DiskursGlossar

Organizing

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Gewerkschaftliche/politische Organisierung/Mobilisierung, Community Organizing
Siehe auch: Kampagne, Protest
Autor: Daniel Göcht
Version: 1.2 / Datum: 13.10.2022

Kurzzusammenfassung

Unter Organizing versteht man ein Bündel von Praktiken, die zur gewerkschaftlichen oder politischen Organisierung bzw. Mobilisierung dienen. Beim methodisch reflektierten Organizing spielen Recherche, Strategieentwicklung, mehr oder minder standardisierte 1:1-Gespräche, ,Mapping‘ (Erstellung einer Übersicht der Beteiligten im Betrieb oder sonstigen Aktionsfeld) und einiges mehr eine Rolle. Für das Erlernen von damit zusammenhängenden Techniken gibt es unterschiedliche Trainingsangebote, nicht selten werden eigens rekrutierte und geschulte Organizer eingesetzt. Bei Organizing handelt es sich um ein Lehnwort aus dem amerikanischen Englisch, das nebst entsprechenden Handlungskonzepten aus dem US-Kontext in Deutschland eingeführt worden ist. Wesentlich sind zwei Bedeutungen: gewerkschaftliches Organizing und Community Organizing, die beide historisch miteinander zusammenhängen, im Laufe der Zeit aber unterschiedliche Richtungen eingeschlagen haben. Die hohe Zeit der Debatten um v.a. gewerkschaftliches Organizing waren in Deutschland die späten 2000er und frühen 2010er Jahre, aber das Konzept hat inzwischen einen festen Platz im gewerkschaftlichen Repertoire, auch wenn die konkrete Bedeutung je nach Handlungskontext mehr oder weniger stark variieren kann. Das Community Organizing genannte Konzept macht zwar nicht im großen Stil von sich reden, spielt aber v.a. auf der lokalen Ebene eine Rolle und ist institutionell etabliert.

Erweiterte Begriffsklärung

Der Begriff Organizing kommt in seiner englischsprachigen Heimat in unterschiedlichen Kontexten vor (z.B. in der Organisationspsychologie), ins Deutsche ist er in seiner politischen Bedeutung gelangt. Er bezeichnet hier bestimmte Haltungen und Techniken zur Organisierung bzw. Mobilisierung, die insbesondere im gewerkschaftlichen Bereich zu finden sind, aber auch und vermehrt beim sogenannten Community Organizing. In beiden Bereichen lassen sich unterschiedliche Konzepte des Organizing ausmachen, um die es entsprechende Auseinandersetzungen gibt. Das ist wenig verwunderlich, denn ‚Organisieren‘ ist das, was Gewerkschaften ihrem Wesen nach tun, nur muss geklärt werden, auf welche Weise das geschieht. Im Deutschen hat Organizing stärker als in den USA den Charakter eines terminus technicus, da er gemeinsam mit bestimmten Praktiken bzw. Handlungsanweisungen importiert wurde. Die politische Verwendung des Wortes hat auch in der amerikanischen Heimat eine längere Geschichte hinter sich, ist bereits hier eine „Sammelbezeichnung für höchst unterschiedliche Praktiken und Diskussionen“ (Brinkmann et al. 2008: 108). Das gilt auch und vielleicht erst recht für die Verwendung nach seinem Import in den deutschsprachigen Raum, denn hier waren und sind mit den damit zusammenhängenden Praktiken bestimmte Erwartungen verbunden, die aus einer Situation der Krise resultieren. Der Soziologe Peter Birke schreibt in diesem Sinne:

„Organizing ist ein aus dem Amerikanischen importierter vieldeutiger Sammelbegriff. Er bedeutet zunächst ganz unspezifisch ‚Organisierung‘. Es ist ein Container-Wort, in das verschiedene und sogar entgegengesetzte Bedeutungen hineinpassen. Es steht als Begriff aber auch für das Versprechen, die Krise der Gewerkschaften zu lösen, ist also nicht nur ein Container-, sondern ebenso ein Zauberwort“ (Birke 2010: 7).

