DiskursGlossar

Werbung

Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte AusdrĂŒcke: Reklame, Public Relations
Siehe auch: Strategische Kommunikation, Greenwashing, Influencer / Influencerin, Propaganda, Wahlkampf, ErzÀhlen
Autorin: Nina Janich
Version: 1.1/ Datum: 25.01.2023

Kurzzusammenfassung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf EinfĂŒhrung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt. Werbung ist daher immer und grundsĂ€tzlich persuasiv, Werbende wollen immer Einfluss nehmen auf Einstellungen und Verhaltensweisen. Hierbei wirken Werbeagenturen als Gestalter zusammen mit den Unternehmen als eigentliche Auftraggeber. Werbung ist eingebettet in weitere Kommunikationsinstrumente wie Marketing (mit weiteren AktivitĂ€ten der Markenbildung und der Verkaufsförderung) und Public Relations (d.h. einer öffentlichen Kommunikation ĂŒber weitere Leistungen des Unternehmens und seine gesellschaftliche Verantwortung).

Werbung kann klassische multimodale Formen annehmen wie Werbeanzeige, Plakat oder Kino-, Fernseh- und Hörfunkspot; sie kann aber auch ĂŒber das Internet (z.B. ĂŒber Unternehmens-Webseiten) und Social Media (z.B. durch Influencer:innen als moderne Testimonials bzw. ‚Marken-Zeugen‘ oder auch viral) stattfinden und verbreitet werden.

Durch ihre rhetorische Gestaltung, die grundlegend auf eine Kombination aus Wiederholung und Verfremdung setzt, spiegelt und befördert Werbung ĂŒber ihre unmittelbaren ökonomischen Zwecke hinaus auch – nicht selten stereotypisierte – Lebensstilorientierungen, was sie zu einem berechtigten, aber zu oft vernachlĂ€ssigten Gegenstand von Sprach- und Diskurskritik macht.

Erweiterte BegriffsklÀrung

Werbung dient eigentlich vor allem dazu, etwas (besser) zu verkaufen. Zum Beispiel Produkte wie Schokolade oder ein Auto. Oder Dienstleistungen wie eine Versicherung, ein Girokonto oder einen Bausparvertrag. Je nach Marktsituation kann es dabei vor allem darum gehen, ein Produkt neu einzufĂŒhren (z.B. ein neues Automodell) – oder seine Verkaufszahlen zu erhalten – oder den Marktanteil zu steigern. Da die Konkurrenz in einer Wohlstandsgesellschaft wie der unseren groß ist, es also – spĂ€testens seit Entwicklung der Markenartikel und ihrer Bewerbung Mitte des 20. Jahrhunderts – viele Anbieter fĂŒr das gleiche Produkt bzw. die gleichartige Dienstleistung gibt, stehen Unternehmen vor verschiedenen Herausforderungen:

  1. erst einmal die Menschen ĂŒber die Existenz von X zu informieren (X = das Unternehmen, die Marke, das Produkt, das konkrete Angebot, 
);
  2. die Menschen von einem Nutzen zu ĂŒberzeugen, dass das Produkt/die Dienstleistung also zum Beispiel sinnvoll, nĂŒtzlich, wichtig, lecker, gesund, preisgĂŒnstig, hochwertig usw. ist, und
  3. die Menschen zu ĂŒberreden, dass genau dieses Angebot dem der Konkurrenz vorzuziehen ist, dass es also nicht nur auf das Produkt/die Dienstleistung selbst, sondern auch auf die Marke ankommt.

DafĂŒr nutzen Unternehmen Werbung als Kommunikationsinstrument, meist mit UnterstĂŒtzung durch professionelle Werbeagenturen, die ganze Kampagnen, aber auch einzelne Texte und Spots entsprechend den Vorgaben der Unternehmen gestalten. Unternehmen veröffentlichen (,schalten‘) zum Beispiel Anzeigen in Zeitungen/Zeitschriften oder im Internet sowie Werbespots in Kino, Fernsehen oder Radio, sie nutzen Plakate, Prospekte, Werbebriefe oder Werbemails, sie fĂŒhren VerkaufsgesprĂ€che, erinnern ihre Kunden telefonisch an neue Angebote oder bezahlen Influencer, damit diese ihre Produkte verwenden und öffentlich loben. Kurz: Sie versuchen, in möglichst vielen Medien mit möglichst vielen Formaten prĂ€sent zu sein, und selbst Produktverpackungen nutzen sie zur Darstellung konkreter ProduktqualitĂ€ten und zur Ansprache der Konsument:innen. DafĂŒr geben sie nicht wenig Geld aus (weltweit seit 2018 ĂŒber 600.000 Mio. Dollar pro Jahr – eine Verdopplung der Ausgaben seit dem Jahr 2000 – mit weiter steigender Tendenz; vgl. Statista 2022). In der konkreten Werbegestaltung greifen sie dabei auf eine rhetorische (also persuasive und damit hochfunktionale) Textgestaltung, auf Wörter mit positiven Bedeutungen und AssoziationsspielrĂ€umen, auf rhetorische Figuren und Anspielungen, prestigetrĂ€chtigen Fremdwortschatz (z.B. aus dem Englischen) und natĂŒrlich auf Farben, Bilder und Szenen zurĂŒck, die geeignet sind, attraktive Geschichten rund um das Produkt und seine Nutzung zu erzĂ€hlen (zum werblichen Storytelling vgl. Nielsen 2019). Argumentativ wird zum Beispiel besonders gern das sog. ,Testimonial‘ genutzt, bei dem (möglicherweise auch nur angebliche) Konsument:innen das Produkt aufgrund eigener Erfahrungen loben, zum Beispiel seinen Geschmack, seine Haltbarkeit, seine Schönheit, seine EffektivitĂ€t, seinen Preis. Wenn diese ‚Zeugen‘ dann auch noch Prominente sind oder sich gar ‚auskennen‘ (zum Beispiel als Profisportler mit Sportschuhen oder auch mit fitnessfördernden ‚gesunden‘ GetrĂ€nken und Nahrungsmitteln, siehe AutoritĂ€ts-Topos), verstĂ€rkt das ihre GlaubwĂŒrdigkeit und damit auch die der gesamten Werbeargumentation.

