DiskursGlossar

Hegemonie

Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte Ausdrücke: (Vor-)Herrschaft, Führung, Weltherrschaft, Imperium
Siehe auch: Macht, Demokratie, Propaganda
Autorin: Susanna Weber
Version: 1.0 / Datum: 13.06.2024

Kurzzusammenfassung

Der Ausdruck Hegemonie lässt sich in zwei Gebrauchskontexte einordnen: (a) Als analytischer Begriff in politik- bzw. staatswissenschaftlichen Theorien wird er verwendet, um asymmetrische zwischenstaatliche Machtverhältnisse zu charakterisieren (Wer hat die Führungsrolle, wer ist Geführter in Bündnissen? Wie ist das Verhältnis zwischen Freiwilligkeit und Zwang?). Auf innerstaatliche Konstellationen bezogen, steht Hegemonie für die ambivalente Mischung von Konsens und Zwang, Zustimmung und Gewalt, mit der Klassen oder Parteien führenden Einfluss bzw. Mehrheiten gewinnen (siehe Gramsci 1991). (b) Als Schlagwort in politisch-strategischen Diskursen rechter Akteure gehört Hegemonie zu den Begriffen/Theorieelementen, die sowohl konservative (wie Andreas Rödder) als auch rechte Meinungsführer (wie Alain de Benoist) aus dem linken Theorie-Repertoire (Gramsci 1991) entlehnten und in eigene Parteistrategien einbauten (kulturelle Hegemonie).

Erweiterte Begriffsklärung

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens. Die (noch ältere) Entsprechung im Chinesischen trug unterschiedliche Bedeutungen: von Überredung über Zwangsausübung bis zum Hegemonismus als Kritik an Bestrebungen (konkurrierender Mächte) nach Vorherrschaft. Noch gegenwärtig findet sich der Ausdruck (in westliche Sprachen übersetzt als ba, badao, baquan) in der Verfassung Chinas (Anderson 2018: 156 f; 167; 187).

Eine neuzeitliche Konjunktur des Begriffsgebrauchs ist zur Mitte des 19. Jahrhunderts festzustellen und markiert hier vor allem die Politik Preußens, das sich die Vorherrschaft in den nationalen Einigungsbestrebungen Deutschlands und eine führende Rolle in Europa sichern wollte (Anderson 2018: 18–23). Eine weitere Aktualisierung erfuhr Hegemonie am Anfang des 20. Jahrhunderts im Kontext der russischen Revolutionen, hier als Begriff für innerstaatliche Verhältnisse (zwischen Sozialdemokratie/Zarismus, Arbeiterklasse/Bourgeoisie). Damit verbunden waren grundsätzliche Strategiefragen in Bezug auf die weitere Entwicklung der revolutionären Umgestaltungen, um die erbittert und zum Teil gewaltvoll gestritten wurde (Anderson 2018: 26–40).

Der italienische Publizist, Philosoph und Mitbegründer der Kommunistischen Partei (KP) Italiens, Antonio Gramsci (1891-1937), entwarf in seinen Gefängnisheften (GH), so genannt, weil sie in den Jahren der Haft in Gefängnissen des faschistischen Staates entstanden, ein Verständnis von Hegemonie, das sowohl die russischen Kontroversen reflektierte als auch die konkrete politische Situation und die Kräfteverhältnisse (die faschistische Regierung Mussolinis) in Italien. Aus Andersons Sicht ist Hegemonie bei Gramsci „polyvalent“, nämlich „undenkbar ohne Zustimmung, undurchführbar ohne Gewalt“ (Anderson 2018: 40). Nach Gramsci ist sie nicht (nur) Zustand, sondern auch der Prozess des Überzeugens, der Gewinnung von Verbündeten und der Realisierung grundlegender Umgestaltungen der Gesellschaft. Gegenüber den verbündeten Klassen müsse die Arbeiterklasse „führend“ sein, gegenüber den gegnerischen aber „herrschend“ (Gramsci 1991: GH 1, § 44, 101–113), so formulierte es Gramsci. Spätere Kontroversen innerhalb der italienischen KP etwa um einen möglichen „historischen Kompromiss“ (zwischen der KP und Democrazia Christiana) nahmen auf Gramcsis Hegemonie-Konzept Bezug (Haug/Davidson 2004).

