DiskursGlossar
Korpus
Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte Ausdrücke: Textkorpus, Teilkorpus, Referenzkorspus, Korpuslinguistik
Siehe auch: Schlagwort, Diskursverschiebung
Autor: Jan Oliver Rüdiger
Version: 1.3 / 31.01.2021
Kurzzusammenfassung
In den Sprach- als auch Literaturwissenschaften versteht man unter Korpora (Plur. Korpora, die / Sing. Korpus, das) ganz allgemein Textsammlungen. Nach Lemnitzer und Zinsmeister (2010, S. 40) ist ein Korpus: „[…] eine Sammlung [authentischer] schriftlicher oder gesprochener Äußerungen in einer oder mehreren Sprachen“. Die Zusammenstellung erfolgt nach verschiedenen wissenschaftlichen Kriterien, die sich am zu untersuchenden Gegenstand orientieren (Bsp. 1: Soll strategische Kommunikation in politischen Reden analysiert werden, so wird ein Korpus aus ‚Politischen Reden‘ zusammengestellt, die strategisch/kommunikative Praktiken enthalten – Bsp. 2: Für die Analyse von Modalpartikeln im Fremdsprachenerwerb wird ein Korpus aus transkribierten Redebeiträgen verschiedener Erwerbsstufen benötigt). Prinzipiell kann ein Korpus auch analog (gedruckt) vorliegen und manuell ausgewertet werden – In der empirischen Linguistik ist ein Korpus aber i. d. R. immer ein digitales (maschinenlesbares) Korpus, das automatisiert (mittels Software) ausgewertet wird.
Erweiterte Begriffsklärung
Korpora bestehen nicht nur aus den Texten (den so genannten Primärdaten), sie umfassen auch eine ganze Reihe weiterer Sekundärdaten. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Metadaten und Annotationen (vgl. hierzu Perkuhn et al. (2012)). Metadaten sind Zusatzinformationen zu einzelnen Texten (z. B. der Titel, Autor*in, Datum, Textsorte etc.). Diese Metadaten können in der Korpusanalyse genutzt werden, um etwa Akteursgruppen, Zeitfenster oder Textsorten miteinander zu vergleichen bzw. sie zueinander in Beziehung zu setzen (z.B. Vergleich von Sprachgebrauchsmuster bestimmter Autor*innen / Unterschiedlicher Sprachgebrauch in zwei oder mehr definierten Zeitfenstern).
Annotationen sind Sekundärdaten, die direkt mit dem Text verknüpft sind. Annotationen können sowohl manuell erstellt oder automatisch erzeugt werden. Elektronische Korpora werden i. d. R. mehrstufig automatisch annotiert. Zusätzliche manuelle Annotationen oder Nachkorrekturen der automatischen Annotation sind je nach Forschungsinteresse notwendig. Folgende automatische Prozessschritte sind weit verbreitet: Zerteilung der Texte in einzelne Sätze, Zerteilung der Sätze in einzelne Token (Unter den Begriff ‚Token‘ fallen sowohl Wortformen (Berg, Berge, Berges etc.) als auch Satzzeichen), automatische Lemmatisierung der Token (Token: Häuser > Lemma: Haus), automatische Zuordnung der Wortart (Token: Berge > Wortart: Nomen), Annotation von Phrasen (Token: Das wundersame Fest > Phrase: Nominalphrase). Ein so aufbereitetes Korpus erlaubt sehr komplexe Analyse- und Abfragemöglichkeiten (z. B.: Suche alle Sätze mit Nominalphrasen, die das Lemma ‚Krise‘ enthalten).