Werbeargumentation funktioniert vielfach ĂŒber Stereotypisierung. Denn Werbung als persuasive Form gesellschaftlicher Kommunikation steht immer unter dem Druck, zugleich Aufmerksamkeit zu erregen, Akzeptanz zu erzeugen und in Erinnerung zu bleiben (vgl. diese und weitere persuasiven Funktionen von Werbung nach Stöckl 1997: 71–77). Dies gelingt, indem einerseits aufgegriffen und wiederholt wird, was bereits gesellschaftlichen Trends und Strömungen entspricht, und indem dies andererseits zugleich verfremdet wird, um möglichst originelle, einzigartige Werbe- bzw. Markenversprechen formulieren zu können (vgl. Janich 2004). Stereotype können hier zugleich der BestĂ€tigung und Verfestigung des ‚Trendigen‘ wie auch als Folie fĂŒr mehr oder weniger ĂŒberraschende Abweichungen dienen. Galt beispielsweise lange Zeit die Hausfrau, der im Haushalt von WĂ€sche ĂŒber Putzen bis zur Familienbeköstigung alles gelingt, als Maßstab weiblicher ErfĂŒllung, so findet sich dieses Stereotyp zwar immer noch in AnsĂ€tzen in Werbespots, doch nun gelingt der Frau dies alles noch neben ihrem Job und neben der notwendigen Erholung zwischendurch, zum Teil durch spontane Emanzipation, zum Teil aber auch durch tatkrĂ€ftige Mithilfe von Mann und Kindern. Das langjĂ€hrige Stereotyp der klassischen weißen Mann-Frau-1-2-Kinder-Familie wird dabei inzwischen immer hĂ€ufiger aufgebrochen beispielsweise durch homosexuelle Paare mit und ohne Kinder(n) und/oder durch ethnisch gemischte Familien. Die Frage, wie werbewirksam oder auch diskursiv ‚schĂ€dlich‘ Stereotype in der Werbung sind, ist in der Forschung allerdings durchaus umstritten (vgl. z.B. die unterschiedlichen Positionen von JĂŒrgen Bolten, Guido Zurstiege oder Inga Ellen Kastens in Janich 2019).

Um das Unternehmens- und das Markenimage zu verbessern, greifen Unternehmen neben Werbung auf ein Instrument zurĂŒck, das ĂŒblicherweise von Werbung im engeren Sinn unterschieden wird, nĂ€mlich auf Public Relations, kurz PR. Unter PR versteht man alle Kommunikationsmaßnahmen, die der Imagepflege dienen und ein Unternehmen (oder eine Marke) in ein besseres Licht rĂŒcken – und die eben nicht gleich schon konkrete Werbung darstellen, mit ihr zusammen aber ein stimmiges Bild von Unternehmen oder Marke vermitteln. Ein konkretes Instrument der PR ist beispielsweise die Pressemitteilung, mit der sich von Unternehmensseite jeweils anlassbezogen das strategische Ziel verbindet, zum Gegenstand (positiver) medialer Berichterstattung zu werden und damit die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein anderes ist der GeschĂ€ftsbericht und dort besonders der ‚Brief an die AktionĂ€re‘, der durchaus auch werbend angelegt sein kann.

Ein besonderes Feld der PR-Kommunikation bezieht sich auf die Corporate Social Responsibility, kurz CSR: Die unternehmerische Verantwortung fĂŒr das Gemeinwohl kann sich zum Beispiel im Nachhaltigkeitsbericht Ă€ußern, wie er in den letzten Jahren in der Wirtschaft immer grĂ¶ĂŸere Verbreitung gefunden hat. Es lohnt sich allerdings, genau hinzusehen, inwieweit und wofĂŒr konkret hier tatsĂ€chlich Verantwortung ĂŒbernommen wird – und was eher als rhetorische Demonstration zu deuten ist (vgl. Pedersen/Voldgaard Larsen 2023). So verwendet beispielsweise das Unternehmen NestlĂ©, das immer wieder wegen Umwelt- und GesundheitsschĂ€dlichkeit in die Kritik gerĂ€t, in seinem Nachhaltigkeitsbericht von 2021 besonders gern Formulierungen wie das treibt uns um, an x arbeiten wir gerade noch mit Hochdruck, wird uns in Zukunft immer mehr beschĂ€ftigen. Hier handelt es sich um ein sprachliches Verfahren, das das argumentative Gewicht auf eine noch laufende und damit zwangslĂ€ufig unabgeschlossene Entwicklung legt (‚Entwicklungstopos‘) – Verantwortung zeigt sich an solchen Stellen also noch nicht in Bezug auf Erreichtes, sondern erst einmal im BemĂŒhen (sehr schön zu sehen im folgenden Satz aus demselben Bericht: Hier stehen wir jedoch erst am Anfang des Weges und es gibt noch viel zu tun.) (vgl. Bonour 2021).

