
DiskursGlossar
Affirmation
Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Überaffirmation, identitätsstiftendender sprachlicher Ausdruck
Siehe auch: Meliorisierung, Persuasion, Diskurshoheit
Autorin: Ruth M. Mell
Version: 1.0 / Datum: 07.02.2022
Inhaltsübersicht
Kurzzusammenfassung
Erweiterte Begriffserklärung
Beispiele
Literatur
Zitiervorschlag
Kurzzusammenfassung
Im sprachwissenschaftlichen Sinne bezeichnet Affirmation die Behauptung oder Bejahung einer Aussage. Die affirmative Form eines Wortes oder Satzes ist das Gegenteil zur Verneinung (Negation).
Als Technik der Affirmation benennen wir daher eine kommunikative Strategie, welche Aussagen verwendet, um z.B. für ein Produkt, eine (politische) Gruppe oder eine Person zu begeistern bzw. durch eigens verwendete Wörter und vor allem Wortkombinationen (etwa in Form von Slogans) für diese zu werben und / oder eine Gruppenzugehörigkeit herzustellen bzw. diese zu stärken.
Erweiterte Begriffsklärung
Der Begriff Affirmation (lateinisch affirmatio ‚Versicherung‘, ,Beteuerung‘) bezeichnet ursprünglich eine wertende Zuschreibung, die mit Bejahung, Zustimmung, positiver Wertung oder Zuordnung beschrieben werden kann. In der Logik meint Affirmation dann konkret eine bejahende Aussage, bei der einem Subjekt (im traditionellen Sinn) ein Prädikat (Eigenschaft) zugesprochen wird. Mit dem Begriff Affirmation wird allgemein Zustimmung und Bejahung zum Ausdruck gebracht. Affirmation wird dabei als Sprechakt des Bejahens bzw. Behauptens verstanden, kann sich aber auch auf den positiven Inhalt eines Satzes bzw. eines Urteils beziehen und diesen bezeichnen (vgl. Hügli/Lübcke 2003: 25).
Häufig findet in aktuellen Diskursen der Begriff Affirmation Anwendung in Kontexten, in denen von Achtsamkeit, Selbstheilung oder Selbsttherapie die Rede ist. Hier wird er vornehmlich auf Gedanken und Aussagen, Gebete und/oder Mantras bezogen und mit durchaus unterschiedlicher Zielsetzung adressiert. Affirmationen werden also in diesem Sinne als positiv beeinflussende Gedanken oder versprachlichte Leitsätze verstanden, die sich immer weiter verstärken und damit zu Erkenntnis, Erleuchtung und daraus folgend zu Selbstheilungsprozessen der Psyche, aber auch des Körpers führen können. Prinzipiell geht es bei der Verwendung von Affirmationen immer darum, Personen oder Personengruppen sprachlich von etwas zu überzeugen. Affirmationen spielen in der strategischen Kommunikation moderner Massenmedien, in der Politik, Werbung oder in Sozialen Netzwerken eine wichtige Rolle. In Form von Begeisterung aktivierenden Sprüchen oder Slogans sollen sie entweder eine positive Haltung gegenüber einem Produkt, einer Person oder einem Gedanken hervorrufen oder (politische oder soziale) Gruppenzugehörigkeit herstellen oder stärken.
Als rhetorische Mittel im Rahmen subversiver Argumentationsstrategien (Guerillakommunikation), bei denen es darum geht, Inkonsistenzen oder Widersprüche wahrheitsgetreu, aber in durchaus für den (politischen) Gegner möglichst unangenehmer oder gar peinlicher Weise hervorzuheben, hat sich zudem in der Kunst der Begriff Überaffirmation etabliert. Überaffirmation bezeichnet eine sprachliche Technik, die den Gegner nicht denunziert, sondern demgegenüber die gegnerische Argumentation stark bejaht und auf die Spitze treibt. Damit wird das Problematische – häufig in witziger, ironischer oder gar lächerlicher Weise – durch Übertreibung, in diesem Fall durch eine übertrieben positive Zuschreibung, sichtbar gemacht.
Beispiele
Affirmationen können kommunikativ zu unterschiedlichen Zwecken verwendet werden. Die drei häufigsten seien hier vorgestellt:
(1) Affirmation in der Politik: Yes, we can!
