DiskursGlossar

Sinnformel

Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte Ausdrücke: Leitbild, Symbolkomplex
Siehe auch: Kollektivsymbol, Metapher, Hochwertwort, Topos
Autorin: Maria Fritzsche
Version: 1.0 / Datum: 01.08.2025

Kurzzusammenfassung

‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können. Dabei sind uns Sinnformeln häufig nicht bewusst, ja, sie sind besonders wirkmächtig, wenn sie nicht diskursiv umstritten, sondern unbewusst akzeptiert werden und so unbemerkt unser Weltbild prägen. Sie können sich sprachlich in Schlagwörtern bzw. Hochwertwörtern oder Metaphern äußern, aber auch multimodale Formen annehmen. Wenn diese Formeln Sinn in unserem Leben stiften, fällt es uns häufig schwer, sie zu begründen, zu erklären oder außerhalb ihrer Grenzen zu denken, da sie für uns unmittelbar und emotional plausibel sind.

Besonders semantisch vage Sinnformeln sind anpassungsfähig gegenüber Zeitgeist, soziopolitischen Zuständen und gesellschaftlichen Entwicklungen, daher können sie epochen- und kulturübergreifend Kontinuität stiften (wie der Lebensweg, siehe unten Beispiel 1). Andere werden diskursiv geschaffen, um auf konkrete gesellschaftliche Herausforderungen zu reagieren und sind entsprechend kurzlebig (wie der R-Wert in Zeiten der Corona-Pandemie, siehe Beispiel 2). Durch Bedeutungsverschiebung und wiederholte Nutzung können spezifische Gruppen eigene Sinnformeln entwickeln, mit denen sie sich von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzen (wie das Konzept Allah in der Propaganda des sogenannten Islamischen Staates, siehe Beispiel 3).

Erweiterte Begriffsklärung

Sinnformeln sind ein verhältnismäßig junges Konzept, das sowohl für die Frage nach dem Verhältnis von Sprache, Wahrnehmung und Wissen als auch für das Verständnis strategischer Kommunikation von Relevanz ist. 2003 wurde das Konzept in einer transdisziplinären Kollaboration von der Soziologin Susan Geideck und dem Kultur- und Sprachwissenschaftler Wolf-Andreas Liebert in den Wissenschaftsdiskurs eingebracht und wie folgt definiert:

Eine Sinnformel ist ein symbolischer Formenkomplex, der eine komprimierte Antwort auf eine oder mehrere Grundfragen darstellt. Sie kann für nur eine soziale Gruppe oder auch für große Kollektive Gültigkeit haben. Die Antworten […] müssen für die betroffenen Akteure subjektiv sinnhaft sein. Sinn ist daher nicht objektiv bestimmbar, sondern subjektiv konstruiert. (Geideck/Liebert 2003: 3)

Die Analyse von Sinnformeln zielt auf die von Max Weber aufgeworfene soziologische Frage ab, wie individuelles oder kollektives soziales Handeln und Gestalten als kongruent, „sinnhaft[ ]“ und „[l]egitim[…]“ (Geideck/Liebert 2003: 4) wahrgenommen werden kann. Dabei legt die Linguistik den Fokus auf die Analyse sprachlicher bzw. multimodaler Manifestationen und die diskursive Aushandlung von Sinnformeln, während die Soziologie ihre kultur- und gruppenspezifischen Effekte und Erfolgsbedingungen untersucht (vgl. Geideck/Liebert 2003: 7).

Das Konzept weist Verwandtschaft zur Kollektivsymbolik auf, die ein Reservat an potenziell bedeutungsstiftenden sprachlichen oder visuellen Bildern beschreibt, mit denen komplexe Phänomene simplifiziert vermittelt werden können. Sinnformeln zielen hingegen eher auf die subjektive Wirklichkeitskonstruktion ab. Sie verweisen weniger auf allgemein verständliche oder bekannte Bilder als auf eine individuell akzeptierte Formel, die unsere Werte- und Weltvorstellungen prägt. Dies setzt zwei Annahmen voraus: Bedeutung wird stets in der menschlichen Kognition konstruiert und ist nicht ‚natürlich‘ oder ‚unmittelbar‘ vorhanden und, darauf aufbauend, Menschen können diskursiv vermittelte und somit kollektive Deutungsmuster in ihre individuellen Glaubenssysteme integrieren und als ihre eigenen wahrnehmen:

Wenn Sinnformeln für die Betroffenen schön sind, kognitiv einleuchten, emotional passen und appellativ vernünftig [sic], entwickeln sie eine eigene, fast hypnotische Kraft: […] Wenn wir sie einmal akzeptieren und erfahren haben, dass wir damit Seiendes verstehen können, dass sie für uns also Sinn und Verständnis in einer Weise schafft, in der sowohl unsere Wertvorstellungen als auch unsere Interessen aufgehoben und zugleich verwirklichbar erscheinen, dann entwickelt die Sinnformel durch ihren Erfolg eine Zwanghaftigkeit, sie wird in unserem Weltverständnis unverzichtbar, ja Teil unserer Identität. (Geideck/Liebert 2003: 9)

Die Betonung scheint hier auf dem ‚wenn‘ zu liegen: Nicht alle Formenkomplexe können diese bedeutungsstiftende Funktion übernehmen, sie müssen vielmehr an bereits akzeptierte Wertevorstellungen und Identitätsaspekte anknüpfen, den individuellen Vorlieben und Ansichten entsprechen und vor den jeweiligen sozioökonomischen und zeitgeschichtlichen Voraussetzungen bestehen. Besonders einflussreich scheinen Sinnformeln zu sein, die bereits im Kindesalter vermittelt werden oder die so unumstritten sind, dass sie nicht mehr verbalisiert werden:

Erst wenn die Diskussion abebbt, kann gefragt werden, ob eine Sinnformel in einer Sozialität konsensual geworden ist und unbewusst zu wirken beginnt, also zum Denkmuster wird. (Geideck/Liebert 2003: 7)

Dieser Umstand stellt die Forschung vor methodische Herausforderungen, denn wie kann etwas diskursanalytisch erfasst werden, das unausgesprochen bleibt? Und wie können die Forschungssubjekte sich während der Forschungsarbeit von ihren eigenen Sinnformeln lösen, wenn diese unbewusst wirken? Diese methodologischen Herausforderungen teilweise umgehend, wurde das Konzept bisher vor allem angewandt, um sprachlich manifeste Bemühungen zu untersuchen, einen Formkomplex als Sinnformel bzw. Leitbild in einem bestimmten Diskursraum wie bspw. wirtschaftlichen Organisationen zu etablieren (vgl. u. a. Bogner 2003; Nazarkiewicz 2018) oder um abstrakte Sinnzusammenhänge in gruppenspezifischen Ideologien zu eruieren (vgl. u. a. Fritzsche 2024; Liebert et al. 2020).

Da Sinnformeln als Denkmuster persuasives und gruppenkonsolidierendes Potenzial entfalten, kann das Konzept in der strategischen Kommunikation eingesetzt werden. Dabei ist das Erfolgspotenzial vermutlich höher, wenn politische oder wirtschaftliche Kampagnen an bereits bestehende Sinnformeln anknüpfen, indem sie ihre zentrale Botschaft in ein solches Deutungsmuster einfügen, als wenn versucht wird, eine neue Sinnformel zu prägen. Eine weitere Möglichkeit liegt darin, ein Element der bereits bestehenden Kollektivsymbolik aufzugreifen und als semantisch „komprimierte Antwort auf eine oder mehrere Grundfragen“ (Geideck/Liebert 2003: 3), also als Sinnformel, zu etablieren.

Beispiele

(1) Lebensweg als verinnerlichte Sinnformel

Abb. 1: Groh Redaktionsteam, 2025. Kleiner Wandkalender. URL: https://www.alpha-buch.de/368941/was-ich-dir-wuensche-fuer-deinen-weg-2025.html.

