DiskursGlossar

Macht

Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte Ausdrücke: Herrschaft, Gewalt, Zwang, Beherrschung, Soft/Hard Power, Gate Keeping, Diskurs-, Bio-, Disziplinarmacht, Gouvernementalität, Hegemonie, Einfluss, Kontrolle, Autorität
Siehe auch: Demokratie, Epistemischer Status, Mediale Kontrolle, Medien, Wissen
Autor: Benjamin Bäumer
Version: 1.1 / Datum: 16.05.2023

Kurzzusammenfassung

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

In den meisten Spielarten der Diskursanalyse zählt die Beschreibung gesellschaftlicher Machtstrukturen und der damit verbundenen Formen sozialer Ungleichheit zu den zentralen Analysekategorien. Gegenstand solcher Machtanalysen sind vor allem die sprachlich-kommunikativen Techniken und Praktiken (Strategische Kommunikation), mit denen Diskursakteure Deutungshoheit (Hegemonie) über Lebenssachverhalte (Perspektivität) herzustellen und damit Handlungsoptionen von Individuen oder Gruppen zu beeinflussen versuchen. Machtphänomene werden in der empirischen Diskursforschung also mit Blick auf ihre Verzahnung mit Sprache und Wissen untersucht. Die Abgrenzung von Sprache, Wissen und Macht selbst ist Gegenstand wissenschaftlicher Kontroversen.

Zu unterscheiden ist Macht insbesondere von Gewalt und Herrschaft, wenngleich die Ausdrücke alltags- und zuweilen auch fachsprachlich uneinheitlich oder synonym gebraucht werden.

Erweiterte Begriffsklärung

Wissenschaftlichen Fachbegriffen kommt je nach Kontext sehr unterschiedliche Bedeutung zu. Für das Lexem Macht gilt dies in besonderer Weise. Allein die Vielfalt der verschiedenen Perspektiven, aus denen Macht betrachtet werden kann, verrät, dass sich hinter ein und demselben Ausdruck eine Fülle ebenso nuancierter wie vager Konzepte verbirgt. Ursächlich dafür ist nicht nur die Vielzahl an alltagssprachlichen Gebrauchsvarianten und die unzähligen wissenschaftlichen Terminologisierungsversuche. Insbesondere der hochfrequente Bezug auf Macht(fragen) in Interdiskursen als medienöffentliche Schnittstelle von Fach- und Alltagswissen trägt zu dieser semantischen Unschärfe bei. Insofern sind alle kompakten Begriffsbestimmungen von Macht – diese eingeschlossen – notwendigerweise verkürzt und in ihrer Auswahl ein Stück beliebig. Warum dies für den Machtbegriff mehr gilt als für viele andere Fachtermini ist zu erläutern:

Macht zählt traditionell zu den „Fundamentalbegriffen in der Gesellschaftswissenschaft“ (Russell 1938: 10), die ihrem Wesen nach als „radikal“ (Lukes 2005: 14) wie „fortwährend“ (Ball 1993: 556) umstritten gelten. Allein deutlich wird dies, wenn man etwa den entsprechenden Artikel im Handbuch der Geschichtlichen Grundbegriffe im Umfang von knapp 120 Seiten (Brunner & Koselleck 1982) oder die seit nunmehr über 35 Jahren in Arbeit befindliche, umfassende Geschichte der Macht (Bd. 1-4, 1986-2012) des Soziologen Michael Manns zur Kenntnis nimmt. Die Spezialdiskurse des 20. und 21. Jahrhunderts rund um Macht sind dabei wesentlich davon geprägt, das Verhältnis von Macht, Herrschaft und Gewalt zu bestimmen (vgl. Anter 2013).

Die hier vorliegende Einordnung erfolgt aus diskursanalytischer Perspektive: Macht wird in Anschluss an eine Auswahl zentraler Theoreme und Definitionsansätze aus Soziologie und Philosophie bestimmt, die sich für die empirische Diskursforschung mit Blick auf die Analyse Strategischer Kommunikation als besonders prägend erwiesen haben.