Insbesondere in der modernen Massenkommunikation (etwa in Sozialen Netzwerken) oder im Rahmen politischer Wahlwerbung dienen affirmative Slogans aus der Basistextsorte der Sprüche (vgl. Dimter 1981, Rolf 1993, Heinemann 2000, Heinemann/Heinemann 2002) dazu, (politische oder soziale) Gruppenzugehörigkeit durch Begeisterung zu aktivieren und dadurch entweder für den Gedanken oder die Gruppe zu begeistern. Solche Sprüche können als komprimierte Schlüsselsätze kultureller Prägung mit „postulative[m] Charakter“ (Fleischer 1991: 28) verstanden werden. Ein aktuelles Beispiel für eine politisch motivierte lexikalische Affirmation ist etwa der englischsprachige Spruch Yes, we can!, welchen Barack Obama ab 2008 als Slogan seiner Partei sowie für sich während der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten verwendete und der für seine Anhänger:innen zu einem verbindenden Element untereinander und lexikalisches ,Manifest‘ gegen die Vertreter:innen der Republikaner im Wahlkampf wurde.
(2) Affirmation in der Werbung: Yogurette – so himmlisch leicht.
Auch in der Werbung wird das sprachliche Mittel der lexikalischen Affirmation eingesetzt, um ein Produkt mit einer bestimmten Eigenschaft zu versehen oder diesem eine bestimmte Eigenschaft zuzuschreiben, welche Kundeninnen / Kunden zum Kauf animieren soll. So werden insbesondere Süßwarenprodukte in Werbeslogans häufig als besonders leicht bezeichnet, was die Eigenschaft möglichst kalorienarmer Produkte beim Verbraucher /der Verbraucherin wecken soll. So wird der Schokoriegel Yogurette mit dem Slogan himmlisch (joghurt)leicht beworben, wobei neben der Zuschreibung der himmlischen Leichtigkeit das Suffix ette ebenfalls durch seine diminutive Funktion den Eindruck evozieren soll, es handle sich bei dem Produkt nur um einen kleinen Happen mit sehr wenigen Kalorien. In den 90er Jahren wurde ein Schokoriegel mit dem Namen Milky Way versehen, in Deutschland stark beworben, der nach Aussagen der Werbung so locker und leicht sein sollte, dass er in Milch schwimmt. Auch hier dienen Produktname und Slogan dem Zweck, das Produkt attraktiver zu machen – in diesem Fall immer wieder dadurch, dass durch lexikalische Affirmation betont wird, dass die süße Nascherei für den Körper weit weniger negative Konsequenzen hat, als Naschwerk im Allgemeinen. Dies soll schlussendlich den Verbraucher / die Verbraucherin zum Kauf und dann natürlich zum Verzehr motivieren.
(3) Überaffirmation: ,Jubeldemos‘
,Jubeldemos‘ erregen selbst mit geringen Teilnehmerzahlen regelmäßig massenmediale Aufmerksamkeit, weil sie den sonst üblichen Erwartungen an die Erscheinungsform öffentlicher Proteste widersprechen: anstatt die Rolle der Gegner /des Gegners nehmen die Demonstrierenden scheinbar die Position des Befürworters ein. Studierende protestieren im Anzug zum Beispiel lautstark für höhere Studiengebühren, bedanken sich bei politischen Verantwortlichen und fordern konsequent im Sinne der Gebührenpolitik den Ausschluss von ärmeren KommilitonInnen; Friedensaktivisten / Friedensaktivistinnen schlüpfen in Uniform und bejubeln Bomben und Krieg; Gewerkschaftsmitglieder bedanken sich über eine Lohnerhöhung von 5 € mit einem Transparent: Das ist Güte – das ist gnädig. In allen Fällen erfolgt eine übertriebene Zustimmung zu politischen Programmen in ironischer Absicht, die zugleich tabuisierte oder zumindest aus Sicht der Protestierenden vernachlässigte negative Konsequenzen politischer Entscheidungen in den Vordergrund rücken.

(Screenshot einer Mobilisierungswebsite für friedensaktivistische Jubeldemos, http://www.verantwortung-jetzt.de/sk/aufruf.html, 25.01.2022)

(Screenshot einer Mobilisierungswebsite für friedensaktivistische Jubeldemos, http://www.verantwortung-jetzt.de/sk/aufruf.html, 25.01.2022)
Literatur
Zum Weiterlesen
- Hardine, Rosetta (2002): Psychology of Self-Affirmation With Assertiveness Attitude. Index of New Information with Authors, Subjects and Reference Bibliography. Washington/USA: Abbe Pub.
Zitierte Literatur
- Dimter, Matthias (1981): Textklassenkonzepte heutiger Alltagssprache. Tübingen: Niemeyer.
- Fleischer, Michael (1991): Die Semiotik des Spruches. Kulturelle Dimensionen moderner Sprüche (an deutschem und polnischem Material). Bochum: N. Brockmeyer (= Bochumer Beiträge zur Semiotik, Bd. 29).