In den Zeiten des sogenannten ,Kalten Krieges‘ zwischen den USA und der UdSSR wurde in der politischen Theorie und Praxis der USA Hegemonie verstärkt unter ökonomischen Aspekten gesehen, wobei Begriffe wie leadership, soft power und ähnliche Bezeichnungen verdeckten, dass es um einen „nichtterritorialen Imperialismus“ durch Marktbeziehungen und Dominanz in internationalen Organisationen gehe (Anderson 2018: 101). Im Zuge der Reformulierung westlicher geopolitischer Strategien im Rahmen der Neuordnung der globalen Kräfteverhältnisse nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staatengemeinschaft wurde das Thema Hegemonie, interpretiert als globale Vorherrschaft, auch wieder stärker in europäischen und deutschsprachigen Diskursen verwendet. Gegenüber den verwandten Ausdrücken wie Imperium oder Kolonialismus erschien Hegemonie als weniger mit negativen Konnotationen belastet und wurde in erster Linie zur Bezeichnung für ein zwischenstaatliches Verhältnis gebraucht. In den Interpretationen des Begriffs und vor allem in Publikationen, die Hegemonie und Imperium in Beziehung setzen, spiegeln sich die (geo-)politischen Konfliktlinien zwischen den Vorherrschaft beanspruchenden Blöcken.

Für die nationale Ebene zeigt sich in diesem Kontext die Bedeutung einer speziellen diskursiven ,Schnittstelle‘: die zwischen wissenschaftlicher Expertise und Politik, situiert als ,Politikberatung‘. Exemplarisch ist der für das Thema Hegemonie/Imperium einschlägig hervorgetretene Politikwissenschaftler Herfried Münkler zu nennen. 2005 veröffentlichte er den Titel Imperium. Die Logik der Weltherrschaft vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, der viel diskutiert wurde und seine zuvor schon begonnene, offizielle und inoffizielle Beraterfunktion für Politiker/Regierungen (von der rot-grünen Regierung unter Bundeskanzler Schröder bis zu Bundeskanzlerin Merkel) festigte. Seine Hauptthesen: Imperien bieten „Ordnungsleistungen“ und „Problembearbeitungskapazitäten“, zu denen Staaten nicht fähig seien; Europa sei designiert, (neben den USA) imperiale Merkmale und Fähigkeiten zu entwickeln (Münkler 2005). 2015 spitzte er seine Position nochmals zu und verkündete, ganz im Sinne der deutschen Außenpolitik: „Wir sind der Hegemon, gemeint ist Deutschland, das nicht nur die Rolle des „Zahlmeisters, sondern auch die des „Zuchtmeisters einzunehmen habe (Münkler 2015b). Im Weißbuch der Bundesregierung von 2016 wurde dementsprechend von der „aktiven Gestaltungsmacht“ Deutschlands gesprochen, das (mehr) „Verantwortung und Führung“ übernehmen müsse (BMVg 2016). Die „Macht in der Mitte steht also wieder bereit (Münkler 2015a).

Während seine Positionen von Wissenschaftlern zum Teil stark kritisiert wurden (vgl. Zelik 2007; Anderson 2018), fanden sie in der politischen Öffentlichkeit Zustimmung und offizielle staatlich-politische Förderung. So wurden entsprechende Publikationen Münklers als Materialien der Bundeszentrale für politische Bildung breit streuend in Zirkulation gebracht. Er referierte in der Führungsakademie der Bundeswehr ebenso wie im Auswärtigen Amt.

