DiskursGlossar

Skandalisierung

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Affäre, Skandalruf
Siehe auch: Skandal, Moralisierung, Entlarven
Autor/in: Marie Freischlad und Felix Tripps
Version: 1.2 / Datum: 06.11.2023

Kurzzusammenfassung

Der Begriff Skandalisierung beschreibt eine kommunikative Technik, die darauf abzielt, Sachverhalte und damit in Zusammenhang stehende Handlungen von gesellschaftsrelevanten Akteuren wie z. B. Unternehmen, Politiker:innen oder anderen Personen des öffentlichen Lebens medienwirksam als ‚Verletzung einer geltenden moralischen Norm‘ zu bewerten. Dadurch soll bei einer relevanten Teilöffentlichkeit Entrüstung ausgelöst werden, die genutzt wird, um diese Wertung in der Medienöffentlichkeit nachhaltig durchzusetzen und so letztlich die Diskurskonstellation des Skandals herbeizuführen. Entsteht ein solcher (Medien-)Skandal, hat dies zumeist negative Konsequenzen für den skandalisierten Akteur (z. B. Imageverlust). Diese Folgeeffekte sind häufig das eigentliche Handlungsziel.

Skandalisierungen sind somit ein Werkzeug der Strategischen Kommunikation im Kampf um mediale Aufmerksamkeit, Deutungshoheit sowie Selbst- und Fremdpositionierungen als ‚gut‘ bzw. ‚böse‘. Ihre Funktionsweise basiert auf der Moralisierung von Handlungen und mit ihnen in Bezug stehenden Sachverhalten sowie deren emotionalisierende Darstellung. Sie werden häufig in der Politischen Kommunikation eingesetzt, können grundsätzlich aber in allen Diskursdomänen verwendet werden.

Erweiterte Begriffsklärung

Die Technik des Skandalisierens kann als ‚Herstellungsverfahren‘ verstanden werden, das sich insbesondere darstellerischer und sprachlicher Mittel bedient, um eine bestehende Diskurslage in die Konstellation eines Skandals zu überführen. Im Zentrum steht die medienwirksame Anprangerung eines Sachverhalts und damit in Bezug stehenden (unterlassenen) Handlungen, die als ‚Verletzung des geltenden Wertekodex‘ bewertet werden. Wird diese Deutung von einer empörungsbereiten Teilöffentlichkeit übernommen und medial (re)produziert, führt die so generierte Entrüstungsreaktion zur beabsichtigten Diskursverschiebung.

Durch das Anprangern von Handlungen und Sachverhalten als ‚moralisch verwerflich‘ erzeugen Skandalisierungen eine polarisierende Unterscheidung von ‚gut‘ und ‚böse‘ (vgl. Burkhardt 2011: 151). Ihre Handlungs- und Wirkungsmechanismen gründen sich daher insbesondere auf die Moralisierung bzw. Polarisierung, die sich kommunikativ zumeist durch eine selektive, stark komplexitätsreduzierte und zuweilen auch personalisierte Darstellung des skandalisierten Sachverhalts ausdrücken (vgl. Villinger 2014: 293).

Die Motive für den Einsatz dieser kommunikativen Technik können unterschiedlicher Natur sein und nebeneinander bestehen:

  1. Beispielsweise kann ein Sachverhalt mit der implizierten oder inszenierten Absicht skandalisiert werden, den angeprangerten Missstand zu beheben. Mithilfe der hervorgerufenen Empörungsreaktionen soll genug gesellschaftlicher und politischer Handlungsdruck erzeugt werden, um relevante Entscheidungsträger zur Ursachenbeseitigung zu bewegen (siehe Beispiel 2). Ob sich Skandalisierungen dafür eignen, strukturelle Missstände tatsächlich zu beheben oder ob sie zumeist auf die „Vorderbühne der Darstellungspolitik“ (Villinger 2014: 296) des „politische[n] Theater[s]“ (Käsler 1991) beschränkt bleiben, wird in der Skandalforschung allerdings hinterfragt.
  2. Ebenso kann die Technik des Skandalisierens gezielt angewendet werden, um dem Ansehen eines unliebsamen Akteurs (z. B. eines politischen Gegners) zu schaden und ihn – bei gleichzeitiger Selbstverortung in der ‚Gemeinschaft der Guten‘ – moralisch zu diskreditieren (vgl. Hitzler 1989). Das angestrebte Ziel kann hierbei der Imageverlust, der politischer Machtverlust oder die gesellschaftliche Ausgrenzung bzw. Sanktionierung des skandalisierten Akteurs sein. Der so motivierte Einsatz von Skandalisierungen kann beispielsweise in Wahlkampfperioden regelmäßig beobachtet werden. (siehe Beispiel 1).
  3. Drittens können Skandalisierungen zur Reproduktion und Festigung bestehender Moralvorstellungen und Rollenerwartungen innerhalb einer Gruppe angewendet werden (siehe Beispiel 4): Wird das Verhalten eines Gruppenmitglieds als ‚Verletzung des geltenden Wertekodex‘ skandalisiert und diese Wertung vom überwiegenden Teil der Gruppe übernommen, führt die Übernahme dieser Deutung zur Stärkung der damit als gültig gesetzten Handlungsnorm (vgl. auch Durkheim 2014: 437 ff.).
  4. Viertens kann es insbesondere für politische Akteure unter bestimmten Umständen aus aufmerksamkeitsökonomischen Gründen von Nutzen sein, „um die eigene Person oder aus der eigenen Person einen Skandal zu machen“ (Hitzler 1987: 24). Hitzler spricht in diesem Zusammenhang von „Selbst-Skandalisierung“ als „Aufmerksamkeitserreger“ (Hitzler 1987: 25). Durch eine bewusst anstößige Äußerung über einen Sachverhalt kann ein Akteur z. B. eine empörte Reaktion einer bestimmten Teilöffentlichkeit provozieren, um die mediale Aufmerksamkeit auf sich und den von ihm angesprochenen Sachverhalt zu lenken. Ist das Ziel der Aufmerksamkeitserregung erreicht, kann der skandalisierte Akteur anschließend kommunikativ ,zurückrudern‘, um die von ihm eingepreisten negativen Folgen der Skandalisierung gering zu halten.

Die Technik der Skandalisierung kann überall dort zielführend eingesetzt werden, wo Akteursinteressen und/oder Machtbeziehungen ausgehandelt werden und wo an moralische Wertvorstellungen angeknüpft werden kann. Daher ist sie nicht an bestimmte Gesellschaftsdomänen gebunden und kann grundsätzlich von jedem Akteur genutzt werden, der an der Herbeiführung eines Skandals ein wie auch immer geartetes Interesse hat (z. B. in Politik, Wirtschaft, Sport).

Obwohl Skandalisierungen auf vergleichsweise einfachen Handlungs- und Wirkungsmechanismen beruhen, handelt es sich dabei um einen komplexen und zugleich „fragilen“ (Bulkow/Petersen 2011: 17) Kommunikationsprozess, der in der Praxis zu komplexen Dynamiken führen kann, die nicht immer vorhersehbar sind. Um eine Diskursverschiebung mittels Skandalisierung zu ermöglichen, müssen grundsätzlich die Rollen des skandalisierenden Akteurs, der empörten Teilgesellschaft als ‚Skandalpublikum‘ sowie die des skandalisierten Akteurs aus Neckels (1989) Skandaltrirade besetzt sein (für Näheres dazu siehe Skandal). Bedingung für eine geglückte Skandalisierung ist außerdem die Übernahme der Skandalbewertung durch das Skandalpublikum (vgl. Bulkow/Petersen 2011: 14), das nur so zur Entrüstung motiviert werden kann. Da die beabsichtigte Empörungsreaktion den ‚Motor‘ des diskursiven Verschiebungsprozesses darstellt, sind auch die (massen-)mediale Aufmerksamkeit von glaubwürdigen (vgl. Dellwing 2014: 289) und reichweitestarken Akteuren und ihre (Re-)Produktion in der Berichterstattung von zentraler Bedeutung, um eine ausreichend große Teilöffentlichkeit zu mobilisieren (vgl. Bulkow/Petersen 2011: 14 f.; Burkhardt 2011: 135). Als ein weiterer Erfolgsfaktor hat sich außerdem die moralische Fallhöhe des skandalisierten Akteurs herausgestellt (vgl. Bösch 2011: 33 f.; Burkhardt 2011: 140). Je stärker ein Akteur in der öffentlichen Wahrnehmung bestimmten gesellschaftsmoralischen Normen verpflichtet ist, desto naheliegender ist die Empörungsreaktion auf einen vermeintlichen Verstoß. Kern der Skandalisierung ist allerdings die sprachliche Vermittlung der postulierten Normverletzung, sodass die Perspektivierung des Sachverhalts und eine emotionsbetonte Ereignisdarstellung entscheidend zum Ausmaß des Empörungsgeschehens beitragen.

