DiskursGlossar

Opfer-Topos

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Opferstatus, Viktimisierung, Täter-Opfer-Dichotomie, Opferinszenierung
Siehe auch: Topos, Analogie-Topos, Konsequenz-Topos, Topos der düsteren Zukunft, Topos vom wirtschaftlichen Nutzen, Be-/Überlastungs-Topos, Differenzierungs-Topos, Autoritäts-Topos
Autorin: Carina Krajczewski
Version: 1.0 / Datum: 13.03.2023

Kurzzusammenfassung

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen. Der durch den Gebrauch des Opfer-Topos zu erreichende diskursive Opferstatus hat die Funktion, exklusive Privilegien für sich zu reklamieren, gegen unliebsame Kritik zu immunisieren, eigene Gegenangriffe als defensive Maßnahmen zu legitimieren sowie die persönlichen Überzeugungen und Ziele gegenüber anderen zu plausibilisieren. Historisch ist der Opfer-Topos von Nachkriegsdebatten geprägt. Gegenwärtig wird vorwiegend in der Identitätspolitik und in populistischen Kommunikationspraktiken von diesem Topos Gebrauch gemacht.

Der Opfer-Topos (im Sinne von ,victim‘ (engl.)) referiert auf passives Erleiden aufgrund einer Tat bzw. eines Täters. Er kann wie folgt paraphrasiert werden:

Weil jemand Opfer von X ist, obliegt es in gesellschaftlicher Verantwortung, ihn vor X zu schützen und zugleich seine Bedürfnisse besonders zu unterstützen.

Der Opfer-Topos ist zu unterscheiden vom Aufopferungs-Topos, der infolge besonderen Einsatzes bestimmte Sonderrechte reklamiert.

Erweiterte Begriffsklärung

Unter dem Opfer-Topos versteht man in der Diskursforschung eine musterhafte Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Prozesse darstellen, um dadurch besondere Rechte – insbesondere Aufmerksamkeit – geltend zu machen sowie ihre Bedürfnisse und Anliegen zu legitimieren.

In gegenwärtigen Mediendiskursen gilt als Maßstab für die Opferidentifikation vornehmlich die subjektive Gefühlswelt der sich als betroffen inszenierenden Akteure. In sich als ‚demokratisch‘ verstehenden Gesellschaften bildet der Opfer-Topos eine oftmals überzeugende Argumentationsgrundlage, weil ‚Opfer‘ hier als zu schützende Personen bzw. als zu schützende soziale Gruppe bewertet werden, die durch ihre Schutzbedürftigkeit exklusive Hilfestellung und Rechte benötigen und einfordern können. Dazu gehören insbesondere Gruppen, die einen Minderheitenstatus innehaben oder beanspruchen. Im Diskurskontext wird hierbei auf das Demokratieprinzip – als zentrales Verfassungsprinzip – referiert, welches den Minderheitenschutz priorisiert. An dieser Stelle zeigt sich das strategische Potential des Topos: Diskursakteure inszenieren zuweilen unabhängig davon, ob sie sich tatsächlich als ‚Opfer‘ verstehen, einen Opferstatus, um für ihre (politischen) Anliegen und Bedürfnisse Aufmerksamkeit zu erlangen sowie Positionen und Handlungen zu legitimieren.

Der Opfer-Topos generiert Plausibilität, indem ‚Opfer-sein‘ mit einer Schutzbedürftigkeit attribuiert wird, die an Unschuld und Wehrlosigkeit geknüpft ist. Es wird suggeriert, es gebe einen Täter bzw. eine gegen das Opfer gerichtete Tat. Diese Täter-Opfer-Dichotomie basiert auf einem asymmetrischen Verhältnis von Schuld und Unschuld (vgl. Lamott 2009: 258). Das Opfer wird als wehrlos und unschuldig perspektiviert, da es dem schuldhaften Täter bzw. Geschehen hilflos ausgeliefert scheint. Die vorgenannte Asymmetrie bezieht sich ebenfalls auf die Machtmittel zwischen Täter und Opfer – der Täter ist dem Opfer stets erhaben, weil das Opfer keine Machtmittel besitzt, um sich zur Wehr zu setzen (vgl. Paris 2004: 919 f.). Vor dem Hintergrund dieser Schutz- und Hilflosigkeit versuchen Akteure, Gegenangriffe im Diskurs als Selbstschutzmaßnahmen zu rechtfertigen. Eine Tat bzw. Handlung seitens der Akteure, die den Opferstatus innehaben, wird im Erfolgsfall nicht als Angriff, sondern nur als Verteidigungsmaßnahme bzw. Notwehr bewertet werden.