Aus Sicht einer kritischen Diskursbetrachtung erscheinen zwei Aspekte besonders wichtig. Zumindest wenn man Werbung – verstanden als eine Art ‚GesprĂ€ch‘ zwischen Unternehmen und Gesellschaft – als ‚Stimme im Diskurs‘ und nicht nur als ökonomisches Marketing- und Kommunikationsinstrument von Unternehmen begreift: Zum einen klingen die genannten Konzepte nach einer klaren, sauberen und transparenten Trennung verschiedener Kommunikationsinstrumente und ‑zwecke, was so in der RealitĂ€t meist nicht der Fall ist. Zum anderen bezweckt Werbung aus Unternehmenssicht zwar vor allem die Vermittlung zwischen Verkaufen und Kaufen, zwischen Anbieten und Nutzen, aber gesellschaftlich speist sie sich aus und bewirkt sie zugleich doch wesentlich grundlegendere(n) Orientierungen, was alles zu einem ‚guten Leben‘ gehört.

Zum ersten Punkt: Eigentlich gilt in der Kommunikation zumindest der sog. ‚QualitĂ€tsmedien‘ (z.B. der großen Tageszeitungen wie Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau oder SĂŒddeutsche Zeitung und Wochenzeitschriften wie ZEIT oder Der Spiegel; im Fernsehen z.B. der öffentlich-rechtlichen Sender), dass redaktionelle und werbliche Inhalte zu trennen sind. Werbung als interessengeleitete persuasive Kommunikation soll als solche also erkennbar sein, um sie vom Informations- und NeutralitĂ€tsanspruch journalistischer Nachrichten, Berichte und Reportagen unterscheiden zu können. Deshalb sind z.B. Anzeigen, die nicht wie typische Anzeigen aussehen, oft zusĂ€tzlich durch das Wort ANZEIGE (meist oben an der Seite, rechts oder links) als solche gekennzeichnet, und manche TV-Shows, in denen regelmĂ€ĂŸig Markenprodukte vorkommen, mĂŒssen per Einblendung als Dauerwerbesendung gekennzeichnet sein. Doch zielen PR-Arbeit und Werbung der Unternehmen auch darauf ab, die Themenwahl der Redakteur:innen bis hin zur konkreten Auswahl der publizierten Informationen zu beeinflussen. Werbung und Redaktionelles verschwimmt dann. AuffĂ€llig sind solche Grenzverwischungen beispielsweise in Frauenzeitschriften, wenn die neueste Mode vorgestellt wird (weil dann natĂŒrlich konkrete Produkte wie Kleidung, Schuhe, Schmuck und Accessoires abgebildet sind, deren Herkunft/Marke genannt wird, nicht selten mit Preisangabe) (ausfĂŒhrlich z.B. diskutiert bei Gruner 2018: 139-143). Es gibt aber auch deutlich unauffĂ€lligere Beeinflussungen, die – ggf. unterstĂŒtzt durch politische Lobbyarbeit – bis in wichtige wirtschafts- und gesellschaftspolitische Themenbereiche hineinreichen, indem Unternehmen mitsteuern, welche Themen in den Medien öffentlich wie akzentuiert aufgerufen werden. Social Media-Portale und ‑Netzwerke wie Twitter, Youtube, Instagram oder Tiktok lösen die Grenzen zwischen journalistisch recherchierten und redaktionell geprĂŒften Inhalten gegenĂŒber unternehmerisch lancierten Themen und Bewertungen weiter auf, weil sich hier noch sehr viel mehr Akteure mit noch weniger transparenten Interessen an der Kommunikation und öffentlichen Meinungsbildung beteiligen (Meer 2021 nennt solchermaßen verbreitete Werbung daher auch „osmotische Werbung“).

Zum zweiten Punkt: Indem Werbung ihre kommunikative Funktion der Information, Überzeugung und Überredung (d.h. der Persuasion) erfĂŒllt, vermittelt sie zwangslĂ€ufig zugleich auch Wertvorstellungen und Orientierungsmuster. Diese werden von der Werbung zwar nicht ‚erfunden‘, sondern man greift hier auf gesellschaftliche Trends zurĂŒck – aber Werbung fĂŒhrt uns solche in einem bestĂ€ndigen ‚Kampf um Aufmerksamkeit‘ doch immer wieder vor Augen (vgl. z.B. Kautt 2012). Und zwar in einer Form, die grundsĂ€tzlich erst einmal, wenn nicht ausschließlich den Zwecken des Unternehmens dient. Dies hat Auswirkungen auf unsere Lebenswelt und unseren Alltag. Wenn zum Beispiel Autos so beworben (und natĂŒrlich auch so produziert!) werden, dass erst die Summe aus Sicherheit, Raumkomfort, MotorstĂ€rke und Robustheit im GelĂ€nde ein Auto zu einem erstrebenswerten Gegenstand machen (vgl. Beispiel 1; außerdem Reisigl 2021), dann fĂŒhrt dies dazu, dass SUVs auch in der Stadt immer mehr zunehmen, obwohl sie dort mit Blick auf FußgĂ€ngersicherheit, Parkplatzprobleme und das Fehlen von ‚GelĂ€nde‘ ganz offensichtlich nicht sinnvoll und im Gegenteil ausgesprochen klimaschĂ€dlich sind. Oder wenn von der Bausparkasse ĂŒber den Baumarkt und das Möbelhaus bis hin zum Energieversorger Werbung so konzipiert wird, dass Menschen selbstverstĂ€ndlich das Ziel verfolgen (sollten), irgendwann im eigenen Haus zu wohnen (vgl. Beispiel 2; außerdem Janich 2019) – dann können diejenigen, die sich kein Haus (und oft genug nicht einmal eine gerĂ€umigere Wohnung) leisten können, dadurch systematisch unglĂŒcklich gemacht werden: eben weil sie etwas nicht/nie erreichen, was durch Werbung aber als gesellschaftlich allgemein geschĂ€tztes Lebensziel suggeriert wird. Werbung reagiert also nicht nur auf Trends, sondern generiert auch WĂŒnsche und Erwartungen an bzw. SehnsĂŒchte nach bestimmten Lebensstilen, unabhĂ€ngig davon, ob sich diese alle leisten können und ob sie ĂŒberhaupt noch vertretbar sind in einer Zeit, in der unser Konsum und Ressourcenverbrauch bedenklich an planetare Grenzen stĂ¶ĂŸt oder diese bereits ĂŒberschreitet.

