DiskursGlossar
False Flag (Operation)
Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Lockspitzel, agent provocateur
Siehe auch: Guerillakommunikation, Propaganda, Fake News, Täuschung, Camouflage
Autorin: Christin Kölsch, Friedemann Vogel
Version: 1.3 / Datum: 15.07.2021
Kurzzusammenfassung
Als False Flag bezeichnet man ein Täuschungsmanöver (eine sogenannte ,False Flag-Operation‘), das die Verantwortung für einen Angriff auf die eigenen Ressourcen (zum Beispiel einen Terroranschlag) auf eine gegnerische Partei, Gruppe oder Nation lenkt und die tatsächliche Quelle der Verursachung zu verschleiern versucht. False Flag-Operationen sind Teil des politischen, polizeilichen, nachrichtendienstlichen und militärischen Methodenarsenals, um öffentlich umstrittene Maßnahmen (z. B. die Einschränkung von Grundrechten oder den Einsatz körperlicher Gewalt) gegen die als Schadensverursacher inszenierte Gruppe zu legitimieren. Im polizeilich-nachrichtendienstlichen Kontext werden als Agenten von False Flag-Operationen auch ,Lockspitzel‘ oder ,Agent Provocateurs‘ eingesetzt. Da der Nachweis von tatsächlichen False Flag-Operationen oftmals nur schwer (z. B. durch zufällige Enttarnungen) oder in rückblickenden wissenschaftlichen oder journalistischen Untersuchungen gelingt, wird der Ausdruck False Flag-Operation im öffentlichen Diskurs auch als Diffamierungswort zur Diskreditierung von gegnerischen politischen Aktivitäten verwendet.
Erweiterte Begriffsklärung
Der analytisch gebrauchte Begriff False Flag (Englisch für ,falsche Flagge‘) bezog sich ursprünglich auf Piratenschiffe, die Flaggen anderer Länder zur Tarnung hissten, um zu verhindern, dass ihre Opfer fliehen oder sich auf den Kampf vorbereiten konnten. Der heutige Begriff geht über seine Nutzung in der Seefahrt hinaus, indem er auch auf Täuschungsmanöver im nachrichtendienstlichen, politischen und militärischen Kontext angewendet wird (vgl. Skudlarek 2021: 34) Eine Operation unter falscher Flagge bezeichnet eine Aktion, welche die wahren Überzeugungen oder die wahren Gründe für ihre Ausführung verschleiern soll, sodass die Taten unberechtigterweise einer Person oder Gruppe zugeschrieben und Maßnahmen (Inhaftierung, Ausschluss, Gewaltanwendung usw.) gegen diese Person oder Gruppe legitimiert werden.
Im Zentrum von False Flag-Operationen steht also nicht die (auch gewaltvolle) Aktion selbst, sondern ihr symbolischer Einsatz zur Akzeptanzerhöhung für potenziell umstrittene politische Aktivitäten oder zur Delegitimierung von Diskursakteuren (z. B. Kriminalisierung sozialer Protestbewegungen). Ihr Einsatz findet sich – soweit bekannt – vor allem im Vorfeld von kriegerisch-gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Bevölkerungsgruppen oder generell in Diskurskonstellationen mit instabiler Hegemonie. Entsprechend lassen sich False Flag-Operationen auch in Friedenszeiten beobachten, da sie eine der wenigen Möglichkeiten darstellen, zu dieser Zeit unter Umgehung der (staatlichen) Souveränität Einfluss auf die Angelegenheiten einer Gruppe/eines Staates zu nehmen.
Ein Motiv für eine False Flag-Operation kann zum Beispiel der Versucht sein, gesellschaftliche Machtverschiebungen zu verhindern. Dies war etwa der Fall bei der Planung (und teilweise auch Durchführung) von Aktionen in Italien in den 1960er und 70er Jahren, die eine drohende Regierungsbeteiligung der Kommunistischen Partei Italiens verhindern sollten. Ausführende Akteure solcher Operationen sind – wie im Fall der Zündung einer Autobombe nahe dem italienischen Ort Peteano im Jahr 1972, die drei Tote zur Folge hatte und für welche die linksextreme Terrororganisation Rote Brigaden verantwortlich gemacht wurde – oft geheimdienstliche und/oder militärische Spezialeinheiten, die als geheime Guerillakommandos mit ihren Aktionen die öffentliche Meinung – hier zuungunsten der politischen Linken – manipulieren sollen (vgl. Latsch 2005). Derart inszenierte Angriffe auf die eigene Bevölkerung haben als Teil einer „Strategie der Spannung“ (Latsch 2005) das Potential, die Bevölkerung stärker an Staat oder Regierung als ‚Garanten zur Wiederherstellung oder Stabilisierung öffentlicher Sicherheit‘ zu binden.