Darüber hinaus dient der Topos kommunikationsstrategisch oft dazu, sich auf Basis eines Opferstatus von (moralischen) Vorwürfen freizusprechen bzw. zu entlasten. Akteure versuchen, indem sie sich beispielsweise als Opfer eines ‚Shitstorms‘ inszenieren, sich gegenüber der geübten Kritik zu immunisieren. Dadurch weisen sie jegliche Schuld von sich und können gleichzeitig Dritte als moralisch inakzeptable Diskurspartner markieren. Vornehmlich politische Akteure machen im Kontext von Fernsehinterviews vom Opfer-Topos Gebrauch, um von eigenen Fehlern abzulenken und andere Themen bzw. Defizite anderer politischer Akteure hervorzuheben und den Fokus der Debatte darauf zu verlagern. Ebenfalls dient die Positionierung als ‚Opfer‘ dazu, schwierige Fragen sowie Gegenargumente zu umgehen (vgl. Koppensteiner 2014: 107 f.). Für die sprachliche Realisierung des Opfer-Topos sind Passiv-Konstruktionen, also die Positionierung des Opfers als Objekt eines Satzes charakteristisch.

Das Gelingen einer erfolgreichen Opferinszenierung ist davon abhängig, ob das Publikum bzw. das soziale Umfeld das inszenierte ‚Opfer‘ als solches wahrnimmt. Zudem muss die Öffentlichkeit annehmen, dass das ‚Opfer‘ unverschuldet in seine Lage gekommen ist, d.h. dass es einem Täter oder einem nicht von ihm verschuldeten Ereignis ‚zum Opfer gefallen‘ ist. Erst durch die externe Bestätigung und Anerkennung des Opferstatus (z.B. Frauen als ‚Opfer des Patriarchats‘ und Migranten als ‚Opfer von Rassismus‘) ist das ‚Opfer‘ in der Position, Aufmerksamkeit zu erlangen und besondere Ansprüche durchzusetzen.

Da der Opfer-Topos auf das subjektive Empfinden und auf (stilisierte) Opfererfahrungen rekurriert, kann es schwierig sein, die Legitimität des Opferstatus durch sachliche Argumente anzuzweifeln. Wer in moralisierenden Diskursen versucht, den öffentlich etablierten Opferstatus einer Person oder sozialen Gruppe zu objektivieren oder gar infrage zu stellen, dem droht potentiell selbst der Täter-Vorwurf. Mögliche Gegenstrategien im Diskurs vor einem Publikum können sein, den Opfer-Topos als ‚rhetorischen Trick‘ zu identifizieren und die Argumentation auf die ‚sachliche Ebene‘ zurückzuführen. Auf sprachlicher Ebene kann der Geltungsanspruch des Opfer-Topos relativiert werden, indem die eigene Positionierung in Aktivsätzen formuliert wird und dabei die eigene Person in die Subjekt-Rolle rückt (vgl. Gädeke 2017). Eine weitere, nicht unbedingt empathische, Gegenstrategie stellt die Täter-Opfer-Umkehr (,Victim-Blaming‘) dar, welche sich gegen eine zentrale Voraussetzung einer erfolgreichen Opferinszenierung richtet: nämlich, dass ein ‚Opfer‘ unverschuldet in die Opferrolle aufgrund eines Täters oder einer gegen das Opfer gerichteten Tat geraten sei. Die Schuld eines Täters bzw. an einer gegen das Opfer gerichteten Tat wird dann dem ‚Opfer‘ zugewiesen. Der ursprüngliche Täter wird so von möglichen Vorwürfen entlastet und das vorherige ‚Opfer‘ wird für seine eigene Lage angeklagt bzw. verantwortlich gemacht. Dem ursprünglichen ‚Opfer‘ wird dabei der Anspruch auf besondere Rechte abgesprochen.

Neben der Selbststilisierung als ‚Opfer‘ (im Sinne von Selbstviktimisierung) ist die Fremdstilisierung anderer als ‚Opfer‘ eine weitere diskursive Strategie in politischen Debatten, vornehmlich im Kontext von Populismus und Identitätspolitik. Sowohl die Selbst- als auch die Fremdviktimisierung dient dem Ziel, positive Reaktionen, wie beispielsweise Anteilnahme und Mitleid, auszulösen und damit Geltungsansprüche für eigene Forderungen zu begründen. Im Sinne der Fremdstilisierung bringen (politische) Akteure bzw. Institutionen ihre Solidarität mit oder ihre eigene Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zum Ausdruck oder stellen diese zur Schau, um aus dem so konstruierten ‚Opferschutz‘ moralische Achtungspunkte beim Publikum zu sammeln. Im Rahmen populistischer Kommunikationsstrategien kann Fremdstilisierung dazu dienen, sich als Stimmgeber einer sozialen Gruppe zu inszenieren, durch welchen die Anliegen und Bedürfnisse dieser Gruppe gegen Sagbarkeitsgrenzen geäußert werden und Beachtung erfahren sollen (vgl. Hoffmann 2022: 265).