Eine dezidiert kritische Sichtweise auf das Konzept Hegemonie vermittelt der US-amerikanische Sprachwissenschaftler und Philosoph Noam Chomsky (2017), dessen Hauptaugenmerk auf die Außenpolitik der USA seit dem Zweiten Weltkrieg gerichtet ist. Chomsky analysiert die geostrategischen und propagandistischen Aspekte, die der Gebrauch des Hegemonie-Konzeptes von Seiten der USA enthält. Als Ergänzung und Korrektiv zu Münklers ,eingebetteter‘ Interpretation imperialer Strategien gelesen, analysiert Chomsky präzise und konkret politische Entscheidungen der USA, die aus der Rolle der hegemonialen Weltmacht exekutiert wurden: von den zahllosen militärischen und nicht-militärischen Interventionen in Ländern Südamerikas und Asiens (Chile, Vietnam und andere) bis zu den Invasionen im Irak und Afghanistan und als NATO-Führungsmacht in Jugoslawien. Die gezielte Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch regierungsnahe Institutionen gehört nach Chomsky zur innenpolitischen Sicherung hegemonialer Politik. Die „Herstellung von Konsens“ sei ein wesentliches Merkmal des demokratischen Prozesses, formulierte schon Edward Bernays in den 1920er Jahren – allerdings war damit das Repertoire der im Ersten Weltkrieg entstandenen „Propaganda“ gemeint, Methoden der Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations, PR) zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung (Bernays 2007). Als herausragendes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit beschreibt Chomsky die Zusammenhänge zwischen der 2002 veröffentlichten Nationalen Sicherheitsstrategie der USA, in der die hegemonialen Ansprüche der USA (neu) formuliert wurden, der medialen Verbreitung der Unterstellung, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen und dem damit begründeten Angriff der USA auf den Irak 2003.

Mit ausdrücklichem Bezug auf Gramsci (1991) wurde der Begriff der kulturellen Hegemonie von rechten Intellektuellen angeeignet und reformuliert (Meiering 2022). Hervorzuheben ist hier der französische Philosoph Alain de Benoist, der 1985 ein Buch unter dem Titel Kulturrevolution von rechts: Gramsci und die Nouvelle Drôite veröffentlichte, das auch in der deutschen Neuen Rechten vielfach rezipiert wurde. So bezeichnet z. B. Benedikt Kaiser, einer der gegenwärtigen Wortführer der Neuen Rechten, die Erringung kultureller Hegemonie als strategische Maßnahme (vgl. auch Hans-Böckler-Stiftung 2024). Unter dem Begriff Metapolitik firmieren hier Aktivitäten, die sich zum Beispiel ,soziale‘ Medien zunutze machen, um bestimmte Themen zu lancieren, neu zu rahmen und bei Bedarf zu skandalisieren sowie konkrete Praktiken, die den „vorpolitischen“ Raum für rechte Positionen und Forderungen erschließen soll (Meiering 2022: 75–115, darin die Beiträge zu Metapolitik). Ähnlich lautende Äußerungen von Björn Höcke und Thor von Waldstein unterstreichen die Wichtigkeit, die dieser Strategie beigemessen wird (vgl. Stahl 2019: Kap. 8; Weiß 2017: 54 ff.).

Was bei Gramsci (1991) Ausdruck und Ergebnis der Analyse einer komplexen (innen-)politischen Situation war (die Suche nach möglichen strategischen Bündnissen für eine sozialistische Umgestaltung Italiens), wurde in der Neuen Rechten umgedeutet zum Aufruf, sich unter anderem Bruch- bzw. Leerstellen innerhalb der Zivilgesellschaft zunutze zu machen, um Einfluss zu gewinnen (z. B. in Protestbewegungen) und andere zivilgesellschaftliche Akteure als potentielle Bündnispartner zu rekrutieren (in lokalen Gemeinschaften, Gewerkschaften, Vereinen). Rechte Akteure nutzen dabei alle gängigen massenmedialen Manipulationspraktiken als Instrumente, um ,Meinungsführerschaft‘ zu gewinnen (vgl. Hans-Böckler-Stiftung 2024).