Wie Mukherjee (2009) anmerkt, arbeitet die Sprachwissenschaft bereits in der ‚Vor-Computer-Zeit‘ mit Textsammlungen, also Korpora. So wird u. a. das Beispiel der Konkordanz-Analyse der King James Bibel von Alexander Curden aus dem Jahre 1736 als eine händische Korpusanalyse angeführt. Bei dieser Analyse werden Konkordanzen/Belegsätze geordnet und ggf. gefiltert. Durch diese Art der Darstellung lässt sich der Kontext einfacher erkennen und auswerten. Während man in der ‚Vor-Computer-Zeit‘ auf händische Arbeit angewiesen war (Belege abschreiben/abtippen, ausschneiden, auf Karteikarten aufkleben etc.), kann eine solche Konkordanz-Analyse heutzutage mittels entsprechender Software in Sekundenschnelle auf riesige Korpora angewendet werden. Folgendes Beispiel zeigt eine Konkordanz-Analyse zum Stichwort ‚Europa‘ in Plenarprotokollen des Europäischen Parlaments:
Grafik 1: Konkordanzen als KWIC (Keyword in Context) dargestellt.
Die ersten computergestützten Korpora entstanden Mitte des 20. Jahrhunderts. Das Brown University Corpus of Present-Day American English (vgl. Francis und Kučera (1964) war das erste rein computergestützte Korpus und umfasste bereits eine Million Wörter. Es setzte sich, wie der Name schon andeutet, aus unterschiedlichsten schriftsprachlichen Genres der amerikanischen Gegenwartssprache zusammen. Ebenfalls 1964 entstand mit dem Mannheimer Korpus I (MK_I) am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache unter der Leitung von Paul Grebe und Ulrich Engel ein vergleichbares Korpus des Deutschen mit sogar bereits 2,2 Mio. Token. Durch die Verbreitung und schnell steigenden Computerkapazitäten wuchsen auch die Möglichkeiten der Korpuslinguistik. Bereits in den 1990ern erreichte das British National Corpus (BNC) einen Umfang von über 100 Millionen Token. Im Jahr 2000 überschritt das Deutsche Referenz Korpus (DeReKo) – basierend auf dem Projekt Mannheimer Korpus (siehe oben) – die Schwelle von einer Milliarde Token. Mit Stand 02.02.2021 umfasst DeReKo 50 Milliarden Token (vgl. zur Entwicklung auch Kupietz et al. (2018)). Viele, auch kleinere, spezifischere Korpusprojekte entstanden in den letzten Jahrzehnten. Eine gute Ausgangsbasis für eigene Recherchen bietet die Plattform CLARIN – hier sind viele freie Korpus-Ressourcen gelistet.
Für das Teilprojekt Barometer im DiskursMonitor wurden verschiedene freie Korpora als Referenzkorpora aggregiert (eine Beschreibung finden Sie hier). Außerdem wurde eine Infrastruktur entwickelt, die eine LIVE-Analyse ermöglicht. Die Korpora stehen intern für Lehrstuhlprojekte aber auch externen Forschenden zur Verfügung. Besucher*innen der Webseite können auf aggregierte Korpusdaten einfache Analysen durchführen (zu den Analysen).
Beispiele
Korpora dienen nicht nur zur Suche nach Belegen. Auf ein Korpus lassen sich verschiedene (statistische) Analysen anwenden (sowohl auf die primären Textdaten als auch auf die sekundären Metadaten/Annotation – und auch in Kombination [Text <> Metadaten/Annotation]). Einen guten Überblick und eine Einbettung/Anknüpfung in die linguistischen Grundlagen bietet Bubenhofer (2009). Im folgenden haben wir eine Liste mit beispielhaften Analysen zusammengestellt, die auf den Barometer-Korpora (siehe oben) basieren und die Sie selbst explorativ testen können:
- Frequenzanalysen stellen eine einfache und effektive Möglichkeit dar, große Textsammlungen (Korpora) zu untersuchen. Mit der Frequenzanalyse lassen sich verschiedene Fragen beantworten (für detaillierter Informationen siehe Frequenzanalyse):
→ Was sind die häufigsten Token (z. B. Lemmata) in einem Korpus?
→ Wie oft kommt ein bestimmtes Token im Korpus vor?