- Heinemann, Wolfgang (2000): Typologisierung von Texten I: Kriterien. In: Brinker, Klaus/Antos, Gerd/Heinemann, Wolfgang/Sager, Sven F. (Hrsg.) (2000): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. Berlin/New York: de Gruyter, S. 507-523.
- Heinemann, Margot/Heinemann, Wolfgang (2002): Grundlagen der Textlinguistik. Interaktion – Text – Diskurs. Tübingen: Niemeyer (= Reihe Germanistische Linguistik 230).
- Hügli, Anton/Lübcke, Poul (Hrsg.) (2003): Artikel Affirmation: In: dies. Philosophielexikon. 5. Auflage. Rowohlt: Reinbek, 25.
- Rolf, Eckard (1993): Die Funktionen der Gebrauchstextsorten. Berlin/New York: de Gruyter.
Zitiervorschlag
Mell, Ruth M. (2022): Affirmation. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 04.02.2022. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/affirmation/
DiskursGlossar
Grundbegriffe
Werbung
Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.
Mediale Kontrolle
Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.
Freund- und Feind-Begriffe
Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.
Sprachpolitik / Sprachenpolitik
Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.
Sagbarkeit
Im öffentlichen Diskurs findet sich häufig die strategische Behauptung, dass bestimmte Fakten oder Meinungen unsagbar seien. Auf diese Weise wird zum Ausdruck gebracht, dass es Grenzen des Sagbaren gebe, die im öffentlichen Diskurs Geltung hätten.
Kulturelle Grammatik
Kulturelle Grammatik steht für ein System von Regeln und/oder etablierten Regelmäßigkeiten, die Formen richtiger und/oder normaler Kommunikation und Interaktion auszeichnen.
Begriffe besetzen
In der Linguistik wird von ‚Begriffe besetzen‘ oder von ‚semantischen Kämpfen‘ gesprochen, wenn Akteure versuchen, Wörter oder Phrasen mit bestimmten, meist parteispezifischen Bedeutungen zu prägen, oder umgekehrt für einen bestimmten Sachverhalt eine prägnante Bezeichnung zu finden. Diese Bezeichnungspolitik zielt darauf, die eigene (politische) Position zu stärken und meistens auch gleichzeitig die gegnerische Position zu schwächen.
Epistemischer Status
Als epistemischen Status bezeichnet man die Wissensbestände und -zugänge zu Ereignissen, Sachverhalten und Personen, die Gesprächsteilnehmer*innen ihrem Gegenüber in der Interaktion zuschreiben.
Politische Kommunikation
Politische Kommunikation findet überall dort statt, wo Menschen als Teil von sozialen Gruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen aufeinandertreffen und über das einzelne Individuum hinaus geltende Regeln des Zusammenlebens aushandeln.
Topos
Ein Topos (Plural: Topoi) ist als ein Argumentationsmuster ein allgemeines Formprinzip, nach dem Argumente gebildet werden können. Als allgemeiner, formaler bzw. kontextabstrakter Topos kann er für oder gegen jede in Frage stehende Position angeführt werden. Topoi gehören zum kollektiven Wissen aller, die sich argumentativ äußern.
Techniken
Negativpreis
Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.
Be-/Überlastungs-Topos
Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.
Wahlkampf
Wahlkämpfe sind Zeiten stark intensivierter politischer Kommunikation. Politische Parteien entwickeln Programme für die nächste Legislaturperiode in der Hoffnung, durch entsprechenden Stimmengewinn zu deren Umsetzung ermächtigt zu werden.
Petition
Petitionen sind eine der am meisten genutzten Partizipationsformen nach Wahlen. Sie sind sowohl ein Mittel der politischen Beteiligung als auch ein Protestmittel und damit Zwitterwesen in der politischen Landschaft. Durch die Digitalisierung haben sich Petitionen zudem maßgeblich verändert, ihre Zahl hat zugenommen, ebenso wie die Zahl der Plattformen, auf denen sich Petitionen starten lassen.
Influencer / Influencerin
Influencer:innen sind Personen, die auf Social-Media-Plattformen regelmäßig selbst produzierte Inhalte publizieren und damit eine öffentliche Reichweite über ihre Follower:innen aufbauen. Influencer:innen haben das Potenzial, Rezipient:innen in ihrem Wissen, Einstellungen und Verhalten zu beeinflussen (engl. to influence).
