DiskursGlossar

Strategische Prozessführung

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Slapp-Klage
Siehe auch: Litigation-PR, Kalkulierter Verfassungsverstoß, Strategische Kommunikation
Autorin: Sonja Mangold
Version: 1.0 / Datum: 07.10.2025

Kurzzusammenfassung

Der Begriff strategische Prozessführung kombiniert die Worte Strategie im Sinne von ‚Plan und Taktik‘ und Prozessführung im Sinne von ‚Klage vor Gericht‘. Eine einheitliche Definition des Konzepts existiert bislang nicht. Meist werden hierunter (Muster-)Klagen von NGOs und Bürgerrechtsorganisationen verstanden, mit denen über den Einzelfall hinausgehende soziale und gesellschaftspolitische Ziele verfolgt werden. Aktuelle Beispiele sind die sogenannten Klimaklagen oder strategische Gerichtsprozesse zum Datenschutz. Ein neues Phänomen gezielter Prozessführung sind ‚SLAPP-Klagen‘. SLAPP steht für ‚strategic lawsuit against public participation‘. Hierunter fallen Einschüchterungsklagen mächtiger Akteur:innen, um bestimmte Meinungen aus dem öffentlichen Diskurs zu drängen. Strategische Prozessführung erweist sich somit als komplexer, an sich deutungsoffener Begriff, dessen weitere Entwicklung abzuwarten ist.

Erweiterte Begriffsklärung

Das Konzept der strategischen Prozessführung erlebt seit einigen Jahren hierzulande einen Aufschwung und eine zunehmende Aufmerksamkeit. Im fachbezogenen Sprachgebrauch werden hierunter Techniken vornehmlich von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen verstanden, durch exemplarische Gerichtsverfahren über die Einzelklage hinausgehende soziale und politische Ziele zu verfolgen. Der Begriff der strategischen Prozessführung setzt sich zusammen aus dem Wort Strategie, welches seinen Ursprung in den altgriechischen Begriffen stratos (Heer) und agein (Führen) hat, und dem Wort Prozessführung. In Deutschland wurde der Terminus Strategie, verstanden als ‚Kunst der Heerführung‘ zunächst im 19. Jahrhundert vorwiegend im militärischen Kontext verwendet und von Carl von Clausewitz geprägt (vgl. Clausewitz 2016: 47 ff.). Später breitete sich der Begriff auch in andere gesellschaftliche Bereiche, etwa in die Wirtschaft, aus. Das zweite Begriffselement, Prozessführung, bedeutet gemeinhin das Anstrengen und Führen eines Gerichtsverfahrens zur Entscheidung eines streitigen Einzelfalls.

Das Konzept ist im juristischen Fachdiskurs nicht klar definiert und wird uneinheitlich verwendet. Einige Autor:innen richten ihren Blick auf das strategische Element der Technik und betonen die damit verfolgten Ziele, die über ‚übliche‘ Gerichtsverfahren hinausgehen. So definiert etwa Koch „strategische Prozessführung“ als ein rechtliches Vorgehen,

das die (zivil-)gerichtliche Auseinandersetzung wählt, um durch Musterverfahren oder mit Präzedenzentscheidungen zunächst rechtliche und im Gefolge politische, wirtschaftliche oder soziale Veränderungen über den Einzelfall hinaus zu erreichen. (Koch 2014: 432)

Ähnlich fasst auch Graser unter den Terminus

(a) juristisch substantiierte Klagen, die (b) über den individuellen Prozesserfolg hinaus weitere Ziele verfolgen und dabei (c) Themen von erheblicher politischer Dimension adressieren. (Graser 2019: 14; ähnlich auch Fuchs 2019: 44)

Eine Begriffsdefinition, die auf die mit strategischer Prozessführung verbundenen allgemeinpolitischen Ziele abstellt, birgt jedoch einige Unklarheiten. Denn: auch große Unternehmen und andere mächtige Interessengruppen strengen zuweilen systematische Klagen an, um weitergehende politische und wirtschaftlichen Ziele zu erreichen. Ein bekanntes Beispiel sind die Rechtsstreitigkeiten um das Dosenpfand, dessen Einführung Anfang der 2000er Jahre durch eine Klagewelle von Großbrauereien und Lebensmittelketten verzögert wurde. Auch gegen die 1999 eingeführte sogenannte Ökosteuer machten große Unternehmen durch Erhebung einer (erfolglosen) Verfassungsbeschwerde mobil (vgl. dazu Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 110, 274). Manche Autor:innen schlagen daher vor, das Konzept durch Begriffe wie Gemeinwohl oder öffentliche Interessen anzureichern und einzugrenzen. Bezeichnenderweise trägt ein thematisch einschlägiger Aufsatz den Titel: „Gemeinwohl vor Gericht“ (Friedrich 2021: 726). Auch der Begriff des Gemeinwohls ist indes nicht trennscharf, sondern deutungsoffen und hat im Laufe der Geschichte vielfältige Wandlungen erfahren.

