DiskursGlossar

Remigration

Kategorie: Schlagwörter
Verwandte Ausdrücke: Rückwanderung, „Ausländer raus!“, ethnische Säuberung
Siehe auch: Schlagwort, Euphemismus, Radikalisierung, Links-Mitte-Rechts
Autor/in: Floris Biskamp
Version: 1.0 / Datum: 14.05.2025

Kurzzusammenfassung

Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihre Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen. Eine wichtige diskursive Funktion des Begriffes bestand lange darin, extreme Politiken in einen harmlos und vornehm klingenden Begriff zu kleiden. Dies ist in Deutschland seit 2024 kaum noch möglich, weil der Begriff in der Öffentlichkeit nun weitgehend mit der zweiten Verwendungsweise identifiziert wird und als Zeichen von Extremismus gilt.

Erweiterte Begriffsklärung

Den beiden Verwendungsweisen des Begriffs entsprechen zwei Begriffsgeschichten.

Die Geschichte der heute eher marginalen, politisch neutralen Verwendung lässt sich im Englischen bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen (vgl. Oxford English Dictionary 2009). Mit der Ausbildung einer expliziten Debatte über Migration seit dem 20. Jahrhundert finden sich immer mehr Beispiele für diese Verwendung, die sich bis in die jüngste Vergangenheit fortsetzt – auch in der Wissenschaft (z. B. Currle 2006; Krumme 2004). In dieser Verwendungsweise wird der Begriff Remigration analog zu den etablierten Begriffen der Emigration und der Immigration verwendet. Demnach bezeichnet Emigration die Auswanderung aus einem Land, Immigration die Einwanderung in ein Land und Remigration die Rückwanderung in das Land, aus dem jemand zuvor emigriert ist (Rückkehrmigration). Allerdings spielte der Remigrationsbegriff in der Migrationsforschung nur eine geringe Rolle und zählt nicht zu deren Schlüsselbegriffen.

Die Geschichte der politischen Verwendungsweise in Rechtsaußendiskursen lässt sich bis in die 1960er zurückverfolgen, nämlich in Diskurse der Neuen Rechten, zunächst in Frankreich und später in Deutschland (vgl. Wagner 2025). In diesen Diskursen ist der Begriff Remigration eine vornehme Deckformel für den Straßenslogan Ausländer raus! Deutschland den Deutschen! Im Extremfall steht Remigration dann für die Fantasie einer ethnisch homogenen Bevölkerung, die erreicht werden soll, indem alle nicht ethnisch deutschen Gruppen dazu bewegt werden, das Land zu verlassen. Bei den in Deutschland geborenen Nachfahr:innen von Immigrant:innen soll die ‚Rückwanderung‘ in die Heimatregion der Vorfahr:innen führen. In weniger extremen Versionen bezieht sich die Forderung lediglich auf etwas enger begrenzte Gruppen, die als besonders unerwünscht gelten und bei deren Ausweisung die extreme Rechte auf breitere Zustimmung hoffen kann. Dazu zählen z. B. ‚kriminelle Ausländer‘, ‚illegale Ausländer‘, ‚nicht integrationsbereite Ausländer‘ oder Kriegsflüchtlinge nach Ende des entsprechenden Krieges. Die vorgeschlagenen Mittel reichen von der bloßen ‚Werbung‘ für Emigration aus Deutschland, über die Schaffung positiver finanzieller Anreize (Rückreiseprämie) und Versuche, das Leben in Deutschland unangenehm zu machen, bis zu direktem Zwang.

Bis 2024 lassen sich vor allem zwei Funktionen der politischen Begriffsverwendung in Rechtsaußendiskursen beschreiben. Die erste besteht darin, ein extremes und aggressives politisches Programm in eine intellektuell und vornehm klingende Bezeichnung zu kleiden und sie so für Außenstehende harmlos erscheinen zu lassen. Die zweite Funktion ergibt sich aus der Vagheit des Begriffs. Das Bedeutungsspektrum erstreckt sich von einer extremen Politik der ethnischen Säuberung, die nur bei einer kleinen politisch extremen Minderheit auf Zustimmung stoßen würde, über Programme der Ausweisung von überschaubaren Gruppen, für die sich in der politischen Mitte Zustimmung finden ließe, bis hin zur individuell frei gewählten Rückkehr in ein Herkunftsland, die politisch weitgehend unkontrovers ist. Wenn Rechtsaußenakteur:innen den Begriff verwenden, können sie davon ausgehen, dass dies bei den extremeren Anhänger:innen als Signal für eine extreme Position wahrgenommen wird; zugleich können sie gegenüber anderen Beobachter:innen stets darauf beharren, dass der Begriff nur ganz harmlose Prozesse meine.