Verwandt mit False Flag-Operationen ist der rechtlich umstrittene Einsatz von Lockspitzeln oder agent provocateurs. Der Ausdruck agent provocateur wird insbesondere im materiell-strafrechtlichen Kontext, die Bezeichnung Lockspitzel eher im Zusammenhang mit staatlichen Einsätzen oder in Strafprozessen verwendet (vgl. Hübner 2020: 24). Beide Begriffe bezeichnen eine im Auftrag des Staates (vgl. Gottschalk 2013: 51) bzw. nach Billigung durch die Strafverfolgungsbehörden (vgl. Korn 2005: 102) „verdeckt arbeitende Person […], die sich nicht auf die bloße Gewinnung von Informationen beschränkt, sondern schon im Vorfeld eine spätere Tatbegehung unmittelbar beeinflusst“ (Gottschalk 2013: 51). Die Beeinflussung des Provozierten kann so weit gehen, dass „dieser eine Straftat begeht, die er sonst nicht begangen hätte“ (Gottschalk 2013: 56). Als Lockspitzel können verdeckte Ermittler oder „nicht offen ermittelnde Polizeibeamte“ zum Einsatz kommen, aber insbesondere auch Vertrauenspersonen der Polizei, welche bereits im Zielmilieu etabliert sind, in dem ermittelt werden soll (vgl. Korn 2005: 102). Auch privat agierende Personen und Detektive können – losgelöst von staatlichen Ermittlungen – als ,Lockspitzel‘ fungieren (vgl. Hübner 2020: 24). Der Aufgabenbereich des Lockspitzels umfasst das Begehen von Tatprovokationen und die Unterstützung des ohnehin tatbereiten oder tatentschlossenen Verdächtigen bei der Tat, wie zum Beispiel durch das Bieten von Gelegenheiten für die Tatumsetzung (vgl. Korn 2005: 102). Die bewusste Anstiftung zur Begehung von Straftaten durch den Lockspitzel finden Einsatz etwa bei der „Bekämpfung gefährlicher und schwer aufklärbarer Kriminalität sowie […] [beim Versuch der, Anm. der Verf.] Überführung der Tatverdächtigen […], indem er sie zur Fortsetzung einer Straftat oder zur Begehung einer weiteren Straftat verlockt, ohne deren Vollendung zu wollen“ (ebd.). Im Wesentlichen finden sich Lockspitzeleinsätze im Kampf gegen das organisierte Verbrechen, insbesondere die Drogenkriminalität und den illegalen Waffenhandel. Mittlerweile erfolgen aber auch Einsätze „im Bereich der Wirtschaftskriminalität und der allgemeinen Kriminalität“ (Maluga 2006: 393). Darüber hinaus wird „mit staatlichen Tatprovokationen versucht, vermutete Deliktsfortführungen zu verhindern, Serienstraftäter zu überführen, Ermittlungsergebnisse abzusichern sowie den Normgehorsam der Bürger zu überprüfen. Einen Sonderfall dürften darüber hinaus die der Diskreditierung extremer politischer Oppositionen dienenden Lockspitzeleinsätze bilden, wie sie etwa im NPD-Verbotsverfahren in Erscheinung traten“ (Gottschalk 2013: 51).
In rechtlicher Perspektive wird mit dem Einsatz einer Person als Lockspitzel der legale Rahmen überschritten oder werden die gesetzlichen Richtlinien durch die ermittelnde Person zumindest ausgedehnt. Aus diesem Grund ist im juristischen Fachdiskurs umstritten, inwiefern Lockspitzel-Einsätze zulässig sind und ob bzw. wann sich der Lockspitzel selbst durch sein Handeln strafbar macht. Trotz kontroverser Diskussionen herrscht dahingehend Einigkeit, „dass von einer Unzulässigkeit dann auszugehen ist, wenn die Tatprovokation nicht mehr mit dem Rechtsstaatsprinzip […] zu vereinbaren“ sei (Gottschalk 2013: 53) und „das tatprovozierende Verhalten des ‚Lockspitzels‘ ein solches Gewicht erlangt hat, dass demgegenüber der eigene Beitrag des Täters in den Hintergrund tritt“ (BGH, zitiert nach Korn 2005: 103). „Die Grenze der zulässigen Einwirkung“ liege dabei „nicht etwa dort, wo eine Anstiftung beginnt, sondern erst da, wo das Verhalten der heimlichen Ermittler ‚künstliche Kriminalität schafft‘ und damit Sinn und Zweck der Strafverfolgung konterkariert werden“ (Korn 2005: 103).