Weitere Autor:innen sehen weniger in den Zielen, sondern eher in der Form und Methode ein wesentliches Merkmal strategischer Prozessführung. So wird die Suche nach geeigneten Beschwerdeführer:innen, Verfahrensarten oder gar Gerichtsständen als Charakteristikum strategischer Prozessführung erachtet. Ferner machen demnach das spezifische ganzheitliche Vorgehen samt Begleitmaßnahmen wie Öffentlichkeitskommunikation, Lobbyarbeit und Evaluation im Nachgang die Besonderheit des Konzepts aus (vgl. etwa Hahn 2019: 18 ff.). Strategische Öffentlichkeitsarbeit und begleitendes Lobbying werden im Rahmen von strategischer Prozessführung üblicherweise nicht von den Kläger:innen, sondern von anderen Akteur:innen wie NGOs übernommen. Diese ergreifen Maßnahmen wie Pressemitteilungen, Interviews oder die Durchführung von Veranstaltungen mit der doppelten Zielsetzung, sowohl die öffentliche Meinungsbildung durch die Medien als auch den Ausgang des Gerichtsverfahrens positiv zu beeinflussen. Am Ende werden Prozessergebnisse öffentlichkeitswirksam kommuniziert (vgl. dazu Blüm 2025: 40 m.w.N.). NGOs verfügen dabei meist über bessere finanzielle Ressourcen, rechtliche Wissensbestände und Kontakte als der Einzelne. Das kollektive Moment durch die Beteiligung von Drittakteur:innen wird als weiteres besonderes Merkmal strategischer Prozesse angesehen. Mit den genannten Kriterien lässt sich das Phänomen strategischer Klagen wenigstens annäherungsweise erfassen.

Die verbleibende prinzipielle Schwierigkeit der klaren Eingrenzung des Konzepts tritt jedoch auch dann zutage, wenn man die vielfältigen Akteur:innen strategischer Prozessführung in den Blick nimmt. So fungieren nicht nur gemeinnützige Organisationen wie das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) oder die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) als Initiatoren strategischer Klagen. Vielmehr werden zunehmend auch kommerzielle LegalTech-Plattformen wie etwa www.myright.de, www.flightright.de oder www.hartz4widerspruch.de am Markt aktiv und bieten an, Verbraucher:innenrechte und soziale Rechte auf dem Gerichtsweg durchzusetzen.

Legt man die gängige Unterscheidung zwischen politisch ‚links‘ und ‚rechts‘ zugrunde, die auf die Französische Revolution von 1789 und die frühe Sitzordnung politischer Gruppen in der Pariser Nationalversammlung zurückgeht, wird das Mittel strategischer Klagen meist im ‚linken‘ oder ‚progressiven‘ Lager verortet. Einen zentralen historischen Ursprung hat das Phänomen in den USA, wo die Rechtspraxis der ‚Prozessführung im öffentlichen Interesse‘ (public interest litigation) seit den 1960er/1970er-Jahren verbreitet ist. Ausgangspunkt waren rechtliche Initiativen US-amerikanischer Bürgerrechtsorganisationen, die sich gegen rassistische Diskriminierung und für unterrepräsentierte und wirtschaftlich benachteiligte Gruppen einsetzten (vgl. dazu Hahn 2019: 12 ff.). Dieser geschichtliche Kontext kann als weiterer grober Orientierungspunkt dienen, um den Begriff strategische Prozessführung einzuordnen.

Das Mittel strategischer Klagen ist im rechtlichen Diskurs teilweise starker Kritik ausgesetzt (vgl. dazu etwa Blüm 2025: 117 ff.). Insbesondere wird eingewandt, dass eine Mobilisierung von Gerichten, die meist mit der planmäßigen Suche nach ‚passenden‘ Kläger:innen, Verfahrensarten oder Gerichtsständen einhergeht, Zwecke des (Zivil)Prozesses überdehne und (rechts)missbräuchlich sein könne. Diesem Einwand kann allerdings entgegengehalten werden, dass es mit geltendem Prozessrecht durchaus vereinbar ist, wenn gerichtliche Verfahren nicht nur zur individuellen Interessenwahrnehmung, sondern auch mit dem Ziel weitergehenden gesellschaftspolitischen Wandels angestrengt werden.

