DiskursGlossar

Epistemischer Status

Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte Ausdrücke: Autorität, Wissensordnung, Wissensbestand
Siehe auch: Wissen, Perspektive, Erzählen
Autorin: Antje Wilton
Version: 1.3 / Datum: 23.11.2020

Kurzzusammenfassung

Als epistemischen Status bezeichnet man die Wissensbestände und -zugänge zu Ereignissen, Sachverhalten und Personen, die Gesprächsteilnehmer*innen ihrem Gegenüber in der Interaktion zuschreiben. Gegenseitige Einschätzungen bezüglich des epistemischen Status der Gesprächsteilnehmer*innen nehmen Einfluss auf die Art, wie Teilnehmer*innen ihre Gesprächsbeiträge gestalten: So zeigt zum Beispiel eine Frage üblicherweise an, dass der/die Fragende davon ausgeht, weniger über ein bestimmtes Ereignis zu wissen als der/die Befragte. Der epistemische Status der Gesprächsteilnehmer*innen ist relativ zueinander und reicht von vollständiger Kenntnis (K+) bis zu Unkenntnis (K-) bezogen auf einen Sachverhalt sowie allen möglichen Positionen zwischen diesen beiden Polen.

Erweiterte Begriffsklärung

Die Annahmen über den epistemischen Status des Gegenübers sind entscheidend für die Art der Durchführung sozialer Handlungen. Die Annahmen strukturieren wie ein Schema die Wissensbestände vor, die dann in der Gesprächssituation aktualisiert und ausgehandelt werden. Typischerweise liegen Themen, die eine/n Gesprächsteilnehmer*in persönlich betreffen, insbesondere Gefühle, Gedanken, der eigene Körper, das Privatleben etc., im Wissensterritorium des/der jeweiligen Gesprächsteilnehmers/in. Übergriffe in dieses Territorium durch andere Gesprächsteilnehmer*innen können zu Problemen in der Interaktion führen, indem Äußerungen beispielsweise als Anmaßung empfunden werden. Generell können durch das Einnehmen einer nicht mit dem epistemischen Status kongruenten Haltung, also wenn man so tut, als wüsste man nichts über einen bestimmten Sachverhalt, sollte es aber qua Position, oder wenn man umgekehrt Wissen für sich beansprucht, auf das man kein oder nur ein nachgeordnetes Recht hat, (epistemic stance) sowohl gesichtsbedrohende als auch gesichtswahrende Handlungen vollzogen werden. Der epistemische Status eines/r Interaktionsteilnehmer/in kann durch institutionelle Strukturen bzw. Rollenzuschreibungen verankert sein (Modada 2011).

Die sprachlichen Mittel, um die epistemische Haltung anzuzeigen, zuzuschreiben, zu beanspruchen bzw. auszuhandeln, sind vielfältig und reichen von Fragesyntax (Würden Sie sich jetzt schon mit diesem Impfstoff impfen lassen?) bzw -intonation über Wissensmarker wie ich denke/glaube/meine bis hin zu Modalpartikeln bzw. Einstellungsausdrücken (ja, Reineke 2018). Auch interaktional gibt es verschiedene Strategien, epistemische Autorität oder Autonomie im Gespräch zu reklamieren (De Stefani & Mondada 2017).

