
DiskursGlossar
Relativieren
Kategorie: Schlagwörter
Verwandte Ausdrücke: Bagatellisieren, herunterspielen, kleinreden, marginalisieren
Siehe auch: Kontextualisieren, Aus dem Zusammenhang reißen
Autor: Friedemann Vogel
Version: 1.0 / Datum: 03.11.2025
Kurzzusammenfassung
Der Ausdruck relativieren besitzt zwei zentrale Bedeutungsvarianten: In bildungssprachlichen und wissenschaftlichen Kontexten bezeichnet er eine analytische Praxis, bei der Aussagen, Begriffe oder Phänomene durch Bezugnahme auf andere Sachverhalte eingeordnet, differenziert und in ihrer Geltung präzisiert werden.
Im politisch-medialen Diskurs hingegen fungiert relativieren dagegen häufig als Schlagwort mit normativem und vorwurfsvollem Charakter. Hier markiert das Verb kommunikative Grenzziehungen, indem es bestimmten Aussagen – etwa zur Bewertung historischer oder aktueller Ereignisse – eine illegitime Verharmlosung, Gleichsetzung oder Beschönigung unterstellt. Diese appellativ-strategische Verwendung ist eng mit erinnerungskulturellen Auseinandersetzungen und aktuellen Krisendebatten (Pandemie, Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt) verknüpft und dient häufig der Distanzierung, Diskreditierung oder dem Ausschluss missliebiger Positionen aus dem öffentlichen Diskurs.
Erweiterte Begriffsklärung
Das Handlungsverb relativieren wird sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht. Wortgeschichtlich ist es aus dem Lateinischen entlehnt (relātio – ‚das Zurücktragen, das Vorbringen, Erzählung, Berichterstattung, Beziehung, Rücksicht, Verhältnis‘) und mit dem Substantiv Relation verbunden, das seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit der Bedeutung ‚Beziehung, Wechselverhältnis‘ sowie ‚ Bericht, Berichterstattung’ belegt ist (vgl. Pfeifer et al. 1993).
In modernen Fachdiskursen steht es – ähnlich wie die Verben kontextualisieren oder differenzieren – für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.
Diese Gebrauchsweisen finden sich auch in leicht zugänglichen Online-Wörterbuchausgaben: in der Onlineausgabe des Duden wird relativieren paraphrasiert als „zu etwas anderem in Beziehung setzen und dadurch in seinem Wert o. Ä. einschränken“; die beim DWDS zugängliche Onlinefassung des Wörterbuchs der deutschen Gegenwartssprache (eWDG) erläutert relativieren als „etw. in seiner Gültigkeit einschränken, vor allem dadurch, dass man es mit anderem in Beziehung setzt, in einem übergeordneten Zusammenhang betrachtet“ (siehe Beispiel 1). In beiden Fällen aber fehlt die Gebrauchsvariante als Schlagwort, das nicht erst in neuerer Zeit, sondern teilweise schon sehr viel länger im politisch-medialen Diskurs beobachtet werden kann. Als Schlagwort hat der Ausdruck eine politisch-appellative, also kommunikationsstrategische Funktion, die mal affirmativ, mal distanzierend und sozialdisziplinierend erfolgt. Vor allem in den gegenwärtigen Konflikt- und Kriegsdiskursen rund um Pandemie, Ukraine-Krieg und Israel-Palästina-Konflikt fällt diese deontische Gebrauchsvariante zunehmend auf.
Relativieren findet sich in den Zeitungstextkorpora des DWDS seit vielen Jahrzehnten; die relative Häufigkeit nimmt ab den 1960er Jahren etwas, in den 1990er Jahren deutlich zu und hält sich seitdem im öffentlichen Diskurs. Peaks der Verwendungshäufigkeit finden sich in den Jahren 1994/95 und in der nominalisierten Form Relativierung deutet sich ab 2023 erneut eine starke Häufigkeitszunahme an (vgl. DWDS 2025). Hintergrund ist zum einen der binnendeutsche Erinnerungsdiskurs, der in den 90er Jahren zu einer Verschärfung des Volksverhetzungsparagraphen führt und die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung von NS-Verbrechen unter Strafe stellt (§ 130 Abs. 3 StGB). Der Ausdruck Relativierung knüpft an diesen Verbotsdiskurs an, erweitert aber (als nicht-Gesetzesausdruck) die Bedeutung. Vor allem in den 2010er Jahren markiert die Wendung Relativierung des Holocausts (inkl. bedeutungsverwandter Varianten: Relativierung der NS-Verbrechen/Shoa usw.) oft die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Provokationen von (neu)rechten Akteuren wie Alexander Gauland (Vogelschiss, 2018), Björn Höcke (Denkmal der Schande, 2017) und anderen (Bombenholocaust, 2022).