Ein weiterer Hauptkritikpunkt ist, dass das Gewaltenteilungsprinzip zwischen Judikative und Legislative ausgehöhlt zu werden droht, wenn Private insbesondere durch Verfassungsbeschwerden versuchen, auf dem Gerichtsweg als unzureichend erachtete Gesetze zu korrigieren. Auch dieses Argument scheint jedoch nicht durchschlagend. Strategische Klagen führen nicht zwangsläufig zu einer unzulässigen politischen Betätigung von Gerichten anstelle der Legislative. Im Übrigen ist es genuine Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Legislative zu kontrollieren und unter Umständen auch verfassungswidrige Gesetze aufzuheben. Aus der argumentativen Perspektive einer pluralen, demokratischen Gesellschaft dürfte es zudem legitim sein, wenn zivilgesellschaftliche Akteur:innen versuchen, durch rechtliche Initiativen den Gesetzgeber zu politischen Kurskorrekturen zu bewegen.

Von anderer Warte aus wird kritisiert (vgl. näher Fuchs 2019: 49 f.), dass strategische Klagen eine politische Demobilisierung zur Folge haben können. Protestbewegungen drohten, so die Argumentation, geschwächt zu werden, wenn politische Probleme auf den Gerichtsweg reduziert und hochspezialisierten juristischen Organisationen überlassen werden. Aus Sicht der Befürworter strategischer Prozessführung ließe sich entgegnen, dass gezielte Klagen, etwa im Bereich des Klimaschutzes, durchaus bereits rechtliche wie politische Wirkung hatten. Entsprechende Initiativen waren in größere zivilgesellschaftliche Bewegungen eingebettet, die hierdurch nicht geschwächt, sondern eher gestärkt wurden.

Beispiele

Zur Veranschaulichung des Konzepts der strategischen Prozessführung in der Rechtspraxis sollen zunächst zwei Handlungsfelder herausgegriffen werden, die Kernthemen der gegenwärtigen nachhaltigen und digitalen Transformation sind: Klimaschutz und Datenschutz. In diesen Bereichen konnten strategische Klagen bereits damit angestrebte Erfolge erzielen.

(1) Strategische Klimaklagen

Strategische Gerichtsverfahren zum Klimaschutz (Climate Change Litigation) stehen bereits seit längerer Zeit im Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit. Ein frühes Beispiel ist die „Robbenklage“, die 1988 vor dem Verwaltungsgericht Hamburg angestrengt wurde (vgl. dazu etwa Köck/Markus 2018: 193 ff.). In diesem Prozess gingen einige große Umweltverbände gegen Genehmigungen zur Einbringung von Abfallstoffen in die See vor. Dabei traten sie im Namen der „Seehunde in der Nordsee“ auf und versuchten, die gerichtliche Anerkennung von eigenen Rechten der Natur zu erreichen. Das Gericht wies diesen Ansatz jedoch zurück und urteilte (Aktenzeichen (Az.) 7 VG 2499/88), dass Tiere wie Robben – anders als Menschen – nach dem geltenden Recht nicht Kläger und Beteiligte eines verwaltungsgerichtlichen Prozesses sein können. Auch wenn der ‚Robbenklage‘ kein Erfolg beschieden war, erzielte sie jedoch beachtliche indirekte Effekte. So löste sie eine breite gesellschaftspolitische Debatte über Eigenrechte der Natur aus, die in jüngerer Zeit wiederaufgegriffen wurde. Die gerichtlich beanstandete Einbringung von Abfallstoffen in die See wurde nicht zuletzt aufgrund der medialen Aufmerksamkeit, die der Fall erregt hatte, schließlich gesetzlich verboten. 

Wie das Beispiel zeigt, können strategische Klagen über das jeweilige Verfahren hinausgehenden Einfluss auf aktuelle politische Debatten und gesetzgeberische Prozesse erzielen.