Was bedeutet das fĂŒr das Werben und das Umworbenwerden? Wenn wir das marktwirtschaftliche Prinzip akzeptieren, das unserer Gesellschaft zugrunde liegt, dann können wir Werbung (bzw. vielmehr: denen, die Werbung machen) nicht vorwerfen, dass sie alle verfĂŒgbaren kommunikativen Mittel nutzen, um uns zu VerhaltensĂ€nderungen (z.B. zum Produktkauf) in ihrem ökonomischen Interesse zu bewegen (vgl. Janich 2012, auch fĂŒr das Folgende). Dennoch kann man natĂŒrlich auch von Unternehmen und ihren Manager:innen erwarten, dass sie ihre Interessen nicht rein egoistisch auf Kosten nachfolgender Generationen verfolgen, sondern dass sie sich zu einer gemeinsamen gesellschaftlichen Verantwortung fĂŒr den Erhalt des Planeten bekennen und entsprechend wirtschaftlich nachhaltig handeln (statt zum Beispiel nur so zu tun als ob: sich ökologisch besser und nachhaltiger darzustellen, als man tatsĂ€chlich mit Blick auf Ressourcengewinnung und ‑nutzung, Produktion und Verteilung ist, nennt man ‚Greenwashing‘, vgl. z.B. Stöckl/Molnar 2018).

Aber: Man kann umgekehrt auch von der Gesellschaft, also von jedem einzelnen Menschen erwarten, dass Werbung aufgrund ihrer Interessensgebundenheit anders gelesen wird als zum Beispiel die Tageszeitung, dass man ihr nicht alles glaubt und auch das Kleingedruckte (z.B. auf der Webseite oder der Produktverpackung) wahrnimmt, und dass man sich zudem ĂŒber Werbung hinaus informiert, welche Verantwortung man selbst in seinem Konsum und seiner Produkt(aus)wahl heute zu tragen hat. Oder anders gesagt: Nur weil ein Unternehmen anschaulich, glaubwĂŒrdig oder optimistisch-freundlich verspricht, dass es auf Klimafreundlichkeit, faire Preise und Arbeitsbedingungen, lokale Produktion oder unschĂ€dliche Inhaltsstoffe achtet, kurz: dass es die Probleme fĂŒr uns löst (vgl. Beispiel 3; außerdem Janich 2013), sind wir als Konsument:innen noch lange nicht aus unserer Verantwortung entlassen, unser Konsumverhalten tĂ€glich insbesondere im Blick auf Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit zu prĂŒfen.

Kritik an Werbung gibt und gab es daher schon immer (vgl. Überblick bei Janich/SchĂŒler 2020). Sie schlĂ€gt sich in der öffentlichen Kommunikation zum Beispiel nieder im sogenannten Adbusting, Anti-Branding, Anti-Campaigning oder Subvertising, wie es beispielweise in der kanadischen Zeitschrift Adbusters (https://www.adbusters.org/) betrieben wird. Auch Greenpeace kommentierte schon vor etwa 13 Jahren einen RWE-Spot zu alternativen Energien („VoRWEg gehen“) kritisch, indem die idyllisch animierten Darstellungen eines ökologischen Energie-Riesen durch konkrete Zahlen widerlegt wurden („VONWEGEN RWE – Verarschen lassen wir uns nicht!“; siehe kommentierten Spot). Eine andere Möglichkeit ist die Verleihung von Negativpreisen fĂŒr irrefĂŒhrende Werbeversprechen oder Greenwashing – zum Beispiel verleihen die Deutsche Umwelthilfe e.V. jĂ€hrlich den Goldenen Geier und Foodwatch Deutschland den Goldenen Windbeutel fĂŒr die jeweils dreistesten Umwelt- bzw. WerbelĂŒgen des Jahres. Werbung (selbst) als kritisches Instrument gerĂ€t dagegen schnell an ihre Grenzen, was die ihr gesellschaftlich zugestandenen Funktionen betrifft – die Benetton-Kampagnen der 1990er Jahre beispielsweise, die mit entsprechenden Fotoplakaten auf Krieg, Armut, Hunger u.a. aufmerksam machen wollten, stießen weitgehend auf Protest oder UnverstĂ€ndnis und damit ins Leere (vgl. Gawert/Middel 1994, Toscani 1998).

