DiskursGlossar

Woke

Kategorie: Schlagwörter
Verwandte Ausdrücke: Wokeness
Siehe auch: Politisch korrekt / Politische Korrektheit, Moralisierung
Autor*innen: Sven Bloching, Jöran Landschoff und Joachim Scharloth
Version: 1.0 / Datum: 01.08.2025

Kurzzusammenfassung

Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten. Im Deutschen hat sich die Bedeutung des Ausdrucks nach seiner Entlehnung rasch verschoben: Heute wird woke meist sarkastisch sowie abwertend als Schlag- bzw. Stigmawort verwendet, um Personen und Gruppen eine moralische Selbstüberhebung und ideologische Verblendung zuzuschreiben, wobei die ideologische Haltung mit einer diffusen Vorstellung von ‚Linkssein‘ gleichgesetzt wird.

Erweiterte Begriffsklärung

Der Ausdruck woke nimmt im deutschen Sprachraum eine komplexe Rolle zwischen politischem Kampfbegriff und rhetorischer Chiffre ein. Ursprünglich entstammt er dem afroamerikanischen Englisch (African American (Vernacular) English), wo er seit den 1960er Jahren für ein spezifisches Bewusstsein gegenüber gesellschaftlicher und insbesondere rassistischer Diskriminierung verwendet wurde. Die metaphorische Dimension des Ausdrucks woke ruft dabei Assoziationen von ‚Erwachtsein‘ oder ‚Erweckung‘ auf und qualifiziert die erfolgte Bewusstseinsveränderung als grundlegende Transformation. Im Zusammenhang mit den Black-Lives-Matter-Protesten ab 2013 begann der Begriff weltweit zu zirkulieren. In Deutschland findet sich woke erstmals 2014 auf der Social-Media-Plattform X, damals noch Twitter, zunächst ausschließlich in Form des Hashtags und Slogans #StayWoke, als Appell zur Wachsamkeit gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeiten.

In öffentlichen Debatten im deutschsprachigen Raum fand jedoch rasch eine Bedeutungsverschiebung statt, durch die der Begriff zunehmend ironisiert und negativ besetzt wurde. Woke dient hier überwiegend nicht mehr als affirmative Selbstzuschreibung, sondern dazu, anderen Gruppen, Personen und Organisationen auf kritische oder abwertende Weise (politisch) dispräferierte Verhaltensweisen, Weltanschauungen, Denkweisen, usw. zuzuschreiben. Dabei wird woke ab 2017 zunehmend zu einer Chiffre für ganze Lebensbereiche, Denkwelten und Milieus, ohne dass ein klarer Bedeutungskern des Adjektivs feststellbar wäre. Etwa bezeichnen zahlreiche Komposita (zusammengesetzte Wörter), in denen woke als Erstglied auftritt, eine Gruppe oder ein Milieu (Woke-Bewegung, Woke-Bubble, Woke-Jünger, Woke-Gemeinde, Woke-Milieu, Woke-Szene, Woke-Sekte, woke-Kreise), eine Ideologie bzw. einen ‚Irrglauben‘ (Wokeismus, Woke-Ideologie, Woke-Esoterik, Woke-Wahn) oder einen Lebensstil oder prägenden Zeitgeist (Woke-Kultur, Wokeness-Kultur, Wokeness-Zeit). Wie zahlreich und unterschiedlich die Bedeutungsdimensionen von woke sind, zeigen die 20 verwendungsähnlichsten Ausdrücke: infantil, selbstgerecht, verbohrt, zeitgeistig, linksideologisch, borniert, realitätsblind, kulturmarxistisch, grünlink, staatsgeldgierig, stupide, antinational, antideutsch, multikulturalistisch, masochistisch, universalistisch, selbstsüchtig, versifft, zersetzend.

Die Kollokationen von woke, also die signifikantesten Ko-Vorkommen anderer Wörter im unmittelbaren Kotext, sowie die Ausdrücke, die in Aufzählungen zusammen mit woke gebraucht werden, geben Hinweise auf die häufigsten Verwendungsweisen des Ausdrucks. Im deutschsprachigen Diskursraum Twitter (bzw. X) wird woke etwa überwiegend mit negativen Nomen attribuiert: Von wokem Geschwafel oder wokem Irrsinn ist ebenso die Rede wie von wokem Wahnsinn oder woker Ideologie. Daneben wiederholen sich Muster eines Vorwurfs der Nicht-Authentizität, in denen woke mit Adjektiven wie pseudo, fake oder auch in Komposita wie Woke-Washing verwendet wird, womit eine angebliche Unaufrichtigkeit oder Oberflächlichkeit der so bezeichneten Haltungen ausgedrückt wird. Hier ist der ehemals positive und als ‚progressiv‘ konnotierte Bedeutungsaspekt noch erhalten, dient aber als Schablone für die Zuschreibung einer gegenteiligen, negativ konnotierten Semantik, die sich mit den o. g. verwendungsähnlichsten Ausdrücken deckt.