Ein bekanntes Beispiel verfassungsrechtlicher Klimaklagen ist auch der vieldiskutierte Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021 (BVerfGE 157, 30), den Umweltverbände mitinitiiert hatten. Der Beschluss beanstandete die Reduktionsziele und jährlich zugelassenen Emissionsmengen des Bundes-Klimaschutzgesetzes in seiner ursprünglichen Fassung als verfassungswidrig. Er forderte zudem zu gesetzlichen Nachbesserungen auf, damit dem im Grundgesetz verankerten Staatsziel des Umweltschutzes (Art. 20a GG) Genüge getan wird. Dabei war das Bundesverfassungsgericht sichtlich bemüht, das Prinzip der Gewaltenteilung zwischen Legislative und Judikative strikt zu wahren. Insbesondere machte der Beschluss dem Gesetzgeber keine genauen Vorgaben, wie die beanstandeten Mängel hinsichtlich des Klimaschutzes zu beheben sind. Im juristischen Diskurs viel beachtet wurde, dass das Bundesverfassungsgericht im betreffenden Fall eine neue Grundrechtsdimension konstruiert hat, die ‚intertemporale Freiheitssicherung‘. Demnach schützen die Grundrechte vor Regelungen, die einen übermäßigen Verbrauch von Ressourcen zulassen, ohne hinreichende Rücksicht auf die Freiheit künftiger Generationen zu nehmen. In der Perspektive der Beschwerdeführer:innen stellte der Beschluss einen Teilerfolg dar. Einige mit der Klage angestrebten Ziele konnten nicht erreicht werden. So ließ das Bundesverfassungsrecht etwa offen, ob es ein von den Beschwerdeführer:innen behauptetes ‚Grundrecht auf (intakte) Umwelt‘ gibt. Gleichwohl wurde der Beschluss von Umweltverbänden als Meilenstein im Kampf gegen den Klimawandel bewertet (vgl. etwa BUND, Pressemitteilung vom 29. April 2021). Der Gesetzgeber nahm in der Folge im Sommer 2021 Anpassungen des Bundes-Klimaschutzgesetzes vor und schrieb dabei weitergehende Emissionsminderungsziele fest.

Strategisch Prozessierende können, wie das dargestellte Beispiel verdeutlicht, durch Grundsatzurteile oberster Gerichte eine Neuorientierung des Rechts erreichen. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts haben faktisch präjudizielle Wirkung. Das heißt: Die gefundenen Rechtsauffassungen reichen über den Einzelfall hinaus und können für die Entscheidung künftiger Streitfälle einen Maßstab bilden. Derartige Präzedenzentscheidungen oberster Gerichte entfalten eine beträchtliche Wirkung auf die Rechtspraxis, da sie regelmäßig von Untergerichten und anderen rechtlichen Akteur:innen befolgt werden. Ein weiterer Typ strategischer Prozessführung im Bereich des Klimaschutzes sind Klagen privater Akteur:innen gegen Unternehmen, die primär vor Zivilgerichten geführt werden. Ein prominentes Beispiel ist die jüngere Klage eines peruanischen Bergbauern gegen den deutschen Energiekonzern RWE, die von der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch e.V. unterstützt wird. Im betreffenden Fall verlangt der Kläger von RWE eine Entschädigung für Folgen des Klimawandels. Der Kläger ist Miteigentümer eines Hauses in Peru, das infolge einer Gletscherschmelze überflutet zu werden droht. Hierfür macht er die emissionsbedingte globale Klimaerwärmung verantwortlich. Mit seiner Klage möchte der peruanische Bauer durchsetzen, dass der Konzern RWE die Kosten geeigneter Schutzmaßnahmen für sein Haus gegen die drohende Gletscherflut in einem Umfang zu tragen hat, der seinem Anteil an den weltweiten Treibhausgasemissionen entspricht. Zwar wurde die Klage in erster Instanz vom Landgericht Essen im Jahr 2016 abgewiesen (Az. 2 O 285/15). Sie erzielte jedoch eine beachtliche internationale mediale Wirkung. Zudem betritt der Prozess juristisches Neuland und deutsche Gerichte müssen sich nun mit der Verantwortung großer Unternehmen für den globalen Klimawandel und seinen konkreten Auswirkungen befassen.

Das privatrechtliche RWE- Verfahren verdeutlicht noch eine weitere Zieldimension, die strategischen Prozessen inhärent sein kann. So können die mediale Berichterstattung und die Möglichkeit weiterer Klagen Handlungsdruck auf wirtschaftliche Akteur:innen erzeugen, ihre Geschäftsmodelle anhand von Gemeinwohl- und Nachhaltigkeitszielen neu zu justieren. Strategische Prozesse können damit nicht nur politische und rechtliche Änderungen anstoßen, sondern unter Umständen auch Unternehmen unmittelbar zum Handeln zwingen (vgl. auch Blüm 2025: 46).

(2) Strategische Prozessführung im Bereich des Datenschutzes

Ein weiteres wichtiges Aktionsfeld strategischer Prozessführung ist das Datenschutzrecht. Ein populäres Beispiel sind die bahnbrechenden „Schrems“-Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) (vgl. dazu auch Palmstorfer 2024: 136 ff.). Diese Entscheidungen gehen maßgeblich auf den österreichischen Juristen und Datenschutzaktivisten Maximilian Schrems zurück.