Beispiele

(1) Angehörige der Identitären Bewegung, einer Gruppierung der äußersten Rechten, die u. a. durch provozierende Aktionen auf sich aufmerksam macht und popkulturelle Inszenierungen aufgreift, besetzten im August 2016 das Brandenburger Tor und entrollten ein Banner ihrer Gruppe. Götz Kubitschek, Verleger und Autor des Antaios-Verlags, Mitbegründer des sogenannten Instituts für Staatspolitik in Schnellroda, war der Geldgeber der Aktion und ordnete sie so ein: Sie sei eine „Raum- und Wortergreifungsstrategie innerhalb der Medienmechanismen unserer Zeit“ (zitiert nach Weiß 2018: 95). Damit ist sehr treffend bezeichnet, was in der Neuen Rechten im Anschluss an Alain de Benoist als Instrument zur Erringung kultureller Hegemonie diskutiert und praktiziert wird: Die zielgerichtete Manipulation des öffentlichen Raumes, die Emotionalisierung von Ereignissen und ihre Skandalisierung.

(2) Hegemonie, imperialer Machtanspruch (auch wenn nicht immer exakt mit diesen Begriffen bezeichnet) gehörten zum Selbstverständnis und Ziel der US-Politik nach dem 2. Weltkrieg. Nach den Terroranschlägen des 11. September gilt seit 2002 die (manchmal Bush-Doktrin genannte) Neue Sicherheitsstrategie der USA (NSS), in der es heißt:

Wir werden Streitkräfte unterhalten, die zur Erfüllung unserer Verpflichtung fähig sind und die Freiheit verteidigen. Unsere Streitkräfte werden stark genug sein, potenzielle Gegner von ihren Aufrüstungsvorhaben abzubringen, die sie in der Hoffnung auf Überlegenheit oder Gleichstellung im Hinblick auf die Macht der Vereinigten Staaten betreiben. (Netzwerk Friedenskooperative 2003)

Der Anspruch auf Vorherrschaft wird so weit ausgedehnt, dass auch – völkerrechtlich geächtete – Präventiv- bzw. Präemptivschläge (zur Unterscheidung vgl. Kamp 2002) gegen einen mutmaßlichen Gegner angekündigt werden. Der kurze Zeit später erfolgte Angriff auf den Irak wurde auf diese Weise legitimiert.

(3) Während in öffentlichen Diskursen in jüngster Zeit dem russischen Regime vorgeworfen wird, sich ,imperialistischer‘ Strategien zu bedienen (Kritik an Imperialismus war einmal ein Kennzeichen linker Positionen!), setzt Herfried Münkler, Politologe und Regierungsberater, seit Jahren auf die ,Adelung‘ imperialer Strategien zur Begründung politischer Führungsansprüche westlicher Mächte. Europa „[…] wird nicht umhin kommen, selbst imperiale Merkmale zu übernehmen und imperiale Fähigkeiten zu entwickeln […]“ (Münkler 2005). Der „humanitäre Imperialismus“ (gemeint sind militärische Interventionen wie in Afghanistan, Kosovo, Irak) sei als „Nachsorge des neuerlichen Globalisierungsprozesses im 20. Jahrhundert zu betrachten (Münkler 2005: 48), also quasi moralisch geboten. Er spricht auch vom „demokratischen Imperium USA und vom

strukturelle(n) Zwang zur Inszenierung von Bedrohungen, um die demokratische Öffentlichkeit zur Übernahme imperialer Verpflichtungen zu motivieren. Die Politik der Inszenierungen und Täuschungen dient dazu, die Lücke zwischen Demokratie und Imperium zu schließen. (Münkler 2005: 238)

Aktuell brachte Münkler sich lautstark in Erinnerung durch die provozierende Forderung nach stärkerer atomarer Aufrüstung in Europa und der erweiterten (auf Deutschland!) Verfügungsmacht über die Atomwaffen. Es brauche einen „Koffer mit rotem Knopf, der zwischen großen EU-Ländern wandert“ (Deutschlandfunk 2023).