Untersucht man im Deutschen Referenzkorpus des Instituts für deutsche Sprache mit mehr als 86 Tausend Verwendungsbelegen die typische Wortumgebung (den Kontext) des Lemmas Relativieren, findet man jedoch noch weitere Gebrauchsmuster, die nicht alle an den NS-Bewältigungsdiskurs anknüpfen: Als Objekte relativiert werden alle möglichen Formen kommunikativer, deutungsbedürftiger Praxis (Aussage, Äußerungen, Zahlen, Satz, Begriff, Kritik, Vorwürfe u. ä.), Wahrnehmungsinhalte (Eindruck, Betrachtung), aber auch Fußballergebnisse. An Umständen sind vor allem temporale und graduierende Bedingungen der Relativierung relevant: es wird stark, sogleich, später, schnell, sofort relativiert. Relativierung ist etwas, das mehr oder weniger glaubwürdig (versuchte, bemühte) und in bejahender Verwendung extrinsisch – also durch äußere Umstände – motiviert sein kann (Modalverb müssen; man muss relativieren). Anlass für Relativierung ist oft Kritik.
Relativierungen grenzen nicht nur wertneutral den Geltungsanspruch von Behauptungen ein (das vor allem in affirmativem Gebrauch). Im politischen Diskurs markieren Sprecher damit auch illegitime Aussagen oder Vergleiche und die Grenze zum akzeptierten Common Sense, zu im öffentlichen Erinnerungsdiskurs unhintergehbaren Denk- bzw. Deutungsschablonen (siehe auch Sagbarkeit). Besonders deutlich wird das beim nominalisierten Gebrauch, also der Einordnung einer vom Sprecher oder vom Autor abgelehnten Zuschreibung Dritter als unzulässige, solche [Distanzmarker], inakzeptable, unerträgliche Relativierung. Auch Doppelformen wie Verharmlosung/Historisierung/Gleichsetzung/Aufrechnung/Rechtfertigung/Beschönigung und Relativierung stehen meist im Kontext diskursdisziplinierender Praktiken. In sozialen Medien – zum Beispiel auf Twitter/X oder auch auf den Diskussionsseiten der Wikipedia – finden sich unzählige Belege dieser Ordnungsrufe, die nicht auf Deliberation, sondern auf Diskreditierung und/oder (latenten bis offenen) Diskursausschluss von der Relativierung bezichtigten Akteuren oder ihren ‚Sympathisanten‘ zielen. Gerade in der Verhandlung von Unterstützungsmaßnahmen für oder gegen Konfliktpartner bzw. Kriegsopfer (Ukraine, Russland, Israel, Palästinenser) hat diese Praktik Hochkonjunktur, erwartbar angesichts kriegs- und verdachtsrhetorischer Polarisierung der öffentlichen Debatte.
In der Schlagwort-Verwendung des Verbs relativieren wird oft auch eine argumentative Funktion (als Topos) in Diskussionen sichtbar: Der Vorwurf, man dürfe nicht (alles) (immer) (gleich) relativieren unterstellt dem Diskussionspartner, er wolle illegitimer Weise vom ‚eigentlichen Thema ablenken‘ und/oder ‚offensichtliche Wahrheiten/Probleme nicht anerkennen/sie wegreden/verharmlosen‘. Zugleich werden damit die vorgebrachten Äußerungen des Diskussionspartners als ‚irrelevant‘ bzw. ‚illegitim‘ verworfen.
Viele Facetten des deontischen Gebrauchs von relativieren treffen auch auf die Diskursfunktion des Handlungsverbs kontextualisieren zu. Allerdings stehen die Ausdrücke kontextualisieren/Kontextualisierung nicht mit diskurshistorisch vorbelasteten Ereignissen in Verbindung (wie im Falle von Relativierung des Holocaust u. ä.).