Ein/e erste/r Sprecher*in macht eine Aussage (first pair part), die eine epistemische Haltung kommuniziert, die von dem/der Gesprächspartner*in in der Reaktion auf den ersten Beitrag (im second pair part) bestätigt, relativiert oder angefochten werden kann. Gerade wertende Beiträge im ersten Gesprächsbeitrag setzen den/die folgende/n Sprecher*in unter Druck: Ist er/sie nicht mit der Ansicht des/der ersten Sprecher*in einverstanden, obliegt es ihm/ihr, der Wertung eine eigene, unabhängige Beurteilung entgegenzustellen (Raymond & Heritage 2005). Dies macht man sich insbesondere in Nachrichteninterviews mit Politiker*innen und anderen öffentlichen Entscheidungsträger*innen zunutze, um den/die Befragte/n herauszufordern, in Erklärungsnot zu bringen und zur Verantwortung zu ziehen (Vincze et al. 2016). Das Frage-Antwort-Format impliziert, dass der/die Fragende über einen bestimmten Sachverhalt weniger weiß als der/die Angesprochene. Gleichzeitig wird damit aber auch signalisiert, dass man von dem/der Angesprochenen erwartet, auf den in der Frage thematisierten Sachverhalt eine Antwort zu wissen, also einen direkteren Zugriff auf relevantes Wissen zu haben als der/die fragende Journalist*in und das von ihm/ihr vertretene Publikum. In solchen Gesprächssituationen ist allerdings zu beachten, dass der/die Journalist*in institutionell legitimiert und prinzipiell zur Neutralität verpflichtet ist und seine/ihre Beiträge, auch wenn sie kontroverse Aussagen enthalten, darum in der Regel nicht als persönliche Meinungsäußerungen aufgefasst werden. Im Kontext des Interviews werden Beiträge des/der Journalist*in üblicherweise als zulässig behandelt, so lange sie erkennbar die soziale Handlung des ‚Fragens‘ (doing questioning) ausführen (Clayman & Heritage 2002).

Im öffentlichen Diskurs sind Vorannahmen über Wissensbestände der Akteur*innen sowie deren sprachlicher Ausdruck im Diskurs in der strategischen Kommunikation im Allgemeinen relevant, nehmen aber insbesondere im Diskurs um ,Fake News‘ spezielle Formen an. Umgang mit und Zuschreibung von Wissensbeständen und Zugang zu Evidenzen und Sachverhalten unterliegen moralischen Normen (siehe dazu Stivers, Mondada & Steensig 2011), die mit Verpflichtungen verbunden sind. So wird, wie oben schon angesprochen, beispielsweise von einem/r Sprecher/in erwartet, dass er/sie Auskunft über seine/ihre persönliche Situation geben kann. Umgekehrt kann der/die Sprecher/in aber auch erwarten, dass dieses persönliche Wissensterritorium vom Gegenüber respektiert wird. Von Sprecher*innen wird außerdem erwartet, dass sie sich am Wissensstand des Gegenübers bei der Gestaltung ihrer Redebeiträge orientieren, indem sie z.B. Referenzen auf Personen anpassen (meine Schwester vs. die Marianne). Zu den moralischen Pflichten der Sprecher*innen gehört auch, bestimmte Handlungen nicht durchzuführen, z.B. indem sie nicht nach Wissen fragen, das ihnen bereits bekannt ist. Insbesondere bei der Bearbeitung von Neuigkeiten sollten die Sprecher*innen demjenigen den Vortritt lassen, der dem entsprechenden Ereignis oder Sachverhalt am nächsten ist bzw. demjenigen, dem die größte Autorität bezüglich eines Ereignisses oder Sachverhalts zugestanden wird. Diese Normen und Pflichten sind, ähnlich wie die Grice’schen Konversationsmaxime, jedoch nicht als dringend zu befolgende Ratschläge zu verstehen, sondern als Leitlinien einer Orientierung in Interaktionen, deren Nichtbefolgung die Regel sein kann bzw. zum Erreichen interaktionaler Zwecke eingesetzt wird. Bewusstes Hinterfragen, Herausfordern und Aufheben dieser Normen kann, wie oben erläutert, institutionell legitimiert bzw. für institutionelle Formate konstitutiv sein; im ,Fake News‘-Diskurs können sie dazu führen, Vertrauen in etablierte Wissensquellen, –verwalter und -kommunikatoren wie Wissenschaft und Medien zu dekonstruieren und dadurch Unsicherheit zu verbreiten.

Beispiele

(1) Experteninterview

Korinna Hennig: Das heißt, wenn Sie das für uns übersetzen, kann man auch bei dieser Mutation trotz möglicherweise verbesserter Bindungsfähigkeit nicht ableiten, dass Menschen mit überstandener Erkrankung nicht mehr mit ihren gebildeten neutralisierenden Antikörpern gut auf diese Mutation reagieren können und auch nicht, dass es krankmachender oder infektiöser ist?