Ausgangspunkt der Fälle war eine Beschwerde von Herrn Schrems bei der irischen Datenschutzbehörde, mit der erreichen wollte, dass der zuständigen Tochtergesellschaft von Facebook (heute: Meta) die Übermittlung seiner personenbezogenen Daten in die USA untersagt wird. Allgemeiner Hintergrund waren die Enthüllungen von Edward Snowden über die massenhafte globale Überwachung durch US-Behörden. Gegen die Zurückweisung seiner Beschwerde ging Herr Schrems in Irland gerichtlich vor. Die Klage wurde schließlich dem EuGH vorgelegt, der in einem vieldiskutierten Urteil aus 2015 (Az. C-362/14) die bis dahin geltende Entscheidung der Europäischen Kommission zu Datentransfers in die USA (das sog. „Safe Harbor-Abkommen“) für ungültig erklärte. Zur Begründung führte der EuGH aus, dass die Safe-Harbor-Grundsätze einen übermäßigen staatlichen Zugriff auf die aus der EU übermittelten Daten ermöglichen. Hinter der erfolgreichen Klage von Herrn Schrems stand der Verein „europe-v-facebook.org“, der ihn unter anderem durch Spenden unterstützte.

Mit dem „Schrems II-Urteil“ des EuGH im Jahr 2020 (Az. C-311/18), bei dem es ebenfalls um die Übermittlung personenbezogener Daten von Facebook in die USA ging, wurde eine weitere gezielte Klage zugunsten von Herrn Schrems entschieden. In dem betreffenden Fall erklärte der EuGH das in Reaktion auf die „Schrems I“-Entscheidung ausgehandelte „EU-US-Privacy-Shield“ ebenfalls für ungültig, da dieses kein angemessenes Schutzniveau für Datentransfers ermöglichte.

Mit dem „Schrems III-Urteil“ des EuGH aus 2024 (Az. C-446/21) errang Herr Schrems einen weiteren Prozesserfolg. In dem betreffenden Fall hatte Herr Schrems ein Tochterunternehmen von Facebook/Meta in Österreich wegen der Nutzung personenbezogener und sensibler Daten (insbesondere zur sexuellen Orientierung) zu Zwecken der personalisierten Werbung verklagt. Der EuGH entschied schließlich, dass Facebook erhaltene Nutzer:innendaten nicht unbegrenzt zu Werbezwecken nutzen darf. Facebook sah sich daraufhin gezwungen, sein Geschäftsmodell anzupassen und Nutzer:innen mehrere Optionen, darunter eine Bezahlversion ohne Werbung, anzubieten.

Seit 2017 unterstützt die NGO noyb (none of your business) Herrn Schrems bei seinen juristischen Aktivitäten, die von ihm mitbegründet wurde. Die Organisation erlangte in jüngerer Zeit mit zahlreichen weiteren juristischen Aktivitäten, darunter Beschwerden gegen Cookie-Paywalls oder gegen die Datennutzung für KI-Training durch Meta, große mediale Aufmerksamkeit. Seit den ersten Prozesserfolgen hat die Organisation ihre Aktivitäten professionalisiert. Sie kooperiert mittlerweile mit zahlreichen anderen Akteur:innen (z.B. aus Verbraucherschutz und IT- Sicherheit), arbeitet Themen projekthaft auf und kommuniziert diese an die Öffentlichkeit (siehe Palmstorfer 2024: 138 f.).

Die dargestellten Fälle im Bereich des Datenschutzes unterstreichen die Bedeutung, die der Öffentlichkeitsarbeit und der medialen Rezeption im Rahmen strategischer Prozessführung zukommen kann (siehe dazu auch Litigation-PR). Besonders wirkungsvoll scheinen dabei ‚David- gegen- Goliath- Szenarien‘, bei denen (vermeintliche) ‚Einzelkämpfer:innen‘ Bürgerrechte gegen wirtschaftlich mächtige Akteur:innen durchsetzen und dabei breite öffentliche Unterstützung finden (vgl. Palmstorfer 2024: 131). Um die Relevanz und Kontextfaktoren medialer Aufmerksamkeit im Rahmen strategischer Prozesse weiter zu erhellen, bedarf es nicht nur rechtswissenschaftlicher Ansätze, sondern auch kommunikationswissenschaftlicher Untersuchungen.