,Die‘ Diskursanalyse gibt es freilich nicht. Zu den diskursanalytischen Gemeinsamkeiten zählt jedoch in unterschiedlichem Umfang das Interesse daran, Machtverhältnisse in Sprache, Wissen und Handeln beschreibbar und damit historische wie gegenwärtige Ungleichheitsverhältnisse sichtbar(er) zu machen. Nicht nur diskursanalytischen Denktraditionen, sondern auch antike bis moderne Ansätze der Politik- und Sozialwissenschaft verbindet darüber hinaus, dass sie Macht als anthropologische Konstante, also als grundlegenden Bestandteil sämtlicher sozialer Beziehungen begreifen. Das gilt vor allem für handlungsbezogene Machtanalysen von für die Diskursanalyse relevanten Wissenschaftler:innen, wie etwa Max Weber, Heinrich Popitz, Hannah Arendt und Michel Foucault.

Pointiert formuliert findet sich dieses Verständnis etwa in der vielzitierten Definition Max Webers (1976), die Macht als eine stets asymmetrische, soziale Beziehung charakterisiert:

„Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. […] Der Begriff ‚Macht‘ ist soziologisch amorph. Alle denkbaren Qualitäten eines Menschen und alle denkbaren Konstellationen können jemand in die Lage versetzen, seinen Willen in einer angegebenen Situation durchzusetzen.“ (Weber 1976: 29)

Weber lässt indes offen, worin die von ihm als „Chance“ bezeichnete Methode der Machtausübung konkret besteht. Sie verbleibt als das, was „soziologisch amorph“, also je nach Art der sozialen Beziehung und historisch-situativem Kontext wandelbar scheint. Während Webers Ansatz gerade aufgrund dieser Offenheit geeignet geblieben ist, um verschiedene Spielarten von Macht umschreiben zu können, verbleibt er nicht unumstritten. Webers Ansatz eigne sich erstens nicht gut für die Beschreibung von diffuseren, ggf. auch raum- und zeitüberdauernden Machtbeziehungen und -wirkungen. Zweitens erfasse sie keine Techniken des Verhinderns von Entscheidungen und Handlungen, also Machtausübung durch das Erzielen von Nicht-Entscheidungen (,non decisions‘) und Abschreckungseffekten (,chilling effects‘) (vgl. Bachrach/Baratz 1962).

Eine folgenreiche Differenzierung erfährt Webers Machtkonzept u.a. durch die Arbeiten des Soziologen und Machttheoretikers Heinrich Popitz (1992). Im Zentrum seiner an Weber anknüpfenden Arbeiten steht die Frage nach der Unterscheidung von Machtphänomenen. Zentrale Unterscheidungsmerkmale von Macht und Herrschaft bestehen für Popitz — hier noch in Übereinkunft mit Weber — zunächst darin, dass Herrschaft ausschließlich von als entscheidungs- bzw. befehlsbefugt anerkannten Akteuren ausgeübt werden kann: Als spezifische Anwendung der Macht ist Herrschaft also entpersonalisiert, formalisiert und institutionalisiert. Popitz erarbeitet jedoch darüber hinaus eine Typologie, die zwischen insgesamt vier Grundformen von Macht unterscheidet, die alle menschlichen Beziehungen in unterschiedlicher Intensität prägen. Popitz‘ Typologie ist für viele diskursanalytische Ansätze relevant geworden (vgl. Wodak/Reisigl 2017), weil sie es in der analytischen Praxis ermöglicht, nicht auf „die Macht“ als diffuses („amorphes“) Abstraktum, sondern auf an konkrete (Sprach-)Handlungen geknüpfte, mit spezifischen Charakteristika und Unterscheidungsmerkmalen verbundene Spielarten von Macht zu referieren.

Dieses Differenzierungspotential erleichtert es, spezifische Praktiken, Prozesse und Stadien der Machtbildung zu beschreiben, zu vergleichen und transparent zu machen. Die vier Typen sind nach aufsteigender Komplexität geordnet und Popitz selbst betont, dass sich in der Praxis Übergange und Überschneidungen zeigen:

  1. Die „Aktionsmacht“ bildet die niedrigschwelligste Machtform: Der Einsatz physischer Gewalt und anderer körperlich verletzender Handlungen, die auf bestimmte Verhaltensänderungen anderer Menschen abzielen. Ihr Gebrauch steht – angefangen beim einzelnen Menschen – prinzipiell allen Akteuren zur Verfügung.
  2. Über „instrumentelle Macht“ verfügen dagegen bereits weitaus weniger Akteure: Sie beruht auf dem Grundprinzip des Versprechens von Belohnung bzw. der Androhung von Strafe. Sie steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit (!) der Drohung bzw. Belohnung durch die entsprechenden Akteure.
  3. Autoritative Macht“ bzw. Autorität dagegen „ist eine Macht, die es nicht nötig hat, mit äußeren Vor- und Nachteilen zu operieren“ (Popitz 1992:28). Man erkennt sie als „verinnerlichte Kontrolle“ dort, wo sie wirkt, obwohl sie nicht explizit kontrolliert wird. Sie verändert nicht nur Verhalten, sondern – insb. für diskursanalytische Ideologiekritik zentral – genauso innere Einstellungen wie Werte, Meinungen und Urteile.
  4. Technische bzw. „datensetzende Macht“ ist eine Machtform der zunehmend auf technische Hilfsmittel aufbauenden Moderne. Zunächst umfasst sie ganz allgemein die durch materielle Ressourcen wie Werkzeuge, Transportmittel, Waffen usw. ausgeübte Kontrolle. Sie beschreibt aber auch den Einfluss, den der Zugang und die Verteilung von Wissen, Informationen und Technologie auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen ausüben. Sie ist für Popitz die potenziell wirksamste Machtform, da einmal stabilisierte Hoheit über die „Daten“ einer Gesellschaft nicht nur der Deutungshoheit über dieselben gleichkomme, sondern zugleich die Kontrollmöglichkeiten von Macht zunehmend in den Bereich der Technik verschiebe – und damit als selbstverstärkende Machtkonzentration in den Händen der Akteure wirken kann, die bereits über datensetzende Macht verfügen.

Viele Ansätze der empirischen Institutionen-, Eliten– und Sozialforschung betrachten besonders den Zugang zu Ressourcen, wie Bildung, Geld, Netzwerken oder Technologie, als besonders relevantes Element für die Analyse von Machtverhältnissen. Stärker institutionalistisch ausgeprägte Ansätze betrachten Macht dabei weniger als ein Phänomen, das menschliches Handeln in unmittelbaren Situationen und Entscheidungen explizit beeinflusst. Sie sehen Macht vielmehr in den konkreten Entscheidungsmomenten vorgelagerten Handlungsspielräumen bzw. Möglichkeitsbedingungen, wie sie durch soziale Institutionen (z.B. Normen, Sitten, Gesetze, Familien, Religionen, Regierungen usw.) mittelbar geprägt und reguliert werden (Mills 2000 [1956]; Lukes 2005 [1974]). Eine ähnliche Perspektive nehmen auch poststrukturalistische Theorien ein, zu denen insbesondere Michel Foucault als Begründer der Diskursanalyse gezählt wird.

Foucaults Machttheorie nimmt gewissermaßen eine Sonderstellung in der Diskursforschung ein. Diese äußert sich auch dadurch, dass Diskursanalysen in Anschluss an Foucault dessen Diskurs- und Machttheorie(n) je nach Fachzugang unterschiedlich auslegen. Im Unterschied etwa zu Webers konziser Definition oder Popitz‘ Typologie erlauben Foucaults Machtbegriffe keine endgültige Abgrenzung voneinander. Auch sollen sie einander nicht ersetzen, sondern vielmehr historische Entwicklungen und Anpassungen sich fortwährend entwickelnder Machttechniken beschreiben. Versuchte man eine radikale Konzeptreduktion, so kristallisiert sich als foucaultsches Minimalkonzept von Macht „auf Handeln gerichtetes Handeln“ (Foucault 2005: 256) heraus, also ein Handeln, das Einfluss auf das Handlungsvermögen anderer nimmt. Dieses Handeln kann produktiv wirken, also Handlungsoptionen hervorbringen, und ist von bloßer Gewaltanwendung zu unterscheiden. Die dahinterliegenden machttheoretischen Überlegungen können wie folgt skizziert werden:

Der ,frühe‘ Foucault begreift Macht vor allem als ein Bündel von Techniken sozialer Kontrolle, das Verhalten und Einstellung von Menschen zu beeinflussen versucht. Diese Macht wird z.B. explizit durch Verbote und Gesetze oder implizit durch Sprache und Symbolik ausgeübt, die Anreize oder Zwänge schaffen, bestimmte Handlungen (nicht) auszuführen oder bestimmte Ideen und Werte zu akzeptieren. Diese „juridisch-diskursive“ Macht wirkt repressiv. Ihr wird vom ,späteren‘ Foucault in Auseinandersetzung etwa mit den Institutionen des Strafvollzugs die Idee einer „strategisch-produktiv“ wirkenden Macht entgegengesetzt. Die Überlegungen in seiner Vorlesung Ordnung des Diskurses (1970) markieren diesen allmählichen Übergang von einem repressiven zu einem konstruktiven Machtverständnis, in denen Diskurse anders als zuvor nicht mehr als autonome Entitäten gedacht werden, die sich selbst erzeugen und getrennt von äußeren Machteinwirkungen existieren. Anstelle dieser (zu Recht) als Zirkelschluss kritisierten Konzeption (vgl. Lorey 1999) gelangt er zu der Auffassung, dass diskursive Wissensproduktion stets in produktiver Wechselwirkung mit Machtwirkungen stehen müsse. Macht und ihre Legitimation könne demnach nur in Diskursen pro- und reproduziert werden, da sich nur innerhalb dieser durch Aus- und Abwahl von Entscheidungen unterschiedliche Möglichkeiten eröffnen: Macht bringt Handlungsspielräume hervor, statt sie nur zu beschränken oder zu verneinen. Dieser strategisch-produktive Machtbegriff ist für diskursanalytische Theorien von Macht als Handlungsmacht daher entscheidend und wird oftmals gemeint, wenn (irreführenderweise) von ,der‘ Machttheorie nach Foucault die Rede ist. Der zentrale Gedanke ist: Jede Form diskursiver Macht ist als Organisation sozialer Praxis mittels der Produktion von Wissen zu verstehen.

„Macht muss, wie ich glaube, als etwas analysiert werden, das zirkuliert, oder eher noch als etwas, das nur in einer Kette funktioniert; sie ist niemals lokalisiert hier oder da, sie ist niemals in den Händen einiger, sie ist niemals angeeignet wie ein Reichtum oder ein Gut. Die Macht funktioniert, die Macht übt sich als Netz aus, und über dieses Netz zirkulieren die Individuen nicht nur, sondern sind stets auch in der Lage, diese Macht zu erleiden und auch sie auszuüben; sie sind niemals die träge oder zustimmende Zielscheibe der Macht; sie sind stets deren Überträger. Mit anderen Worten, die Macht geht durch die Individuen hindurch, sie wird nicht auf sie angewandt.“ (Foucault 2005: 114)

Alles private, öffentliche sowie institutionelle Handeln in einer Gemeinschaft ist durch Machtbeziehungen mitgeprägt. Die Lösung lautet: Keine Sozietät ohne Machtbeziehungen – und umgekehrt. Der besondere Fokus auf das Element der Beziehung verweist außerdem darauf, dass Foucault ein ausschließlich relationales Konzept von Machtdynamiken annimmt. Macht kann demnach niemals jemandem in einem statischen Sinne ,gehören‘ oder ,im Besitz‘ bestimmter Akteure sein, wie es etwa bei Waren oder Eigentum der Fall ist, sondern sich eben nur in Beziehungen zwischen handelnden Akteuren ausdrücken. Entsprechend stehen auch zu keinem Zeitpunkt konkrete machtausübende Einzelpersonen (Akteure) im Fokus seiner Analysen, sondern stets wissensbasierte Praktiken der Machtausübung.

Um dieser Perspektive auf Machtausübung gerecht werden zu können, weitet Foucault seinen Fokus neben den diskursiven auch auf nicht-diskursive Praktiken aus. Er erweitert sein Inventar der Machtanalytik dafür um die Begriffe des „Dispositivs“ und der „Gouvernementalität“:

  • Unter Dispositiv wird die Gesamtheit aller historisch gewachsenen und symbolisch (als Gesetze, Gerichtsurteile, Architektur etc.) ausdrückbaren Wirkungszusammenhänge verstanden, die Handlungsspielräume in gegenwärtigen Diskursen beeinflussen. Dispositive prägen normative Wertekonfigurationen einer Gesellschaft (z.B. wer bzw. was gilt als ‚attraktiv‘ vs. ‚abstoßend‘; ‚Freund‘ vs. ‚Feind‘; ‚legal‘ vs. ‚illegal‘ usw.) und lassen bestimmte Antworten auf akute, gesellschaftliche Entscheidungsfragen (z.B. ‚Wer kann legitimerweise in einem Parlament sprechen?‘ oder ‚Welchen Gruppen soll Recht auf politisches Asyl gewährt werden?‘) wahrscheinlicher werden bzw. legitimer als andere erscheinen. In Machtfragen zentrale Dispositive seiner Gegenwart sind für Foucault etwa das Sicherheits- und das Sexualitätsdispositiv. Die „Dispositivanalyse“ bildet heute einen eigenen Forschungsansatz, der sich explizit auf die Wechselwirkung von diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken konzentriert (vgl. Bührmann/Schneider 2012).
  • Mit dem Begriff der Gouvernementalität werden konkrete Macht- und Herrschaftssysteme der Moderne beschrieben, in denen sich die Individuen relativ frei verhalten und dennoch durch diskursive Grenzziehungen kontrolliert werden können (Foucault/Sennelart 2009). Foucaults Begriff der Gouvernementalität weist damit eine starke Ähnlichkeit zum „Hegemonie“-Konzept Antonio Gramscis (1999: 783) auf. Hegemonien beschreiben für Gramsci alle gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen, die nicht auf dem Einsatz von Gewalt und Zwang, sondern auf einem mehr oder weniger großen Konsens für die politische Führung basieren. Gouvernementalität wie hegemoniale Macht lassen dabei ein gewisses Maß an Widerstand zu, kontrollieren ihn aber auch passiv. Als machtstabilisierende „Regierungskunst“ bildet Gouvernementalität gewissermaßen einen Gegenpol zur machtkritischen Praxis der Subversion, die Foucault (1992) selbst als die „Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“ umschreibt.

Die Machttheorien von Foucault sind kontrovers und werden insbesondere aufgrund des Mangels an terminologischer Präzision und konzeptioneller Ambivalenz kritisiert. Darüber hinaus wird sein Zugang, Machtbeziehungen durch Konflikte zu erfassen, kritisiert, da so konfliktfreie Prozesse der Machtbildung unberücksichtigt bleiben (vgl. Taylor 1992; Faser 1994; Habermas 1998; Forst 2018; Lemke 2000). Ansätze, die die Betrachtung sprachbezogener symbolischer Gewalt als Machttechnik diskutieren und dazu beitragen, Foucaults Diskursanalysen zu ergänzen, finden sich ebenso (vgl. Schmidt & Woltersdorff 2010; Schmidt 2022).

Sowohl die strikte Abgrenzung zur Anwendung von (physischer) Gewalt als auch ein produktiv-handlungsbezogenes Machtverständnis findet sich bei Hannah Arendt (1981):

„Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln. Über Macht verfügt niemals ein Einzelner; sie ist im Besitz einer Gruppe und bleibt nur solange existent, als die Gruppe zusammenhält. Wenn wir von jemandem sagen, er ‚habe die Macht‘, heißt das in Wirklichkeit, dass er von einer bestimmten Anzahl von Menschen ermächtigt ist, in ihrem Namen zu handeln. In dem Augenblick, in dem die Gruppe, die den Machthaber ermächtigte und ihm ihre Macht verlieh […] auseinandergeht, vergeht auch ‚seine Macht‘. […] Auch die größte Macht kann durch Gewalt vernichtet werden; aus den Gewehrläufen kommt immer der wirksamste Befehl, der auf unverzüglichen, fraglosen Gehorsam rechnen kann. Was niemals aus den Gewehrläufen kommt, ist Macht. […] Nackte Gewalt tritt auf, wo Macht verloren ist. [54 f.] […] Macht und Gewalt sind Gegensätze: wo die eine absolut herrscht, ist die andere nicht vorhanden. […] Gewalt kann Macht vernichten; sie ist gänzlich außerstande, Macht zu erzeugen. [57]“ (Arendt 1981: 45 ff.)

