DiskursGlossar

Litigation PR

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Rechtsstreit-PR, Prozess-PR, Public Relations, Gerichtsverfahren
Siehe auch: Kalkulierter Verfassungsverstoß, Untersuchungsausschuss
Autor: Christian Trentmann
Version: 1.1 / Datum: 07.09.2022

Kurzzusammenfassung

Der Begriff Litigation PR kombiniert das englische Wort litigation, das auf lat. ,lītigātiō‘ zurückgeht und für Rechtsstreitigkeit bzw. (Gerichts‑)Verfahren/Prozess steht, mit dem bekannten Begriff PR (,Public Relations‘). Litigation PR ist mithin ,Rechtsstreit-PR‘ und ,Prozess-PR‘ bzw. ,Verfahrens-PR‘ und meint ein selektiv-strategisches Kommunikationsmanagement der Beteiligten oder von diesen beauftragten PR-Beratern gegenüber Medien und Öffentlichkeit während und nach juristischen Rechtsstreitigkeiten/Verfahren/Prozessen.

Prinzipiell hat Litigation PR zwei Funktionen und Ziele:

  1. die Entwicklung des juristischen Falls im Sinne des Mandanten zu beeinflussen, d.h. die Justiz über die Einbeziehung von Medien, Öffentlichkeit und ,öffentlicher Meinung‘ in die gewünschte Richtung zu bewegen, und
  2. den Mandanten vor einem (weiteren) Imageschaden und vor finanziellen Verlusten, die mit einem juristischen Prozess einhergehen können (z.B. das Absacken von Aktienkursen, wenn der Mandant z.B. der Vorstand der Aktiengesellschaft ist), zu bewahren.

Erweiterte Begriffsklärung

Litigation PR kann als strategische Kommunikation die anwaltliche Vertretung von Mandanten in juristischen Auseinandersetzungen unterstützen, vor allem in Fällen, die medienöffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen und so den Verfahrensausgang beeinflussen (könnten). In Deutschland ist der Fall Kachelmann ein markantes Beispiel für den Einsatz von Litigation PR (siehe unten in der Beispielsektion).

In der Praxis ist ,laute‘ öffentliche Stimmungsmache von Strafverteidigern oder anderen Rechtsanwälten nur eine Facette der Litigation PR, genauer: nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs. Bei näherem Blick ist zu erkennen, dass bei einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten, Verfahren und Prozessen kommunikationstaktische Überlegungen und Handlungen ,leise‘ erfolgen und für die breite Öffentlichkeit unbemerkt verbleiben. Anders ausgedrückt: Litigation PR sind oft ein hintergründig subtiles Instrument, um nur bestimmte Information an Medien und Öffentlichkeit dringen zu lassen oder besonders zu betonen. Nicht zuletzt sind Litigation PR allerdings auch ein Instrument, um einen Informationsfluss zu Medien und Öffentlichkeit insgesamt zu verhindern. Dies gilt insbesondere für Strafverfahren:

Gerade wenn sich ein Strafverfahren noch im staatsanwaltschaftlichen Vorverfahren (Ermittlungsverfahren) befindet, das – anders als die drohende gerichtliche Hauptverhandlung – grundsätzlich nicht-öffentlich ist, prägt die Verteidigungsstrategie der Gedanke des „stillen Krisenmanagements“ (vgl. Dahs 2015: 168). Ein einleuchtendes Beispiel hierfür ist das Vorgehen von Strafverteidigern, wenn der Straftatvorwurf der Staatsanwaltschaft nur ein kleineres Delikt betrifft, z.B. eine Beleidigung, einen Diebstahl oder auch Sozialversicherungsbetrug, den nicht selten selbst hohe Geschäftsführer begehen. In einem solchen Fall versucht jeder Strafverteidiger zunächst, mit der Staatsanwaltschaft eine Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage (§ 153a StPO) auszuhandeln, um den Fall nicht zur öffentlichen Hauptverhandlung kommen zu lassen und damit – gerade bei prominenten Beschuldigten oder wegen der Besonderheit der Tat potenziell Aufsehen befürchten lassenden Fällen – den Fall vollständig ,unter dem Radar‘ von Medien und Öffentlichkeit zu halten. Wenn die Versuche erfolglos bleiben oder wenn eine Verfahrenseinstellung – wie im Fall Kachelmann (siehe unten) – von vorneherein wegen der Schwere der vorgeworfenen Straftat nicht in Betracht kommt oder auch wenn ein Verfahren ohnehin bereits an Medien und Öffentlichkeit gedrungen ist (z.B. aufgrund einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft), dann werden PR-technische Überlegungen variantenreicher. Das heißt, die Überlegungen und Handlungen der Litigation PR pendeln zwischen den Extremen des weiteren vollkommenen Stillschweigens bzw. einer No-Comment-Devise und einer das Meinungsklima zu steuern versuchenden ,Proaktivität‘, gar einem ,Durchstechen‘ von Informationen an Medien und Öffentlichkeit sowie ,lauter‘ Stimmungsmache. Im Ganzen ist schließlich durchaus treffend, was Strafverteidiger Hans Dahs wie folgt ausdrückt:

Die „flankierende Begleitung der Verteidigungsarbeit durch Medienkontakte“ kann in ihrer Bedeutung „zuweilen der Verteidigung in der Sache fast gleich[stehen]“ (Dahs, 2015: 68).

Der Kerngedanke der Litigation PR, egal in welcher ihrer Facetten, ist stets eine transdisziplinäre

„Kommunikationspolitik, die juristische Optionen von ‚Angriff‘ und ‚Verteidigung‘ sowie die Möglichkeiten einer intelligenten Presse- und Öffentlichkeitsarbeit […] miteinander verbindet“ (Engel & Scheuerl 2012: Rn. 7).

Und Holzinger und Wolff (2009: 19) pointieren die Funktionen und Ziele der Litigation PR ausdrücklich in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung, um

  1. den Ausgang eines Rechtsstreits bzw. staatlichen Verfahrens zu beeinflussen und
  2. die Reputation des Mandanten zu schützen.

Die Geburt der Litigation PR als formalisierter PR-Disziplin wird bereits in den 1980er Jahren im Kontext des US-amerikanischen Schadensersatzprozesses Westmoreland gegen CBS News gesehen und der Chicagoer PR-Berater John Scanlon wird als ,Vater‘ der Litigation PR bezeichnet. Um die ,öffentliche Meinung‘ auf die Seite von CBS zu ziehen und so den Prozessausgang zu beeinflussen, unterhielt Scanlon eine, wie es Arthur R. Miller von der Harvard Law School nannte, geradezu ,symbiotische Beziehung‘ mit den Medien und Peter W. Kaplan schrieb in der New York Times:

„Der Mann, John Scanlon, ist kein Pressevertreter und er ist kein Anwalt. Er ist auf der Seite von CBS, aber er ist kein Angestellter von CBS: Er ist eine neue Erscheinung in der juristischen Verfahrenslandschaft. Wenn die Presse Abschriften der Zeugenaussagen des Tages benötigt, stellt Mr. Scanlon sie zur Verfügung. Wenn die Presse nach Dokumenten fragt, die von einer der beiden Seiten vorgelegt wurden, erkundigt er sich bei den Anwälten von CBS und tut sein Bestes, um die Dokumente zu beschaffen. Die Reporter wenden sich an ihn, um Material zu erhalten, und er gibt es ihnen, zusammen mit einem leidenschaftlichen Diskurs über den Prozess. Manchmal, wenn er meint, dass sie den Fall von CBS gut beschrieben haben, gratuliert er ihnen am nächsten Tag“ (Kaplan, Public Relations a Facet of Westmoreland Trial, in: The New York Times, Artikel vom 23.10.1984: 5; Übersetzung aus dem Englischen durch Verf. CT).