Litigation PR
Der Begriff Litigation PR kombiniert das englische Wort litigation, das auf lat. ,lītigātiō‘ zurückgeht und für Rechtsstreitigkeit bzw. (Gerichts )Verfahren/Prozess steht, mit dem bekannten Begriff PR (Public Relations).
Memes
Der Begriff des Internet-Memes fasst eine relativ heterogene Gruppe digitaler – und zumeist multimodaler – Texte zusammen (zum Beispiel Videos, GIFs, Image Macros), die sich durch formale oder inhaltliche Gemeinsamkeiten auszeichnen und durch Imitations- und Aneignungsprozesse verbreiten.
Aufwertung/Meliorisierung
Von Aufwertung/Meliorisierung wird in der Linguistik dann gesprochen, wenn ein Wort, das ursprünglich als Fremdbezeichnung der Diffamierung einer bestimmten Volks- oder Personengruppe diente, von dieser selbst dann als positive Eigenbezeichnung verwendet wird.
Domain-Grabbing
In der Internetkommunikation finden sich verschiedene Praktiken, die aus Sicht von Dritten (v.a. Markenhaltern) als illegitime oder gar rechtswidrige Inanspruchnahme von Domain-Namen und damit verbundener Aufmerksamkeitssteuerung kritisiert werden.
Suchmaschinenoptimierung
Durch Suchmaschinenoptimierung (search engine optimization; SEO) wird versucht, Webseiten so zu verändern, dass sie von Suchmaschinen als besonders relevant betrachtet und entsprechend hoch in den Suchergebnissen gelistet werden.
Schlagwörter
Plagiat/Plagiarismus
Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.
Lügenpresse
Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.
Antisemitismus
Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.
Grammatiknazi / Grammar Nazi
Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.
Respekt
Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.
Geschlechtergerechte Sprache
Mit dem heute als Fahnenwort gebrauchten Ausdruck geschlechtergerechte Sprache ist die Forderung verbunden, bei Personenbezeichnungen die einseitige, für diskriminierend erklärte Bezugnahme auf einen bestimmten Sexus, konkret: auf das männliche Geschlecht, zu unterlassen.
Identitätspolitik
Der Ausdruck steht heute für eine politische Konstellation, in der konkurrierende Wir-Gemeinschaften mit einer Diskriminierungs- und Benachteiligungsgeschichte in der Öffentlichkeit um Anerkennung konkurrieren. An der Oberfläche geht es ‚identitären‘ Wir-Gemeinschaften darum, die eigene Diskriminierung als Ermächtigungsmotiv an die Öffentlichkeit zu tragen.
Cancel Culture
Cancel Culture ist ein Kampf- und Stigmawort, das sich in skandalisierender Absicht gegen die Praxis (und oft auch bereits gegen die Forderung) des Absagens, Ausladens, Boykottierens moralisch missliebiger und politisch bekämpfter Personen, Organisationen und Positionen in Wissenschaft, Kultur und Politik wendet.
Elite
Einmal wird unter Elite eine Auswahl der Besten und Leistungsfähigsten verstanden, einmal in distanzierender Weise eine abgehobene ‚Kaste‘ der Reichen und Mächtigen im Gegensatz zum Volk. Erstere Variante wird in der Regel zur Verteidigung der etablierten Ordnung verwendet, letztere vor allem von Rechtspopulisten.
Altpartei
Der Ausdruck Altpartei wird in jüngerer Zeit häufig im Kontext des Aufstiegs des Rechtspopulismus und der AfD gebraucht. Dabei lassen sich hauptsächlich zwei Gebrauchsvarianten beobachten: Einerseits richtet sich der Ausdruck in abwertender Weise gegen etablierte Parteien, andererseits taucht er oft in sprachkritischen Kontexten auf, wo seine Verwendung und seine Sprecher kritisiert oder diskreditiert werden.
Verschiebungen
Ökonomisierung
Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren
Moralisierung
Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.
Konstellationen
Skandal
Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.
DiskursReview
Review-Artikel
Schlaglichter des Kriegsdiskurses: eine kleine Inventarauswahl zum öffentlichen Sprachgebrauch im Frühjahr 2022
Spätestens seit dem Angriff und Einmarsch Russlands in der Ukraine dominiert der Krieg auch die bundesdeutschen Debatten und schlägt sich im Sprachgebrauch nieder. Die folgende Inventarisierung von diskursprägenden Wortfeldern, Schlagwörtern und Topoi bildet lediglich einen kleinen Ausschnitt des Geschehens ab…
Die Unordnung des Diskurses? Thesen zur semantischen Desorientierung in der gegenwärtigen medio-politischen Öffentlichkeit
Disclaimer I: Die nachfolgenden Zeilen sind das Zwischenergebnis kontinuierlicher gemeinsamer Beobachtungen und Diskussionen in der „Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention“ zu Debatten in Presse, Politik und sozialen Medien. Auch wenn diese Beobachtungen fachlich orientiert sind, liegen ihnen bisher keine systematischen Datenanalysen zugrunde.