→ Wie oft kommt ein bestimmtes Token zu einem bestimmten Zeitpunkt vor?
Dadurch wird die oben angesprochene Kombination aus Text und Metadaten (Zeit) zum Analysegegenstand. Das Resultat sind z. B. folgende Zeitverlaufsanalysen:
Grafik 2: Beispiel Frequenzverlauf zu ‚SARS-CoV-2‘ - Eine mögliche Anwendung der oben genannten Frequenzanalyse ist die Sentiment-Analysen (Sentiment von engl. Gefühl/Empfindung). Im Wesentlichen handelt es sich um eine Positiv/Negativ-Frequenzanalyse. Dieses Verfahren hat methodische Grenzen und ist daher nur unter Vorbehalt einsetzbar: Zum einen fixiert das Verfahren die Textoberfläche und erkennt Tiefenstrukturen, Kontexte, Ironie und ähnliche sprachliche Phänomene nicht; zum anderen ist die Erstellung der Ausgangslisten und damit Bewertung von Einzeläußerungen oftmals von der subjektiven Einordnung des/der Bearbeiter*in abhängig. Für weiterführende Informationen zur Sentiment-Analyse siehe hier.
Grafik 3: Sentiment-Detection im diskursmonitor LIVE-Korpus
- Schlagwörter (Keywords) geben Auskunft darüber, welche Ausdrücke zu einem Zeitpunkt (verglichen mit einem anderen Zeitpunkt) besonders auffällig häufig sind. Schlagwörter werden mithilfe eines statistischen Signifikanztests ermittelt (hier: Poisson-Verteilung). Die folgende Auswertung vergleicht unterschiedlich große Zeitabschnitte miteinander und ermöglicht damit, kurzfristige von langfristigen Diskurstrends zu differenzieren. Eine tagesaktuelle Auswertung finden Sie hier.
Grafik 4: Beispiel-Schlagworte
- Kookkurrenz-Analysen – Kookkurrenzen (engl. co-occurrence – gemeinsames Vorkommen) sind zwei Token (hier: Wörter), die innerhalb einer Textmenge besonders häufig zusammen (hier: innerhalb eines Satzes) und selten in anderen Kombinationen vorkommen (z. B. mit anderen Token). Eine interaktive Analyse finden Sie hier.
Grafik 5: Beispiel-Kookkurrenzen
- N-Gramme sind hochfrequente Wortfolgen und gehören zur Analysekategorie der Mehrworteinheiten. Das N steht dabei für eine natürliche Zahl größer 0. Durch N-Gramme lassen sich Mehrwort-Verbindungen und Sprachgebrauchsmuster in Texten identifizieren. Solche Muster können z. B. Floskeln (z. B. „Guten Tag“, „Meine Damen und Herren“ etc.), Phrasen (z. B. „den Tag nicht vor dem Abend loben“ etc.) oder syntaktische Abfolgen realisieren (z. B. „ich gehe ins“ etc.). Weitere Details zu N-Grammen finden Sie hier.
Grafik 6: N-Gramme zu ‚Merkel‘
- Konkordanz-Analyse / KWIC-Analyse
Wie im ersten Nutzungsbeispiel (siehe oben – Konkordanzen) beschrieben, kann eine Konkordanz-Analyse Einblicke in die Realisationsformen eines Token geben. Wenn Sie das einmal selbst ausprobieren möchten, finden Sie hier die Möglichkeit und weiterführende Informationen.
Grafik 7: KWIC-Belege zu Merkel
Literatur
Zitierte Literatur
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Bubenhofer, Noah (2009): Sprachgebrauchsmuster. Korpuslinguistik als Methode der Diskurs- und Kulturanalyse. Zugl.: Zürich, Univ., Diss., 2008. Berlin: de Gruyter.
