DiskursGlossar
Affirmation
Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Überaffirmation, identitätsstiftendender sprachlicher Ausdruck
Siehe auch: Meliorisierung, Persuasion, Diskurshoheit
Autorin: Ruth M. Mell
Version: 1.4 / Datum: 07.02.2022
Inhaltsübersicht
Kurzzusammenfassung
Erweiterte Begriffserklärung
Beispiele
Literatur
Zitiervorschlag
Kurzzusammenfassung
Im sprachwissenschaftlichen Sinne bezeichnet Affirmation die Behauptung oder Bejahung einer Aussage. Die affirmative Form eines Wortes oder Satzes ist das Gegenteil zur Verneinung (Negation).
Als Technik der Affirmation benennen wir daher eine kommunikative Strategie, welche Aussagen verwendet, um z.B. für ein Produkt, eine (politische) Gruppe oder eine Person zu begeistern bzw. durch eigens verwendete Wörter und vor allem Wortkombinationen (etwa in Form von Slogans) für diese zu werben und / oder eine Gruppenzugehörigkeit herzustellen bzw. diese zu stärken.
Erweiterte Begriffsklärung
Der Begriff Affirmation (lateinisch affirmatio ‚Versicherung‘, ,Beteuerung‘) bezeichnet ursprünglich eine wertende Zuschreibung, die mit Bejahung, Zustimmung, positiver Wertung oder Zuordnung beschrieben werden kann. In der Logik meint Affirmation dann konkret eine bejahende Aussage, bei der einem Subjekt (im traditionellen Sinn) ein Prädikat (Eigenschaft) zugesprochen wird. Mit dem Begriff Affirmation wird allgemein Zustimmung und Bejahung zum Ausdruck gebracht. Affirmation wird dabei als Sprechakt des Bejahens bzw. Behauptens verstanden, kann sich aber auch auf den positiven Inhalt eines Satzes bzw. eines Urteils beziehen und diesen bezeichnen (vgl. Hügli/Lübcke 2003: 25).
Häufig findet in aktuellen Diskursen der Begriff Affirmation Anwendung in Kontexten, in denen von Achtsamkeit, Selbstheilung oder Selbsttherapie die Rede ist. Hier wird er vornehmlich auf Gedanken und Aussagen, Gebete und/oder Mantras bezogen und mit durchaus unterschiedlicher Zielsetzung adressiert. Affirmationen werden also in diesem Sinne als positiv beeinflussende Gedanken oder versprachlichte Leitsätze verstanden, die sich immer weiter verstärken und damit zu Erkenntnis, Erleuchtung und daraus folgend zu Selbstheilungsprozessen der Psyche, aber auch des Körpers führen können. Prinzipiell geht es bei der Verwendung von Affirmationen immer darum, Personen oder Personengruppen sprachlich von etwas zu überzeugen. Affirmationen spielen in der strategischen Kommunikation moderner Massenmedien, in der Politik, Werbung oder in Sozialen Netzwerken eine wichtige Rolle. In Form von Begeisterung aktivierenden Sprüchen oder Slogans sollen sie entweder eine positive Haltung gegenüber einem Produkt, einer Person oder einem Gedanken hervorrufen oder (politische oder soziale) Gruppenzugehörigkeit herstellen oder stärken.
Als rhetorische Mittel im Rahmen subversiver Argumentationsstrategien (Guerillakommunikation), bei denen es darum geht, Inkonsistenzen oder Widersprüche wahrheitsgetreu, aber in durchaus für den (politischen) Gegner möglichst unangenehmer oder gar peinlicher Weise hervorzuheben, hat sich zudem in der Kunst der Begriff Überaffirmation etabliert. Überaffirmation bezeichnet eine sprachliche Technik, die den Gegner nicht denunziert, sondern demgegenüber die gegnerische Argumentation stark bejaht und auf die Spitze treibt. Damit wird das Problematische – häufig in witziger, ironischer oder gar lächerlicher Weise – durch Übertreibung, in diesem Fall durch eine übertrieben positive Zuschreibung, sichtbar gemacht.
Beispiele
Affirmationen können kommunikativ zu unterschiedlichen Zwecken verwendet werden. Die drei häufigsten seien hier vorgestellt:
(1) Affirmation in der Politik: Yes, we can!