Das erste Handbuch speziell zu Litigation PR stammt von dem US-amerikanischen Anwalt und PR-Berater James F. Haggerty aus dem Jahr 2003. Haggerty veröffentlichte es unter dem Titel In the Court of Public Opinion – Winning your Case with Public Relations. Schon dieser Titel zeigt, dass Litigation PR vor allem auf das US-amerikanische Rechtssystem bzw. ein Rechtssystem mit Geschworenen-Gerichten (Jury-System) ausgerichtet sind. Auf das deutsche Rechtssystem, das keine Geschworenengerichte hat, passen Litigation PR also prinzipiell nur bedingt. Und auch darüber hinaus stehen Litigation PR in Deutschland in der Diskussion, insbesondere wegen des Vorwurfs einer ,Manipulation des Rechtssystems‘ und der Frage nach der ,Notwendigkeit‘ von Litigation PR im deutschen Rechtsstaat. Trotz der Diskussionen haben sich aber Litigation PR auch hierzulande als eigenständige PR-Disziplin und -Branche spätestens seit Ende der 2000er Jahre positioniert und rasant entwickelt. Einen wesentlichen Beitrag dazu lieferten die PR-Manager Stephan Holzinger und Uwe Wolff, die im Jahr 2009 das erste deutschsprachige Handbuch mit dem Titel Litigation-PR als strategisches Instrument bei juristischen Auseinandersetzungen veröffentlichten.

Inhalte und Praktiken

Viele PR-Agenturen haben Litigation PR heute längst in ihr Dienstleistungsangebot integriert und kooperieren mit Rechtsanwaltskanzleien. Einige PR-Agentur sind sogar im Besonderen auf Litigation PR ausgerichtet und auch Rechtsanwälte befassen sich gezielter als früher mit Kommunikationsthemen und kooperieren mit Kommunikations- und Medienexperten (vgl. Schulze van Loon et al. in Rademacher & Schmitt-Geiger 2012: 304). Denn Litigation PR weisen durchaus Berührungspunkte mit vielen Unterdisziplinen der PR auf, insbesondere mit der Krisenkommunikation (Krisen-PR); zugleich unterscheiden sich Litigation PR aber von allen anderen PR-Disziplinen und auch von der Krisen-PR in wesentlichen Punkten.

Es ist letztlich nicht falsch, Litigation PR als „prozessbegleitende Krisenkommunikation“ (Nisters et al. 2005: 165), „Krisen-PR in rechtlichen Auseinandersetzungen“ (Wilmes 2006: 101) oder auch „kleine, aber intelligentere Cousine der Krisen-PR“ (Wolff, zit. nach Schiller 2011) zu bezeichnen. Denn Litigation PR umfassen Medien- und Öffentlichkeitsarbeit während Rechtsstreitigkeiten und solche Rechtsstreitigkeiten können aus Sicht der Beteiligten je nach Anlass, Intensität und Verlauf durchaus eine beeindruckende Krise sein (vgl. nur schon Ditges & Höbel & Hofmann 2008: 238). Der Fall Kachelmann ist ein plastisches Beispiel (siehe unten), bedenkt man nur schon, dass Kachelmann innerhalb von nur wenigen Tagen vom Publikumsliebling zum potenziellen Vergewaltiger wurde und nahezu ganz Deutschland über den Fall diskutierte.

Nicht anders als bei typischen Krisen-PR geht es auch bei Litigation PR vor allem um die Strukturierung von Abläufen in den Facetten von Antizipation, Proaktion, Aktion, Reaktion und Evaluation und das Bewahren von Ruhe selbst unter höchstem medialem Druck. Und noch immer sind nebst Hintergrundgesprächen mit vertrauenswürdigen Medienvertretern vor allem ,klassische‘ Presse- bzw. Medienmitteilungen und damit das Schreiben von Narrativen eine zentrale Technik, um den Medien Deutungsrahmen anzubieten. Dabei geht es nicht nur um eine Art ,Erwartungserwartungsmanagement‘, d.h., es ist zu erwarten, welche Informationen die Medien wie aufgreifen und nutzen, wobei wiederum zu erwarten ist, was das Publikum der (jeweiligen) Medien, die Öffentlichkeit(en), von den Medien erwartet. Es kommt vielmehr hinzu, dass bei jedweder Aktion alle möglichen Reaktionen antizipiert und erwogen werden müssen, so insbesondere auch, dass bei einem Rechtsstreit bzw. Prozess die Gegenseite (mitunter selbst Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verwaltungsbehörden) ebenfalls Praktiken und Techniken der Litigation PR anwendet. Es ist also stets mit ,Gegenwehr‘ zu rechnen und einzukalkulieren, ob und inwieweit z.B. eine Medienmitteilung oder ein Interview den Zielen der eigenen Litigation PR nützlich ist.