Das Foto und die Überschrift des Kalenders in Abb. 1 zeigen eine Sinnformel, die wir vermutlich kennen, ohne oft über sie nachgedacht zu haben: Die Metapher des Lebenswegs ist uns aus zahlreichen Redewendungen, Komposita und Symbolbildern vertraut. Als schwer greifbare Sinnformel prägt sie unsere Vorstellungen von Fortschritt, Kausalität von Ereignissen, sinnvoller Lebensgestaltung, Partnerschaft und vielem mehr. Die Formel ‚Leben = Weg‘ mag uns als selbstverständlich und universell erscheinen, aber auch sie ist kulturabhängig. So wird das Leben in hinduistischen oder naturreligiösen Kulturräumen, in denen überzeitliche Vorstellungen von Wiedergeburt und Naturzyklen vorherrschen, eher mit einem Kreis oder einem Rad verglichen. Im westlichen und abrahamitischen Kulturraum nehmen wir unser Leben hingegen als Weg wahr: Wenn wir eine Entscheidung treffen müssen, überlegen wir, wie diese unser weiteres Leben beeinflussen wird (sprich: welchen Weg wir einschlagen); Freund*innen und Partner*innen begleiten uns im Leben oder für bestimmte Abschnitte; eine neue Arbeitsstelle ist entweder ein Weiterkommen oder ein Rückschritt in unserer Karriere – auch die Formulierungen einiger Grundfragen zu Beginn dieses Artikels (woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir?) bauen auf die Vorstellung eines Lebenswegs auf. Wir haben diese allgegenwärtige Sinnformel verinnerlicht und so begreifen wir das menschliche Leben als eine zielgerichtete, durch uns selbst verursachte Vorwärtsbewegung in Raum und Zeit.

Gleichzeitig ist die Sinnformel des Lebenswegs vage genug, um sich verschiedenen philosophischen, politischen und zeitgeschichtlichen Einflüssen und Umweltbedingungen anzupassen. So führt der aktuell in der westlichen Kultur vorherrschende Individualismus dazu, dass wir unser Leben als ‚individuelles Gehen‘ wahrnehmen (vgl. Abb. 1: auf deinem Weg). Die Sinnformel kann jedoch leicht und ohne diskursiven Legitimierungsaufwand in kollektivistisch geprägten Gesellschaften aufgenommen werden, indem das Voranschreiten auf einem einzigen Weg zu einem gemeinsamen Ziel als kollektive Aufgabe gedeutet wird. So heißt es beispielsweise im ‚Fahnenlied‘, das bei Propagandaveranstaltungen der NSDAP gesungen wurde: In die Zukunft ziehen wir Mann für Mann! (vgl. Schilde 2007).

(2) R-Wert als zeitlich begrenzte Formel für die Alltagsgestaltung

Während der Lebensweg als Beispiel für eine nicht-thematisierte und somit bereits verinnerlichte Sinnformel dient, soll der R-Wert das Phänomen der kontrovers diskutierten und kurzlebigen Sinnformeln illustrieren (dazu ausführlich Geideck/Liebert 2003: 6). Bereits ab März 2020 wurde diese täglich vom Robert Koch Institut aktualisierte Reproduktionszahl des Coronavirus als komprimierte Formel der Alltagsgestaltung stilisiert.

Abb. 2: Robert Koch Institut, Corona in Zahlen: R-Wert für Deutschland vom 13.12.2020.

Zahlen können überzeugen, denn sie suggerieren, dass etwas präzise erfasst wurde. Auf diese Wirkung setzt die Sinnformel des R-Werts, der so klare und einfache Antworten auf existentielle Fragen gibt (vgl. Abb. 2):

– Woher kommen wir? – Von einem um 0,07 niedrigerem R-Wert.
– Wo stehen wir? – Bei einem R-Wert von 1,16.
– Wie sollen wir leben? – So, dass der R-Wert gesenkt wird.

Überstieg der Wert eine bestimmte Schwelle (nämlich die 1, vgl. Focus, 12.05.2020: Corona-Reproduktionszahl liegt bei 1,07 – wie gefährlich ist das? – an die sich 2025 wohl nur noch wenige erinnern können), sollte es als offensichtlich und notwendig angesehen werden, soziale Kontakte einzuschränken, auf den digitalen Unterricht zu wechseln, Körperkontakt zu vermeiden, mit Karte statt Bargeld zu zahlen – so zumindest die Hoffnung der bundesdeutschen und regionalen Regierungen, des Robert-Koch-Instituts und anderer. Dass allein der R-Wert als komprimierte Antwort auf die Fragen der gesellschaftlichen wie individuellen Lebensgestaltung nur von einigen als Sinnformel akzeptiert wurde, zeigt sich nicht nur in zahlreichen kritischen Diskursstimmen aus Journalismus (Beispiel Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.05.2020, Warum R manchmal daneben liegt.) und Wirtschaft (etwa Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, 30.04.2020, Corona-Pandemie: Die Reproduktionszahl und ihre Tücken.), sondern auch in dem Umstand, dass der Wert durch weitere numerischen Angaben wie die der Hospitalisierungsraten (Corona-in-Zahlen: Hospitalisierungsrate des Robert-Koch-Instituts vom 31.08.2021) ergänzt wurde.