Die Effektivität dieser ersten beiden Funktionen ist in Deutschland heute deutlich eingeschränkt. Hauptgrund ist die im Januar 2024 veröffentlichte Recherche der journalistischen Online-Plattform Correctiv, in der über ein rechtes Vernetzungstreffen in Potsdam berichtet wurde (vgl. Bensmann et al. 2024). Dieser Bericht machte erstmals eine breitere Öffentlichkeit in Deutschland auf den Remigrationsbegriff aufmerksam und zeigte zugleich, dass das Konzept im Umfeld der AfD auch auf deutsche Staatsbürger:innen ‚mit Migrationshintergrund‘ bezogen, also recht extrem ausgelegt wird. Seither kann Remigration in Deutschland kaum noch als harmlos klingender Deckbegriff fungieren.

Durch das verstärkte öffentliche Bewusstsein für den Begriff und seine mithin extreme Bedeutung, hat sich seine strategische Funktion entsprechend verändert. Auf der einen Seite wird er nun vermehrt von Gegner:innen des Rechtsaußenlagers genutzt, um Rechtsaußenpolitik als extrem und menschenfeindlich zu stigmatisieren. Zwar verweisen Gegner:innen der Neuen Rechten schon lange darauf, dass diese unter dem Begriff der Remigration eine extreme Agenda vertritt. Allerdings hat sich die Resonanz für diese Argumentation seit 2024 erheblich ausgeweitet – und damit auch die stigmatisierende Verwendung. Die Aussage, dass die AfD eine Remigrations-Agenda betreibt, funktioniert heute weithin als Verweis auf den rechtsextremen Charakter der Partei. Der 2024 erfolgte Wandel der Funktionsweise des Begriffs lässt sich auch daran zeigen, dass die AfD ihn bereits zur Europawahl 2019 und zur Bundestagswahl 2021 in ihren Wahlprogrammen verwendete, dies aber kaum öffentliche Aufmerksamkeit erregte. Als die Partei es jedoch im Bundestagswahlprogramm 2025 wieder tat, wurde es weithin kommentiert und als Beleg ihrer extremen Position gewertet.

Das Rechtsaußenlager verwendet den Begriff weiter, allerdings nun mit leicht veränderten Funktionen, wobei wiederum zwei zu nennen sind. Erstens signalisiert die fortgesetzte Benutzung Unbeugsamkeit gegenüber öffentlichem Druck. In der Parteitagsrede im Januar 2025, in der Alice Weidel die Aufnahme des Begriffs in das Bundestagswahlprogramm rechtfertigt, beschreibt sie die migrationspolitische Position der Partei und sagt dann: Und wenn es Remigration heißen soll, dann heißt es eben Re-migra-tion! Damit macht sie deutlich, dass man sich den Begriff nicht verbieten lässt – im Vorfeld gab es Kontroversen um seine Aufnahme ins Programm. Zweitens buchstabiert die Partei den Begriff nun konkreter aus und betont, dass sie darunter ausschließlich Politiken fasst, die mit dem Grundgesetz vereinbar seien, also z. B. keinen Ausreisezwang gegen deutsche Staatsbürger:innen implizieren. So kann sie sich wiederum als ein böswillig missverstandenes Opfer inszenieren.