Christian Drosten: Sie stellen hier genau die richtige Frage. Sie benutzen das Wort neutralisierende Antikörper. Das ist nämlich entscheidend für diese große im Raum stehende Frage: Bedeutet das jetzt ein erstes Zeichen von Drift des Virus gegen eine Bevölkerungsimmunität und gegen eine mögliche Immunität? Also haben wir hier ein erstes Warnsignal, dass das Virus sich verändert? Das ist die große Frage, die hier mitschwingt. (NDR 2020)

Diese Frage-Antwort-Sequenz zeigt, wie die Journalistin den Experten für ein Sachgebiet als solchen anspricht: In ihrem Redebeitrag stellt sie eine Verständnisfrage (Das heißt…?), die anzeigt, dass sie von ihrem Gesprächspartner eine verlässliche Antwort hinsichtlich des von ihr vorformulierten Sachverhalts erwartet. Sie zeigt außerdem an, dass sie für sich, aber als Journalistin natürlich stellvertretend auch für das Podcastpublikum fragt, indem sie das inklusive Personalpronomen uns verwendet. Der Expertenstatus des Gegenübers wird weiterhin in der Bitte deutlich, den Sachverhalt zu übersetzen, also für ein Laienpublikum verständlich darzulegen. Interessanterweise wird durch die Vorformulierung des Sachverhalts durch die Wissenschaftsjournalistin zum einen ihre eigene, wenn auch als geringer dargestellte Fachkompetenz sichtbar, zum anderen leistet sie in Ansätzen schon die vereinfachte Darstellung, um die sie den Experten bittet, selbst. Dies ist auch in der Antwort des Experten deutlich, der die Annahmen der Journalistin zunächst explizit bestätigt (Sie stellen hier genau die richtige Frage) und dann seinen eigenen Expertenstatus festigt, indem er ihre Wortwahl (neutralisierende Antikörper) aufgreift und ausführlicher kontextualisiert.

(2) Nachrichteninterview

Claus Kleber: (…) Wir haben gerade ein Beispiel von einer Schule gesehen, wo ganz offensichtlich ist, dass das eine Virenschleuderapparatur ist, dieser Klassenraum. Warum erlauben die Schull- die für die Schulen verantwortlichen Länder nicht diesen halben Unterricht? Die Hälfte in der Ferne, die andere Hälfte im Klassenraum und die halben Klassen wechseln s- sich ab.

Joachim Stamp: Herr Kleber, an der Stelle würde ich Ihnen widersprechen wollen; die Schulen sind kein Virenschleuderapparat. Das haben alle Studien eh gezeigt, dass [erst mit deutlich steigendem Alter…

Claus Kleber: [nicht alle Studien. Es gibt eine neue Studie aus München, die das offensichtlich Naheliegende belegt: Natürlich werden Kinder krank. Man merkt es ihnen oft nicht an, aber sie werden krank, und die Dunkelziffer ist fünfmal höher als bei Erwachsenen und natürlich tragen die es weiter. Lehrerverbände, Elternverbände, Gewerkschaften und Virologen sind sich einig, da müsste man was tun, und es wird verdammt wenig getan. (heute journal 2020)

In diesem Beispiel wird deutlich, wie ein Journalist und ein Politiker in einem Wissensgebiet, in dem sie beide keine Experten sind, den jeweils höheren epistemischen Status beanspruchen. Dabei macht der Journalist deutlich, dass die Erkenntnis, dass Kinder in der Pandemie genauso das Virus übertragen wie Erwachsene, ein Wissensaspekt ist, der allgemein zugänglich, bekannt und als solcher von verschiedenen Fachleuten einhellig vertreten wird. Er verweist zum einen auf eine Schule in einem Beitrag, der gerade zuvor gesendet und so auch vom Politiker gesehen wurde, zum anderen auf eine konkrete Studie, die die pauschale Aussage des Politikers (alle Studien) zurückweist und konkretisiert. Er impliziert damit, dass sein Gesprächspartner als Politiker die Pflicht hätte, dieses Wissen nicht nur zu teilen, sondern auch verantwortungsvoll danach zu handeln. Die Darstellung eines Sachverhalts als allgemein akzeptiert dient also dazu, den Verantwortungsträger unter Druck zu setzen und ihn zu einer Rechtfertigung zu bewegen. Der Hinweis auf fehlendes, aber eigentlich notwendig vorhandenes Wissen auf Seiten des Politikers stellt diesen bloß und unterstellt ihm mangelnde Kompetenz in seinem politischen Entscheidungshandeln.