Spätestens nach Abebben der pandemischen Situation verlor der R-Wert als Muster sozialen Handelns an Bedeutung. Dementsprechend wurde der in Abb. 2 zu sehende Homepageeintrag seit dem 21. Juni 2023 (Stand: 12.03.2025) nicht mehr aktualisiert. Die von Google Trends aufbereitete Verteilung in Abb. 3 weist jedoch darauf hin, dass viele in Deutschland lebende Menschen zwischen März 2020 und März 2022 regelmäßig nach diesem Wert suchten. Anscheinend konnte die Stilisierung des R-Werts zur Sinnformel in den unsicheren Zeiten der Coronapandemie zumindest einigen Menschen Halt geben und einen klaren Deutungs- und Handlungsrahmen aufmachen, der die Komplexität des epidemiologischen Geschehens auf eine simple, aber bedeutungsaufgeladene Ziffer reduzierte. Dies war nur möglich, da diese Sinnformel an kollektiv akzeptierte Vorstellungen von Messbarkeit, Ursache und Wirkung anknüpfte und Quantifizierungen auch in anderen Diskursbereichen als Evidenzmittel und zur Legitimierung sozialen Handelns eingesetzt werden.

Abb. 3 Verlauf der Suchanfragen nach „r-wert“ in Deutschland, erstellt mit Google Trends, URL: https://trends.google.com/trends/explore?date=today%205-y&geo=DE&q=r-wert&hl=de.

(3) Allah als propagandistische Sinnformel des sogenannten Islamischen Staates

Eine Sinnformel, die zu propagandistischen Zwecken aus ihrem ursprünglichen kulturellen Kontext gerissen und korrumpiert wurde, findet sich in Videos und Texten des sogenannten Islamischen Staates: Allah ist in Artikeln, predigtähnlichen Texten, Interviews u. v. m. das häufigste Substantiv, wird prominent in Überschriften und Abbildungen verwendet und durch Großschreibung der Pronomen, schmückende Kalligrafie und eine Vielzahl an Zitaten aus dem Koran hervorgehoben, der als Gottes Wort gilt (vgl. Fritzsche 2024: Kap. 4.2.4). Auch wenn das Wort Allah selbst sowie Phrasen wie Allah ist derjenige, bei Dem die Hilfe zu suchen ist an das islamische Gottesbild anknüpfen, wird schnell deutlich, dass die Bedeutung des Ausdrucks in diesem Propagandamaterial verändert wird: Die mit Allah bezeichnete Gottheit der Textwelt ist rachsüchtig und kriegerisch, kämpft und mordet gemeinsam mit der Terrororganisation gegen dieselben Feinde und ihr Reich liegt nicht nur im Jenseits, sondern auch auf Erden, nämlich im Territorium des sogenannten Islamischen Staates (vgl. Fritzsche 2024: Kap. 4.3.2; Liebert et al. 2020). Obwohl die Allah genannte Gottheit und die Terrororganisation in den Texten ähnlich fühlen, denken und handeln und somit eher „als gleichberechtigtes Team“ (Fritzsche 2024: 348) agieren, werden Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates als devote Gläubige inszeniert, indem Allah als Sinnformel erscheint:

– Woher kommen wir?                Von Allah.
– Wohin gehen wir?                      Zu Allah.
– Wer sind wir?                             Die Diener Allahs.
– Wie bzw. wozu leben wir?        Nach Allahs Willen bzw. um Allahs Willen zu erfüllen.
(Fritzsche 2024: 272)

Durch diese Sinnformel, die bekannte Aspekte aus der islamisch-abrahamitischen Kultur verkürzt aufgreift und verändert, wertet sich die Terrororganisation auf: Ihre Taten, Weltsicht und Pläne erscheinen als göttlicher Auftrag. Wenn Personen mit der Propaganda konfrontiert werden, die nach Lebenssinn, eindeutigen Antworten und Halt suchen und somit anfällig für eine mögliche ideologische Radikalisierung sind, kann diese Sinnformel persuasives Potenzial entfalten.