Es lassen sich einige typische Elemente des Organizing-Modells ausmachen (vgl. Dribbusch 2007: 31 ff.; Birke 2012: 42; und weiter unten im vorl. Text), die sich allerdings jeweils und in Kombination in der (betrieblichen) Wirklichkeit bewähren müssen. Die konkrete Ausgestaltung von Organizing-Prozessen hängt stark von den Gegebenheiten vor Ort und von der spezifischen Organisationskultur der jeweiligen Gewerkschaft ab.

Die Geschichte des methodisch reflektierten Organizing in den USA reicht in die 1930er Jahre zurück. Der gewerkschaftliche Dachverband CIO (Congress of Industrial Organizations) verfolgte eine gegenüber dem Vorgänger und Konkurrenten AFL (American Federation of Labor) neue Strategie, die die Aktivierung der Arbeiter, ausdrücklich auch als Mitglieder ihrer jeweiligen Community, vorsah, um betriebliche Macht zu generieren. Die hier gemachten Erfahrungen und strategischen Überlegungen wurden bald auch in Form von Broschüren systematisiert (z.B. Foster 1936; vgl. McAlevey 2019: 59). Die Strategie der Aktivierung, die Gewerkschaften als soziale Bewegung verstand, hat sich allerdings nicht durchsetzen können und wurde nach und nach zugunsten einer stärkeren Institutionalisierung und sozialpartnerschaftlichen Orientierung aufgegeben (vgl. McAlevey 2019, 64f). Nach einer recht erfolgreichen Phase mit diesem Konzept gerieten die amerikanischen Gewerkschaften spätestens mit der Präsidentschaft Ronald Reagans und seiner Angriffe auf die Gewerkschaftsbewegung in eine tiefe Krise (vgl. Nicholson 2006: 342 ff.). Organizing sollte eine Antwort auf diese Krise sein – als in die Zukunft gerichteter Rückgriff auf in der Vergangenheit bereits erfolgreiche gewerkschaftliche Praktiken (vgl. Birke 2010: 81 f.). Weder in den USA noch in Deutschland aber war die Debatte um Organizing letztlich von der CIO-Tradition geprägt, sondern vielmehr vom Ansatz und den Schriften des einflussreichen Organizers Saul Alinsky (vgl. u.a. die für den deutschen Kontext maßgebliche Sammlung Alinsky 2010) und den Kampagnen der Bürgerrechtsbewegung. Die Debatte um neue Organizing-Strategien seit Mitte der 1980er führte zur Professionalisierung, Systematisierung und Institutionalisierung des Ansatzes, zunächst unter der Regie des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO, dessen Spaltung 2005 letztlich auch eine Folge der Auseinandersetzung um organisatorische Erneuerung war.