Abbildung 1: Wörter, die häufig in Aufzählungen mit Wokeness und Woker/Woke auftreten belegen die diffuse Bedeutungsvielfalt, die mit der Chiffre woke zum Ausdruck kommt.

Gebrauchsähnliche Ausdrücke und Kollokationen zeigen jedoch, dass woke auch ohne adjektivische Attribution negativ wertend gebraucht wird und die Sachverhalte, Gruppen oder Personen, die bezeichnet werden, als ‚moralisch überheblich‘ (selbstgerecht), ‚ideologisch verblendet‘ (verbohrt, woke-Sekte) und ‚politisch links‘ (linksideologisch, grünlink, kulturmarxistisch) positioniert, wobei der Vorwurf der strategischen Inszenierung mitschwingt. Pseudo woke und woke können in diesem Sinne synonym verwendet werden.

Dies ermöglicht Verwendungsweisen von woke, die eine ironische Haltung transportieren: Konstruktionen wie ach so woke, super-woke und über-woke zeichnen einen Gegensatz zwischen beanspruchter und tatsächlich gelebter Moral der mit diesen Ausdrücken adressierten Person oder Gruppe, wobei der mit woke transportierte Bedeutungsgehalt weiterhin diffus und implizit bleibt. Er ließe sich je nach Verwendungskontext als tolerant, umweltbewusst oder auch einfach abstrakt moralisch gut verstehen.

Abbildung 2: Wörter, die in Aufzählungen häufig mit woke und unwoke auftreten belegen die ironische Verwendungsweise.

Die Steigerungsformen super-woke, über-woke, ultra-woke sprechen den so bezeichneten Verhaltensformen nicht nur eine Verhältnismäßigkeit ab, sie weisen woke auch als graduelles Phänomen aus: Demnach sei es möglich, mehr oder weniger woke zu sein. Die grammatischen Aspekte der Einbettung von woke weisen in eine ähnliche Richtung, etwa wenn woke in Konsekutiv-Konstruktionen wie so woke, dass … ebenfalls als skalares Attribut verwendet wird. Dabei werden zugleich die Folgen einer als ‚übertrieben‘ wahrgenommenen Wokeness drastisch dargestellt, wie in diesem Beispiel von Twitter:

Meine Freunde sind so woke, dass sie selbst Brot backen scheiße finden, weil es mehr Energie verbraucht, wenn man einen Laib in den Ofen schiebt, als das, was ein Backofen in einer Bäckerei gleichzeitig schafft.

Woke-Sein als negative Fremdzuschreibung verläuft somit einerseits über die Attestierung von Unaufrichtigkeit oder Falschheit (pseudo woke, fake woke), andererseits über die Anklage der Übersteigerung und Übertreibung ideologischer oder politischer Einstellungen (über-woke, so woke, dass…). In beiden Fällen wird eine nie explizierte Eigentlichkeit der Bedeutung suggeriert, die in der je vorliegenden Ausprägung aber verfehlt wird, ja sogar zum Gegenteil führt. Zudem scheint es, dass dies zur Kernbedeutung des Ausdrucks woke selbst werden könnte, er also auch ohne Zusatz (also ohne Adjektiv-Attribution oder Komposition) diese Semantik von Falschheit und Übertriebenheit darstellen kann.