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Geideck, Susan; Liebert, Wolf-Andreas (2003) (Hrsg.): Sinnformeln: Eine soziologisch-linguistische Skizze. In: Sinnformeln: Linguistische und soziologische Analysen von Leitbildern, Metaphern und anderen kollektiven Orientierungsmustern. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 3–14.

  • Fritzsche, Maria (2024) (Hrsg.): Kap. 4.3.2 Die Sinnformel: Transzendente Instanz. In: Sprachlich konstruierter Extremismus: Mehrdimensionale Textanalyse von Propagandamagazinen des sogenannten Islamischen Staates. Linguistik – Impulse & Tendenzen, Bd. 113. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 271–275.

Zitierte Literatur

  • Bogner, Alexander (2003): „Unsere Aufgabe ist es halt, ganz klare Grenzen zu ziehen“ – Gestaltungszwänge und professionelle Handlungsorientierungen in der Humangenetik. In: Geideck, Susan; Liebert, Wolf-Andreas (Hrsg.): Sinnformeln: Linguistische und soziologische Analysen von Leitbildern, Metaphern und anderen kollektiven Orientierungsmustern. Berlin, Boston: de Gruyter, S. 199–224.
  • Fritzsche, Maria (2024) (Hrsg.): Sprachlich konstruierter Extremismus: Mehrdimensionale Textanalyse von Propagandamagazinen des sogenannten Islamischen Staates. Linguistik – Impulse & Tendenzen, Bd. 113. Berlin, Boston: De Gruyter.
  • Geideck, Susan; Liebert, Wolf-Andreas (2003) (Hrsg.): Sinnformeln: Eine soziologisch-linguistische Skizze. In: Sinnformeln: Linguistische und soziologische Analysen von Leitbildern, Metaphern und anderen kollektiven Orientierungsmustern. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 3–14.
  • Liebert, Wolf-Andreas et al. (2020): Glossar: Extremistische Sinnformeln. In: Brahim, Ben Slama; Kemmesies, Uwe (Hrsg.): Handbuch Extremismusprävention: Gesamtgesellschaftlich. Phänomenübergreifend. Polizei+Forschung. Wiesbaden: Bundeskriminalamt, S. 173–209.
  • Nazarkiewicz, Kirsten. 14. Leitbild und Ideologie. In: Habscheid, Stephan; Müller, Andreas P.; Thörle, Britta; Wilton, Antje (Hrsg.): Handbuch Sprache in Organisationen. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 267–292.
  • Schilde, Kurt (2007): „Unsere Fahne flattert uns voran!“ Die Karriere des Liedes aus dem Film „Hitlerjunge Quex“. In: Stambolis, Barbara; Reulecke, Jürgen (Hrsg.): Good-bye memories ? Lieder im Generationengedächtnis des 20. Jahrhunderts. Essen: Klartext, S. 185–198.

Zitiervorschlag

Fritzsche, Maria (2025): Sinnformel. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 01.08.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/sinnformel.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Praktik

Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Narrativ

Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Metapher

In der politischen Berichterstattung ist oft davon die Rede, dass eine bestimmte Partei einen Gesetzesentwurf blockiert. Weil das Wort in diesem Zusammenhang so konventionell ist, kann man leicht übersehen, dass es sich dabei um eine Metapher handelt.

Techniken

Inszenierte Kontroverse

Inszenierte Kontroversen liegen vor, wenn Politiker, Vertreter von Interessengruppen, Aktivisten, Journalisten, Influencer oder andere öffentlich wirksame Akteure potentiell strittige Themen möglichst effektvoll in einen Diskurs einbringen oder einen entsprechenden Diskurs auslösen, und zwar um entsprechende Perspektivierungen bestimmter Konfliktlagen im eigenen Interesse konfrontativ zu prägen.

-ismus

Bei Ismen geht es ursprünglich um die Wortendung (sog. Suffix) -ismus (Plural -ismen), mit der Substantive mit substantivischem oder adjektivischem Wortstamm (Basis) gebildet werden (z.B. Vulkan-ismus oder Aktiv-ismus).

