DiskursGlossar
Ökonomisierung
Kategorie: Verschiebungen
Verwandte Ausdrücke: Kommerzialisierung, Rationalisierung, Kommodifizierung, In-Wert-Setzung, Finanzialisierung
Siehe auch: Moralisierung, Greenwashing
Autorin: Susanna Weber
Version: 1.3 / 22.12.2020
Kurzzusammenfassung
Ökonomisierung, dynamisierte Form von Ökonomie (‚Haushaltsführung‘, abgeleitet von griech. ‚oikos‘: ‚Haushalt‘ und ‚nomos‘: ‚Gesetz‘). Der Ausdruck wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen/durch die spezifisch wirtschaftliche Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung und Grundoperationen wie Messen, Zählen, Vergleichen in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren wie z.B. Bildung (Stichwort: ‚Die unternehmerische Hochschule‘) oder Gesundheit.
Historisch sind mit dem Begriff Ökonomisierung grundlegende Prozesse der Rationalisierung bezeichnet worden, d.h. die systematische Gestaltung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse durch effiziente Organisation von Mitteleinsatz und Ertrag.
Von Ökonomisierung wird alltagssprachlich eher in (kapitalismus-)kritischen Diskurskonstellationen gesprochen, bisweilen mit einer Tendenz zum plakativen, schlagwortartigen Gebrauch. Hier wird gerne der für einen Wahlkampf Bill Clintons genutzte Slogan „It´s the economy, stupid“ zitiert.
Erweiterte Begriffsklärung
Ökonomisierung, verstanden als grundlegende Verschiebung von oder in gesellschaftlichen Verhältnissen, ist kein neues Phänomen, sie wird schon in der klassischen politischen Ökonomie des 19. Jahrhunderts (Mill, Ricardo) und von Marx beschrieben. Marx spricht von der „durch den Maschinenbetrieb erst systematisch ausgebildete(n) Ökonomisierung der Produktionsmittel“, die Leben und Gesundheit der Arbeiter verschwende (Marx 1972, 486).
Als Rationalisierung verstand der Nationalökonom und Soziologe Max Weber die Entwicklung des modernen Kapitalismus auf der Grundlage immer effizienterer Zweck-Mittel-Organisation in Form z.B. von Bürokratisierung und Verrechtlichung, begleitet von einem umfassenden Säkularisationsprozess.
Mit Bezug auf den Ökonomen Werner Sombart kann Kommerzialisierung (s.u. auch: Merchandising und Sponsoring) bestimmt werden als ‚Vermarktlichung‘ (vermarkten im Sinne von: ‚handelbar machen‘). Eingeschlossen ist Gewinnerzielung als Zweck und die Vermittlung über Geld. In gegenwärtigen Diskursen wird meist dann von Kommerzialisierung gesprochen, wenn die beschriebenen Prozesse mit ,ideellen‘ Zielsetzungen konkurrieren: Sport als Freizeitbeschäftigung und Gesundheitsvorsorge vs. Sport als Geschäft; Gesundheitswesen als öffentliche Daseinsvorsorge vs. Gesundheitseinrichtungen als Markt.
Als eine der Voraussetzungen für Ökonomisierung bezeichnete der Historiker Karl Polanyi die Kommodifizierung, d.h. die private Aneignung ursprünglich gemeinschaftlich genutzter Naturgegebenheiten (Wald, Weiden) und ihre anschließende Nutzung zur Gewinnerzielung. Daran anknüpfend fasste Elmar Altvater entsprechende Prozesse (auch zeitgenössische) der Verwandlung von öffentlichen Gütern in Waren als Inwertsetzung (vgl. Altvater 2005).
Als historisch jüngste Form von Ökonomisierung lässt sich Finanzialisierung beschreiben, deren drastischste Auswirkungen historisch einer Entwicklungsstufe des Kapitalismus seit den 1970er Jahren zuzuordnen ist, die auch als Neoliberalismus bezeichnet wird. Kern von Finanzialisierung ist, dass Kapitalvermögen ohne jeglichen Bezug auf reale produktive Prozesse erzeugt wird, und zwar über das Börsengeschehen, also Spekulation oder über mathematisch generierte sogenannte Finanzprodukte und -verfahren, die ohne Spezialwissen nicht mehr verständlich sind (vgl. hierzu literarisch eindrücklich de Lillo 2003). Vorausgegangen war die weitgehende De-Regulierung der Finanzmärkte.