Anders und spezifisch ist es jedoch, dass Litigation PR in der Regel schon bedeutend komplexere Sachverhalte als andere PR-Disziplinen behandeln (im Fall Kachelmann war etwa die Beweislage äußerst schwierig, d.h., es waren immer wieder Beweise zu bewerten und die Glaubwürdigkeit des Beschuldigten, von Zeugen und Sachverständigen sowie das Rechtsinstitut der Unschuldsvermutung waren Gegenstand der Diskussionen). Nicht nur die komplexen Sachverhalte, sondern auch die dazugehörigen Fragen zu Recht und Gesetz müssen in für Medien und Öffentlichkeit(en) verdauliche Formate transformiert werden (vgl. Petermann 2006: 16 f.). Zu Recht betonte diesbezüglich schon Haggerty:

„Klassische PR-Techniken […] können weit hinter dem zurückbleiben, was erforderlich ist, um die Aufgabe der Litigation PR richtig zu erfüllen. Eine an die breite Öffentlichkeit gestreute Pressemitteilung, Pressekonferenz oder Kundgebung […] kann weit weniger nützlich sein als eine sehr gezielte Geschichte, die die richtige Zielgruppe mit der richtigen Botschaft erreicht“ (Haggerty 2003: 18 f., 28; Übersetzung aus dem Englischen durch Verf. CT).

Überdies kommt Folgendes hinzu: Bei Litigation PR strahlen diverse rechtliche Ge- und Verbote in die anzustellenden PR-Überlegungen ein. Es ist also nicht nur zu erwägen, ob eine öffentliche Ausbreitung von Streitpunkten und gar ein ,Schlagabtausch‘ in der Öffentlichkeit dem Mandanten nützen. Vielmehr können besondere Rechtsvorschriften einzuhalten sein, so z.B. Geheimhaltungsvorschriften wie § 353d Strafgesetzbuch (StGB), nach dem bestimmte „Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen“ verboten sind und bei Verstoß sogar bis zu ein Jahr Freiheitsstrafe droht. Abgesehen von solchen gesetzlichen Verboten ist ferner etwa das Berufsbild des Rechtsanwalts zu berücksichtigen, der gemäß § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) nicht allein ein einseitiger Parteivertreter sein darf, sondern auch ein „Organ der Rechtspflege“ ist. Daher geht es schließlich – last but not least – um allgemeine Gebote der Rechtspflege, so insbesondere, dass Rechtsstreitigkeiten und -verfahren zwar auch ,in‘, nicht aber ,für‘ Medien und Öffentlichkeit stattfinden (vgl. Koppenhöfer 2005: 173).

Diskussionspunkte der Litigation PR

(a) Beeinflussung des Ausgangs eines Rechtsstreits/Verfahrens – Manipulation des Rechtsstaats?

Als Holzinger und Wolff im Jahr 2009 ihr Litigation-PR-Handbuch veröffentlichten und als eines der Ziele der neuen Branche ausdrücklich die Beeinflussung des Ausgangs eines staatlichen Rechtsverfahrens hervorhoben, ging ein Aufschrei durch die deutsche Justiz. Der damalige Präsident des Bundesgerichtshofs Klaus Tolksdorf bezeichnete Litigation PR gar als „Sturmangriff auf die Rechtsfindung“ (Tolksdorf zit. nach Möller 2010: 184) und Anton Winkler, der ehemalige Mediensprecher der Staatsanwaltschaft München I, kritisierte Litigation-PR als „eine Art fünfte Gewalt, die die vierte Gewalt benutzt, um dadurch die dritte Gewalt zu beeinflussen“ (Winkler zit. nach von Daniels 2010: 494).