Wird woke in diesem Sinne gebraucht, kann sich die Zuschreibung von Unaufrichtigkeit oder Maßlosigkeit der Wokeness auf diverse Themenbereiche progressiver Politik beziehen: Neben klassischen Feldern der sogenannten Identitätspolitik wie Antirassismus, Feminismus, Genderpolitik, geschlechtergerechter Sprache und LGBTQ+ werden Zuschreibungen von woke, wie obiges Beispiel zeigt, auch zunehmend mit den Bereichen Nachhaltigkeit, ökologische Lebensführung und Konsumkritik verknüpft. Besonders auf Twitter dominiert hierbei die ironische Semantisierung, in der woke Menschen als ‚weltfremd‘ oder ‚naiv‘ dargestellt werden. Der Begriff der von der politischen Rechten behaupteten woke Cancel Culture und ähnliche sprachliche Praktiken finden Anwendung, um politische Gegner pauschal als ‚intolerant‘ oder ‚autoritär‘ zu perspektivieren. In beiden Fällen ist eine auf spezifische Weise vorgenommene Invertierung der ‚progressiven‘ Bedeutung von woke zu erkennen: War die ursprüngliche Selbstbezeichnung jenen vorbehalten, die eigene und fremde Ausgrenzungen und Abwertungen durch (Selbst-)Aufklärung zu überwinden hofften, sollen nun gerade sie es sein, die die eigenen moralischen Defizite und ausgrenzenden Praktiken nicht sehen: Stand woke für das emanzipatorische Erkennen von Diskriminierungsstrukturen, wird damit nun eine angebliche Gegendiskriminierung von links beklagt.

Diese Grundmuster finden sich ebenfalls in den Argumentationsweisen, in denen woke verwendet wird. Topologisch werden Heuchelei und eine rein performative, oberflächliche, also erneut ‚unechte‘ Moral mit Woke-Sein in Verbindung gesetzt. So kann Wokeness im Gegensatz zur Ursprungsbedeutung als Hindernis für tatsächlich progressiv orientierte Bemühungen wirken; gerade weil jemand woke sei, verkenne die Person die eigenen misogynen, sexistischen oder rassistischen etc. Einstellungen. Weitere typische Kritikpunkte sind die angebliche Selbstgerechtigkeit der Woken, ihre Doppelmoral oder eine Attitüde moralischer Überlegenheit ohne substanzielle gesellschaftliche Beiträge. Dabei wird der woke-Topos zwar überwiegend, aber nicht nur von rechts-konservativer Seite instrumentalisiert, sondern zuweilen auch innerhalb linker oder liberaler Diskurse genutzt, um interne Konflikte oder Unstimmigkeiten zu markieren, wie gelegentliche Wortneubildungen wie Gauche-caviar-Wokeness veranschaulichen. Diese innere Kritik an woken Positionen verbindet sich entweder mit dem Vorwurf, dass Wokeness zu dogmatisch sei, alternative Sichtweisen ausschließe und damit letztlich den offenen Diskurs behindere, oder aber mit dem Vorwurf, dass woke Identitätspolitik Klassenkämpfe systematisch ausblende, indem sie gesellschaftliche Spannungen innerhalb kapitalistischer Logik durch Kooperation mit Unternehmen zu lösen suche (vgl. hierzu auch Wortverbindungen wie woke capital).

Letztlich zeigt sich, dass der strategische Gebrauch von woke oft dazu dient, argumentativ eine Grenze zwischen ‚legitimen‘ und ‚illegitimen‘, ‚authentischen‘ und ‚unauthentischen‘ Formen gesellschaftlichen Engagements zu ziehen. So werden woke Haltungen teilweise als nicht reflektiert versprachlicht – oder als Modetrend, der nur einer inszenierten Identifikation mit moralischen Zielen diene, ohne diese tatsächlich umsetzen zu wollen. Dadurch wird woke einerseits zum Ausdruck sozialer und moralischer Abgrenzung, andererseits auch zu einem strategischen Instrument, das einer Person oder Gruppe pauschal ‚Hypermoral‘ oder Selbstinszenierung unterstellt.

Diese diskursive Funktion teilt der woke mit dem Ausdruck politische Korrektheit. Allerdings bezieht sich dieser in erster Linie auf sprachliche Realisierungsformen, die es angeblich zu vermeiden gilt, und erst in zweiter Linie um einzelne lebensstilistische Praktiken. Der Ausdruck woke wird dagegen verwendet, um die Gesamtheit einer Ideologie, eines Lebensstils und die mit ihm verknüpften Werte zu denunzieren, und hat sich gerade wegen dieser inhaltlichen Breite zur semantisch ausgehöhlten, aber produktiven rhetorischen Chiffre entwickelt. Dabei sind die skizzierten Verwendungsweisen von woke konstitutiver Bestandteil jener diskursiven Polarisierung und Moralisierung, die der Anti-Woke-Diskurs zu kritisieren vorgibt.