Von Kommerzialisierung als Effekt von Ökonomisierungsprozessen lässt sich z.B. beim Sponsoring und in Bezug auf Merchandising sprechen. Sponsoring ist als Praktik dem ,Spenden‘ verwandt, mit dem Unterschied, dass Spenden (jedenfalls dem Anspruch nach) ohne Erwartung einer konkreten Gegenleistung erfolgen, Sponsoring dagegen mit der Erwartung oder dem Anspruch, mindestens reputationsfördernde Erwähnung zu erhalten bis hin zur Mitsprache bei der Mittelverwendung oder weitergehenden Interventionsmöglichkeiten. Sponsoring ist mittlerweile ein regulärer Teil der Öffentlichkeits- und Image-Arbeit vieler Unternehmen, lokal bis global. Zum Teil entstehen existentielle Abhängigkeiten zwischen Sponsor und Empfängern.
Merchandising (Vermarktung) ist ein Element von Kommerzialisierung. Grundlage ist ein in der Regel schon bekannter (Marken-) Name, ein Produkt oder eine Person, deren Reputation genutzt wird, um andere Produkte zu verkaufen, von der mit van Gogh-Motiven bedruckten Bettwäsche über Fan-Artikel wie Club-Schals und -Mützen bis zu Beethoven-Bleistiften oder Kaffeetassen mit lokalen Tourismus-Attraktionen u.v.m. Auch (oder gerade?) nicht-kommerzielle Organisationen nutzen Merchandising-Praktiken, z.B. Museen, Sportvereine, Parteien.
Obwohl umstritten ist, ob Ökonomisierung als Begriff hinreichende analytische Tiefe habe (Schmeer 2018), wird er wissenschaftlich in unterschiedlichen Konzepten verwendet. Der Soziologe Ulrich Bröckling beschreibt zum Beispiel unter dem Begriff der Gouvernementalität (Foucault), die „Generalisierung der ökonomischen Form“, die zu einer „Ökonomisierung des Sozialen“ führe (Bröckling/Krasmann/Lemke 2000). Politisch-strategische Ausprägungen von Ökonomisierung wurden zwischen 2011 und 2014 im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes untersucht, das den Titel „Postdemokratie und Neoliberalismus“ trägt und diskursanalytisch und korpusbasiert große Textmengen daraufhin untersucht, inwieweit sich Ökonomisierungsprozesse (z.B. die Deregulierung der Finanzmärkte oder die Privatisierung ehemals öffentlicher Aufgaben) in der politischen Kommunikation niederschlagen (zu den Ergebnissen dieses Projektes vgl. Schaal et.al 2014).
Auf verschiedenen Ebenen situiert, aber dennoch in Zusammenhang stehen Ökonomisierung und Moralisierung, weil diskursive Interventionen auf der Ebene von Moralisierung sich häufig auf Effekte beziehen, die durch reale Entwicklungen im Modus Ökonomisierung hervorgerufen wurden: Diskurse um ,moralischen Konsum‘ (,Kauft keine Produkte, die durch Kinderarbeit erzeugt wurden!‘) oder auch ,Greenwashing‘ (z.B. ,Kompensation‘ von Umweltschädigungen durch Zahlungen, etwa bei Flugreisen) reagieren auf wachsenden Legitimationsbedarf im Rahmen politischer Kommunikation.
Beispiele
1) Ökonomisierung als struktureller Umbau eines bisher staatlich-hoheitlich organisierten Bereiches: Sicherheitsdienstleistungen, auch militärische, werden privatisiert, sodass zuvor z.B. polizeiliche Aufgaben auf private Unternehmen übertragen werden: vom Sicherheitsdienst für öffentliche Gebäude über das Betreiben von Gefängnissen (USA, UK) bis hin zur Bewachung von Atomkraftwerken (deutschlandfunk 2016). Oder bislang öffentliche Güter, vor allem Infrastrukturen wie Wasserwerke oder Verkehrswege, werden über ihre Privatisierung als Finanzprodukte umgestaltet und damit den Regeln und Risiken der Finanzmärkte ausgesetzt. Dies geschah z.B. im Rahmen des sogenannten ‚cross-border-leasings‘, bei dem Kommunen Teile ihrer Infrastruktur zunächst an Investoren verleasten, sie auf finanziell intransparenten Wegen zurückleasten und sich darüber für lange Zeit erheblich verschuldeten (vgl. Rügemer 2005).
2) Ökonomisierung als (zunächst) semantischer Umbau: New public management-Konzepte, wie sie seit Jahren v.a. in der öffentlichen Verwaltung und im Gesundheitswesen eingesetzt werden, verändern z.B. Rollen- und Kompetenz-Zuschreibungen. Aus einem Antragsteller/Patienten wird ein ‚Kunde‘, dem Autonomie (und damit Verantwortlichkeit) und Entscheidungsfähigkeit zugeschrieben werden, die ganz offensichtlich fiktiv sind. Auf der operativen Seite werden Verwaltungsakte oder einzelne medizinische Maßnahmen strikt quantifiziert und monetär bewertet (Fallpauschalen (DRG) in Kliniken). Diese Strategie führt zu öffentlichen Krankenhäusern, die wie private Anbieter als Unternehmen und nach Fallzahlen (möglichst lukrativer medizinischer Eingriffe) bewertet werden, statt nach dem lokalen Bedarf und zu Verwaltungen, deren ‚Ausstoß‘ an Kfz-Zulassungen oder Eintreibung von Bußgeldern ihre Leistungsfähigkeit und ihren Erfolg ausweisen sollen.