Beispiele

(1) Im historischen Kontext wird der Opfer-Topos vornehmlich in Nachkriegsdebatten geprägt, um die Verantwortung hinsichtlich der historischen Schuld an den Kriegsverbrechen des Nationalsozialismus zu verhandeln. Dörner (1995: 385) stellt in seiner interpretativen Analyse der Parteiprogrammtexte der Republikaner (REP) aus dem Jahr 1987 heraus, dass sich diese rechtsextreme Partei des Opfer-Topos bediene, um die nationale Identität von der den Deutschen zugeschriebenen Kriegsschuld zu bereinigen und ein positives Image wiederherzustellen. Die REP stilisiert sich selbst (und Deutsche allesamt) als ‚Opfer‘ von Kriegspropaganda der Alliierten und lehnt aus diesem Grund die ihnen zugeschriebene kollektive Schuld ab. Sozialwissenschaftliche Studien (vgl. u.a. Reck 2005: 344 f.; Jensen 2004: 75–135) liefern analoge Ergebnisse: Angehörige der ersten Nachkriegsgeneration viktimisierten sich selbst mehrheitlich, indem sie sich „als Opfer der NS-Propaganda, als Opfer des Terrorapparats des Regimes und zuletzt als Kriegsopfer und Opfer der alliierten Luftangriffe“ (Reck 2005: 345) darstellten. Hierbei wird der Opfer-Topos im Sinne der Selbstviktimisierung instrumentalisiert, um die Deutschen gegenüber dem Vorwurf einer Kollektivschuld an den Kriegsverbrechen in Schutz zu nehmen und nachträgliche Vorwürfe abzuschwächen.

(2) In den Jahren 2020 und 2021 stilisierten sich Kritiker der Coronamaßnahmen häufig als ‚Opfer‘ einer „Gesundheitsdiktatur“ (Nullmeier 2020: 135), um damit zivilen Ungehorsam, unangemeldete Demonstrationen oder Proteste zu legitimieren. Besondere mediale Aufmerksamkeit erhielt eine Rednerin im Rahmen einer sog. ,Querdenken‘-Kundgebung:

Ich fühle mich wie Sophie Scholl, da ich seit Monaten aktiv im Widerstand bin, Reden halte, auf Demos gehe, Flyer verteile und auch seit gestern Versammlungen anmelde. (WELT Nachrichten 2020)

Die junge Frau stilisierte sich selbst als ‚Opfer‘ der Coronamaßnahmen, durch welche ihre Freiheit eingeschränkt sei und sie ungerecht behandelt werde. Sie verstärkt ihre Opferinszenierung durch einen Vergleich ihrer Person mit der Widerstandskämpferin Sophie Scholl im Nationalsozialismus. Der Analogie-Topos dient hier als Stütze des Opfer-Topos. Auf Basis ihres selbststilisierten Opferstatus rechtfertigt die Rednerin ihren Protest gegen die Coronaverordnungen und behauptet auf diese Weise, ihre Werte der Freiheit und Gerechtigkeit zu verteidigen. Die Öffentlichkeit reagierte größtenteils mit Ablehnung und Spott (beispielsweise in Form von Memes) auf die Aussage der Rednerin; ihre Opferinszenierung kann zumindest in dieser Rezipientengruppe als gescheitert gelten. Die Vergleichbarkeit ihrer Lage bzw. ihres Widerstands mit Sophie Scholl wird zurückgewiesen und als rhetorischer Trick identifiziert (s.o. Gegenstrategien).