Beispiele
(1) Die folgenden Belege des Verbs relativieren illustrieren eine wertneutrale Verwendung im Sinne des ‚X mit anderen Augen betrachten‘ (a) oder ‚Geltungsanspruch einer Wahrheitsaussage X vor dem Hintergrund Y einschränken‘ (b und c). Diese Verwendungsweise findet sich in der Alltagssprache sowie vor allem in der Kommunikation zwischen Fachleuten (z. B. Wissenschaftsdiskurs) oder in bildungssprachlichen Kontexten (z. B. Zeitungsfeuilleton):
- (a) Körperliche Leistungsfähigkeit / Nach dem Treppenlauf relativieren sich die Probleme (Headline eines FAZ-Artikels)
- (b) Während bei den Substantiven keinerlei Suffixoide wirklich die Kraft zu haben scheinen, als zukünftige Suffixe zu fungieren, ist dies bei den Adjektiven zu relativieren (Zitat aus einem sprachwissenschaftlichen Fachartikel)
- (c) Franziskus war wahrscheinlich der progressivste und reformfreudigste Papst […] Das muss man relativieren: Was im Kontext des kanonischen Rechts und der Strukturen der katholischen Kirche progressiv ist, ist nicht dasselbe, was in der Politik der verschiedenen Länder der Welt als progressiv gilt. (Zitat aus einem Posting auf Reddit)
(2) Relativieren spielt in der deutschen Erinnerungskultur eine besondere Rolle: Als Schlag- und Mahnwort markiert es illegitime bzw. latent unter Strafe stehende (§ 130 Abs. 3 StGB) Vergleiche, Verharmlosung oder gar Leugnung von NS-Verbrechen wie den Holocaust. Der folgende Post etwa skandalisiert in diesem Sinne eine öffentliche Nachricht des Politikers Trittin, der menschenunwürdige Inhaftierungsmethoden in Venezuela in den Kontext des NS-Faschismus setzt:
Schockierender Tweet von @JTrittin (#Grüne), der mit diesem den #Holocaust relativiert. Eine Gleichsetzung von US-Abschiebehaft mit Nazi-Vernichtungslagern ist widerwärtig. Jürgen #Trittin dürfte sich damit nach § 130 Abs. 3 StGB (#Volksverhetzung) strafbar gemacht haben.
(Huch 2025)
(3) Im folgenden Beleg auf X (ehemals Twitter) wird das Verb relativieren (zusammen mit differenzieren und kontextualisieren) als Schlagwort gebraucht: Seine Verwendung durch politische Gegner gilt dem Autor als ‚Zeichen‘ für eine ‚moralisch-argumentativ illegitime Positionierung‘:
Abbildung 1: Anonymisierter Post auf X, erstellt am 06.03.2024 (X/Twitter 2024).
Auch im folgenden X/Twitter-Posting aus dem Kontext des Russland-Ukraine-Kriegsdiskurses stehen Relativierer für eine auszugrenzende Diskursposition:
Geht es Euch auch manchmal so? Irgendwann nerven die Schleimer, #Russland-Küsser, Putinknechte und Feiglinge nur noch, diese Relativierer, Knierutscher und Kreisschwurbler. (X/Twitter 2025)
Literatur
Zum Weiterlesen
- Vogel, Friedemann (2024): Relativieren – kontextualisieren – differenzieren: Beobachtungen zum gegenwärtigen interdiskursiven Gebrauch dreier Tätigkeitsverben. In: kulturrevolution, Heft 86.
Zitierte Literatur und Belege
- Duden (o. J.): relativieren. Online unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/relativieren ; Zugriff: 08.11.2025.
- Huch, Tobias (2025): Post auf X. 13.03.2025. Online unter: https://x.com/TobiasHuch/status/1901948253320458574 ; Zugriff: 03.11.2025.
- Pfeifer, Wolfgang et al. (1993): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. Online unter: https://www.dwds.de/d/wb-etymwb ; Zugriff: 21.08.2025.
- Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (eWDG) (1974): relativieren. Online unter: https://www.dwds.de/wb/wdg/relativieren ; Zugriff: 21.08.2025.
- Wörterbuch des DWDS (2025): relativieren. Online unter: https://www.dwds.de/wb/relativieren ; Zugriff: 21.08.2025.
- X/Twitter (2025): Anonymisierter Post auf X, erstellt am 01.06.2024.
Abbildungsverzeichnis
- Abb. 1: X/Twitter (2024): Anonymisierter Post auf X, erstellt am 06.03.2024.