3) Ökonomisierung des Privaten als Kalkulation der individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse: Ein einflussreicher theoretischer Beitrag in diesem Zusammenhang ist die so genannte Humankapitaltheorie (Gary Becker und andere), deren Grundmodell das jederzeit nutzenmaximierende und entsprechende Entscheidungen treffende Individuum ist, das ausschließlich in Kosten/Nutzen-Relationen denkt und handelt, sei es eine Beziehung betreffend oder den Kauf eines Autos. Darauf beruhen politische Programme wie der ‚aktivierende Sozialstaat‘ mit der Grundfigur der Ich-AG, die das ,unternehmerische Selbst‘ im Zentrum hat, ebenso wie eine Vielzahl von kompetenzorientierten Bildungskonzepten. Grundannahme ist: Jeder bewirtschaftet sein höchst individuelles ,Kapital‘ und bringt es auf den Markt. Das Mindeste, das jeder zur Verfügung hat, ist seine Lebens- und Konsumzeit, und es gibt nichts, das sich nicht ,optimieren‘ ließe: Freie Zeit ist nicht Zeit der Muße, sondern soll als ‚quality time‘ optimiert werden, körperliche Aktivitäten haben nur Wert, wenn sie gemessen und verglichen werden (durch fitness-tracker etc.). Bildung wird grundsätzlich als Investition in Humankapital betrachtet, unterliegt also jederzeit der Kosten/Nutzen-Abwägung und soll möglichst hohe (monetäre) Renditen erbringen.
Literatur
Zum Weiterlesen
- Graf, Rüdiger (Hrsg.) (2019): Ökonomisierung. Debatten und Praktiken in der Zeitgeschichte. Göttingen: Wallstein.
Zitierte Literatur
- Marx, Karl (1972): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Band 1. Berlin/Ost: Dietz.
- Altvater, Elmar (2005): Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. Münster: Westfälisches Dampfboot.
- de Lillo, Don (2003): Cosmopolis. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
- Bröckling, Ulrich; Krasmann, Susanne; Lemke, Thomas (Hrsg.) (2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt: Suhrkamp.
- Schaal, Gary S.; Matthias Lemke; Claudia Ritzi (Hrsg.) (2014): Die Ökonomisierung der Politik in Deutschland: Eine vergleichende Politikfeldanalyse. Kritische Studien zur Demokratie. Wiesbaden: VS.
- Deutschlandfunk (2016): Privatisierung von Polizeiaufgaben. Ein Rückzug des Staates? Online unter: https://www.deutschlandfunk.de/privatisierung-von-polizeiaufgaben-ein-rueckzug-des-staates.724.de.html?dram:article_id=360178 ; Zugriff 30.11.2020.
- Rügemer, Werner (2005): Cross Border Leasing. Münster: Westfälisches Dampfboot.
- Schmeer, Marcel (2018): ‚It’s the economy, stupid …‘? Begriff und Praxis der Ökonomisierung in der Zeitgeschichte: Bericht zur Konferenz ‚Geschichte des Wirtschaftens‘ am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam vom 1. bis 3. März 2018. In: Soziopolis: Gesellschaft beobachten. Online unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-82341-3 ; Zugriff: 30.11.2023.
Zitiervorschlag
Weber, Susanna (2020): Ökonomisierung. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 23.12.2020. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/oekonomisierung.
Grundbegriffe
Argumentation
Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.
Hegemonie
Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.
Diskurskompetenz
Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.
Agenda Setting
Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.
Medien
Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.
Macht
Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.
Normalismus
Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.
Wissen
Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.
Werbung
Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.
Mediale Kontrolle
Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.
Techniken
Nicht-Entschuldigen / Nonpology
Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen.
Hashtag
Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).
Diminutiv
Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).
Sündenbock
Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.
Redenschreiben
Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.
Offener Brief
Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.
Kommunikationsverweigerung
Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.
Flugblatt
Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.
Passivierung
Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).
Aufopferungs-Topos
Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.
Schlagwörter
Verfassung
Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.
Toxizität / das Toxische
Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.
Zivilgesellschaft
Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.
Demokratie
Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.
Plagiat/Plagiarismus
Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.
Fake News
Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.
Lügenpresse
Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.
Antisemitismus
Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.
Grammatiknazi / Grammar Nazi
Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.
Respekt
Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.
Verschiebungen
Versicherheitlichung
In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.
Moralisierung
Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.
Konstellationen
Skandal
Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.