Beispiele

(1) SUV-Werbung – Mercedes GLA

Werbung 1 Mercedes
Abb. 1: Mercedes Benz: Freiheit ist ansteckend. 

Werbetext: Freiheit ist ansteckend.

Der neue GLA. Ab 15. MĂ€rz [2014] bei Ihrem Mercedes-Benz-Partner.

Suchende haben ein Zuhause. Die Integralsitze des neuen GLA geben den richtigen Halt fĂŒr eine dynamische Entdeckungstour – ganz gleich ob offroad oder online. Dank COMAND Online hat der kompakte SUV das Web immer an Bord und sichert Ihnen den Kontakt zur Außenwelt – egal wohin es Sie verschlĂ€gt. www.mercedes-benz.com/gla

Kraftstoffverbrauch innerorts/außerorts/kombiniert: 9,9-5,2/6,1-3,7/7,5-4,3 l/100 km; CO2-Emmissionen kombiniert: 175-114 mg/km; Effizienzklasse D-A.

Die Angaben beziehen sich nicht auf ein einzelnes Fahrzeug und sind nicht Bestandteil des Angebots, sondern dienen der Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Fahrzeugtypen. Das abgebildete Fahrzeug enthÀlt Sonderausstattungen.

Die Beispielanzeige von Mercedes ist sehr typisch fĂŒr SUV-Werbung, die mit Abbildungen von unwegsamem GelĂ€nde fĂŒr die SUV-typische GelĂ€ndegĂ€ngigkeit wirbt (Freiheit), diese aber zugleich in ihrer Wildheit abmildert, weil das Auto rundum Sicherheit (ein Zuhause, den richtigen Halt, sichert Kontakt zur Außenwelt) verspricht. Die Aufnahme des Modells leicht von unten lĂ€sst es dominant und sozusagen ‚unnahbar‘ erscheinen. Die dynamische Entdeckungstour, die hier mehr durch die umgebende Landschaft als durch die statische Fahrzeugdarstellung suggeriert wird, bezieht sich dabei zugleich auf die im Bild angedeutete, dabei aber sehr unaufregende Offroad-Situation als auch – metaphorisch – auf die permanente VerfĂŒgbarkeit des Webs (ganz gleich ob offroad oder online). Kritische Leser:innen mĂŒssten sich also fragen, warum eigentlich der Kontakt zur Außenwelt permanent gesichert sein muss, wenn doch das Auto zugleich als das Instrument beworben wird, sich von dieser abzusondern. (Ähnlich wird auch fĂŒr den Opel Mokka X argumentiert mit der Schlagzeile WLAN bis in die Wildnis). Andere Anzeigen, die solche SUVs in stĂ€dtischer Umgebung zeigen (z.B. den Audi Q3 Quattro in einer HĂ€userschlucht mit der Schlagzeile Querstadtein und dem Slogan Wo ein Q ist, ist auch ein Weg) verdeutlichen diese Ambivalenz mittels einer anderen Werbestrategie – immer aber geht es hier um Autos, die eben nicht primĂ€r der BewĂ€ltigung eines wirklich unwegsamen GelĂ€ndes dienen (wie es vielleicht Förster:innen, JĂ€ger:innen oder Bauern/BĂ€uerinnen brauchen können), sondern die vor allem Sicherheit – bis hin zu einem womöglich suggerierten Vorfahrtsrecht – gegenĂŒber einer (womöglich bedrohlichen) Außenwelt bieten; und dies nicht nur durch den Fahrkomfort, sondern auch durch Vernetzung mit allen möglichen virtuellen Welten. (Zu SUV-Werbung vgl. auch Reisigl 2021).

 (2) Eigenheimwerbung – Hornbach

Werbung 2 Hornbach
Abb. 2: Hornbach: Keiner spĂŒrt es so wie Du. 

Baumarkt-Werbung wie diese (Keiner spĂŒrt es so wie Du.) fĂŒhrt zu einer Überhöhung des Eigenheims, in dem die/der Besitzer:in – fast schon religiös anmutend – zur/zum Erschaffer:in von Selbstbewirktem wird (hier eines Terrassenbaus; in einem anderen Spot wird ein Gartenhaus gebaut; in einem weiteren Spot spĂŒrt ein Hausbesitzer die RenovierungsbedĂŒrftigkeit seines Hauses wie Verletzungen am eigenen Leib). Hier wird zwar – Ă€hnlich wie bei der Bausparen-Werbung zum Beispiel der LBS (Dein Weg ins eigene Zuhause. Kriegst du hin.) – auch Eigeninitiative und Eigenleistung beworben, doch bezieht sich diese durchgĂ€ngig auf das Ziel, einmal ein – meist freistehendes und von einem Garten umgebenes – Haus zu besitzen. Alternativen hierzu werden keine visualisiert oder sprachlich propagiert – einzig die Ikea-Werbung wirbt hin und wieder mit und fĂŒr kleine Wohnungen, in denen umso ordentlicher und effektiver Eigentum verstaut werden muss. (Zu einer Analyse von Eigenheim-Werbung im weiteren Sinn vgl. auch Janich 2019).