Das Ansetzen eines ,agent provocateurs‘ auf unbescholtene Bürger ,auf gut Glück‘ gilt in der Rechtsdogmatik als unzulässig (vgl. Gottschalk 2013: 60 f.) und ist daher im Falle der Aufdeckung (siehe Beispiele unten) Gegenstand strategischer Umdeutungsversuche.
Als Gegenstrategie zu False Flag-Operationen kann ihre generelle Objektivierung und inszenierte Aufdeckung gelten. Wer in der politischen Kommunikation allerdings den Verdacht einer False Flag-Operation oder eines Einsatzes von agent provocateurs äußert, setzt sich in der Regel dem Vorwurf aus, eine (erfundene oder jedenfalls illegitim geäußerte) Verschwörungstheorie in die Welt zu setzen. Im Kampf um die Deutungshoheit werden daher von kritisierenden Akteuren (behauptete) Belege oder Indizien ins Feld geführt, auf die die beschuldigte Gruppe ihrerseits mit Dementi und/oder Rekontextualisierung reagiert. Die Einführung von (gar eidesstattlichen Augen-)Zeugenberichten durch ,Insider‘ oder durch BeobachterInnen und die Auseinandersetzung um die Glaubwürdigkeit dieser Berichte spielen dabei eine hervorgehobene Rolle.
Setzt sich in der öffentlichen Debatte mehrheitlich das Bild eines moralisch illegitimen und/oder widerrechtlichen Einsatzes von False Flag- oder Lockspitzel-Operationen durch, wertet dies tendenziell die Diskursposition derjenigen auf, die als ‚Opfer‘ der Operation gelten und auf deren öffentliche Diskreditierung (als vermeintliche Täter) die Operation zielte. Mit anderen Worten: False Flag-Operationen konstituieren im Erfolgsfall ein großes moralisches Identifikationspotential der Bevölkerung mit den politisch-militärischen Eliten und verschaffen letzteren weitreichende Handlungsvollmachten, gegen die (vermeintlichen) Angreifer vorzugehen; bei Misserfolg (Aufdeckung auch nur des Versuchs) jedoch droht schlimmstenfalls die Solidarisierung der Bevölkerung mit den inkriminierten Opfern der Operation bzw. die Abwendung von den Eliten.
Eine gewisse Ähnlichkeit mit False Flag-Operationen haben schließlich auch verschiedene Techniken und Praktiken aus dem Kontext der Guerillakommunikation. Hierzu gehört etwa die Nachahmung und gezielte Übertreibung von öffentlichen Gegner-Images, um auf verdeckte Widersprüche im Wertemodell der gegnerischen Selbstpräsentation hinzuweisen (zu Identitätsdiebstahl, Überidentifikation, Imagebeschmutzung oder -korrektur; vgl. Blisset/Brünzels 2012). Im Unterschied zu geheimhaltungsbedürftigen False Flag-Operationen kalkulieren die hier genannten Techniken der Guerillakommunikation aber eine öffentliche Selbst- oder Fremdentlarvung als Aufmerksamkeitsmagnet fest mit ein.
In beiden Fällen – sowohl in der staatlich-organisationellen Form wie auch bei guerillakommunikativen False Flag-Aktionen – ist das Vertrauen des Publikums in die (politischen, wirtschaftlichen etc.) Akteure die umkämpfe Ressource. Beim hegemonialen Einsatz der Technik hängt alles davon ab, dass die Wahrheit nicht ans Licht kommt; der guerillakommunikative Einsatz kalkuliert dagegen die öffentliche Entlarvung als Aufmerksamkeitsressource bewusst ein. In beiden Fällen geht es also um das Vertrauen des Publikums in hegemoniale Inszenierungen: Im ersten Fall wird es vorausgesetzt, im zweiten Fall verunsichert.