Unter dem Eindruck der Krise der Gewerkschaften und dem Einbrechen der Mitgliederzahlen in den 1990er Jahren nach einem kurzzeitigen Allzeithoch nach dem Anschluss der DDR wurden Organizing-Strategien auch in Deutschland eingeführt (Deppe 2012: 82 ff.). In der Regel geschah dies in Form von Projekten und nicht selten unter tat- und vor allem finanzkräftiger Hilfe von US-Gewerkschaften (vgl. die Beiträge in Bremme et al. 2007), vor allem durch die SEIU (Service Employees International Union). Diese Projekte waren sehr unterschiedlich mit Ressourcen und Personal ausgestattet, allerdings in keinem Fall in dem Maße wie die amerikanischen Vorbilder. Die neuen Methoden wurden in bisher wenig erschlossenen Bereichen erprobt (z.B. im Bewachungsgewerbe) oder der bisher üblichen Strategie der Mitglieder- und Betriebebetreuung aufgesattelt. Die Protagonisten dieser Veränderung haben sich von der Übernahme von Organizing-Strategien vielfach eine umfassende „Erneuerung“ der Gewerkschaften versprochen – die Titel mehrerer zentraler Publikationen sprechen das aus (vgl. Brinkmann et al. 2008, Bremme et al. 2007). Diese Publikationen markieren auch einen Höhepunkt der gewerkschaftlichen Debatte um Organizing in Deutschland. Seither wurden viele Elemente des Organizing aus den Projekten in die Alltagsarbeit oder zumindest in die Ausbildung von Gewerkschaftssekretären übernommen, wenn auch die umfassende Erneuerung ausgeblieben ist. Eng verbunden mit den Erneuerungshoffnungen war das Konzept ,Beteiligung‘, also die stärkere Einbeziehung von Mitgliedern in Entscheidungen und nicht zuletzt auch in die Mitgliederrekrutierung. Mit diesem Schlüsselbegriff der Debatte waren und sind je nach politischem Standort unterschiedliche Vorstellungen und Hoffnungen verbunden, die von einer umfassenden Veränderung der Struktur und Kultur der Organisationen (,Demokratisierung‘), über den Aufbau von Organisationsmacht, bis zur Verbreiterung der Mitgliederbasis in Zeiten abnehmenden Personals reichen. Entsprechend unterschiedlich fällt auch die jeweilige Praxis aus. Das unterstreicht die eingangs benannte Vieldeutigkeit des Begriffs Organizing, auf den sich zwar viele beziehen, aber häufig sehr Unterschiedliches meinen. Im betrieblichen und organisatorischen Alltag setzt sich – wenig verwunderlich – diejenige Bedeutung praktisch durch, die die betrieblichen Bedingungen und die Machtverhältnisse am ehesten widerspiegelt.

Organizing in einem umfassenden Sinne war und ist oftmals mehr Programm und dient nicht zuletzt auch der eigenen Positionierung. In der Praxis anzutreffen ist Organizing eher in einem engeren Sinne, verstanden als ein Set vielseitig einsetzbarer, mehr oder minder neutraler Techniken, um Mitglieder zu gewinnen (vgl. auch den vielsagenden Titel von Gemeinsame Arbeitsstelle RUB/IGM 2018, der Mitglieder zu einer erschließbaren Ressource macht) bzw. eine bestimmte Arbeitsweise. Wichtige Elemente sind hierbei:

  1. Systematische Recherche über das betreffende Unternehmen, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden und Angriffspunkte zu finden.
  2. Entwicklung einer Strategie, die interne und externe Akteure (unterschiedliche Verbündete, Öffentlichkeit, Kunden) einschließen kann und in einem konkreten Arbeits- und Zeitplan festgehalten wird.
  3. Das 1:1-Gespräch mit den Beschäftigten, wobei entscheidend ist, ein anderes Verhältnis von Zuhören und Sprechen gegenüber der zumindest als Klischee bestehenden ,alten‘ Herangehensweise, bei der der Gewerkschaftssekretär die Welt erklärt, zu entwickeln. Als Orientierung dient ein Verhältnis von 30% Sprechen und 70% Zuhören – schließlich gilt es, die ‚Themen‘ der Beschäftigten zu erfassen, anhand derer sie sich organisieren und sich der Konflikt im Unternehmen führen lässt. Zudem soll der Organizer möglichst viel für den weiteren Organizingprozess Wichtiges über die jeweiligen Beschäftigten herausfinden: Sind sie natürliche Autoritäten unter den Kollegen und damit geeignet als Leader, arbeiten sie eher im Hintergrund oder sind sie gar feindlich gesinnt?
  4. Das Mapping, wobei in einer Art Betriebslandkarte unterschiedliche für den Organisationsprozess wichtige Informationen festgehalten werden, insbesondere die Einschätzung des Potenzials der Kollegen und die Verteilung der bereits Organisierten.
  5. Oftmals kampagnenartiges Vorgehen.
  6. Besonders wichtig ist (idealtypisch) die Einbeziehung der Beschäftigten in alle Entscheidungen und in die Praxis, was nicht nur ressourcenschonend ist, sondern vor allem die Organisierung (und Organisation) zur Sache der Kolleginnen und Kollegen selbst macht (zu diesen und weiteren Elementen vgl. auch Bradbury et. al. 2018). Der Organizing-Prozess wird gelegentlich auch in der Formel AHA – Anger, Hope, Action – zusammengefasst: aufgegriffen wird ein möglichst konkretes Problem oder Konfliktthema der Beschäftigten; sie gewinnen im Prozess Hoffnung und Mut durch die Solidarität der Beteiligten und die eigene Selbstwirksamkeit; der Konflikt um das Thema wird mittels gemeinsam geplanter Aktionen geführt. Die Konfiktorientierung ist dabei wichtig für das Organizing, weil dabei der Sinn des Organisierens – gemeinsam etwas erreichen zu können – für die Beteiligten erfahrbar wird.