Gängige Komplementärtechniken der Skandalisierung, die für zusätzliche Aufmerksamkeit sorgen und/oder dem Zweck dienen, das moralische Urteil zu legitimieren, sind auf sozialmedialer Ebene die Initiierung eines Shitstorms, Anzeige gegen den skandalisierten Akteur zu erstatten oder auf parlamentarischer Ebene die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu bemühen.

Skandalisierte Akteure haben üblicherweise ein Interesse daran, die Entstehung eines Skandals zu verhindern und damit einhergehende negative Konsequenzen zu vermeiden. Sie reagieren darum auf ihre Skandalisierung zumeist mit kommunikativen Gegenstrategien, deren Erfolg allerdings hochgradig einzelfall- und kontextabhängig ist. Da keine von diesen eine Erfolgsgarantie in sich trägt, lassen sich lediglich eine Reihe von musterhaft wiederkehrenden Reaktionen auf Skandalisierungsversuche beschreiben:

  • Geht die Skandalisierung von einem Akteur mit geringer Reichweite und Diskursmacht aus, kann es zielführend sein, sie schlicht zu ignorieren, um weitere Aufmerksamkeit auf den Skandalisierungsversuch zu vermeiden. Andernfalls kann versucht werden, die Glaubwürdigkeit der Skandalisierer durch eine Gegenskandalisierung zu untergraben, um eigene Imageschäden zu kompensieren.
  • Eine weitere Gegenstrategie besteht darin, sich auf einen Deutungskampf bezüglich des skandalisierten Sachverhalts einzulassen (siehe Perspektivierung) und ein alternatives Deutungsangebot zu formulieren, das das eigene Handeln nicht als ‚moralisch verwerflich‘, sondern bspw. als ‚ehrlichen Fehler‘ oder als ‚moralisch unerheblich‘ wertet (Bagatellisierung).
  • Wurde die Skandalbewertung in der Öffentlichkeit bereits weitestgehend übernommen, kann häufig die Inszenierung von Reparationshandlungen seitens des skandalisierten Akteurs wie bspw. reuevolle Entschuldigungen oder die (vermeintlichen) Korrektur des beklagten Missstandes beobachtet werden.
 

Beispiele

(1) Baerbocks Sachbuch und der Wahlkampf

Während des Wahlkampfs für die Bundestagswahl 2021 warf der Plagiatsgutachter Stefan Weber der Grünen-Politikerin und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in mehreren Blogartikeln zahlreiche Urheberrechtsverletzungen in ihrem kurz zuvor veröffentlichten Sachbuch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ vor (vgl. Weber 2021). Es dauerte daraufhin nicht lange, bis diese Vorwürfe auch massenmedial aufgegriffen wurden. Angesichts der Unüblichkeit von Quellenverzeichnissen in Sachbüchern wurden die Vorwürfe in der Medienöffentlichkeit kontrovers diskutiert, und von vielen skandalisierenden Stimmen als (bezahlte) Schmutzkampagne gegen die Grünen-Politikerin gewertet (vgl. Büüsker 2021). In einigen Artikeln konnten zudem Tendenzen von medialer Gegenskandalisierung beobachtet werden.

(2) Von Arbeitsbedingungen in der Fleisch verarbeitenden Industrie

Im Juni 2020 wurde der Tönnies-Konzern im Zuge eines Covid-19-Massenausbruchs (erneut) wegen schlechter Arbeitsbedingungen und mangelhafter Wohn- und Hygienestandards in Sammelunterkünften zum Ziel von Skandalisierungshandlungen. Von den widrigen Arbeitsbedingungen, die branchenweit beklagt wurden, waren insbesondere Mitarbeiter:innen osteuropäischer Herkunft betroffen, die über Werkverträge von Subunternehmer angestellt wurden. Wegen der hohen medialen Aufmerksamkeit forcierte die Politik die Ausarbeitung eines lange geplanten und geforderten Gesetzesentwurfs, der die Arbeitssituation in der Branche verbessern sollte (vgl. Zeit Online 2020). Seit Januar 2021 ist der Einsatz von Werkvertrags- und Leiharbeitnehmern im Bereich Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung verboten (vgl. Haufe 2020).

