuen Gesetzestexten interessengeleitet zu beeinflussen.

Karten

Karten dienen dazu, Raumausschnitte im Hinblick auf ausgewählte Charakteristika so darzustellen, dass die Informationen unmittelbar in ihrem Zusammenhang erfasst und gut kommuniziert werden können. Dazu ist es notwendig, Daten und Darstellungsweisen auszuwählen und komplexe und oft umkämpfte Prozesse der Wirklichkeit in einfachen Darstellungen zu fixieren.

Pressemitteilung

Pressemitteilungen sind standardisierte Mitteilungen von Organisationen, die sich an Journalist:innen und andere Multiplikator:innen richten. Sie dienen der offiziellen und zitierfähigen Informationsweitergabe und übernehmen zugleich strategische Funktionen in der öffentlichen Kommunikation und Meinungssteuerung.

Shitstorm

Der Begriff Shitstorm beschreibt eine relativ junge Diskurskonstellation, die seit den 2010er Jahren an Bedeutung gewonnen hat und gemeinhin als Online-Wutausbruch bezeichnet wer-den kann.

Tarnschrift

Als Tarnschrift bezeichnet man unter den Bedingungen von Zensur und Verfolgungsrisiko veröffentliche Texte, die insbesondere in der strategischen Kommunikation des NS-Widerstands eine zentrale Rolle spielten.

Ortsbenennung

Die Benennung von Orten dient in erster Linie dazu, den jeweiligen geografischen Ort zu lokalisieren und ihn zu identifizieren. Doch Ortsnamen besitzen eine soziale Dimension und spielen eine entscheidende Rolle bei der sprachlich-kulturellen Identitätskonstruktion.

Finanz-Topos

Mit dem Finanz-Topos werden im Diskurs Argumente gebildet, mit denen Akteure bestimmte Maßnahmen als finanziell sinnvoll befürworten oder als unrentabel zurückzuweisen.

Schlagwörter

Echokammer

Der Begriff der Echokammer steht in seiner heutigen Verwendung vor allem im Zusammenhang mit der Nutzung Sozialer Medien. Er verweist metaphorisch auf einen digitalen Kommunikations- und Resonanzraum, in dem Mediennutzer*innen lediglich Inhalten begegnen, die ihre eigenen, bereits bestehenden Ansichten bestätigen, während abweichende Perspektiven und Meinungen ausgeblendet bzw. abgelehnt werden.

Relativieren

Der Ausdruck relativieren besitzt zwei zentrale Bedeutungsvarianten: In bildungssprachlichen und wissenschaftlichen Kontexten bezeichnet er eine analytische Praxis, bei der Aussagen, Begriffe oder Phänomene durch Bezugnahme auf andere Sachverhalte eingeordnet, differen-ziert und in ihrer Geltung präzisiert werden.

Massendemokratie

Geprägt wurde der Begriff Massendemokratie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von völkisch-konservativen Akteuren (prominent darunter Carl Schmitt 1926). Der Ausdruck Masse hatte damals bei den bürgerlichen Eliten eine rundum bedrohliche Assoziation.

Social Bots

Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.

Kriegsmüdigkeit

Der Ausdruck Kriegsmüdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische Ermüdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch für das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.

Woke

Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.

Identität

Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.

Wohlstand

Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

Remigration

Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.

Radikalisierung

Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.

Verschiebungen

Dehumanisierung

Mit Dehumanisierung bzw. Anthropomorphisierung werden solche kommunikativen Techniken und Praktiken bezeichnet, die Personen, Sachverhalten oder Gegenständen menschliche Eigenschaften ab- bzw. zusprechen. Dehumanisierung und Anthropomorphisierung können sowohl durch sprachliche Mittel als auch durch andere, z. B. bildliche, Zeichen vollzogen werden.

Kriminalisierung

Kriminalität meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden.

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Partizipatorischer Diskurs

Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament

Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)

Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit

DiskursReview Die Macht der Worte (4/4):So geht kultivierter Streit Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 3/4: Sprachliche Denkschablonen

DiskursReview Die Macht der Worte (3/4):Sprachliche Denkschablonen Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe

DiskursReview Die Macht der Worte (2/4): Freund-Feind-Begriffe Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen

DiskursReviewDie Macht der Worte (1/4): Wörter als Waffen Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 / 06.03.2025...

Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.