(3) Energiewende-Werbung der Bundesregierung (3a) und Kritik daran durch den BUND und den SFV Solarenergie Förderverein (3b)

Abb. 3a: Bundeministerium fĂŒr Wirtschaft und Energie: Wir haben etwas an der Energiewende gestrichen. 
adbusting werbung klimaziele
Abb. 3b: Adbusting: Wir haben etwas an der Energiewende gestrichen. 

Durch die Übernahme des ungefĂ€hren Designs der amtlichen Werbung fĂŒr die Energiewende erzielen BUND und SFV mit ihrem Adbusting einerseits Wiedererkennung, andererseits Irritation. Wo das Bundesministerium fĂŒr Wirtschaft und Energie vage bleibt, indem es mit der EEG-Reform nur Nachteile gestrichen habe, werden die Kritiker an der EEG-Reform (AbgewĂŒrgt. Nix verstanden) konkret, indem sie zahlreiche konkrete Aspekte auffĂŒhren, die durch die EEG-Reform tatsĂ€chlich gestrichen wĂŒrden (wie Klimaschutz, BĂŒrgerbeteiligung oder ArbeitsplĂ€tze). Ähnlich vage-beruhigend – auch durch Einbezug der Leser:innen in ein ambiges Wir – argumentieren auch Energieversorger hĂ€ufig fĂŒr ihren Einsatz erneuerbarer Energien (zum Beispiel EnBW mit Wir machen das schon oder die schweizerische EWZ mit So einfach/entspannt wird die Energiewende. Gemeinsam machen wir’s möglich) – laut solcher Werbung scheint es so zu sein, dass kundenseitig die ‚richtige‘ Wahl des ‚richtigen‘ (d.h. verantwortlich handelnden) Energieversorgers ausreicht, um unsere Energieprobleme zu lösen, der eigene Energieverbrauch rĂŒckt damit aus dem Fokus. (Zur genaueren Analyse von Energie- und Nachhaltigkeitswerbung vgl. z.B. Janich 2013).

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Janich, Nina (2013): Werbesprache. Ein Arbeitsbuch. Mit einem Beitrag von Jens Runkehl. TĂŒbingen: Narr.
  • Willems, Herbert (Hrsg.) (2002): Die Gesellschaft der Werbung. Kontexte und Texte. Produktionen und Rezeptionen. Entwicklungen und Perspektiven. Wiesbaden: Westdt. Verl.
  • Zurstiege, Guido (2007): Werbeforschung. Konstanz: UVK.
  • Zurstiege, Guido (2015): Medien und Werbung. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Zitierte Literatur und Belege

  • Bonour, Yvonne (2021): Konsistenz in der Nachhaltigkeitskommunikation – Eine diskurslinguistische Untersuchung am Beispiel des Nahrungsmittelkonzerns NestlĂ©. Online unter: https://www.linglit.tu-darmstadt.de/media/linglit/fachgebiete/germanistische_linguistik/Masterarbeit_Bonour_Konsistenz_der_Nachhaltigkeitskommunikation_von_Nestle.pdf ; Zugriff: 27.12.2022.
  • Gawert, Johannes; Middel, Reinhard (1994): Werbung ohne Tabu? Pro und Contra zur Benetton-Werbung. Frankfurt am Main: Gemeinschaftswerk der Evang. Publizistik.
  • Gruner, Paul-Hermann (2018): Die suggestive Konfiguration von „Weiblichkeit“. Frauenzeitschriften, Doing Gender und die KontinuitĂ€t tradierter Rollenstereotype. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
  • Janich, Nina (2004): Wiederholung und Verfremdung – Strategien in Werbung und Werbesprache. In: Der Sprachdienst, Heft 3–4, Jg. 48, S. 73–78.
  • Janich, Nina (2012): Möglichkeiten und Grenzen einer sprachkritischen Betrachtung von Werbung. In: Aptum. Zeitschrift fĂŒr Sprachkritik und Sprachkultur, Heft 2 (Special Issue „Werbung. Kultur und Kritik“), Jg. 8, S. 97–111.
  • Janich, Nina (2013): „Allem gewachsen“ – Der Klimadiskurs und seine kulturelle Steuerung durch die Wirtschaftswerbung. In: Martin Nielsen et al. (Hrsg.): Nachhaltigkeit in der Wirtschaftskommunikation. Wiesbaden: Springer, S. 49–69.
  • Janich, Nina (2019): Spießer? Text-Bild-Diskurse und Stereotypen in der deutschen Eigenheim-Werbung. In: Eva Gredel et al. (Hrsg.): Ökonomie und Bildmedien. Bilder als Ausdrucksressource zur Konstruktion von Wissen. Berlin; Boston: de Gruyter, S. 74–91.
  • Janich, Nina (Hrsg.) (2019): Stereotype in Marketing und Werbung. InterdisziplinĂ€re Perspektiven auf kulturspezifische WissensreprĂ€sentationen. Wiesbaden: Springer.
  • Janich, Nina; SchĂŒler, Dominic (2020): Werbekommunikation und Werbesprache. In: Niehr, Thomas; Kilian, Jörg; Schiewe, JĂŒrgen (Hrsg.): Handbuch Sprachkritik. Stuttgart: J.B. Metzler, S. 343–352.
  • Kautt, York (2012): Werbekommunikation aus soziologischer Sicht. In: Nina Janich (Hrsg.): Handbuch Werbekommunikation. Sprachwissenschaftliche und interdisziplinĂ€re ZugĂ€nge. TĂŒbingen: Francke, S. 411–422.
  • Meer, Dorothee (2021): Hybridisierung und Ausdifferenzierung durch die Hypermedien – Osmotische Werbung und Medienwandel am Beispiel alter und neuer Textsorten. In: Stefan Hauser et al. (Hrsg.): Methoden kontrastiver Medienlinguistik. Bern: Peter Lang, S. 241–257.
  • Nielsen, Martin (2019): Mehrebenen-Storytelling in der Werbung. Zur Hierarchisierung von Werbegeschichten aus narrativer Perspektive. In: Heinemann, Sabine (Hrsg.): Werbegeschichte(n). Markenkommunikation zwischen Tradition und Innovation. Wiesbaden: Springer, S. 129–146.
  • Pedersen, Anne G.; Voldgaard Larsen; Aase (2023): Zur Rhetorik im Kontext von Corporate Social Responsibility (CSR). In: Janich, Nina; Pappert, Steffen; Roth Kersten S. (Hrsg.): Handbuch Werberhetorik. Boston; Berlin: De Gruyter, S. 79–96.
  • Reisigl, Martin (2021): Weniger ist mehr! Diskurskritische Betrachtungen zur Rhetorik der AutomobilitĂ€t. In: Deutsche Sprache, Heft 4/2021, S. 252–367.
  • Statisa (2022): Prognose der Werbeausgaben weltweit. Online unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/74622/umfrage/prognose-der-werbeausgaben-weltweit / ; Zugriff: 23.01.2023.
  • Stöckl, Hartmut (1997): Werbung in Wort und Bild. Textstil und Semiotik englischsprachiger Anzeigenwerbung. Frankfurt am Main: Lang.
  • Stöckl, Hartmut; Molnar, Sonja (2018): Eco-Advertising. The Linguistics and Semiotics of Green(-Washed) Persuasion. In: Alwin Fill/Hermine Penz (Hrsg.): The Routledge Handbook of Ecolinguistics. New York; Abingdon: Routledge, S. 261–276.
  • Toscani, Oliviero (1998): Die Werbung ist ein lĂ€chelndes Aas. Köln: Bollmann.