Insbesondere in der modernen Massenkommunikation (etwa in Sozialen Netzwerken) oder im Rahmen politischer Wahlwerbung dienen affirmative Slogans aus der Basistextsorte der Sprüche (vgl. Dimter 1981, Rolf 1993, Heinemann 2000, Heinemann/Heinemann 2002) dazu, (politische oder soziale) Gruppenzugehörigkeit durch Begeisterung zu aktivieren und dadurch entweder für den Gedanken oder die Gruppe zu begeistern. Solche Sprüche können als komprimierte Schlüsselsätze kultureller Prägung mit „postulative[m] Charakter“ (Fleischer 1991: 28) verstanden werden. Ein aktuelles Beispiel für eine politisch motivierte lexikalische Affirmation ist etwa der englischsprachige Spruch Yes, we can!, welchen Barack Obama ab 2008 als Slogan seiner Partei sowie für sich während der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten verwendete und der für seine Anhänger:innen zu einem verbindenden Element untereinander und lexikalisches ,Manifest‘ gegen die Vertreter:innen der Republikaner im Wahlkampf wurde.
(2) Affirmation in der Werbung: Yogurette – so himmlisch leicht.
Auch in der Werbung wird das sprachliche Mittel der lexikalischen Affirmation eingesetzt, um ein Produkt mit einer bestimmten Eigenschaft zu versehen oder diesem eine bestimmte Eigenschaft zuzuschreiben, welche Kundeninnen / Kunden zum Kauf animieren soll. So werden insbesondere Süßwarenprodukte in Werbeslogans häufig als besonders leicht bezeichnet, was die Eigenschaft möglichst kalorienarmer Produkte beim Verbraucher /der Verbraucherin wecken soll. So wird der Schokoriegel Yogurette mit dem Slogan himmlisch (joghurt)leicht beworben, wobei neben der Zuschreibung der himmlischen Leichtigkeit das Suffix ette ebenfalls durch seine diminutive Funktion den Eindruck evozieren soll, es handle sich bei dem Produkt nur um einen kleinen Happen mit sehr wenigen Kalorien. In den 90er Jahren wurde ein Schokoriegel mit dem Namen Milky Way versehen, in Deutschland stark beworben, der nach Aussagen der Werbung so locker und leicht sein sollte, dass er in Milch schwimmt. Auch hier dienen Produktname und Slogan dem Zweck, das Produkt attraktiver zu machen – in diesem Fall immer wieder dadurch, dass durch lexikalische Affirmation betont wird, dass die süße Nascherei für den Körper weit weniger negative Konsequenzen hat, als Naschwerk im Allgemeinen. Dies soll schlussendlich den Verbraucher / die Verbraucherin zum Kauf und dann natürlich zum Verzehr motivieren.
(3) Überaffirmation: ,Jubeldemos‘
,Jubeldemos‘ erregen selbst mit geringen Teilnehmerzahlen regelmäßig massenmediale Aufmerksamkeit, weil sie den sonst üblichen Erwartungen an die Erscheinungsform öffentlicher Proteste widersprechen: anstatt die Rolle der Gegnerin /des Gegners nehmen die Demonstrierenden scheinbar die Position des Befürwortenden ein. Studierende protestieren im Anzug zum Beispiel lautstark für höhere Studiengebühren, bedanken sich bei politischen Verantwortlichen und fordern konsequent im Sinne der Gebührenpolitik den Ausschluss von ärmeren KommilitonInnen; FriedensaktivistInnen schlüpfen in Uniform und bejubeln Bomben und Krieg; Gewerkschaftsmitglieder bedanken sich über eine Lohnerhöhung von 5 € mit einem Transparent: Das ist Güte – das ist gnädig. In allen Fällen erfolgt eine übertriebene Zustimmung zu politischen Programmen in ironischer Absicht, die zugleich tabuisierte oder zumindest aus Sicht der Protestierenden vernachlässigte negative Konsequenzen politischer Entscheidungen in den Vordergrund rücken.
Abb. 1: Jubeldemo in München. Quelle: https://wuerzburg-aschaffenburg.verdi.de/ ; Zugriff: 25.01.2022.
Abb. 2: Screenshot einer Mobilisierungswebsite für friedensaktivistische Jubeldemos, http://www.verantwortung-jetzt.de/sk/aufruf.html ; Zugriff: 25.01.2022.
Literatur
Zum Weiterlesen
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Hardine, Rosetta (2002): Psychology of Self-Affirmation With Assertiveness Attitude. Index of New Information with Authors, Subjects and Reference Bibliography. Washington: Abbe Pub.
Zitierte Literatur
- Dimter, Matthias (1981): Textklassenkonzepte heutiger Alltagssprache. Tübingen: Niemeyer.
- Fleischer, Michael (1991): Die Semiotik des Spruches. Kulturelle Dimensionen moderner Sprüche (an deutschem und polnischem Material). Bochum: N. Brockmeyer.