Von False Flag-Operationen als Praktik zu unterscheiden ist die strategische Verwendung des Ausdrucks false flag (oder entsprechender Synonyme) als Schlagwort bzw. Diffamierungsvokabel zur pauschalisierenden Diskreditierung einer gegnerischen (politischen und/oder militärischen) Gruppe. Der Einsatz als Schlagwort zielt darauf ab, die Glaubwürdigkeit und moralisch-rechtliche Integrität von gegnerischen Aktivitäten (öffentliche Äußerungen, politische Konzepte usw.) zu beschädigen und damit zugleich die eigene Diskursposition aufwerten zu können. Gelingt dieser Versuch auch nur annähernd (zum Beispiel durch das Stehenbleiben ‚berechtigter Zweifel‘), droht den beschuldigten (diskreditierten) Personen die moralisch-öffentliche Ächtung und ein Ausschluss aus der für ihre Interessen relevanten Diskursgemeinschaft.
Beispiele
Problematisch bei der Suche nach geeigneten Beispielen zu False Flag-Operationen ist, dass solche Täuschungsmanöver zum Ziel haben, die tatsächlich Verantwortlichen zu verschleiern. Daher bedürfen sie umfangreicher Ermittlungen und im besten Falle auch Geständnisse von Personen, welche an der Tat beteiligt waren, oder Augenzeugenberichte, die mit Belegen gestützt werden. Andernfalls ist nur schwer oder gar nicht zu unterscheiden, wann es sich um eine False Flag-Operation im engeren Sinne einer strategischen Technik oder um den strategischen Versuch einer öffentlichen Stigmatisierung von politischen Aktivitäten als ‚unehrliches‘ Täuschungsmanöver handelt.
(1) Am 31. August 1939 stürmten im Rahmen einer False Flag-Operation sechs als polnische Freischärler verkleidete SS-Männer um Sturmbannführer Alfred Naujocks den deutschen Radiosender Gleiwitz. Der eidesstattlichen Erklärung von Alfred Naujock nach habe der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Reinhard Heydrich, „persönlich [befohlen], einen Anschlag […] in der Nähe der polnischen Grenze vorzutäuschen und es so erscheinen zu lassen, als wären Polen die Angreifer gewesen. Heydrich sagte: ‚Ein tatsächlicher Beweis für polnische Übergriffe ist für die Auslandspresse und für die deutsche Propaganda nötig‘“ (Hofer 2007: 398 f.). Die deutschen Angreifer überwältigten das Personal des Senders und verkündeten anschließend auf Polnisch und Deutsch: „Achtung! Achtung! Hier ist das polnische Freiheitskomitee. Der Rundfunksender Gleiwitz ist in unserer Hand. Die Stunde der Freiheit ist gekommen!“ (Zentner 1979: 192). Um den inszenierten polnischen Angriff in der damaligen deutschen Öffentlichkeit weiter zu stützen, kam es in derselben Nacht noch zu weiteren ,Grenzzwischenfällen‘ in Oberschlesien, bei denen zum Beispiel ein deutsches Forsthaus nahe der Stadt Pitschen (Byczyna) und die Zollstation in Hochlinden (Stodoły) von als polnische Soldaten verkleideten Männern überfallen wurden (vgl. Zerback 2017).
(2) Im Rahmen der Demonstrationen zum G8-Gipfel 2007 in Rostock (Heiligendamm) wurden nach Angaben von Presse und Augenzeugen zivile Polizeibeamte sowohl als Informanten als auch als agent provocateur eingesetzt. Ein Polizist habe sich als ‚Autonomer‘ (schwarze Kleidung) unter die Demonstranten gemischt und die Beteiligten aktiv zum Steinewerfen gegen Polizeikräfte angestachelt („Rauf auf die Bullen“; so DIE WELT [2007]). Wenngleich die Polizei diese Berichte vehement dementierte, so passen die Augenzeugenberichte zur Delegitimierungsstrategie der G8-Sondereinheit Kavala, die schon weit im Vorfeld der ersten Demonstrationen auf eine öffentliche Kriminalisierung der Demonstrierenden zielte (vgl. Dießelmann 2015).
(3) Im Anschluss an die Besetzung des Kapitols durch Anhänger der Trump-Regierung am 06.01.2021, die weltweite Kritik an Trumps öffentlicher Kommunikation sowie ein erneutes Amtsenthebungsverfahren zur Folge hatte, versuchten Mitglieder der Republikanischen Partei in Oregon das Ereignis als „a ‚false flag‘ operation“ der Demokraten zu markieren. Ziel der Aktion, so der damalige Vorwurf, sei die Diskreditierung der republikanischen Regierung und „to create a ‚sham motivation‘ to impeach the former president“ (The Guardian 2021). Als kommunikative Gegenstrategie wurde der False Flag-Vorwurf von Demokraten und anderen Trump-Kritikern wiederum als ,conspiracy theory‘ zurückgewiesen (Gebrauch des Ausdrucks Verschwörungstheorie als Kontaminationswort und Strategie des Diskursausschlusses).