Beispiele

(1)

Mir isch völlig bewusst, dass Männer sich vill weniger i so Situatione chönnd inefühle. But still: STAY WOKE! EDUCATE YOURSELF! (Tweet von X-User „Queen of Rägeböge“)

Die Autorin beschreibt Männer als weniger einfühlsam, ruft sie jedoch dazu auf, sich ein Bewusstsein für Diskriminierung zu bewahren und sich weiter an sich zu arbeiten und sich selbst aufzuklären. Der Ausdruck woke kann im Kontext in seiner ursprünglichen Bedeutung entweder im Sinn von wachsam gedeutet werden oder im Sinn von bewusst.

(2)

einen Herren der sich als Außenminister verdingt, der der Meinung ist das Außenministerium sollte WOKE werden, jedoch meint er rein nur divers also bunt, also gender also letztendlich sich selbst oder er ist die Sprachpuppe von jemand höheren über ihn! (Tweet von X-User „Skychaser IFO!“)

Der Autor nimmt Bezug auf die dem damaligen Außenministers Heiko Maas zugeschriebene Forderung (vom Juni 2021), Mitarbeiter des Außenministeriums sollten problembewusst (‚woke’) sein und Diversitätsempathie entwickeln, und deutet sie im Kontext der bevorstehenden Amtsübergabe zur Grünen Annalena Baerbock. Dabei expliziert er die Bedeutung von woke in einer Folge von Ausdrücken als divers, bunt und gender. Die vom Außenministerium intendierte Bedeutung von woke, die sich an die ursprüngliche Bedeutung im Civil Rights Movement anlehnt, wird hier süffisant gegen den Noch-Außenminister gewendet, der nun sein Amt für eine Frau zu räumen habe. Zugleich deutet der Autor an, dass das Vertreten ‚woker‘ Positionen ein Herrschaftsinstrument sei und ihre Verfechter nicht nach moralischen Maßstäben handelten, sondern ‚Sprechpuppen‘ einer höheren Macht seien. Der Vorwurf des Unauthentischen und der Pseudomoral werden hier also mit der ursprünglichen Bedeutung des Ausdrucks verknüpft.

(3)

@ulfposh Die Klima Blase ist primitiver WOKE SOZIALISTISCHER FASCHISMUS und deshalb Popolismus der übelsten Art. (Tweet von X-User „RN“)

Im Beispiel werden Klimawissenschaften, Klimaaktivismus und Klimapolitik (Klima Blase) in einem Subjektprädikativ als Form des Faschismus bezeichnet, der als sozialistisch und woke geprägt wird. Woke, so kann man schließen, bezeichnet hier eine ‚neue, moderne, womöglich sogar modische Form des linken Faschismus‘. Mit der weiterführenden Gleichsetzung des so umrissenen Faschismus mit Popolismus der übelsten Art könnte der Autor darauf anspielen, dass die Klima Blase aufgrund ihrer moralisch grundierten Forderungen (Generationengerechtigkeit, Verantwortung für Most Affected People and Areas, Verursacherprinzip) in der Bevölkerung Zustimmung zu klimapolitischen Maßnahmen forciert. Der Chiffre-Charakter (also sein Gruppen-identifizierender Symbol-Charakter) von woke zeigt sich daran, dass der Ausdruck in der zitierten Verwendung keine klar benennbaren Bedeutungsmerkmale hat, sondern lediglich assoziativ Bedeutungsdimensionen von nicht minder bedeutungsunscharfen Ausdrücken wie modisch (Popolismus) und linksideologisch (sozialistisch) aufruft und verknüpft.

 

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Bettag, Lukas; Bloching, Sven; Landschoff, Jöran; Lohner, Ulrike; Wang, Yuanyuan; Scharloth, Joachim (2023): Woke. Ein Stigmawort zwischen Begriff und Chiffre. In: Sprachreport 39, Heft 1, S. 1–13.

Zitierte Literatur und Belege

Abbildungsverzeichnis

  • Abbildung 1: Eigene Darstellung.
  • Abbildung 2: Eigene Darstellung.

Zitiervorschlag

Bloching, Sven; Landschoff, Jöran; Scharloth, Joachim (2025): Woke. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 01.08.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/woke.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Sinnformel

‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.

Praktik

Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Narrativ

Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Techniken

Inszenierte Kontroverse

Inszenierte Kontroversen liegen vor, wenn Politiker, Vertreter von Interessengruppen, Aktivisten, Journalisten, Influencer oder andere öffentlich wirksame Akteure potentiell strittige Themen möglichst effektvoll in einen Diskurs einbringen oder einen entsprechenden Diskurs auslösen, und zwar um entsprechende Perspektivierungen bestimmter Konfliktlagen im eigenen Interesse konfrontativ zu prägen.