Beispiele

(1) Im folgenden Absatz des Textes Geheimplan gegen Deutschland stellt die Plattform Correctiv über den Begriff der Remigration eine Verbindung zwischen dem Aktivisten Martin Sellner, der AfD und einer extremen Agenda her:

Das rechtsradikale Konzept der Remigration: Sellners Ansichten sind nicht neu. In dessen Buch ‚Regime Change von Rechts‘ das 2023 in dem rechtsradikalen Verlag von Götz Kubitschek erschien, gibt Sellner die Linie vor: ‚Das rechte Hauptziel‘ sei die Bewahrung der ‚ethnokulturellen Identität und Substanz‘, dazu sei ‚eine radikale Wende‘ notwendig, um den ‚Bevölkerungsaustausch‘ aufzuhalten. Dafür müsse man ‚die Politik der Remigration‘ anwenden. In dem Buch fordert der Kopf der Identitären Bewegung die ‚Revision‘ von bestehenden Staatsbürgerschaften und verweist auf ‚entsprechende Konzepte rechter Parteien und Bewegung‘. Der Text ist einfach zu übersetzen: Es geht auch um die Vorbereitung einer millionenfachen Vertreibung. Die Nähe zwischen Sellner und AfD-Politikern ist schon länger zu beobachten. (Bensmann et al. 2024)

(2) In ihrem Programm zur Bundestagswahl 2025 verwendet die AfD den Begriff weiter. Zwar betont sie dabei explizit die Verfassungskonformität ihrer Auslegung des Begriffs und somit die eigene Verfassungstreue. Allerdings macht sie mit der bloßen Tatsache der Verwendung auch deutlich, dass sie angesichts von Kritik nicht zurückweicht.

Unser Maßnahmenkatalog zur Umkehr dieses migrationspolitischen Staatsversagens heißt Remigration und umfasst folgende Maßnahmen, die bereits heute der geltenden Rechtslage entsprechen oder sich jedenfalls mittels verfassungskonformer Gesetzesänderungen umsetzen lassen: [Darauf folgt eine Liste mit fünf konkreten politischen Forderungen.] (AfD 2025: 101)

(3) Hier ein Beispiel für die neutrale Begriffsverwendung in der Migrationsforschung:

‚Remigration‘ und ‚Rückkehr‘ bezeichnen Teilbereiche von Migrationsprozessen, die aus den unterschiedlichsten Gründen erfolgen können. Grundsätzlich wird der Begriff der Rückkehrmigration verwendet, wenn Personen in ihr Herkunftsland zurückkehren, nachdem sie eine signifikante Zeit nicht im Landverbracht haben. Bei der Definition der Zeitspanne im Aufnahmeland sollte zwischen dauerhafter (gemäß der Definition der Vereinten Nationen ab einem Jahr Aufenthalt) und temporärer Migration (unter einem Jahr Aufenthalt) unterschieden werden. (Currle 2006)

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Wagner, Florian (2025): Remigration. In: Bartels, Inken; Löhr, Isabella; Reinecke, Christiane; Schäfer, Philipp; Stielike, Laura; Stierl, Maurice (Hrsg.): Inventar der Migrationsbegriffe. Osnabrück: osnadocs. Online unter: https://osnadocs.ub.uni-osnabrueck.de/handle/ds-2025021912178 ; Zugriff: 07.05.2025.

Zitierte Literatur und Belege

  • AfD (2025): Zeit für Deutschland. Programm der Alternative für Deutschland für die Wahl zum 21. Deutschen Bundestag. Online unter: https://www.afd.de/wp-content/uploads/2025/02/AfD_Bundestagswahlprogramm2025_web.pdf ; Zugriff: 07.05.2025.
  • Bensmann, Marcus; von Daniels, Justus; Dowideit, Annette; Peters, Jean; Keller, Gabriela (2024): Geheimplan gegen Deutschland. In: correctiv.org. Online unter: https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/ ; Zugriff: 07.05.2025.
  • Currle, Edda (2006): Theorieansätze zur Erklärung von Rückkehr und Remigration. In: Sozialwissenschaftlicher Fachinformationsdienst soFid, Migration und ethnische Minderheiten, Jg. 2006, Heft 2, Leibniz: GESIS, S. 7–23.
  • Krumme, Helen (2004): Fortwährende Remigration: Das transnationale Pendeln türkischer Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten im Ruhestand / Continual Return: Transnational Circular Migration of Turkish Migrant Workers in Retirement. In: Best, Henning; Kusche, Isabel; Röhl, Tobias; Scheele, Alexandra; Schulz-Schaeffer, Ingo; Teney, Céline (Hrsg.): Zeitschrift für Soziologie, Jg. 33, Heft 2, Berlin: De Gruyter, S. 138–153.
  • Oxford English Dictionary (2009): remigration, n. Meanings, etymology and more. In: Oxford English Dictionary. Online unter: https://www.oed.com/dictionary/remigration_n ; Zugriff: 07.05.2025.
  • Wagner, Florian (2025): Remigration. In: Bartels, Inken; Löhr, Isabella; Reinecke, Christiane; Schäfer, Philipp; Stielike, Laura; Stierl, Maurice (Hrsg.): Inventar der Migrationsbegriffe. Osnabrück: osnadocs. Online unter: https://osnadocs.ub.uni-osnabrueck.de/handle/ds-2025021912178 ; Zugriff: 07.05.2025.