Onlinequellen

Abbildungsverzeichnis

Zitiervorschlag

Janich, Nina (2022): Werbung. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 25.01.2023. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/werbung.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Positionierung

Positionieren ist Grundbestandteil menschlicher Kommunikation. Wann immer wir miteinander interagieren und kommunizieren, bringen wir uns selbst, andere und die Objekte, ĂŒber die wir sprechen, in bestimmte Relationen zueinander.

Deutungsmuster

Unter einem Deutungsmuster wird die problem- und lösungsbezogene Interpretation gesellschaftlicher und politischer TatbestĂ€nde verstanden, die Aussicht auf Akzeptanz in sozialen Gruppen hat. Der Begriff des Deutungsmusters hat Ähnlichkeit mit den Begriffen der Theorie und Ideologie. Meist werden gesellschaftlich verbreitete Leitdeutungen, die oft mit Schlagwörtern und Argumentationsmustern einhergehen (wie Globalisierung, Kapitalismus, Leistungsgesellschaft, Chancengleichheit etc.) als Beispiele fĂŒr Deutungsmuster genannt.

Sinnformel

‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und Ă€hnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.

Praktik

Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes BĂŒndel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrĂŒcken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Narrativ

Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche TĂ€tigkeit, in der man sich mithilfe von GrĂŒnden darum bemĂŒht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klĂ€ren.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung fĂŒr FĂŒhrung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative FĂ€higkeit, lĂ€ngere zusammenhĂ€ngende sprachliche Äußerungen wie ErzĂ€hlungen, ErklĂ€rungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, mĂŒssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Techniken

Ortsbenennung

Die Benennung von Orten dient in erster Linie dazu, den jeweiligen geografischen Ort zu lokalisieren und ihn zu identifizieren. Doch Ortsnamen besitzen eine soziale Dimension und spielen eine entscheidende Rolle bei der sprachlich-kulturellen IdentitÀtskonstruktion.

Finanz-Topos

Mit dem Finanz-Topos werden im Diskurs Argumente gebildet, mit denen Akteure bestimmte Maßnahmen als finanziell sinnvoll befĂŒrworten oder als unrentabel zurĂŒckzuweisen.

Strategische ProzessfĂŒhrung

Der Begriff strategische ProzessfĂŒhrung kombiniert die Worte Strategie im Sinne von Plan und Taktik‘ und ProzessfĂŒhrung im Sinne von ‚Klage vor Gericht‘. Eine einheitliche Definition des Konzepts existiert bislang nicht. Meist werden hierunter (Muster)Klagen von NGOs und BĂŒrgerrechtsorganisationen verstanden, mit denen ĂŒber den Einzelfall hinausgehende soziale und gesellschaftspolitische Ziele verfolgt werden.

Inszenierte Kontroverse

Inszenierte Kontroversen liegen vor, wenn Politiker, Vertreter von Interessengruppen, Aktivisten, Journalisten, Influencer oder andere öffentlich wirksame Akteure potentiell strittige Themen möglichst effektvoll in einen Diskurs einbringen oder einen entsprechenden Diskurs auslösen, und zwar um entsprechende Perspektivierungen bestimmter Konfliktlagen im eigenen Interesse konfrontativ zu prÀgen.