(3) Strategische Prozessführung andersherum – SLAPP

Seit einigen Jahren hat ein neues Phänomen Einzug in die juristische Praxis und Diskussion gehalten: SLAPP-Klagen. Die Abkürzung steht für ‚Strategic Lawsuits against Public Participation‘, übersetzt also für strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung. Verstanden werden hierunter Klagen, die von strukturell überlegenen Akteur:innen primär vor Zivilgerichten geführt werden und die dazu dienen, eine öffentliche Beteiligung der Zivilgesellschaft zu unterbinden. Dabei werden häufig Einzelpersonen, Journalist:innen oder kleine zivilgesellschaftliche Organisationen mit horrenden Schadensersatzforderungen überzogen, um bestimmte Meinungen aus dem öffentlichen Diskurs zu verbannen. Entsprechende Verfahren können ruinöse wirtschaftliche Folgen für betroffene Klagegegner:innen haben. Anders als die oben dargestellten Klimaklagen und strategischen Datenschutzaktivitäten zielen entsprechende Verfahren nicht auf Mobilisierung, sondern auf Verhinderung von Öffentlichkeit. Gleichwohl handelt es sich auch bei SLAPP um planvoll angestrengte Gerichtsprozesse, weshalb im Folgenden auf diese Taktik eingegangen wird. Ein bekanntes SLAPP-Verfahren ist die Klage eines Solar-Unternehmers gegen Redakteure der Süddeutschen Zeitung wegen einer Recherche über staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen Insider-Geschäften. Bei diesem Verfahren machte der Unternehmer eine Schadensersatzsumme von ca. 78 Millionen Euro geltend. Die Klage wurde schließlich vom Oberlandesgericht Nürnberg abgewiesen (vgl. Az. 3 U 2445/18).

Zum Schutz vor derartigen Einschüchterungsklagen gegen öffentliche Beteiligung wurde 2024 die EU-Anti-SlappRichtlinie (Richtlinie (EU) 2024/1069) erlassen. Das entsprechende EU-Regelwerk muss vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt werden. Die Richtline gilt nur für zivilrechtliche Verfahren mit grenzüberschreitendem Bezug (Art. (Artikel) 2), was ihre Bedeutung in der Praxis schmälern dürfte. Nach der Definition der Richtlinie sind Slapp-Klagen insbesondere durch die Kriterien der Verhinderung öffentlicher Beteiligung, des Machtungleichgewichts zwischen den Parteien und der Unbegründetheit der Ansprüche gekennzeichnet. Um Betroffene zu schützen, sieht die Richtlinie eine Reihe von Verfahrensgarantien vor. So müssen die EU-Mitgliedstaaten in ihrem Prozessrecht unter anderem vorsehen, dass offensichtlich unbegründete Klagen frühzeitig abgewiesen werden können (Art. 11). Kläger, die ein Verfahren gegen öffentliche Beteiligung anstrengen, sollen zudem verpflichtet werden können, sämtliche Verfahrenskosten zu tragen (Art. 14).

Auf Basis der dargestellten unterschiedlichen Beispiele strategischer Prozessführung lassen sich grob folgende wesentliche Merkmale der Praxis zusammenfassen. Strategisch Prozessierende strengen planvoll Klagen an, um über den Einzelfall hinausgehende politische Ziele zu erreichen. Dabei stehen ihnen häufig (z.B. über NGOs) zusätzliche fachliche und finanzielle Ressourcen zur Seite. Strategische Verfahren werden meist von Anfang bis Ende systematisch gestaltet. So werden etwa passende Kläger:innen oder Gerichtsstände gesucht, begleitende PR- Aktivitäten betrieben und Verfahrensergebnisse am Ende öffentlichkeitswirksam kommentiert. Strategische Prozesse können beträchtliche rechtliche, politische und wirtschaftliche Effekte bewirken. Wie das neue Phänomen SLAPP verdeutlicht, können strategische Klagen nicht nur ‚hehre‘ Ziele verfolgen, sondern auch gegen die demokratische Zivilgesellschaft eingesetzt werden. Dies unterstreicht, dass das Konzept strategischer Prozessführung eine vielschichtige und schillernde Technik ist, deren Deutung und Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist.

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Boulanger, Christian; Krebs, David (2019): Strategische Prozessführung. Zeitschrift für Rechtssoziologie, Jg. 39, Heft 1, S. 1–4.

  • Graser, Alexander; Helmrich, Christian (Hrsg.) (2019): Strategic Litigation. Begriff und Praxis. Baden-Baden: Nomos.