(3) Skandalisierung eines Facebook-Postings von AfD-Politikerin Beatrix von Storch

In einem Interview mit dem Mannheimer Morgen im Januar 2016 (vgl. Mack/Serif 2016) forderte die damalige Vorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD), Frauke Petry, Deutschland müsse die illegale Einreise unregistrierter Flüchtlinge nach Deutschland notfalls mit Waffengewalt verhindern. Ihre Parteikollegin Beatrix von Storch unterstützte wenig später die Forderung, indem sie auf Facebook postete: „Wer das HALT an unserer Grenze nicht akzeptiert, der ist ein Angreifer. Und gegen Angriffe müssen wir uns verteidigen“. Daraufhin wurde von Storch von einem Facebook-User gefragt, ob sie etwa auch Frauen und Kinder mit Waffengewalt am Grenzübertritt hindern wolle und antwortete mit einem kurzen „Ja.“ (s. Abbildung).

Antwort Beatrix technischer Fehler
Abb.1: Tweet von Beatrix von Storch; Antwort auf Kommentar.

Die erwartbaren Skandalisierungen dieser Äußerung ließen vor allem auf Social-Media-Plattformen wie Twitter nicht lange auf sich warten. Nur einen Tag nach ihrer Antwort ruderte von Storch daraufhin zurück und postete als Reaktion auf die Empörung: „Ich bin grundsätzlich gegen Gewalt gegen Kinder, das umfasst auch den Einsatz von Schusswaffen gegen minderjährige Migranten durch die Polizei“. Sie erklärte außerdem, dass ihre bejahende Antwort auf die Frage ein „technischer Fehler“ gewesen und sie auf ihrer Computermaus „abgerutscht“ sei (s. hierzu SpiegelOnline 2016).

Der Fall illustriert, wie sich antizipierbare Skandalisierungshandlungen anderer nutzen lassen, um durch gezielte, mutmaßlich nicht ernst gemeinte Provokationen kurzzeitig Aufmerksamkeit für die eigene Person (bzw. Partei) zu generieren.

(4)Meine Oma, die Umweltsau“: Skandalisierungsdynamiken und Komplementärtechnik

Im Dezember 2019 löste eine vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) produzierte und auf Facebook veröffentlichte Satire-Version des Kinderliedes „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ einen Shitstorm gegen den WDR aus. Der Sender hatte mit dem WDR-Kinderchor eine neue Version des Liedes mit verändertem Text aufgenommen, in dem die aus dem Original bekannte Oma auf die altbekannte Melodie von den Kindern nun unter anderem als Umweltsau besungen wurde. Damit sollte die seinerzeit in den Medien sehr präsente Debatte um Klimagerechtigkeit satirisch begleitet werden. Befeuert von User:innen aus dem rechten Spektrum warf eine empörte Teilcommunity auf Twitter dem Sender daraufhin Beleidigung und Respektlosigkeit gegenüber Senior:innen und die Instrumentalisierung von Kindern vor, wie es auch aus einem Tweet des damaligen NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet zusammenfassend herausgelesen werden konnte. Den Shitstorm konterte die gegenpositionierte Netzcommunity (u. a. der Satiriker Jan Böhmermann), die das Lied als Satire verteidigten (vgl. Ernst 2019). Die Reaktion des Senders, den Beitrag zu löschen und in einer Sondersendung aufzuarbeiten, in der sich Chefintendant Tom Buhrow persönlich entschuldigte, brachte ihm den Vorwurf ein, vor einem von rechts orchestrierten Shitstorm eingeknickt und den Redakteur:innen in den Rücken gefallen zu sein. Der Frage, worin der ‚eigentliche‘ Moralverstoß bestand, wurde massenmedial diskutiert und führte zu (Gegen-)Demonstrationen vor dem WDR-Gebäude (vgl. RND 2020a). Der Sender erhielt zahlreichen Anzeigen u. a. wegen öffentlicher Beleidigung oder Schmähung älterer Personen (vgl. FAZ 2020). Die AfD-Fraktion trug den Vorfall außerdem als Tagesordnungspunkt an den Kultur- und Medienausschuss des NRW-Landtag heran (vgl. RND 2020b).