Zitiervorschlag
Vogel, Friedemann (2025): Relativieren. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 03.11.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/relativieren.
DiskursGlossar
Grundbegriffe
Diskurssemantische Verschiebung
Mit dem Begriff der diskurssemantischen Verschiebung wird in der Diskursforschung ein Wandel in der öffentlichen Sprache und Kommunikation verstanden, der auf mittel- oder län-gerfristige Veränderung des Denkens, Handelns und/oder Fühlens größerer Gesellschafts-gruppen hinweist.
Domäne
Der Begriff der Domäne ist aus der soziologisch orientierten Sprachforschung in die Diskursforschung übernommen worden. Hier wird der Begriff dafür verwendet, um Muster im Sprachgebrauch und kollektiven Denken von sozialen Gruppen nach situationsübergreifenden Tätigkeitsbereichen zu sortieren.
Positionieren
Positionieren ist Grundbestandteil menschlicher Kommunikation. Wann immer wir miteinander interagieren und kommunizieren, bringen wir uns selbst, andere und die Objekte, über die wir sprechen, in bestimmte Relationen zueinander.
Deutungsmuster
Unter einem Deutungsmuster wird die problem- und lösungsbezogene Interpretation gesellschaftlicher und politischer Tatbestände verstanden, die Aussicht auf Akzeptanz in sozialen Gruppen hat. Der Begriff des Deutungsmusters hat Ähnlichkeit mit den Begriffen der Theorie und Ideologie. Meist werden gesellschaftlich verbreitete Leitdeutungen, die oft mit Schlagwörtern und Argumentationsmustern einhergehen (wie Globalisierung, Kapitalismus, Leistungsgesellschaft, Chancengleichheit etc.) als Beispiele für Deutungsmuster genannt.
Sinnformel
‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.
Praktik
Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).
Kontextualisieren
Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.
Narrativ
Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.
Argumentation
Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.
Hegemonie
Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.
Techniken
Dogwhistle
Unter Dogwhistle wird in Teilen der Forschung eine doppeldeutige Äußerung verstanden, die eine offene und eine verdeckte Botschaft an jeweils eine Zuhörerschaft kommuniziert.
Boykottaufruf
Der Boykottaufruf ist eine Maßnahme, die darauf abzielt, ein Ziel, also meist eine Verhaltensänderung des Boykottierten, hervorzurufen, indem zu einem Abbruch etwa der wirtschaftlichen oder sozialen Beziehungen zu diesem aufgefordert wird.
Tabuisieren
Das Wort Tabuisierung bezeichnet die Praxis, etwas Unerwünschtes, Anstößiges oder Peinliches unsichtbar zu machen oder als nicht akzeptabel zu markieren. Das Tabuisierte gilt dann moralisch als unsagbar, unzeigbar oder unmachbar.
Aus dem Zusammenhang reißen
Das Aus-dem-Zusammenhang-Reißen gehört in den Funktionskreis der Redewiedergabe bzw. der Wiedergabe kommunikativer Ereignisse. Es kann (1) als intentionale argumentativ-polemische Strategie für ganz unterschiedliche diskursive Zielsetzungen von Akteuren genutzt werden, oder (2) es kann SprecherInnen und SchreiberInnen in unbeabsichtigter, fehlerhafter Weise unterlaufen.
Lobbying
Lobbying ist eine Form strategischer Kommunikation, die sich primär an Akteure in der Politik richtet. Beim Lobbying wird ein Bündel von kommunikativen Tätigkeiten mit dem Ziel eingesetzt, die Entscheidungen von Personen mit politischem Mandat oder den Entstehungsprozess von neuen Gesetzestexten interessengeleitet zu beeinflussen.
Karten
Karten dienen dazu, Raumausschnitte im Hinblick auf ausgewählte Charakteristika so darzustellen, dass die Informationen unmittelbar in ihrem Zusammenhang erfasst und gut kommuniziert werden können. Dazu ist es notwendig, Daten und Darstellungsweisen auszuwählen und komplexe und oft umkämpfte Prozesse der Wirklichkeit in einfachen Darstellungen zu fixieren.
Pressemitteilung
Pressemitteilungen sind standardisierte Mitteilungen von Organisationen, die sich an Journalist:innen und andere Multiplikator:innen richten. Sie dienen der offiziellen und zitierfähigen Informationsweitergabe und übernehmen zugleich strategische Funktionen in der öffentlichen Kommunikation und Meinungssteuerung.