Zitiervorschlag

Biskamp, Floris (2025): Remigration. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 14.05.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/remigration.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Diskurssemantische Verschiebung

Mit dem Begriff der diskurssemantischen Verschiebung wird in der Diskursforschung ein Wandel in der öffentlichen Sprache und Kommunikation verstanden, der auf mittel- oder län-gerfristige Veränderung des Denkens, Handelns und/oder Fühlens größerer Gesellschafts-gruppen hinweist.

Domäne

Der Begriff der Domäne ist aus der soziologisch orientierten Sprachforschung in die Diskursforschung übernommen worden. Hier wird der Begriff dafür verwendet, um Muster im Sprachgebrauch und kollektiven Denken von sozialen Gruppen nach situationsübergreifenden Tätigkeitsbereichen zu sortieren.

Positionieren

Positionieren ist Grundbestandteil menschlicher Kommunikation. Wann immer wir miteinander interagieren und kommunizieren, bringen wir uns selbst, andere und die Objekte, über die wir sprechen, in bestimmte Relationen zueinander.

Deutungsmuster

Unter einem Deutungsmuster wird die problem- und lösungsbezogene Interpretation gesellschaftlicher und politischer Tatbestände verstanden, die Aussicht auf Akzeptanz in sozialen Gruppen hat. Der Begriff des Deutungsmusters hat Ähnlichkeit mit den Begriffen der Theorie und Ideologie. Meist werden gesellschaftlich verbreitete Leitdeutungen, die oft mit Schlagwörtern und Argumentationsmustern einhergehen (wie Globalisierung, Kapitalismus, Leistungsgesellschaft, Chancengleichheit etc.) als Beispiele für Deutungsmuster genannt.

Sinnformel

‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.

Praktik

Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Narrativ

Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Techniken

Dogwhistle

Unter Dogwhistle wird in Teilen der Forschung eine doppeldeutige Äußerung verstanden, die eine offene und eine verdeckte Botschaft an jeweils eine Zuhörerschaft kommuniziert.

Boykottaufruf

Der Boykottaufruf ist eine Maßnahme, die darauf abzielt, ein Ziel, also meist eine Verhaltensänderung des Boykottierten, hervorzurufen, indem zu einem Abbruch etwa der wirtschaftlichen oder sozialen Beziehungen zu diesem aufgefordert wird.

Tabuisieren

Das Wort Tabuisierung bezeichnet die Praxis, etwas Unerwünschtes, Anstößiges oder Peinliches unsichtbar zu machen oder als nicht akzeptabel zu markieren. Das Tabuisierte gilt dann moralisch als unsagbar, unzeigbar oder unmachbar.

Aus dem Zusammenhang reißen

Das Aus-dem-Zusammenhang-Reißen gehört in den Funktionskreis der Redewiedergabe bzw. der Wiedergabe kommunikativer Ereignisse. Es kann (1) als intentionale argumentativ-polemische Strategie für ganz unterschiedliche diskursive Zielsetzungen von Akteuren genutzt werden, oder (2) es kann SprecherInnen und SchreiberInnen in unbeabsichtigter, fehlerhafter Weise unterlaufen.