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Holly, Werner; Burkhardt, Armin; Pape, Kornelia (2003): Die Ordnung des Skandals. Zur diskurssemantischen Beschreibung eines ‚Frame‘ am Beispiel der CDU-Spendenaffäre. In: Sprache und Glaubwürdigkeit: Linguistik des politischen Skandals. Opladen: Westdeutscher Verlag.

  • Kepplinger, Mathias (2018): Medien und Skandale. Wiesbaden: Springer VS.

  • Siebert, Sandra (2011): Angeprangert!: Medien als Motor öffentlicher Empörung. Marburg: Tectum.

Zitierte Literatur und Belege

    Abbildungsverzeichnis

    Zitiervorschlag

    Freischlad, Marie und Tripps, Felix (2023): Skandalisierung. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 06.11.2023. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/skandalisierung.

    DiskursGlossar

    Grundbegriffe

    Kontextualisieren

    Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

    Narrativ

    Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

    Argumentation

    Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

    Hegemonie

    Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

    Diskurskompetenz

    Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

    Agenda Setting

    Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

    Medien

    Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

    Macht

    Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

    Metapher

    In der politischen Berichterstattung ist oft davon die Rede, dass eine bestimmte Partei einen Gesetzesentwurf blockiert. Weil das Wort in diesem Zusammenhang so konventionell ist, kann man leicht übersehen, dass es sich dabei um eine Metapher handelt.

    Normalismus

    Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

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    Kontaktschuld-Topos

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    Schlagbilder

    Der Terminus Schlagbild bezeichnet mehr oder weniger inszenierte Bilder. Ihre Bedeutung beruht nicht nur auf ihren sichtbaren (ikonischen) Formen, sondern vielmehr auf den symbolischen Inhalten, die sich durch vielfache mediale Wiederholung und Konventionen gefestigt haben.

    Invektivität / Metainvektivität

    Invektivität ist ein Überbegriff für den Phänomenbereich der Herabsetzung und Ausschließung mittels symbolischer Praktiken. In Invektiven (z.B. Spott, Beleidigung, sprachliche Aggression, Diskriminierung, Hassrede) werden Einzelnen oder Gruppen marginalisierte oder niedrige soziale Positionen zugeschrieben, Zugehörigkeiten zu Gemeinschaften abgesprochen oder Identitäten negiert.

    Parole

    Die Parole ist ein kleines, potentes sprachliches Werkzeug, das in der politischen Kommunikation unerlässlich ist und zweckgebunden in politischen Mobilisierungen eingesetzt wird.

    Komposita

    . In der politischen Rhetorik tragen Komposita zur Prägnanz und Emotionalität von Botschaften bei, indem sie komplexe Sachverhalte und politische Themen in zentralen Begriffen bündeln, in griffige Schlagworte packen und diese für den gesellschaftlichen Diskurs zur Verfügung stellen (zum Beispiel Krisenmodus, Zeitenwende oder Rückführungspatenschaften).

    Nicht-Entschuldigen / Nonpology

    Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen.

    Liken

    Die eigentliche Funktion des Likens geht jedoch über das Signalisieren von Zustimmung hinaus und ist konstitutiv für das Funktionieren sozialer Medienplattformen und das Aushandeln von verschiedenen Formen der Sozialität auf diesen.

    Hashtag

    Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).

    Diminutiv

    Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).

    Sündenbock

    Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.

    Schlagwörter

    Bürokratie

    Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.

    Politisch korrekt / Politische Korrektheit

    Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt.

    Kipppunkt

    Als öffentliches Schlagwort ist Kipppunkt Teil eines Argumentationsmusters: es behauptet ein ‚Herannahen und baldiges Überschreiten einer unumkehrbaren Sachverhaltsänderung, die fatale bzw. dystopische Folgeschäden auslöst, wenn nicht umgehend bestimmte Maßnahmen eingeleitet oder unterlassen werden.‘

    Verfassung

    Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

    Toxizität / das Toxische

    Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

    Zivilgesellschaft

    Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

    Demokratie

    Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

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    Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

    Fake News

    Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

    Lügenpresse

    Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

    Verschiebungen

    Versicherheitlichung

    In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

    Ökonomisierung

    Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

    Moralisierung

    Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

    Konstellationen

    Skandal

    Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

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