Arendt begreift Macht als Produkt zwischenmenschlicher Kommunikationshandlungen, die Zustimmungsbereitschaft erzeugt. Von Gewalt als Methode der Willensdurchsetzung werde daher nur dort Gebrauch gemacht, wo Techniken der Machtausübung entweder nicht (mehr) zur Verfügung stehen oder willentlich auf diese verzichtet wird. Mit anderen Worten: In Situationen, in denen verschiedene Akteure um Macht konkurrieren, wird häufig versucht, schwindende Macht (also abnehmende Zustimmungsbereitschaft) ab einem gewissen Punkt durch exzessive Gewaltanwendung zu kompensieren. Umgekehrt kann exzessive Gewalt durch genuine Machtprozesse, also durch kommunikative Kooperation und Konsensfindung, zu schwächen und aufzulösen versucht werden. Macht und Gewalt repräsentieren die Extreme in einem Kontinuum entgegengesetzter Optionen zur Beeinflussung menschlichen Handelns, und in der sozialen Realität werden beide Modi oft kombiniert (z.B. kommunikative Androhung von physischer Gewalt i.S.v. Popitz‘ instrumenteller Macht).

Beispiele

(1) Macht und Wissen am Beispiel ,Bildungsangebot‘: „Wissen ist Macht“, wie es ein bekannter, Francis Bacon zugeschriebener Aphorismus ausdrückt. Ein Beispiel für diese Verzahnung von Wissen und Macht lässt sich am Ausdruck Macht selbst illustrieren: Die auch in diesem Artikel zitierte Macht-Definition Max Webers zählt in den Sozialwissenschaften seit 90 Jahren zu den meistzitierten aller Begriffsbestimmungen. Webers Ausführungen sind indes natürlich weitaus umfangreicher und – besonders im Detail – Gegenstand rivalisierender Interpretationen. Allein die diskursive Deutungshoheit darüber, welche genaue Auslegung von Webers Werk als ‚korrekt‘ bzw. ‚wahr‘ gilt, übt maßgeblichen Einfluss darauf aus, welche Forschungsaktivitäten in einer Wissenschaftsdisziplin als ‚legitim‘ oder ‚nützlich‘ gelten: „Wer die Interpretation von Weber beherrscht, kann sich Hoffnungen machen, auch die wissenschaftliche Tätigkeit zu beherrschen“ (Scaff 1984: 191; eigene Übersetzung). Die Frage danach, welche Theorien oder Grundannahmen als ‚legitim‘ gelten, ist freilich für alle Aktivitäten gesellschaftlicher Wissensproduktion relevant. Aus dieser Perspektive sind auch Bildungsangebote zugleich diskursive Machttechniken: Sie reproduzieren mithilfe institutioneller Autorität die gesellschaftlichen Annahmen darüber, welche Texte ‚als Klassiker zu lesen‘, welche Wissensvorräte ‚lernenswert‘ und welche Wahrheitsbehauptungen über die Welt ‚möglich‘ und ‚akzeptabel‘ sind. Auch kurze Glossar-Artikel wie dieser sind in Folge der Aus- und Abwahl bestimmter Denkschulen, Autor:innen und Formulierungen folglich Teil diskursiver Wissensproduktion rund um die Definition von Macht.

(2) Macht und Herrschaft am Beispiel des Lobbyismus: Die Unterscheidung zwischen klassischen Formen der Herrschaftsausübung und Macht verstanden als (kommunikative) Handlungsmacht kann am Beispiel von Lobbygruppen und Ministerialbeamten illustriert werden. Als Lobbygruppen werden üblicherweise organisierte Interessenvertretungen verstanden, die versuchen, politische Entscheidungen zu beeinflussen, indem sie gezielt auf Entscheidungsträger:innen in der Politik einwirken. Sie nutzen dazu die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen, wie soziale Netzwerke oder ihren Expertenstatus, um die Chance, dass ihre Interessen gehört und umgesetzt werden, zu erhöhen. Sie schreiben oder kommentieren zum Beispiel Gesetzesentwürfe oder organisieren in Medien hörbare Zustimmung oder Ablehnung für Vorschriften. Der ‚Einfluss‘ der Lobbygruppen beruht dabei auf ihrer Fähigkeit, politische Entscheidungsträger:innen und deren Meinungen und Handlungen für ihre Interessen zu gewinnen. Sie sind also – ganz gleich wie erfolgreich sie auch „lobbyieren“ mögen – stets auf Kooperation durch die Entscheidungsträger:innen angewiesen, da sie (in der Regel) über keinerlei formelle Autorität verfügen. Diese Entscheidungsträger:innen sind häufig nicht Politiker:innen, sondern Ministerialbeamte. Ministerialbeamte sind in staatlichen Institutionen tätig und verfügen über formell geregelte Autorität. So sind sie je nach Zuständigkeit dazu legitimiert, politische Entscheidungen zu treffen, bestimmte Formen der Staatsgewalt auszuüben oder Gesetzesentwürfe sachverständig vorzubereiten. Ihr ‚Einfluss‘ beruht auf entsprechenden Positionen innerhalb der staatlichen Beamtenhierarchie und den damit gesetzlich verbundenen Befugnissen. Hier wird deutlich, inwiefern Macht sich als (informelle) Form der Einflussnahme realisieren kann, die auf kommunikativ hergestellte Kooperations- und Zustimmungsbereitschaft angewiesen ist (Lobbygruppen), während sich Herrschaft durch formelle, institutionell legitimierte Autorität ausdrückt (Ministerialbeamte). Lobbygruppen können zwar politische Entscheidungen durchaus beeinflussen, letztlich liegt jedoch die formelle Autorität der Entscheidungen bei den ,herrschenden‘ Regierungsbeamten.