-ismus

Bei Ismen geht es ursprĂŒnglich um die Wortendung (sog. Suffix) -ismus (Plural -ismen), mit der Substantive mit substantivischem oder adjektivischem Wortstamm (Basis) gebildet werden (z.B. Vulkan-ismus oder Aktiv-ismus).

Persuasion

Persuasion kommt vom lateinischen Verb persuadere und bedeutet â€šĂŒberzeugen, ĂŒberreden‘ (gebildet aus suadere ‚raten, empfehlen‘ und per ‚durch, ĂŒber‘).‘). Der Begriff stammt aus der Rhetorik, in der es vor allem darum geht, wie man Hörer:innen oder Leser:innen auf seine Seite bringt: wie man sie zum Beispiel in einem Gerichtsprozess von der Schuld oder Unschuld eines/einer Angeklagten ĂŒberzeugt, wie man sie politisch zur Parteinahme ĂŒberredet oder wie man sie ganz allgemein fĂŒr sich selbst oder einen bestimmten Gegenstand/Sachverhalt einnimmt.

Zensur

Zensur sowie die Praktik des Zensierens sind Machtpraktiken der EinschrĂ€nkung, Kontrolle und des Verbots von Besitz oder Rezeption von Kunstwerken, Medien, aber auch von Äußerungen bzw. einzelnen SĂ€tzen, SprĂŒchen, Phrasen bis hin zu Wörtern.

Ironie

Ironie (altgriechisch Î”áŒ°ÏÏ‰ÎœÎ”ÎŻÎ± (eirƍneĂ­a), wörtlich ‚Verstellung‘, ‚VortĂ€uschung‘) ist in unserer unmittelbaren und massenmedialen Kommunikationskultur sehr bedeutsam. Sie arbeitet mit einem Bewertungsgegensatz zwischen Gesagtem und Gemeintem.

Wiederholen

Das Wiederholen von Äußerungen in öffentlichen (politischen) Diskursen zielt darauf, das Denken anderer zu beeinflussen, Wissen zu popularisieren, einseitige (z. B. fanatisierende, beschwörende, hysterische, ablenkende, pseudosachliche) Konstruktionen von Wahrheit zu erzeugen, um die soziale Wirklichkeit als intersubjektiven Konsens im einseitigen Interesse des „Senders“ zu verĂ€ndern. Grundvoraussetzung ist die Annahme, dass das kollektive Denken stets mĂ€chtiger als das individuelle Denken ist.

Diskreditieren

Das Diskreditieren ist eine Praktik, mit der Diskursakteure durch verschiedenste Strategien, die von Verunglimpfungen und Verleumdungen bis hin zu rufschĂ€digenden Äußerungen reichen, abgewertet und herabgesetzt werden.

Schlagwörter

Massendemokratie

GeprĂ€gt wurde der Begriff Massendemokratie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von völkisch-konservativen Akteuren (prominent darunter Carl Schmitt 1926). Der Ausdruck Masse hatte damals bei den bĂŒrgerlichen Eliten eine rundum bedrohliche Assoziation.

Social Bots

Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.

KriegsmĂŒdigkeit

Der Ausdruck KriegsmĂŒdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische ErmĂŒdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch fĂŒr das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.

Woke

Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunĂ€chst den Bewusstseinszustand der AufgeklĂ€rtheit ĂŒber die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.

IdentitÀt

Unter IdentitĂ€t versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.

Wohlstand

Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darĂŒber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

Remigration

Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die RĂŒckkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.

Radikalisierung

Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu Ă€ndern sucht.

BĂŒrokratie

BĂŒrokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender AusdrĂŒcke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen BĂŒrokratisierung, BĂŒrokratismus und Komposita, als wichtigstes BĂŒrokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.

Politisch korrekt / Politische Korrektheit

Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) reprĂ€sentieren ein seit den frĂŒhen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populĂ€res Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, Ă€sthetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine ĂŒberzogene, sowohl lĂ€cherliche als auch gefĂ€hrliche Moralisierung unterstellt.

Verschiebungen

Dehumanisierung

Mit Dehumanisierung bzw. Anthropomorphisierung werden solche kommunikativen Techniken und Praktiken bezeichnet, die Personen, Sachverhalten oder GegenstÀnden menschliche Eigenschaften ab- bzw. zusprechen. Dehumanisierung und Anthropomorphisierung können sowohl durch sprachliche Mittel als auch durch andere, z. B. bildliche, Zeichen vollzogen werden.

Kriminalisierung

KriminalitĂ€t meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstĂ¶ĂŸt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden.

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen SicherheitsverstĂ€ndnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurĂŒckzufĂŒhren ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlĂ€ssig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwĂ€rtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-KalkĂŒle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche ĂŒbertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die SphÀre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Partizipatorischer Diskurs

Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, fĂŒr (mehr) Partizipation zu sorgen.

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsĂ€chlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im EuropĂ€ischen Parlament

Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ fĂŒr die Erweiterung der militĂ€rischen Ausstattung und der VerlĂ€ngerung des Krieges aussprachen. VorschlĂ€ge oder VorstĂ¶ĂŸe auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)

Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit

DiskursReview Die Macht der Worte (4/4):So geht kultivierter Streit Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 3/4: Sprachliche Denkschablonen

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Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe

DiskursReview Die Macht der Worte (2/4): Freund-Feind-Begriffe Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen

DiskursReviewDie Macht der Worte (1/4): Wörter als Waffen Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 / 06.03.2025...

Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem fĂŒr Praktiken, die das KerngeschĂ€ft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische GegenstĂ€nde miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.