Zitierte Literatur

  • Blüm, Christoph (2025): Die Legitimität strategischer Prozessführung. Tübingen: Mohr Siebeck.
  • BUND (2021): Pressemitteilung vom 29. April 2021: Bahnbrechendes Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Online unter: https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/bahnbrechendes-klima-urteil-des-bundesverfassungsgerichts/ ; Zugriff: 20.08.2025.
  • Clausewitz, Carl von (2016): Clausewitz – Vom Kriege. Braunschweig: Ideenbrücke Verlag.
  • Friedrich, Lutz (2021): Gemeinwohl vor Gericht: Chancen und Risiken öffentlich-rechtlicher „Public Interest Litigation“. In: Die öffentliche Verwaltung (DÖV), Jg. 2021, Heft 16, S. 726 ff.
  • Fuchs, Gesine (2019): Was ist strategische Prozessführung? In: Graser, Alexander; Helmrich, Christian (Hrsg.): Strategic Litigation. Begriff und Praxis. Baden–Baden: Nomos, S. 43–52.
  • Graser, Alexander (2019): Einführung. Was es über Strategic Litigation zu schreiben gälte. In: Ders.; Helmrich, Christian (Hrsg.): Strategic Litigation. Begriff und Praxis. Baden-Baden: Nomos, S. 9–19.
  • Hahn, Lisa (2019): Strategische Prozessführung. Ein Beitrag zur Begriffsklärung. In: Zeitschrift für Rechtssoziologie, Jg. 39, Heft 1, S. 5–32.
  • Koch, Harald (2014): Grenzüberschreitende strategische Zivilprozesse. In: Kritische Justiz, Jg. 47, Heft 4, S. 432–449.
  • Köck, Wolfgang; Markus, Till (2018): 30 Jahre „Robbenklage“: Zur Aktualität der Eigenrechte der Natur. In: Zeitschrift für Umweltrecht (ZUR), Jg. 29, Heft 4, S. 193–195.
  • Palmstorfer, Rainer (2024): Strategische Prozessführung und Datenschutzrecht. In: Weber, Teresa (Hrsg.): Strategische Prozessführung in Österreich. Baden-Baden: Nomos, S. 127–140.

Zitierte Rechtsprechung

  • Bundesverfassungsgericht: BVerfGE 110, 274. Urteil vom 20.04.2004 -1 BvR 1748/99 -Ökosteuer
  • Bundesverfassungsgericht: BVerfGE 157, 30. Urteil vom 24.03.2021 -1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20 -Klimaschutz
  • EuGH (Europäischer Gerichtshof): Urteil vom 6.10.2015 – C-362/14 -Schrems I
  • EuGH: Urteil vom 16.7.2020 – C-311/18 -Schrems II
  • EuGH: Urteil vom 4.10.2024 – C-446/21-Schrems III
  • Landgericht Essen: Urteil vom 15. Dezember 2016 – 2 O 285/15 -RWE
  • Oberlandesgericht Nürnberg: Beschluss vom 03.02.2021 – 3 U 2445/18 -Süddeutsche Zeitung
  • Verwaltungsgericht Hamburg: Beschluss vom 22.09.1988 -7 VG 2499/88 -Robbenklage

Zitiervorschlag

Mangold, Sonja (2025): Strategische Prozessführung. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 07.10.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/strategische-prozessfuehrung/.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Deutungsmuster

Unter einem Deutungsmuster wird die problem- und lösungsbezogene Interpretation gesellschaftlicher und politischer Tatbestände verstanden, die Aussicht auf Akzeptanz in sozialen Gruppen hat. Der Begriff des Deutungsmusters hat Ähnlichkeit mit den Begriffen der Theorie und Ideologie. Meist werden gesellschaftlich verbreitete Leitdeutungen, die oft mit Schlagwörtern und Argumentationsmustern einhergehen (wie Globalisierung, Kapitalismus, Leistungsgesellschaft, Chancengleichheit etc.) als Beispiele für Deutungsmuster genannt.

Sinnformel

‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.

Praktik

Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Narrativ

Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Techniken

Inszenierte Kontroverse

Inszenierte Kontroversen liegen vor, wenn Politiker, Vertreter von Interessengruppen, Aktivisten, Journalisten, Influencer oder andere öffentlich wirksame Akteure potentiell strittige Themen möglichst effektvoll in einen Diskurs einbringen oder einen entsprechenden Diskurs auslösen, und zwar um entsprechende Perspektivierungen bestimmter Konfliktlagen im eigenen Interesse konfrontativ zu prägen.

-ismus

Bei Ismen geht es ursprünglich um die Wortendung (sog. Suffix) -ismus (Plural -ismen), mit der Substantive mit substantivischem oder adjektivischem Wortstamm (Basis) gebildet werden (z.B. Vulkan-ismus oder Aktiv-ismus).

Persuasion

Persuasion kommt vom lateinischen Verb persuadere und bedeutet ‚überzeugen, überreden‘ (gebildet aus suadere ‚raten, empfehlen‘ und per ‚durch, über‘).‘). Der Begriff stammt aus der Rhetorik, in der es vor allem darum geht, wie man Hörer:innen oder Leser:innen auf seine Seite bringt: wie man sie zum Beispiel in einem Gerichtsprozess von der Schuld oder Unschuld eines/einer Angeklagten überzeugt, wie man sie politisch zur Parteinahme überredet oder wie man sie ganz allgemein für sich selbst oder einen bestimmten Gegenstand/Sachverhalt einnimmt.