Der doppelte Manipulationsvorwurf, d.h. hinsichtlich der Medien unmittelbar und der Justiz mittelbar, ist bis heute nicht schlicht abzutun, denn es gibt Studien, die belegen, dass PR Einfluss auf Medieninhalte und Medieninhalte Auswirkungen auf Entscheidungen der Justiz haben können (siehe v.a. Kepplinger & Zerback 2009). Gleichwohl ist der Vorwurf auch nicht überzubewerten. Es ist schon zu bemerken, dass Litigation PR, soweit sie auf eine mittelbare Manipulation des Ausgangs eines staatlichen Verfahrens abzielen, nicht recht zum deutschen Rechtsfindungsprinzip passen (vgl. schon Möller 2010: 184). Denn im US-amerikanischen Rechtskreis zielen Litigation PR auf die Beeinflussung nicht eines Richters, sondern einer aus normalen Bürgern zusammengesetzten Jury (vgl. Schmitt-Geiger in Rademacher & Schmitt-Geiger 2012: 58 ff.). In Deutschland aber sind Gerichte mit Geschworenen im Sinne einer Jury schon seit dem Jahr 1924 abgeschafft. Die hierzulande für Kapitaldelikte wie Mord und Totschlag zuständige „Strafkammer als Schwurgericht“ trägt ihre Bezeichnung in § 74 Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) nur noch als sprachliche Reminiszenz. Allerdings gibt es in Deutschland Gerichte mit zusätzlichen Laienrichtern, „ehrenamtliche Richter“ genannt (vgl. §§ 44-45a Deutsches Richtergesetz [DRiG]), so etwa im Strafrecht die so genannten Schöffen der Schöffengerichte oder im Zivilrecht die so genannten Handelsrichter bei den Kammern für Handelssachen. Doch bietet dies nur eine ganz bedingte Einflusszone, da ehrenamtliche Richter zwar qua Gesetz stimmgleichberechtigt sind, faktisch aber eher beisitzen. Hinzu kommt die in Deutschland hohe Ausdifferenziertheit des Rechtssystems, insbesondere seine Ausrichtung nicht an Fallrecht wie im US-Recht (,case law‘), sondern vor allem an positiviertem, kodifiziertem Recht (Gesetze) und die vielgestaltigen Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelmöglichkeiten. Ferner ist ein besonderes Vertrauen in die juristische Professionalität und Souveränität der gut ausgebildeten deutschen Justiz berechtigt. Und es sei auch die Seriosität einer Vielzahl von Fachjournalisten nicht unterbewertet. Gerade aufgrund der Dschungelartigkeit der heutigen Online-Medienlandschaft engagieren sie sich besonders zunftgemäß und haben (deshalb) ihre Leitfunktion längst nicht eingebüßt (vgl. nur die aktuelle ARD-ZDF-Studie Massenkommunikation).

(b) Schutz der Reputation des Mandanten – notwendig im Rechtsstaat?

Geht es Litigation PR des Weiteren um den Schutz der Reputation des Mandanten, haftet diesem Zweck nun im Prinzip zunächst – anders als den Manipulationsbemühungen – weder rechtlich noch ethisch Bedenkliches an. Im Gegenteil.

Insofern sei hier zur Verdeutlichung erneut ein Blick auf Litigation PR bei Strafverfahren geworfen: Für die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens genügt rechtlich ein so genannter Anfangsverdacht, d.h. das Vorliegen ,zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte‘ für eine Straftat (etwa in Form einer schlüssigen Anzeige). Und selbst eine Anklage muss nur auf einem so genannten hinreichenden Tatverdacht basieren, d.h. einer Verurteilungswahrscheinlichkeit von mitunter nur 51 Prozent (vgl. §§ 152, 170, 203 Strafprozessordnung [StPO]). Medien und Öffentlichkeit verkennen dies allerdings schnell. Es geraten vielmehr – vgl. nur den Fall Kachelmann (siehe unten) – die Worte Verdacht, Beschuldigung etc. in den Vordergrund und diese Worte sind faktisch schneidig; sie stigmatisieren schon aus sich selbst heraus, auch wenn sie im Rahmen einer pflichtgemäßen und sachlich-neutralen Medienauskunft einer Justizbehörde gesagt bzw. geschrieben werden. Erst recht problematisch sind darüber hinaus freilich justizielle Medienauskünfte, die – wenngleich solche Fälle auch selten sind – gegen die in Deutschland für Staatsanwälte wie Richter geltende strenge Pflicht zu Objektivität und Neutralität (vgl. § 160 Abs. 2 StPO) verstoßen, d.h. den Verdacht und die Beschuldigung zu weitgehend und einseitig ausführen.