(4) Wie auch aus konservativer Richtung mit ausdrücklichem Bezug auf Gramsci (1991) der Begriff der kulturellen Hegemonie vereinnahmt und zurechtgebogen wird, zeigte in jüngster Zeit der Artikel des Historikers, Vorstandsmitglieds der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und Leiters der sogenannten Denkfabrik R 21, Andreas Rödder. Zunächst veröffentlicht am 08.01.2024 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wenige Tage später auf der Website von R 21 unter dem Titel Das Ende der grünen Hegemonie, vereinfacht und verkürzt der Autor die gegenwärtigen Krisen u. a. der demokratischen Repräsentation auf das, was er als „das grüne Paradigma, „grüne Diskurshoheit oder „grüne Deutungshegemonie bezeichnet und behauptet: „Das war es, was Antonio Gramsci mit kultureller Hegemonie gemeint hatte(Rödder 2024). Keine dieser Bezeichnungen wird erklärt, gleichzeitig aber legt er nahe, dass die (ursprünglich) ,grünen Themen‘ wie etwa Umweltschutz und Geschlechterparität mittlerweile vorherrschend geworden seien und andere dadurch marginalisiert würden (Wirtschaft, Sicherheit, Technologie). Seine tendenziöse Darstellung endet mit der Unterstellung, die aktuell starken populistischen Bewegungen hätten sich als „Reaktanz auf das „grüne Paradigma gebildet (Rödder 2024). Das ist Propaganda wie aus dem Lehrbuch.

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Buckel, Sonja; Fischer-Lescano, Andreas (Hrsg.) (2007): Hegemonie gepanzert mit Zwang. Baden-Baden: Nomos.

  • Neubert, Harald (2001): Antonio Gramsci: Hegemonie – Zivilgesellschaft – Partei. Eine Einführung. Hamburg: VSA.

Zitierte Literatur und Belege

Zitiervorschlag

Susanna, Weber (2024): Hegemonie. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 13.06.2024. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/hegemonie/.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Narrativ

Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Metapher

In der politischen Berichterstattung ist oft davon die Rede, dass eine bestimmte Partei einen Gesetzesentwurf blockiert. Weil das Wort in diesem Zusammenhang so konventionell ist, kann man leicht übersehen, dass es sich dabei um eine Metapher handelt.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Techniken

Kontaktschuld-Topos

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Schlagbilder

Der Terminus Schlagbild bezeichnet mehr oder weniger inszenierte Bilder. Ihre Bedeutung beruht nicht nur auf ihren sichtbaren (ikonischen) Formen, sondern vielmehr auf den symbolischen Inhalten, die sich durch vielfache mediale Wiederholung und Konventionen gefestigt haben.

Invektivität / Metainvektivität

Invektivität ist ein Überbegriff für den Phänomenbereich der Herabsetzung und Ausschließung mittels symbolischer Praktiken. In Invektiven (z.B. Spott, Beleidigung, sprachliche Aggression, Diskriminierung, Hassrede) werden Einzelnen oder Gruppen marginalisierte oder niedrige soziale Positionen zugeschrieben, Zugehörigkeiten zu Gemeinschaften abgesprochen oder Identitäten negiert.

Parole

Die Parole ist ein kleines, potentes sprachliches Werkzeug, das in der politischen Kommunikation unerlässlich ist und zweckgebunden in politischen Mobilisierungen eingesetzt wird.

Komposita

. In der politischen Rhetorik tragen Komposita zur Prägnanz und Emotionalität von Botschaften bei, indem sie komplexe Sachverhalte und politische Themen in zentralen Begriffen bündeln, in griffige Schlagworte packen und diese für den gesellschaftlichen Diskurs zur Verfügung stellen (zum Beispiel Krisenmodus, Zeitenwende oder Rückführungspatenschaften).

Nicht-Entschuldigen / Nonpology

Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen.

Liken

Die eigentliche Funktion des Likens geht jedoch über das Signalisieren von Zustimmung hinaus und ist konstitutiv für das Funktionieren sozialer Medienplattformen und das Aushandeln von verschiedenen Formen der Sozialität auf diesen.

Hashtag

Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).

Diminutiv

Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).

Sündenbock

Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.

Schlagwörter

Bürokratie

Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.

Politisch korrekt / Politische Korrektheit

Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt.

Kipppunkt

Als öffentliches Schlagwort ist Kipppunkt Teil eines Argumentationsmusters: es behauptet ein ‚Herannahen und baldiges Überschreiten einer unumkehrbaren Sachverhaltsänderung, die fatale bzw. dystopische Folgeschäden auslöst, wenn nicht umgehend bestimmte Maßnahmen eingeleitet oder unterlassen werden.‘

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Verschiebungen

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

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Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.

Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...