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Deppermann, Arnulf (2015): Wissen im Gespräch: Voraussetzung und Produkt, Gegenstand und Ressource. InList No. 57. Online unter: http://www.inlist.uni-bayreuth.de/issues/57/index.htm ; Zugriff: 23.11.2020.

Zitierte Literatur

  • Clayman, Steven & Heritage, John (2002): The news interview. Cambridge: Cambridge University Press.
  • De Stefani, Elwys & Mondada, Lorenza (2017): Who’s the expert? Negotiating competence and authority in guided tours. In: Van de Mieroop, Dorien; Schnurr, Stephanie (Hrsg.): Identity struggles: evidence from workplaces around the world. Amsterdam: John Benjamins, S. 95–123.
  • Heritage, John (2012): Epistemics in action. Action formation and territories of knowledge. In: Research on Language and Social Interaction, Heft 1, Jg. 45, S. 1–29.
  • heute journal (2020): Sendung vom 16.11.2020 mit Claus Kleber und dem Familienminister NRW Joachim Stamp. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=ybT2HMBUUI4 ; Zugriff: 23.11.2020.
  • Mondada, Lorenza (2011): The management of knowledge discrepancies and of epistemic changes in institutional interaction. In: Stivers, Tanya; Mondada, Lorenza; Steensig, Jacob (Hrsg.): The Morality of Knowledge in Conversation. Cambridge: Cambridge University Press, S. 3–24.
  • NDR (2020): Coronavirus Update vom 10.11.2020, Folge 64. Online unter: https://www.ndr.de/nachrichten/info/coronaskript242.pdf ; Zugriff: 31.01.2022.
  • Raymond, Geoffrey; Heritage, John (2005): The Terms of Agreement: Indexing Epistemic Authority and Subordination in Talk-in-Interaction. In: Social Psychology Quarterly, Heft 1, Jg. 68, S. 15–38.
  • Reineke, Silke (2018): Interaktionale Analysen kognitiver Phänomene. Wissenszuschreibungen mit der Modalpartikel ‚ja‘. In: Marx, Konstanze; Meier, Simon: Sprachliches Handeln und Kognition. Theoretische Grundlagen und empirische Analysen. Berlin: de Gruyter, S. 183–204.
  • Stivers, Tanya; Mondada, Lorenza; Steensig, Jacob (Hrsg.) (2011): The Morality of Knowledge in Conversation. Cambridge: Cambridge University Press.
  • Vincze, Laura; Bongelli, Ramona; Riccioni, Illaria (2016): Ignorance-unmasking questions in the Royal–Sarkozy presidential debate: A resource to claim epistemic authority. In: Discourse Studies, Heft 4, Jg. 18, S. 430–454.

Zitiervorschlag

Wilton, Antje (2020): Epistemischer Status. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 23.11.2020. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/epistemischer-status.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Wahlkampf

Wahlkämpfe sind Zeiten stark intensivierter politischer Kommunikation. Politische Parteien entwickeln Programme für die nächste Legislaturperiode in der Hoffnung, durch entsprechenden Stimmengewinn zu deren Umsetzung ermächtigt zu werden.

Schlagwörter

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Geschlechtergerechte Sprache

Mit dem heute als Fahnenwort gebrauchten Ausdruck geschlechtergerechte Sprache ist die Forderung verbunden, bei Personenbezeichnungen die einseitige, für diskriminierend erklärte Bezugnahme auf einen bestimmten Sexus, konkret: auf das männliche Geschlecht, zu unterlassen.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...

Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)

Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?

Was ist ein Volk?

Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…