Zensur

Zensur sowie die Praktik des Zensierens sind Machtpraktiken der Einschränkung, Kontrolle und des Verbots von Besitz oder Rezeption von Kunstwerken, Medien, aber auch von Äußerungen bzw. einzelnen Sätzen, Sprüchen, Phrasen bis hin zu Wörtern.

Ironie

Ironie (altgriechisch εἰρωνεία (eirōneía), wörtlich ‚Verstellung‘, ‚Vortäuschung‘) ist in unserer unmittelbaren und massenmedialen Kommunikationskultur sehr bedeutsam. Sie arbeitet mit einem Bewertungsgegensatz zwischen Gesagtem und Gemeintem.

Wiederholen

Das Wiederholen von Äußerungen in öffentlichen (politischen) Diskursen zielt darauf, das Denken anderer zu beeinflussen, Wissen zu popularisieren, einseitige (z. B. fanatisierende, beschwörende, hysterische, ablenkende, pseudosachliche) Konstruktionen von Wahrheit zu erzeugen, um die soziale Wirklichkeit als intersubjektiven Konsens im einseitigen Interesse des „Senders“ zu verändern. Grundvoraussetzung ist die Annahme, dass das kollektive Denken stets mächtiger als das individuelle Denken ist.

Diskreditieren

Das Diskreditieren ist eine Praktik, mit der Diskursakteure durch verschiedenste Strategien, die von Verunglimpfungen und Verleumdungen bis hin zu rufschädigenden Äußerungen reichen, abgewertet und herabgesetzt werden.

Nähe inszenieren

Die Inszenierung von Nähe beschreibt eine Kommunikations>>praktik, bei der Akteur:innen Techniken einsetzen, um Vertrautheit, Sympathie und Authentizität zu vermitteln (z.B. das Angebot einer:s Vorgesetzten, zu duzen).

Diplomatie

Diplomatie bezeichnet im engeren Sinne eine Form der Kommunikation zwischen offiziellen Vertretern von Staaten, die die Aufgabe haben, zwischenstaatliche Beziehungen durch und für Verhandlungen aufrecht zu erhalten. Diese Vertreter können Politiker oder Beamte, insbesondere des diplomatischen Dienstes, sowie Vertreter internationaler Organisationen sein.

Typografie

Typografie bezeichnet im modernen Gebrauch generell die Gestaltung und visuelle Darstellung von Schrift, Text und (in einem erweiterten Sinne) auch die Dokument-Gesamtgestaltung (inklusive visueller Formen wie Abbildungen, Tabellen, Taxono-mien usw.) im Bereich maschinell hergestellter Texte (sowohl im Druck als auch auf dem Bildschirm)

Schlagwörter

Massendemokratie

Geprägt wurde der Begriff Massendemokratie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von völkisch-konservativen Akteuren (prominent darunter Carl Schmitt 1926). Der Ausdruck Masse hatte damals bei den bürgerlichen Eliten eine rundum bedrohliche Assoziation.

Social Bots

Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.

Kriegsmüdigkeit

Der Ausdruck Kriegsmüdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische Ermüdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch für das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.

Woke

Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.

Identität

Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.

Wohlstand

Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

Remigration

Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.

Radikalisierung

Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.

Bürokratie

Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.

Politisch korrekt / Politische Korrektheit

Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt.

Verschiebungen

Dehumanisierung

Mit Dehumanisierung bzw. Anthropomorphisierung werden solche kommunikativen Techniken und Praktiken bezeichnet, die Personen, Sachverhalten oder Gegenständen menschliche Eigenschaften ab- bzw. zusprechen. Dehumanisierung und Anthropomorphisierung können sowohl durch sprachliche Mittel als auch durch andere, z. B. bildliche, Zeichen vollzogen werden.

Kriminalisierung

Kriminalität meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden.

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Partizipatorischer Diskurs

Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament

Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)

Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit

DiskursReview Die Macht der Worte (4/4):So geht kultivierter Streit Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 3/4: Sprachliche Denkschablonen

DiskursReview Die Macht der Worte (3/4):Sprachliche Denkschablonen Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe

DiskursReview Die Macht der Worte (2/4): Freund-Feind-Begriffe Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 /...

Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen

DiskursReviewDie Macht der Worte (1/4): Wörter als Waffen Begleittext zum Podcast im Deutschlandfunk (1) Wörter als Waffen (2) Freund-Feind-Begriffe (3) Sprachliche Denkschablonen (4) So geht kultivierter StreitEin Text vonvon Friedemann VogelVersion: 1.0 / 06.03.2025...

Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.