Den Worten Verdacht, Beschuldigung etc. steht ein Beschuldigter faktisch zunächst wehrlos gegenüber. Zugleich bereiten schon solche und ähnliche justizielle Worte die Grundlage für (medien-)öffentliche Vorverurteilungen, die die Unschuldsvermutung außer Acht lassen und auch darüber hinaus nicht selten von falschen, jedenfalls laienhaften juristischen Bewertungen geprägt sind. Selbst eine letztliche Verfahrenseinstellung oder ein gerichtlicher Freispruch kann solchen Vorverurteilungen faktisch nur wenig entgegenwirken. In Anbetracht dessen wird eine „Waffenungleichheit“ zwischen Beschuldigten und staatlicher Justiz betont (vgl. Albin 2010: 312; Möller 2010: 184). Sie rechtfertige Litigation PR, mache sie geradezu notwendig. Litigation PR sollen also insofern durchaus auch als Mittler, als Verständiger, als Aufklärer und Mahner dergestalt zu erkennen sein, dass ein Verdacht eben nur ein Verdacht ist und dass die Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils durch rechtskräftiges Urteil gilt. So verstandenen und sachlich gehandhabten Litigation PR ist auch nach hier vertretener Auffassung weder ein rechtlicher noch ein moralisch-ethischer Vorwurf zu machen. Denn Litigation PR vermögen zu einer sachgerechten, fairen öffentlichen Meinungsbildung beizutragen. Dabei kommt hinzu, dass sie die Justiz gelegentlich auch ,in Gang bringen‘, indem sie auf Bestimmtes oder Besonderes aufmerksam machen, und damit ein Beitrag zu Gerechtigkeit, Transparenz und Rechtsstaatlichkeit sein können.

Am Beispiel des Strafrechts ist hier schließlich eine weitere Perspektive hinzuzufügen, und zwar die des Opfers, das im Strafverfahren Zeuge und so genannter Nebenkläger sein kann. Dass auch hier Litigation PR zum Einsatz kommen, zeigt sich vor allem in Fällen, in denen der Straftatverdacht nahezu vollständig auf der Aussage des Opfers beruht. Beispiel hierfür sind Sexualdelikte, weil typischerweise die Tat nur in Anwesenheit von Täter und Opfer geschieht und freilich stets auch die Einverständlichkeit des sexuellen Kontakts möglich ist. Insofern stehen nicht nur der Beschuldigte und seine Aussage, sondern entsprechend auch das Opfer und dessen Aussage auf dem Prüfstand, dies gegenüber Staatsanwaltschaft und Gericht, aber eben auch in Medien und Öffentlichkeit. So lag es etwa auch im Fall Kachelmann und es seien hier die ungewöhnlichen Schlussworte des Vorsitzenden Richters des Landgerichts Mannheim beim Freispruch Kachelmanns in Erinnerung gerufen:

„Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ihn als potenziellen Vergewaltiger, sie als potenzielle rachsüchtige Lügnerin“ (Seidling zit. nach Trentmann 2015: 417 f.).

Beispiele

Das Paradebeispiel zum Thema Litigation PR ist in Deutschland, wie bereits oben an unterschiedlichen Stellen angeklungen, der Fall Kachelmann. Jörg Kachelmann war ein bekannter und beliebter Wettermoderator der ARD. Medien und Öffentlichkeit waren daher im Jahr 2010 höchst überrascht, als bekannt wurde, dass die Staatsanwaltschaft Kachelmann wegen des schweren Straftatverdachts der Vergewaltigung festgenommen hatte und Anklage beim Landgericht erhob. Mit Hilfe von Rechtsanwälten wehrte sich Kachelmann von Anfang an nicht nur juristisch, sondern auch durch Statements gegenüber den Medien. Kachelmann beteuerte ein ums andere Mal seine Unschuld und seine Anwälte bezichtigten die Anzeigeerstatterin der Falschaussage; der Staatsanwaltschaft wurden zudem „blinde[r] Jagdeifer, schlampige Ermittlungsarbeit und unseriöse Verfahrenstricksereien“ sowie eine „skandalöse Öffentlichkeitsarbeit“ vorgeworfen, was in Medien und Öffentlichkeit zu einer „beispiellosen Vorverurteilung“ der Person Kachelmanns geführt habe (so dessen ,Medienanwalt‘ Höcker, zit. nach Roters/Philippi-Gerle, in: Express, Artikel vom 07.06.2010 und nach Rüssau, in: BILD, Artikel vom 06.06.2010). Und tatsächlich, auch in den wissenschaftlichen Aufarbeitungen des Falls Kachelmann wird der Staatsanwaltschaft geradezu einseitige, dem eigentlich objektiven, neutralen Wesen der Staatsanwaltschaft widersprechende Litigation PR vorgeworfen. So schreibt etwa Anna Reike:

„Die Medien konnten sich darauf verlassen, laufend von der Staatsanwaltschaft über neue Ermittlungsergebnisse und prozessrechtliche Fragen informiert zu werden. Auf diese Weise unterstützte die Staatsanwaltschaft die Bildung eines medialen Parallelforums, in dem sich die Öffentlichkeit – bereits lange vor einem gerichtlichen Urteil – ein eigenes Urteil bilden konnte. Die negativen Folgen – insbesondere die Strafprozessführung über Medien – ließen daher im Fall Kachelmann nicht lange auf sich warten. Sämtliche Verfahrensbeteiligte versuchten, die Medien für ihre Zwecke strategisch zu nutzen“ (Reike 2012: 201 f.).

Kachelmann beauftragte nebst anderer Rechtsanwälte schließlich auch Johann Schwenn, einen Hamburger Strafverteidiger mit besonderem Ruf. Schwenn galt schon damals als sehr streitbar und als Strafverteidigertypus, der Medien und Öffentlichkeit gezielt in seine Verteidigungsstrategie einbezieht, mithin Litigation PR betreibt – und zwar vor und nach, aber selbst während einer Gerichtsverhandlung. Denn bekanntlich ist jede Gerichtsverhandlung grundsätzlich öffentlich und bei spektakulären Prozessen sitzen diverse Medienvertreter im Publikum. So verkommt bei Aufsehen erregenden Prozessen wie dem Fall Kachelmann und medienaffinen Rechtsanwälten wie Schwenn selbst ein Gerichtssaal bisweilen zur ,Showbühne‘ von Litigation PR und zu einem Prozess nicht ,in‘, sondern ,für‘ Medien und Öffentlichkeit:

„Schwenn [ist] umso präsenter und überlässt die Bühne nicht [anderen]. Als Auftakt schimpft er die Gutachterin […] eine Radikalfeministin. Sie habe sich bereits bei ihrer Doktorarbeit ‚übernommen‘, ihr Gutachten sei eine ‚Laiendiagnose‘. Deshalb lehne sein Mandant [Kachelmann] sie als befangen ab. Schwenn erneuert auch seine Vorwürfe gegen ‚Focus‘ und ‚Bunte‘ – und fordert wieder strafrechtliche Schritte. Die Staatsanwaltschaft begehe Strafvereitelung im Amt; Pressefreiheit finde ihre Grenzen […]. Später merkt er lässig an die Richterbank gelehnt an, das Publikum habe ein Recht darauf, laut zu hören, wie herablassend [der] Staatsanwalt […] den Sachverständigen […] in einer Unterredung im Saal behandelt. ‚Der Ton ist daneben!‘ Das Publikum applaudiert, der Vorsitzende Richter […] schäumt und verbittet sich die Show. Doch Schwenn hört nicht auf […]“ (Rittgerott, Prozess gegen Jörg Kachelmann, 20. Tag, in: Der Stern, Artikel vom 13.12.2010).

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Trentmann, Christian (2016): Die Prozessführungspraxis im Sog der Massenmedien. In: Effer-Uhe, Daniel; Hoven, Elisa;  Kempny, Simon; Rösinger, Luna (Hrsg.): Einheit der Prozessrechtswissenschaft? Stuttgart: Boorberg, S. 373-385.
  • Trentmann, Christian (2018): Zum Wesen und Unwesen von Litigation-PR. In: Liesem, Kerstin; Rademacher, Lars (Hrsg.): Die Macht der strategischen Kommunikation, Baden-Baden: Nomos, S. 175-192.