(3) Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar 2022 war stark umstritten. Der katarische Emir Tamim bin Hamad Al-Thani beklagte vor diesem Hintergrund in einer Fernsehansprache, hinter der geübten Kritik an Katar stecke eine beispiellose Kampagne, die sich in ihrer Heftigkeit ausdehne sowie auf Erfundenem und Doppelmoral (Zimmermann 2022) basiere. Damit positionierte er sich und Katar als passives ‚Opfer‘ einer internationalen ‚Schmutzkampagne‘ und versuchte auf diese Weise, Kritik am zuvor öffentlich kritisierten Umgang mit ausländischen Arbeitern, Frauen sowie Menschen der LGTBQ+-Community zu delegitimieren. Kein Gastgeberland der FIFA-Weltmeisterschaft zuvor habe bisher eine solche Verurteilung erfahren. Zugleich verwies er auf die Bereitschaft, grundsätzlich offen für Kritik und Veränderungen zu sein, um Aspekte […] zu entwickeln, die entwickelt werden müssen (Zimmermann 2022) – ein rhetorischer Trick, um weiterführende Kritik abzuwehren bzw. zu kanalisieren.

 

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Paris, Rainer (2004): Ohnmacht als Pression: Über Opferrhetorik. In: Merkur: Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken, Heft 9–10, Jg. 58, S. 914–923.
  • Knobloch, Clemens (2020): Die Figur des Opfers und ihre Transformation im politischen Diskurs der Gegenwart. In: Zeitschrift für Politik, Heft 4, Jg. 67, S. 455–472.

Zitierte Literatur

  • Dörner, Andreas (1995): „Rechts“, aber nicht „draußen“. Zur Selbstverortung in den Parteiprogrammen der REPUBLIKANER. In: Dörner, Andreas; Vogt, Ludgera (1995): Sprache des Parlaments und Semiotik der Demokratie: Studien zur politischen Kommunikation in der Moderne. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 364–396.
  • Gädeke, Marietta (2017): Die Opferrolle. Der Klassiker unter den Manipulationsstrategien. Online unter: https://www.lilit-kommunikation.de/5-strategien-gegen-schwarze-rhetorik-teil-4-opferrolle-opfer/ ; Zugriff: 13.12.2022.
  • Hoffmann, Magdalena (2022): Intentionale Selbstviktimisierung als Strategie. Eine quantitative Studie des Twitter-Accounts der AfD. In: Communicatio Socialis, Jg. 55, H.2, S. 264–277.
  • Jensen, Olaf (2004): Geschichte machen. Strukturmerkmale des intergenerationellen Sprechens über die NS-Vergangenheit in deutschen Familien. Tübingen: Ed. Diskord.
  • Koppensteiner, Thomas (2014): „Sie weichen mir schon wieder aus.“ Eine Typologie von Strategien in politischen Fernsehinterviews. Magisterarbeit, Magisterstudium Publizistik -und Kommunikationswissenschaft, Wien 2014.
  • Lamott, Franziska (2009): Zur Instrumentalisierung des Opferstatus. In: Psychotherapeut. Jg. 54, H.4, S. 257–261.
  • Nullmeier, Frank (2020): Covid-19-Pandemie und soziale Freiheit. In: ZPTh – Zeitschrift für Politische Theorie, Jg. 11, H.1, S. 127–154.
  • Paris, Rainer (2004): Ohnmacht als Pression: Über Opferrhetorik. In: Merkur: Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken. Jg. 58, H.9-10 [665-666], 914–923.
  • Reck, Norbert (2005): „Wer nicht dabeigewesen ist, kann es nicht beurteilen“: Diskurse über Nationalsozialismus, Holocaust und Schuld in der Perspektive verschiedener theologischer Generationen. In: Münchener Theologische Zeitschrift. Jg. 56, H.4, S. 342-354.
  • Ueding, Gerd (2003): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Berlin, Boston: De Gruyter.
  • WELT Nachrichten (2020): „So ein Schwachsinn“: „QUERDENKEN“-Rednerin vergleicht sich mit Sophie Scholl. YouTube. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=3Y7pNU03i-o ; Zugriff: 09.03.2023.
  • Zimmermann, Konstantin (2022): Katar sieht sich als Opfer internationaler Kampagne. Online unter: https://www.zeit.de/sport/2022-10/katar-fussball-wm-kampagne-tamim-bin-hamad-al-thani?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.de%2F ; Zugriff: 15.12.2022.

Zitiervorschlag

Krajczewski, Carina (2023): Opfer-Topos. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 13.03.2023. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/opfer-topos.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Topos der düsteren Zukunftsprognose

Der Topos der düsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Wahlkampf

Wahlkämpfe sind Zeiten stark intensivierter politischer Kommunikation. Politische Parteien entwickeln Programme für die nächste Legislaturperiode in der Hoffnung, durch entsprechenden Stimmengewinn zu deren Umsetzung ermächtigt zu werden.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...

Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)

Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?

Was ist ein Volk?

Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…