Satzsemantik von Vorhersage und Nutzen-Risiko-Abwägung: Die STIKO-Impfempfehlung für 12- bis 17-Jährige vom 18. August 2021
“Die Forschung muss… sich in die Lage versetzen, die politischen Implikationen, die sie hat, anzunehmen und auszuforschen, um nicht beim ersten Knall der Peitsche durch alle ihr vorgehaltenen Reifen zu springen. Diese Integrität kann die Wissenschaft gerade dadurch unter Beweis stellen, dass sie dem herrschenden Druck, praktische Tabus in theoretische umzuwandeln, widersteht” (Beck 1986, 283)
Review-Rückblick
In dieser Rubrik veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen kurze Notizen zu Ereignissen oder Phänomenen, die in den vergangenen Wochen in der strategischen und öffentlichen Kommunikation zu beobachten waren. Die Texte kommentieren subjektiv, unsystematisch, teils widersprüchlich und hoffentlich pointiert. Sie erheben keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, beobachten ihren Gegenstand aber von einer diskursanalytischen und -interventionistischen Position aus und sollen zum Widerspruch einladen. Sie repräsentieren nicht die Position der Redaktion des Diskursmonitors, sondern ihrer jeweiligen Autorinnen und Autoren.
Rasse, Rassismus
1) Zu Beginn drei exemplarische Medienereignisse aus der jüngsten Vergangenheit, in denen es um den Komplex Rasse, Rassismus ging…
„Silent Hotspots“ Über wissenschaftliche Studien und strategische Kommunikation in der Corona-Pandemie
Vor wenigen Wochen rief Bundesministerin Anja Karliczek via FAZ-Interview Wissenschaftler*innen dazu auf: „Stürzt euch in den Meinungsstreit“, denn „[a]uch unsere Debatten leiden zunehmend unter Falschinformationen – die zum Teil ganz gezielt verbreitet werden“.[1] Dabei zeichnete sie ein recht monolithisches Bild von der „Wissenschaft“…
Freund-Feind-Begriffe: Zum diskurssemantischen Feld soziopolitischer Kollektivierung
Mit jeder sprachlichen Äußerung (und das schließt das Nicht-Äußern mit ein) positioniert sich der Sprecher oder Schreiber sowohl innerhalb eines von ihm intersubjektiv (re)konstruierten als auch eines objektiven (d.h. objektivierbaren) diskursiven Raum sozialer Gruppen. Möglich ist dies nur aufgrund der sozialsymbolischen (indexikalischen) Bedeutung kommunikativer Zeichen im Bühlerschen Sinne…
PR, Punk oder Provinz: Wie Corona-Forschung die Öffentlichkeit (nicht) erregt.
Jeden Tag erreichen uns neue Nachrichten, neue Zahlen, neue Grafiken zur laufenden Corona-Pandemie. Wer erinnert sich da noch daran, was vor zwei oder drei Monaten oder vor einer Woche öffentlich diskutiert wurde? Vielleicht sind nur zwei Debatten wirklich in unserem öffentlichen Gedächtnis hängen geblieben, unter anderem, weil sie es zu eigenen Twitter-Hashtags gebracht haben: #HeinsbergProtokoll und #IchHabeBesseresZuTun…
Systemrelevant! – Zum politischen Gebrauch eines neu(er)en Schlagwortes in der öffentlichen Kommunikation
Das Adjektiv systemrelevant wird verwendet, um eine Sache als wichtig für ein System auszuweisen. Meist soll durch den Ausdruck darüberhinausgehend festgestellt werden, dass der Fortbestand des Systems ohne die mit ihm markierte Sache nicht möglich oder jedenfalls gefährdet ist. Mit diesen allgemeinen lexikalischen Bedeutungsbeschreibungen ist jedoch noch nicht viel gewonnen…
Thesen zur politischen Sprache und (strategischen) Kommunikation im Pandemie-Krisendiskurs
Die gesellschaftlichen Veränderungen infolge der Corona-Pandemie haben sich auch auf die Sprache und Kommunikation des Alltags niedergeschlagen. Wie nicht nur sprachwissenschaftliche, sondern auch feuilletonistische Kurzbeiträge konstatieren, sind neue Wörter, Wendungen und Symbole entstanden…