Persuasion

Persuasion kommt vom lateinischen Verb persuadere und bedeutet ‚überzeugen, überreden‘ (gebildet aus suadere ‚raten, empfehlen‘ und per ‚durch, über‘).‘). Der Begriff stammt aus der Rhetorik, in der es vor allem darum geht, wie man Hörer:innen oder Leser:innen auf seine Seite bringt: wie man sie zum Beispiel in einem Gerichtsprozess von der Schuld oder Unschuld eines/einer Angeklagten überzeugt, wie man sie politisch zur Parteinahme überredet oder wie man sie ganz allgemein für sich selbst oder einen bestimmten Gegenstand/Sachverhalt einnimmt.

Ironie

Ironie (altgriechisch εἰρωνεία (eirōneía), wörtlich ‚Verstellung‘, ‚Vortäuschung‘) ist in unserer unmittelbaren und massenmedialen Kommunikationskultur sehr bedeutsam. Sie arbeitet mit einem Bewertungsgegensatz zwischen Gesagtem und Gemeintem.

Wiederholen

Das Wiederholen von Äußerungen in öffentlichen (politischen) Diskursen zielt darauf, das Denken anderer zu beeinflussen, Wissen zu popularisieren, einseitige (z. B. fanatisierende, beschwörende, hysterische, ablenkende, pseudosachliche) Konstruktionen von Wahrheit zu erzeugen, um die soziale Wirklichkeit als intersubjektiven Konsens im einseitigen Interesse des „Senders“ zu verändern. Grundvoraussetzung ist die Annahme, dass das kollektive Denken stets mächtiger als das individuelle Denken ist.

Diskreditieren

Das Diskreditieren ist eine Praktik, mit der Diskursakteure durch verschiedenste Strategien, die von Verunglimpfungen und Verleumdungen bis hin zu rufschädigenden Äußerungen reichen, abgewertet und herabgesetzt werden.

Nähe inszenieren

Die Inszenierung von Nähe beschreibt eine Kommunikations>>praktik, bei der Akteur:innen Techniken einsetzen, um Vertrautheit, Sympathie und Authentizität zu vermitteln (z.B. das Angebot einer:s Vorgesetzten, zu duzen).

Diplomatie

Diplomatie bezeichnet im engeren Sinne eine Form der Kommunikation zwischen offiziellen Vertretern von Staaten, die die Aufgabe haben, zwischenstaatliche Beziehungen durch und für Verhandlungen aufrecht zu erhalten. Diese Vertreter können Politiker oder Beamte, insbesondere des diplomatischen Dienstes, sowie Vertreter internationaler Organisationen sein.

Typografie

Typografie bezeichnet im modernen Gebrauch generell die Gestaltung und visuelle Darstellung von Schrift, Text und (in einem erweiterten Sinne) auch die Dokument-Gesamtgestaltung (inklusive visueller Formen wie Abbildungen, Tabellen, Taxono-mien usw.) im Bereich maschinell hergestellter Texte (sowohl im Druck als auch auf dem Bildschirm)

Fact Checking

Fact Checking ist eine kommunikationsstrategische Interventionstechnik, bei der eine Diskursaussage auf Bild oder Textbasis unter dem Gesichtspunkt der Faktizität bewertet wird. Sie ist überwiegend in journalistische Formate eingebettet, die als Faktencheck bezeichnet werden.

Schlagwörter

Woke

Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.

Identität

Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.

Wohlstand

Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

Remigration

Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.

Radikalisierung

Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.

Bürokratie

Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.

Politisch korrekt / Politische Korrektheit

Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt.

Kipppunkt

Als öffentliches Schlagwort ist Kipppunkt Teil eines Argumentationsmusters: es behauptet ein ‚Herannahen und baldiges Überschreiten einer unumkehrbaren Sachverhaltsänderung, die fatale bzw. dystopische Folgeschäden auslöst, wenn nicht umgehend bestimmte Maßnahmen eingeleitet oder unterlassen werden.‘

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Verschiebungen

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Partizipatorischer Diskurs

Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament

Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)

Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit

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Die Macht der Worte 3/4: Sprachliche Denkschablonen

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Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe

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Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen

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Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.