Auch das sogenannte Community Organizing ist ein US-Import. In diesem Zusammenhang ist der Name Saul Alinskys noch präsenter als im Gewerkschaftsumfeld; die entsprechenden Projekte beziehen sich meist auf die Überlegungen Alinskys und seine Praxis (vgl. Penta 2007; Wagner 2013: 99 ff.; Maruschke 2014: 28 ff.). Alinsky hat die Techniken des Organizing als gewerkschaftlicher Organizer gelernt, ist aber bald eigene Wege gegangen, um in den Armenvierteln Veränderungen durchzusetzen. Bereits früher hatten die Gewerkschaften die Community in die Organisierung miteinbezogen, jetzt aber änderte sich der Fokus und die Arbeitsstätte als Ort des Organizing verschwand aus dem Blick. Finanziert wurden Alinskys Projekte im Laufe der Zeit durch philanthropisch eingestellte Millionäre wie Marshall Field. Der Ansatz Alinskys zielt, anders als die Tradition aus der er stammt, nicht auf die Veränderung der Gesellschaft im Ganzen, sondern auf die Lösung von konkreten Einzelproblemen einer bestimmten Community. Auch hier wird ein Konflikt, teils auch heftig, geführt (vgl. Alinsky 2007); es bleibt aber letztlich eine Form der Gemeinde-Sozialarbeit, bei der es vor allem um Hilfe zur Selbsthilfe geht. Alinsky und seine Nachfolger haben sich konsequenterweise auch auf die vor Ort bereits bestehenden Organisationen – v.a. religiöse Gemeinden und deren Leader etc. – gestützt und konzentriert. Der vordergründig radikale Ansatz kann auch für andere Zwecke genutzt werden, z.B. für Wahlmobilisierungen, wobei die Mobilisierung durch die Hoffnung auf Veränderung (Yes we can) eine besondere Dynamik erhält. Ob die daraus resultierenden Reformen die Hoffnungen konterkarieren, ist eine andere Frage. Jedenfalls führt eine Linie des Organizing von Alinsky über Hillary Clinton, die ihre Abschlussarbeit 1969 über Alinsky geschrieben hat (vgl. McAlevey 2019, 68), zu Barack Obama, d.h. mitten in den Machtapparat etablierter Politik in den USA.