Literatur
Zitierte Literatur
- Autonome Afrika-Gruppe; Blissett, Luther; Brünzels, Sonja (2012): Handbuch der Kommunikationsguerilla. Berlin; Hamburg: Assoziation A.
- Der Spiegel (2005): Die dunkle Seite des Westens. Online unter: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-39997525.html ; Zugriff: 23.06.2021.
- Dießelmann, Anna-Lena (2015): Ausnahmezustand im Sicherheits- und Krisendiskurs. Eine diskurstheoretische Studie mit Fallanalysen. Univ. Diss. Siegen: Universi Univ.-Verl.
- DIE WELT (2021): Der Polizist, der „Rauf auf die Bullen“ schrie. Online unter: https://www.welt.de/politik/article931690/Der-Polizist-der-Rauf-auf-die-Bullen-schrie.html ; Zugriff: 24.04.2023.
- Gottschalk, Florian (2013): Verfahrenshindernis bei Tatprovokation durch Lockspitzel? Staatliche Tatprovokationen im Lichte der Rechtsprechung des EGMR. In: Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft (StudZR), Heft 1, Jg. 10, S. 49–78.
- Hofer, Walther (2007): Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges. Darstellung und Dokumente. Berlin: LIT.
- Hübner, Yannic (2020): Rechtsstaatswidrig, aber straflos? Der agent provocateur-Einsatz und seine strafrechtlichen Konsequenzen. Frankfurt a. M.: Nomos.
- Korn, Dörthe (2005): Defizite bei der Umsetzung der EMRK im deutschen Strafverfahren. V-Leute, Lockspitzel, Telefonüberwachung von Rechtsanwälten. Berlin: Duncker & Humblot.
- Maluga, Gabriele (2006): V-Leute und Lockspitzel. In: Roggan, Fredrik; Kutscha, Martin (Hrsg.): Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit. Berlin: Berliner Wiss.-Verl, S. 388–402.
- Skudlarek, Jan (2021): Wahrheit und Verschwörung. Wie wir erkennen, was echt und wirklich ist. Stuttgart: Reclam Taschenbuch.
- The Guardian (2021): Oregon Republican party falsely suggests US Capitol attack was a ‚false flag‘. Online unter: https://www.theguardian.com/us-news/2021/jan/25/oregon-republican-party-us-capitol-breach-false-flag ; Zugriff: 24.04.2023.
- Vogel, Friedemann (2020): Freund-Feind-Begriffe: Zum diskurssemantischen Feld soziopolitischer Kollektivierung. In: Diskursmonitor. Online-Plattform zur Aufklärung und Dokumentation von strategischer Kommunikation. Online unter: https://diskursmonitor.de/review/arbeitspapiere-fv-1/ ; Zugriff: 07.04.2023.
- ZEIT Online (2017): Kriegslügen. Angriff: jetzt! Online unter: https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2017/03/kriegsluegen-zweiter-weltkrieg-deutschland-polen ; Zugriff: 23.06.2021.
- Zentner, Christian (1979): Der Kriegsausbruch. 1. September 1939: Daten, Bilder, Dokumente. Frankfurt a. M.; Wien: Ullstein.
Zitiervorschlag
Kölsch, Christin und Vogel, Friedemann (2021): False Flag. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 15.07.2021. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/False-Flag.
Grundbegriffe
Argumentation
Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.
Hegemonie
Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.
Diskurskompetenz
Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.
Agenda Setting
Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.
Medien
Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.
Macht
Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.
Normalismus
Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.
Wissen
Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.
Werbung
Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.
Mediale Kontrolle
Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.
Techniken
Nicht-Entschuldigen / Nonpology
Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen.
Hashtag
Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).
Diminutiv
Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).
Sündenbock
Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.
Redenschreiben
Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.
Offener Brief
Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.
Kommunikationsverweigerung
Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.
Flugblatt
Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.
Passivierung
Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).
Aufopferungs-Topos
Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.
Schlagwörter
Verfassung
Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.
Toxizität / das Toxische
Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.
Zivilgesellschaft
Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.
Demokratie
Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.
Plagiat/Plagiarismus
Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.
Fake News
Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.
Lügenpresse
Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.
Antisemitismus
Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.
Grammatiknazi / Grammar Nazi
Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.
Respekt
Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.
Verschiebungen
Versicherheitlichung
In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.
Ökonomisierung
Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren
Moralisierung
Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.
Konstellationen
Skandal
Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.