- Heinemann, Wolfgang (2000): Typologisierung von Texten I: Kriterien. In: Brinker, Klaus; Antos, Gerd; Heinemann, Wolfgang et al. (Hrsg.) (2000): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. Berlin; New York: de Gruyter, S. 507–523.
- Heinemann, Margot; Heinemann, Wolfgang (2002): Grundlagen der Textlinguistik. Interaktion – Text – Diskurs. Tübingen: Niemeyer.
- Hügli, Anton; Lübcke, Poul (Hrsg.) (2003): Artikel Affirmation: In: dies. Philosophielexikon. Rowohlt: Reinbek, S. 25.
- Rolf, Eckard (1993): Die Funktionen der Gebrauchstextsorten. Berlin; New York: de Gruyter.
Abbildungsverzeichnis
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Abb. 1: Jubeldemo in München. Quelle: https://wuerzburg-aschaffenburg.verdi.de/ ; Zugriff: 25.01.2022.
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Abb. 2: Screenshot einer Mobilisierungswebsite für friedensaktivistische Jubeldemos, http://www.verantwortung-jetzt.de/sk/aufruf.html ; Zugriff: 25.01.2022.
Zitiervorschlag
Mell, Ruth M. (2022): Affirmation. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 07.02.2022. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/affirmation/
DiskursGlossar
Grundbegriffe
Hegemonie
Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.
Diskurskompetenz
Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.
Agenda Setting
Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.
Medien
Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.
Macht
Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.
Normalismus
Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.
Wissen
Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.
Werbung
Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.
Mediale Kontrolle
Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.
Freund- und Feind-Begriffe
Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.
Techniken
Sündenbock
Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.
Redenschreiben
Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.
Offener Brief
Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.
Kommunikationsverweigerung
Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.
Flugblatt
Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.
Passivierung
Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).
Aufopferungs-Topos
Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.
Opfer-Topos
Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.
Analogie-Topos
Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.
Topos der düsteren Zukunftsprognose
Der Topos der düsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.
Schlagwörter
Verfassung
Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.
Toxizität / das Toxische
Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.
Zivilgesellschaft
Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.
Demokratie
Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.
Plagiat/Plagiarismus
Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.
Fake News
Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.
Lügenpresse
Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.
Antisemitismus
Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.
Grammatiknazi / Grammar Nazi
Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.
Respekt
Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.
Verschiebungen
Versicherheitlichung
In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.
Ökonomisierung
Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren
Moralisierung
Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.
Konstellationen
Skandal
Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.
DiskursReview
Review-Artikel
Relativieren – kontextualisieren – differenzieren
Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.
Wehrhafte Demokratie: Vom Wirtschaftskrieg zur Kriegswirtschaft
Weitgehend ohne Öffentlichkeit und situiert in rechtlichen Grauzonen findet derzeit die Militarisierung der ursprünglich als „Friedensprojekt“ gedachten EU statt.
Tagung 2025: „Das geht zu weit!“ Sprachlich-kommunikative Strategien der Legitimierung und Delegitimierung von Protest in öffentlichen, medialen und politischen Diskursen
„Das geht zu weit!“ Sprachlich-kommunikative Strategien der Legitimierung undDelegitimierung von Protest in öffentlichen, medialen und politischen Diskursen Tagung der Forschungsgruppe Diskursmonitor Tagung: 04. bis 5. Juni 2025 | Ort: Freie Universität...
„Remigration“ – Ein Riss im Schleier der Vagheit. Diskursive Strategien rund um das Remigrationskonzept und die Correctiv-Recherchen
Die am 10. Januar veröffentlichte Correctiv-Recherche über ein rechtes Vernetzungstreffen in Potsdam sorgte für erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit und die größten Demonstrationen gegen Rechtsaußen seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Im Fokus der Kritik…
Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023
Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...
Tagung: Zur Politisierung des Alltags – Strategische Kommunikation in öffentlichen Diskursen (01.–03.02.2023)
Die (krisenbedingt verschärfte) Politisierung der Alltagsdiskurse stehen im Zentrum der hier geplanten Tagung. Antworten auf folgende Leitfragen sollen dabei diskutiert werden: Was sind die sozialen, medial-räumlichen und sprachlichen Konstitutionsbedingungen…
Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)
Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?
Was ist ein Volk?
Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.
Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!
Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…
Über einige Neuzugänge im (täglich wachsenden) Repertoire bellizistischer Kampf- und Kontaminationsbegriffe
[1] Was haben die Ausdrücke »Eskalationsphobie«, »Friedensmeute« und »Lumpenpazifismus« gemeinsam? Nun, zuerst einmal den Umstand, dass alle drei verdienstvolle Neuprägungen unserer medio-politischen Klasse sind…