(3) Macht und Diskurs am Beispiel von Tabus: Tabus im Sinne Foucaults sind diskursiv konstruierte und tradierte (Sprech)Verbote. Als Teil von Moralkommunikation dienen sie üblicherweise dazu, spezifische Verhaltensweisen als ‚illegitim‘, ‚gefährlich‘ oder ‚unnormal‘ zu bestimmen. In menschlichen Gesellschaften wird das (stillschweigende) Respektieren von Tabus mit sozialer Akzeptanz belohnt, während das (öffentliche) Brechen derselben in aller Regel soziale, ggf. auch rechtliche Sanktionen bis hin zur Stigmatisierung oder Exkommunikation herbeiführt. Während sich bestimmte Tabus historisch zweifellos als förderlich erwiesen haben (z.B. Folter, Kindesmissbrauch, Kannibalismus etc.), so können strategische Tabuisierungen dazu dienen, (un)erwünschtes Verhalten gezielt zu regulieren. Tabus im Sinne von Sagbarkeitsgrenzen können bestimmte Themen oder Praktiken einer kritischen Auseinandersetzung entziehen und damit gesellschaftlich vorherrschende Annahmen und Verhaltensmuster festigen. Das kann dazu führen, dass bestimmte Wissensbestände, Normen und damit Machtstrukturen unangefochten und unhinterfragt bleiben. Die Machtwirkung diskursiv latenter Tabus kann so weit führen, dass Individuen ihr eigenes Verhalten „überwachen“ und regulieren (vgl. Foucault 1977; 1978), um gesellschaftlich ‚Normal‘-Erwartungen gerecht zu werden und drohenden Sanktionen zu entgehen. Ein typisches Beispiel sind Tabuwirkungen im Themenbereich ,Sexualität‘:

Perverse Pinguine
Abb. 1: Screenshot Spiegel-Artikel: Patalong (2012): Der Pinguin, ein ganz perverser Vogel.

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Literatur

Zum Weiterlesen

  • Bräckling, Ulrich (2019): Gute Hirten führen sanft: über Menschenregierungskünste. Berlin: Suhrkamp.

  • Sofsky, Wolfgang; Paris, Rainer (1994): Figurationen sozialer Macht: Autorität, Stellvertretung, Koalition. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Zitierte Literatur