Shitstorm
Der Begriff Shitstorm beschreibt eine relativ junge Diskurskonstellation, die seit den 2010er Jahren an Bedeutung gewonnen hat und gemeinhin als Online-Wutausbruch bezeichnet wer-den kann.
Tarnschrift
Als Tarnschrift bezeichnet man unter den Bedingungen von Zensur und Verfolgungsrisiko veröffentliche Texte, die insbesondere in der strategischen Kommunikation des NS-Widerstands eine zentrale Rolle spielten.
Ortsbenennung
Die Benennung von Orten dient in erster Linie dazu, den jeweiligen geografischen Ort zu lokalisieren und ihn zu identifizieren. Doch Ortsnamen besitzen eine soziale Dimension und spielen eine entscheidende Rolle bei der sprachlich-kulturellen Identitätskonstruktion.
Schlagwörter
Echokammer
Der Begriff der Echokammer steht in seiner heutigen Verwendung vor allem im Zusammenhang mit der Nutzung Sozialer Medien. Er verweist metaphorisch auf einen digitalen Kommunikations- und Resonanzraum, in dem Mediennutzer*innen lediglich Inhalten begegnen, die ihre eigenen, bereits bestehenden Ansichten bestätigen, während abweichende Perspektiven und Meinungen ausgeblendet bzw. abgelehnt werden.
Massendemokratie
Geprägt wurde der Begriff Massendemokratie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von völkisch-konservativen Akteuren (prominent darunter Carl Schmitt 1926). Der Ausdruck Masse hatte damals bei den bürgerlichen Eliten eine rundum bedrohliche Assoziation.
Social Bots
Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.
Kriegsmüdigkeit
Der Ausdruck Kriegsmüdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische Ermüdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch für das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.
Woke
Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.
Identität
Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.
Wohlstand
Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.
Remigration
Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.
Radikalisierung
Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.
Bürokratie
Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.
Verschiebungen
Dehumanisierung
Mit Dehumanisierung bzw. Anthropomorphisierung werden solche kommunikativen Techniken und Praktiken bezeichnet, die Personen, Sachverhalten oder Gegenständen menschliche Eigenschaften ab- bzw. zusprechen. Dehumanisierung und Anthropomorphisierung können sowohl durch sprachliche Mittel als auch durch andere, z. B. bildliche, Zeichen vollzogen werden.
Kriminalisierung
Kriminalität meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden.
Versicherheitlichung
In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.
Ökonomisierung
Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren
Moralisierung
Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.
Konstellationen
Partizipatorischer Diskurs
Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.
Skandal
Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.
DiskursReview
Review-Artikel
Musk, Zuckerberg, Döpfner – Wie digitale Monopole die Demokratie bedrohen und wie könnte eine demokratische Alternative dazu aussehen?
Die Tech-Milliardäre Musk (Tesla, X,xAI) Zuckerberg (Meta), Bezos (Amazon) oder Pichai (Alphabet) sind nicht Spielball der Märkte, sondern umgekehrt sind die Märkte Spielball der Tech-Oligopolisten geworden.
Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament
Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)
Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit
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Relativieren – kontextualisieren – differenzieren
Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.
Wehrhafte Demokratie: Vom Wirtschaftskrieg zur Kriegswirtschaft
Weitgehend ohne Öffentlichkeit und situiert in rechtlichen Grauzonen findet derzeit die Militarisierung der ursprünglich als „Friedensprojekt“ gedachten EU statt.
Tagung 2025: „Das geht zu weit!“ Sprachlich-kommunikative Strategien der Legitimierung und Delegitimierung von Protest in öffentlichen, medialen und politischen Diskursen
„Das geht zu weit!“ Sprachlich-kommunikative Strategien der Legitimierung undDelegitimierung von Protest in öffentlichen, medialen und politischen Diskursen Tagung der Forschungsgruppe Diskursmonitor Tagung: 04. bis 5. Juni 2025 | Ort: Freie Universität Berlin...
„Remigration“ – Ein Riss im Schleier der Vagheit. Diskursive Strategien rund um das Remigrationskonzept und die Correctiv-Recherchen
Die am 10. Januar veröffentlichte Correctiv-Recherche über ein rechtes Vernetzungstreffen in Potsdam sorgte für erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit und die größten Demonstrationen gegen Rechtsaußen seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Im Fokus der Kritik…