Community Organizing ist in Deutschland mittlerweile recht weit verbreitet, wobei das Spektrum von klassischer Stadtteilarbeit bis ‚Bürgerbeteiligung‘ bei größeren Bauvorhaben o.ä. reicht. Hierbei geht es häufig um die Aufwertung von Stadtteilen, z.B. durch die Ansiedelung von Geschäften, aber auch die Übernahme ehemals staatlicher Aufgaben durch ‚Empowerment‘ der Akteure vor Ort (vgl. die Beispiele in Penta 2007). Solche Projekte flankieren laut Thomas Wagner letztlich „den fortgesetzten Abbau öffentlicher Leistungen und Garantien im Rahmen eines ‚aktivierenden Sozialstaates‘“ (Wagner 2013: 105). Solcherart Politik wird allerdings nicht ausschließlich in einkommensschwachen Stadtvierteln eingesetzt. Bürgerbeteiligung kommt häufig auch dann als Mittel zur Anwendung, wenn es darum geht, Veränderungen durchzusetzen, bei denen ansonsten mit Widerstand zu rechnen wäre. Wenn Bürger bereits in der Planungsphase von Projekten beteiligt werden, kann Protest mittels Commitment häufig eingehegt werden – ein Verfahren, das nicht zuletzt auch im Arbeitsleben (z.B. Zielvereinbarungsgespräch) vielfach zur Anwendung kommt. Entsprechend sind in vielen Städten sogenannte Bürgerplattformen oder andere Möglichkeiten der Beteiligung von Bürgern an öffentlichen Angelegenheiten eingerichtet worden.

Selten bearbeitet oder diskutiert werden einige systematische Probleme des Organizing-Konzepts, die zum Schluss kurz angerissen werden sollen. Zunächst lässt sich feststellen, dass in Deutschland der spezifische Kontext des Organizing in den USA wenig beachtet wird, ebenso wenig wie die Konflikte in den maßgeblichen Organisationen wie der SEIU. Weitgehend ungeklärt ist zudem die Frage nach dem Verhältnis von (sozialem) Inhalt und Methode, wobei insbesondere Vertreter des Organizing-Ansatzes mit stärkerem politischem Veränderungswillen zur Ansicht neigen, der richtige Inhalt sei bereits durch das Prinzip Beteiligung gegeben. Dabei wird herausgestellt, dass es sich um eine „Haltung“ (vgl. Bradbury et al. 2018: 16) handele, womit aber über die konkrete Zielsetzung und den sozialen Inhalt nichts ausgesagt ist. Es ergibt sich daraus eine gerade für Organisationen nicht unbedeutende Frage, nämlich wie gewährleistet werden kann, dass bei größtmöglicher ‚Partizipation‘ das Ergebnis zur eigenen strategischen Ausrichtung passt. Gerade für Gewerkschaften besteht die Gefahr, dass beim Aufgreifen von für bestimmte Communitys spezifischen Problemen gewerkschaftliche Anliegen im engeren Sinne in den Hintergrund geraten, insbesondere dann, wenn auf Akteure aus sozialen Bewegungen als Hauptamtliche gesetzt wird.

Ein weiteres ungeklärtes Problem umreißt Peter Birke: die Nähe des Aufrufs zur Selbstorganisation zu modernen Managementtechniken (Birke 2010: 11; 179). Und in der Tat lässt mindestens die historische Nachbarschaft des Aufkommens neuer Formen der Arbeitsorganisation (vgl. Siemens/Frenzel 2014) und der Wiederentdeckung des Organizing auf einen Zusammenhang aufmerksam werden. Bei der Selbstorganisation changiert hier wie dort das ,selbst‘ zwischen ,selbst bestimmen und tun‘ und ,von selbst geschehen‘. Dies gilt vor allem, wenn Organizing bzw. Selbstorganisation als neutrale Methode oder gar Sozialtechnik betrachtet wird und es wenig Klarheit über Sinn und Zweck des Ganzen herrscht: „Wie heißt es im Wahlkampfschlager eines berühmten früheren Organizers: Yes we can. Aber was können wir denn, mit welchen Mitteln und mit welchem Ziel?“ (Birke 2010, 11). Auch an den Gewerkschaften ist die vielfach von Unternehmensberatungen getragene Entwicklung in der Arbeitswelt nicht spurlos vorbeigegangen und angesichts sinkender Mitgliederzahlen erscheint die Rekrutierung von Neumitgliedern durch die Mitgliedschaft selbst sehr attraktiv. Als Selbstzweck betrachtet, gerät diese Form der Mitgliedergewinnung und des Organisationserhalts schnell ins Fahrwasser einer lean production von neuen Mitgliedern, mit der Personal und Ressourcen gespart werden können. Ohne eine Reflexion des Verhältnisses von Ziel und Methode kann sich hier schnell ,von selbst‘ etwas durchsetzen, was der ursprünglichen oder der eigenen Intention widerspricht. Organizing muss sich, wie jedes (politische) Handeln mit gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen es agiert, auseinandersetzen, um nicht der Gefahr zu erliegen, dass sich die eigenen Zielvorstellungen ins Gegenteil verkehren.