  • Anter, Andreas (2013): Theorien der Macht zur Einführung. Hamburg: Junius.
  • Arendt, Hannah [1971] (2008): Macht und Gewalt. München: Piper.
  • Bachrach, Peter; Baratz, Morton (1963): Decisions and Nondecisions: An Analytical Framework. In: American Political Science Review 57, Nr. 3, Cambridge: University Press, S. 632–642.
  • Ball, Terence (1993): Power. In: Goodin, Robert; Pettit, Philip (Hrsg.): A Companion to Contemporary Political Philosophy. Oxford: University Press, S. 548–557.
  • Brunner, Otto; Koselleck, Reinhart (1982): Macht, Gewalt. In: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3: H-Me. Stuttgart: Klett.
  • Bührmann, Andrea; Schneider, Werner (2012): Vom Diskurs zum Dispositiv. Eine Einführung in die Dispositivanalyse. Bielefeld: Transcript.
  • Fraser, Nancy (2015): Foucault über die moderne Macht: Empirische Einsichten und normative Unklarheiten. In: Faser, Nancy (Hrsg.): Widerspenstige Praktiken. Macht, Diskurs, Geschlecht. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 31–55.
  • Forst, Reiner (2018): Normativität und Macht: zur Analyse sozialer Rechtfertigungsordnungen. Berlin: Suhrkamp.
  • Foucault, Michel (1992): Was ist Kritik? Berlin: Merve.
  • Foucault, Michel (2005): Subjekt und Macht. In: Ders.: Analytik der Macht, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 240–263.
  • Foucault, Michel [1977] (2017): Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt a.M.: Fischer.
  • Foucault, Michel (1977): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  • Foucault, Michel [1978] (2000): Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin: Merve Verlag.
  • Foucault, Michel; Sennelart, Michel (Hrsg.) [2006] (2011): Geschichte der Gouvernementalität – Band I und II. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  • Gramsci, Antonio; Bochmann, Klaus (Hrsg.) (1990–2002): Gefängnishefte. (Kritische Gesamtausgabe). Hamburg: Argument-Verlag.
  • Habermas, Jürgen (1998): Aporien einer Machttheorie. In: Habermas, Jürgen (Hrsg.): Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 313–343.
  • Lemke, Thomas et al. [2000] (2019): Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien. In: Lemke, Thomas et al. (Hrsg.): Gouvernementalität der Gegenwart: Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  • Link, Jürgen (2014): Disziplinartechnologien/Normalität/Normalisierung. In: Kammler, Clemens et al. (Hrsg.): Foucault-Handbuch. Stuttgart: J.B. Metzler, S. 242–246.
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  • Mann, Michael (1990): Die Geschichte der Macht. Erster Band, Von den Anfängen bis zur griechischen Antike. Frankfurt a. M.: Campus.
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  • Russell, Bertrand [1938] (2001): Macht. Hamburg: Europa-Verlag.
  • Scaff, Lawrence (1984): Weber before Weberian sociology. In: British Journal of Sociology, Heft 2, Jg. 35, S. 190–215.
  • Schmidt, Karsten (2022): Bourdieu über Sprache und symbolische Gewalt. In: Schmidt, Karsten (Hrsg.): Bourdieu in der Germanistik. Berlin: De Gruyter, S. 107–132.
  • Schmidt, Robert; Woltersdorff, Volker (2010): Bourdieu – Der zwanglose Zwang symbolischer Gewalt. In: Kuch, Hannes; Herrmann, Steffen K. (Hrsg.): Philosophien sprachlicher Gewalt: 21 Grundpositionen von Platon bis Butler. Weilerswist: Velbrück, S. 313–330.
  • Taylor, Charles [1992] (2020): Foucault über Freiheit und Wahrheit. In: Taylor, Charles (Hrsg.): Negative Freiheit? Zur Kritik des neuzeitlichen Individualismus. Frankfurt: Suhrkamp, S. 188–234.
  • Weber, Max [1922] (1972): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Tübingen: Mohr.

Abbildungsverzeichnis

Zitiervorschlag

Bäumer, Benjamin (2023): Macht. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 16.05.2023. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/macht.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Sagbarkeit

Im öffentlichen Diskurs findet sich häufig die strategische Behauptung, dass bestimmte Fakten oder Meinungen unsagbar seien. Auf diese Weise wird zum Ausdruck gebracht, dass es Grenzen des Sagbaren gebe, die im öffentlichen Diskurs Geltung hätten.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Wahlkampf

Wahlkämpfe sind Zeiten stark intensivierter politischer Kommunikation. Politische Parteien entwickeln Programme für die nächste Legislaturperiode in der Hoffnung, durch entsprechenden Stimmengewinn zu deren Umsetzung ermächtigt zu werden.

Schlagwörter

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Geschlechtergerechte Sprache

Mit dem heute als Fahnenwort gebrauchten Ausdruck geschlechtergerechte Sprache ist die Forderung verbunden, bei Personenbezeichnungen die einseitige, für diskriminierend erklärte Bezugnahme auf einen bestimmten Sexus, konkret: auf das männliche Geschlecht, zu unterlassen.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...

Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)

Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?

Was ist ein Volk?

Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…