Zitierte Literatur

  • Albin, Wolf (2010): Litigation-PR wächst – aber langsam. In: Anwaltsblatt (AnwBl), Heft 5/2010, S. 311–312.
  • ARD/ZDF (2022): Studie zur Massenkommunikation. Online unter: https://www.ard-zdf-massenkommunikation.de ; Zugriff: 26.08.2022.
  • Dahs, Hans (2015): Handbuch des Strafverteidigers. Köln: Otto Schmidt Verlag.
  • Daniels, Justus von (2010): Litigation-PR – Alter Wein in neuen Schläuchen?, in Anwaltsblatt (AnwBl), Heft 7/2010, S. 494.
  • Ditges, Florian; Höbel, Peter; Hofmann, Thorsten (2008): Krisenkommunikation. Konstanz: UVK.
  • Engel, Peter; Scheuerl, Walter (2012): Litigation-PR – Erfolgreiche Medien- und Öffentlichkeitsarbeit im Gerichtsprozess. Köln: Heymanns.
  • Haggerty, James F. (2003): In the Court of Public Opinion – Winning your Case with Public Relations. Hoboken: Wiley.
  • Holzinger, Stephan; Wolff, Uwe (2009): Im Namen der Öffentlichkeit – Litigation-PR als strategisches Instrument bei juristischen Auseinandersetzungen. Wiesbaden: Gabler.
  • Kaplan, Peter W. (1984): Public Relations a Facet of Westermoreland trial. New York Times.
  • Kepplinger, Hans M.; Zerback, Thomas (2009): Der Einfluss der Medien auf Richter und Staatsanwälte. In: Publizistik, Heft 2, Jg. 54, S. 216–239.
  • Koppenhöfer, Brigitte (2005): Wie unabhängig von den Medien kann, darf, muß die Justiz sein? In: Strafverteidiger (StV), Heft 3/2005, S. 172–174.
  • Möller, Karl-Dieter (2010): Nichts ist Unmöglich – Litigation-PR. In: Anwaltsblatt (AnwBl), Heft 3/2010.
  • Nisters, Thomas et al. (2005): Litigation-PR – Herausforderungen und Aufgaben prozessbegleitender Kommunikation, in Zeitschrift Führung + Organisation (zfo), Heft 3, Jg. 74, S. 165–170.
  • Petermann, Frank (2006): Litigation Communications – Wenn rechtliche Auseinandersetzungen die Reputation gefährden. In: Schweizerische Zeitschrift für Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrecht (ZZZ), S. 3–38.
  • Rademacher, Lars; Schmitt-Geiger, Alexander (Hrsg.) (2012): Litigation-PR – Alles was Recht ist – Zum systematischen Stand der strategischen Rechtskommunikation. Wiesbaden: Springer.
  • Reike, Anna (2012): Die Rolle der Staatsanwaltschaft in der Mediengesellschaft. Hamburg: Kovac.
  • PR-Report (2011): „Irgendwas bleibt immer hängen!“ Online unter: https://www.prreport.de/singlenews/uid-2789/irgendwas-bleibt-immer-haengen ; Zugriff: 03.08.2022.
  • Schulze van Loon, Dietrich; Odebrecht, Tom; Penz, Ulrike (2012): Kommunikations- und Rechtsberatung: Kooperation zwischen Agenturen und Kanzleien als richtungweisendes Modell. In: Rademacher, Lars; Schmitt-Geiger, Alexander (Hrsg.): Litigation-PR: Alles was Recht ist. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 303–314.
  • Trentmann, Christian (2015): Medien- und Öffentlichkeitsarbeit bei Strafverfahren – Fluch oder Segen? In: Publizistik, Heft 4, Jg. 60, S. 403–421.
  • Wilmes, Frank (2006): Krisen-PR – Alles eine Frage der Taktik. Göttingen: Business Village.

Zitiervorschlag

Trentmann, Christian (2022): Litigation PR. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 07.09.2022. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/litigation-pr.  

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Topos der düsteren Zukunftsprognose

Der Topos der düsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...

Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)

Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?

Was ist ein Volk?

Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…