Beispiele

(1) Genannt sei zunächst ein fiktionales Beispiel, das zum einen den Vorteil hat, ,anschaulich‘ zu sein, das zum anderen wesentlich zur Popularisierung des Organizing-Ansatzes beigetragen hat. Der Film Bread and Roses von Ken Loach (Loach 2000) greift die Justice for Janitors-Kampagne in den USA (vgl. Schroth 2009: 132 ff.) auf und zeigt einen Organizer bei der Arbeit bzw. die Entwicklung eines Organizing-Prozesses. Die Kampagne ist ,klassisch‘, weil sie der Organisierung hauptsächlich prekär Beschäftigter in der Gebäudereinigung diente. Der Organizer gewinnt nach und nach das Vertrauen der meist lateinamerikanischen Reinigungskräfte und schafft eine persönliche Ebene (wobei die obligatorische Liebesgeschichte nicht fehlen darf). Im Voraus wurden Recherchen zum Unternehmen erstellt, auf deren Grundlage dann öffentlichkeitswirksame Aktionen geplant werden, um auf die Ausbeutung der Reinigerinnen hinzuweisen. Diese werden gemeinsam mit den Kolleginnen geplant, die die Sache mehr und mehr in ihre eigenen Hände nehmen. Allerdings steht weiterhin der Organizer stark im Mittelpunkt – ein Problem nicht weniger Organizing-Prozesse.

(2) Ein weniger ,klassisches‘, d.h. weniger typisches Beispiel stammt aus dem Bereich der Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU), die ein insgesamt vierjähriges Projekt zur Organisierung von Angestellten durchgeführt hat. ,Angestellte‘ meint in diesem Zusammenhang Beschäftigte, die im Unterschied zu ,Gewerblichen‘ in der Regel keine manuellen Tätigkeiten ausführen und ein Gehalt statt Stundenlohn beziehen, z.B. Bauleiter, Ingenieure, kaufmännische oder IT-Beschäftigte. Die Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten hat in Deutschland eine lange Tradition (vgl. Schmidt 2016) und meist sind Angestellte nicht gewerkschaftlich organisiert. Bei diesem Projekt haben Elemente des Organizings eine wichtige Rolle gespielt: 1:1-Gespräche mit den Beschäftigten, Aktiventreffen, gemeinsame Planung des weiteren Vorgehens bzw. immer stärkere Selbstorganisierung der Kollegen. Typisch für einen Organizing-Prozess, wenn auch schwerlich planbar im Rahmen eines Projekts, war das Organisieren am Konflikt. Der Austritt eines großen Baukonzerns aus dem Arbeitgeberverband, der den Verlust der Tarifbindung bedeutet hätte, hat geholfen, dass das AHA-Prinzip (Anger-Hope-Action) wirksam werden konnte und die bisher nicht oder wenig organisierten Kollegen erfolgreich für einen Haustarifvertrag gekämpft haben.

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Birke, Peter (2010): Die große Wut und die kleinen Schritte. Gewerkschaftliches Organizing zwischen Protest und Projekt. Hamburg: Assoziation A.
  • McAlevey, Jane (2019): Keine halben Sachen. Machtaufbau durch Organizing. Hamburg: VSA: Verlag.
  • Wagner, Thomas (2013): Die Mitmachfalle. Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument. Köln: Papyrossa.