Calzolari, Nicoletta et al. (Hrsg.) (2018): Proceedings of the Eleventh International Conference on Language Resources and Evaluation (LREC 2018). Miyazaki, Japan: European Language Resources Association (ELRA). -
Francis, W. Nelson; Kučera, Henry (1964): Manual of Information to Accompany‚ A Standard Sample of Present-Day Edited American English, for Use with Digital Computers*. Brown University, Providence. Department of Linguistics.
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Kupietz, Marc et al. (2018): The German Reference Corpus DeReKo: New Developments – New Opportunities. In: Calzolari, Nicoletta et al. (Hrsg.): Proceedings of the Eleventh International Conference on Language Resources and Evaluation (LREC 2018). Miyazaki, Japan: European Language Resources Association (ELRA).
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Lemnitzer, Lothar; Zinsmeister, Heike (2010): Korpuslinguistik. Eine Einführung. Tübingen: Narr Verlag.
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Mukherjee, Joybrato (2009): Anglistische Korpuslinguistik. Eine Einführung. Berlin: Schmidt.
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Perkuhn, Rainer; Keibel, Holger; Kupietz, Marc (2012): Korpuslinguistik. Paderborn: Fink.
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Scherer, Carmen (2014): Korpuslinguistik. Heidelberg: Winter.
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Stede, Manfred (2007): Korpusgestützte Textanalyse. Grundzüge der Ebenen-orientierten Textlinguistik. Tübingen: Narr.
Abbildungsverzeichnis
- Abb. 1: Konkordanzen zum Stichwort „Europa“ in den Plenarprotokollen des Europäischen Parlaments als KWIC (Keywords in Context).
- Abb. 2: Screenshot des Beispiels ‚Frequenzverlauf zu ‚SARS-CoV-2‘ auf der Seite des Korpus Onlineartikels. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/korpus/ ; Zugriff: 20.01.2021.
- Abb. 3: Screenshot der Sentiment-Detection im diskursmonitor LIVE-Korpus. Online unter: https://diskursmonitor.de/barometer/analysen/sentiment-detection/ ; Zugriff: 20.01.2021.
- Abb. 4: Screenshot der Schlagwort-Auswertung. Online unter: https://diskursmonitor.de/barometer/analysen/schlagworte/ ; Zugriff: 20.01.2021.
- Abb. 5: Screenshot der Kookkurrenzen-Auswertung im Live Korpus. Online unter: https://diskursmonitor.de/barometer/analysen/kookkurrenzen/ ; Zugriff: 20.01.2021.
- Abb. 6: Screenshot des N-Gramms im Live Korpus. Online unter: https://diskursmonitor.de/barometer/analysen/ngram/ ; Zugriff: 20.01.2021.
- Abb. 7: Screenshot der KWIC-Belege zu Merkel im Live Korpus. Online unter: https://diskursmonitor.de/barometer/analysen/kwic/ ; Zugriff: 20.01.2021.
Zitiervorschlag
Rüdiger, Jan Oliver (2021): Korpus. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 19.04.2021. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/korpus/.
Grundbegriffe
Argumentation
Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.
Hegemonie
Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.
Diskurskompetenz
Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.
Agenda Setting
Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.
Medien
Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.
Macht
Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.
Normalismus
Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.
Wissen
Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.
Werbung
Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.
Mediale Kontrolle
Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.
Techniken
Nicht-Entschuldigen / Nonpology
Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen.
Hashtag
Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).
Diminutiv
Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).
Sündenbock
Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.
Redenschreiben
Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.
Offener Brief
Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.
Kommunikationsverweigerung
Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.
Flugblatt
Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.
Passivierung
Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).
Aufopferungs-Topos
Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.
Schlagwörter
Verfassung
Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.
Toxizität / das Toxische
Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.
Zivilgesellschaft
Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.
Demokratie
Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.
Plagiat/Plagiarismus
Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.
Fake News
Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.
Lügenpresse
Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.
Antisemitismus
Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.
Grammatiknazi / Grammar Nazi
Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.
Respekt
Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.
Verschiebungen
Versicherheitlichung
In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.
Ökonomisierung
Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren
Moralisierung
Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.
Konstellationen
Skandal
Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.