Lobbying

Lobbying ist eine Form strategischer Kommunikation, die sich primär an Akteure in der Politik richtet. Beim Lobbying wird ein Bündel von kommunikativen Tätigkeiten mit dem Ziel eingesetzt, die Entscheidungen von Personen mit politischem Mandat oder den Entstehungsprozess von neuen Gesetzestexten interessengeleitet zu beeinflussen.

Karten

Karten dienen dazu, Raumausschnitte im Hinblick auf ausgewählte Charakteristika so darzustellen, dass die Informationen unmittelbar in ihrem Zusammenhang erfasst und gut kommuniziert werden können. Dazu ist es notwendig, Daten und Darstellungsweisen auszuwählen und komplexe und oft umkämpfte Prozesse der Wirklichkeit in einfachen Darstellungen zu fixieren.

Pressemitteilung

Pressemitteilungen sind standardisierte Mitteilungen von Organisationen, die sich an Journalist:innen und andere Multiplikator:innen richten. Sie dienen der offiziellen und zitierfähigen Informationsweitergabe und übernehmen zugleich strategische Funktionen in der öffentlichen Kommunikation und Meinungssteuerung.

Shitstorm

Der Begriff Shitstorm beschreibt eine relativ junge Diskurskonstellation, die seit den 2010er Jahren an Bedeutung gewonnen hat und gemeinhin als Online-Wutausbruch bezeichnet wer-den kann.

Tarnschrift

Als Tarnschrift bezeichnet man unter den Bedingungen von Zensur und Verfolgungsrisiko veröffentliche Texte, die insbesondere in der strategischen Kommunikation des NS-Widerstands eine zentrale Rolle spielten.

Ortsbenennung

Die Benennung von Orten dient in erster Linie dazu, den jeweiligen geografischen Ort zu lokalisieren und ihn zu identifizieren. Doch Ortsnamen besitzen eine soziale Dimension und spielen eine entscheidende Rolle bei der sprachlich-kulturellen Identitätskonstruktion.

Schlagwörter

Echokammer

Der Begriff der Echokammer steht in seiner heutigen Verwendung vor allem im Zusammenhang mit der Nutzung Sozialer Medien. Er verweist metaphorisch auf einen digitalen Kommunikations- und Resonanzraum, in dem Mediennutzer*innen lediglich Inhalten begegnen, die ihre eigenen, bereits bestehenden Ansichten bestätigen, während abweichende Perspektiven und Meinungen ausgeblendet bzw. abgelehnt werden.

Relativieren

Der Ausdruck relativieren besitzt zwei zentrale Bedeutungsvarianten: In bildungssprachlichen und wissenschaftlichen Kontexten bezeichnet er eine analytische Praxis, bei der Aussagen, Begriffe oder Phänomene durch Bezugnahme auf andere Sachverhalte eingeordnet, differen-ziert und in ihrer Geltung präzisiert werden.

Massendemokratie

Geprägt wurde der Begriff Massendemokratie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von völkisch-konservativen Akteuren (prominent darunter Carl Schmitt 1926). Der Ausdruck Masse hatte damals bei den bürgerlichen Eliten eine rundum bedrohliche Assoziation.

Social Bots

Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.

Kriegsmüdigkeit

Der Ausdruck Kriegsmüdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische Ermüdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch für das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.

Woke

Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.

Identität

Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.

Wohlstand

Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

Radikalisierung

Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.

Bürokratie

Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.

Verschiebungen

Dehumanisierung

Mit Dehumanisierung bzw. Anthropomorphisierung werden solche kommunikativen Techniken und Praktiken bezeichnet, die Personen, Sachverhalten oder Gegenständen menschliche Eigenschaften ab- bzw. zusprechen. Dehumanisierung und Anthropomorphisierung können sowohl durch sprachliche Mittel als auch durch andere, z. B. bildliche, Zeichen vollzogen werden.

Kriminalisierung

Kriminalität meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden.

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Partizipatorischer Diskurs

Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament

Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)

Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit

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Die Macht der Worte 3/4: Sprachliche Denkschablonen

DiskursReview Die Macht der Worte (3/4):Sprachliche Denkschablonen Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe

DiskursReview Die Macht der Worte (2/4): Freund-Feind-Begriffe Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen

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Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.