Zitierte Literatur

  • Alinsky, Saul (2010): Call me a Radical. Organizing und Empowerment – Politische Schriften. Göttingen: Lamuv.
  • Alinsky, Saul; Norden, Eric (2007): Rebell trifft „Playboy“: Saul Alinsky im Gespräch mit Eric Norden. In: Penta, Leo (Hrsg.): Community Organizing. Menschen verändern ihre Stadt. Hamburg: Ed. Körber-Stiftung, S. 19–39.
  • Birke, Peter (2010): Die große Wut und die kleinen Schritte. Gewerkschaftliches Organizing zwischen Protest und Projekt. Hamburg: Assoziation A.
  • Bradbury, Alexandra; Brenner, Mark; Slaughter, Jane (2018): Geheimnisse einer erfolgreichen Organizerin. Stuttgart: Schmetterling Verlag
  • Bremmer, Peter; Fürniß, Ulrike; Meinecke, Ulrich (Hrsg.)(2007): Never work alone. Organizing – ein Zukunftsmodell für Gewerkschaften. Hamburg: VSA Verlag.
  • Brinkmann, Ulrich et al. (2008): Strategic Unionism: Aus der Krise zur Erneuerung? Umrisse eines Forschungsprogramms. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Deppe, Frank (2012): Gewerkschaften in der Großen Transformation. Von den 1970er Jahren bis heute. Eine Einführung. Köln: PapyRossa.
  • Dribbusch, Heiner (2007): Das „Organizing-Modell“. Entwicklung, Varianten, Umsetzung. In: Bremme, Peter; Fürniß, Ulrike; Meinecke, Ulrich: Never work alone. Organizing – ein Zukunftsmodell für Gewerkschaften. Hamburg: VSA Verlag, S. 24–52.
  • Foster, William Z. (1936): Organizing Methods in the Steel Industry. New York: Workers Library Publishers.
  • Gemeinsame Arbeitsstelle (RUB/IGM 2018): Mitglieder erfolgreich erschließen – Erfahrungen mit Organizing-Strategien in ausgewählten Mitgliedsgewerkschaften des DGB. Bochum. Online unter: https://rubigm.ruhr-uni-bochum.de/Transfer/Organizing-Strategien%20GAS.pdf ; Zugriff: 12.07.2021.
  • Loach, Ken (2000): Bread and Roses [Film]. Großbritannien, Deutschland et al.
  • Maruschke, Robert (2014): Community Organizing. Zwischen Revolution und Herrschaftssicherung. Münster: edition assemblage.
  • McAlevey, Jane (2019): Keine halben Sachen. Machtaufbau durch Organizing. Hamburg: VSA.
  • Nicholson, Philip Yale (2006): Geschichte der Arbeiterbewegung in den USA. Berlin: vorwärts buch.
  • Penta, Leo (Hrsg.) (2007): Community Organizing. Menschen verändern ihre Stadt. Hamburg: Ed. Körber-Stiftung.
  • Schmidt, Rudi (2016): Zur Geschichte der Angestellten und der Angestelltensoziologie. In: Haipeter, Thomas (Hrsg.): Angestellte Revisited. Arbeit, Interesse und Herausforderungen für Interessenvertretungen. Wiesbaden: Springer, S. 35–65.
  • Schroth, Heidi (2009): Klinken putzen!? Strategien gewerkschaftlicher Mitgliederaktivierung in Deutschland und den USA. Hamburg: VSA.
  • Siemens, Stephan; Frenzel, Martina (2014): Das unternehmerische Wir. Formen der indirekten Steuerung im Unternehmen. Hamburg: VSA.
  • Wagner, Thomas (2013): Die Mitmachfalle. Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument. Köln: Papyrossa.

Zitiervorschlag

Göcht, Daniel (2022): Organizing. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 13.10.2022. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/organizing/.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Topos der düsteren Zukunftsprognose

Der Topos der düsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...

Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)

Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?

Was ist ein Volk?

Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…