-ismus

Bei Ismen geht es ursprünglich um die Wortendung (sog. Suffix) -ismus (Plural -ismen), mit der Substantive mit substantivischem oder adjektivischem Wortstamm (Basis) gebildet werden (z.B. Vulkan-ismus oder Aktiv-ismus).

Persuasion

Persuasion kommt vom lateinischen Verb persuadere und bedeutet ‚überzeugen, überreden‘ (gebildet aus suadere ‚raten, empfehlen‘ und per ‚durch, über‘).‘). Der Begriff stammt aus der Rhetorik, in der es vor allem darum geht, wie man Hörer:innen oder Leser:innen auf seine Seite bringt: wie man sie zum Beispiel in einem Gerichtsprozess von der Schuld oder Unschuld eines/einer Angeklagten überzeugt, wie man sie politisch zur Parteinahme überredet oder wie man sie ganz allgemein für sich selbst oder einen bestimmten Gegenstand/Sachverhalt einnimmt.

Ironie

Ironie (altgriechisch εἰρωνεία (eirōneía), wörtlich ‚Verstellung‘, ‚Vortäuschung‘) ist in unserer unmittelbaren und massenmedialen Kommunikationskultur sehr bedeutsam. Sie arbeitet mit einem Bewertungsgegensatz zwischen Gesagtem und Gemeintem.

Wiederholen

Das Wiederholen von Äußerungen in öffentlichen (politischen) Diskursen zielt darauf, das Denken anderer zu beeinflussen, Wissen zu popularisieren, einseitige (z. B. fanatisierende, beschwörende, hysterische, ablenkende, pseudosachliche) Konstruktionen von Wahrheit zu erzeugen, um die soziale Wirklichkeit als intersubjektiven Konsens im einseitigen Interesse des „Senders“ zu verändern. Grundvoraussetzung ist die Annahme, dass das kollektive Denken stets mächtiger als das individuelle Denken ist.

Diskreditieren

Das Diskreditieren ist eine Praktik, mit der Diskursakteure durch verschiedenste Strategien, die von Verunglimpfungen und Verleumdungen bis hin zu rufschädigenden Äußerungen reichen, abgewertet und herabgesetzt werden.

Nähe inszenieren

Die Inszenierung von Nähe beschreibt eine Kommunikations>>praktik, bei der Akteur:innen Techniken einsetzen, um Vertrautheit, Sympathie und Authentizität zu vermitteln (z.B. das Angebot einer:s Vorgesetzten, zu duzen).

Diplomatie

Diplomatie bezeichnet im engeren Sinne eine Form der Kommunikation zwischen offiziellen Vertretern von Staaten, die die Aufgabe haben, zwischenstaatliche Beziehungen durch und für Verhandlungen aufrecht zu erhalten. Diese Vertreter können Politiker oder Beamte, insbesondere des diplomatischen Dienstes, sowie Vertreter internationaler Organisationen sein.

Typografie

Typografie bezeichnet im modernen Gebrauch generell die Gestaltung und visuelle Darstellung von Schrift, Text und (in einem erweiterten Sinne) auch die Dokument-Gesamtgestaltung (inklusive visueller Formen wie Abbildungen, Tabellen, Taxono-mien usw.) im Bereich maschinell hergestellter Texte (sowohl im Druck als auch auf dem Bildschirm)

Fact Checking

Fact Checking ist eine kommunikationsstrategische Interventionstechnik, bei der eine Diskursaussage auf Bild oder Textbasis unter dem Gesichtspunkt der Faktizität bewertet wird. Sie ist überwiegend in journalistische Formate eingebettet, die als Faktencheck bezeichnet werden.

Schlagwörter

Wohlstand

Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

Remigration

Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.

Radikalisierung

Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.

Bürokratie

Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.

Politisch korrekt / Politische Korrektheit

Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt.

Kipppunkt

Als öffentliches Schlagwort ist Kipppunkt Teil eines Argumentationsmusters: es behauptet ein ‚Herannahen und baldiges Überschreiten einer unumkehrbaren Sachverhaltsänderung, die fatale bzw. dystopische Folgeschäden auslöst, wenn nicht umgehend bestimmte Maßnahmen eingeleitet oder unterlassen werden.‘

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Verschiebungen

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Partizipatorischer Diskurs

Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament

Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)

Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit

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Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe

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Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen

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Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.