DiskursGlossar

Altpartei

Kategorie: Schlagwörter
Verwandte Ausdrücke:
Systempartei, Kartellpartei, Mainstream
Siehe auch: Stigmawort, Schlagwort, Mainstream, Populismus, Elite
Autor: Fabian Deus
Version: 1.3 / 05.07.2021

Kurzzusammenfassung

Altpartei ist ein Schlagwort, das primär zur Diskreditierung des politischen Gegners verwendet wird (Stigmabegriff). Der Ausdruck wird in jüngerer Zeit häufig im Kontext des Aufstiegs des Rechtspopulismus und der AfD gebraucht. Dabei lassen sich hauptsächlich zwei Gebrauchsvarianten beobachten: Einerseits richtet sich der Ausdruck in abwertender Weise gegen etablierte Parteien, andererseits taucht er oft in sprachkritischen Kontexten auf, wo seine Verwendung und seine Sprecher kritisiert oder diskreditiert werden.

Historisch ist der Ausdruck in verschiedenen anderen politischen Konstellationen anzutreffen, mit teilweise vom heutigen Gebrauch stark abweichenden Verwendungsweisen. Im Kontext des deutschen Parteiensystems werden gegenwärtig primär die Parteien als Altpartei bezeichnet, die schon vor 1990 die (westdeutsche) politische Landschaft prägten: CDU/CSU, SPD und FDP, mit Einschränkungen auch die Grünen. Auch die Linke wird dieser Gruppe manchmal in abwertender Absicht zugerechnet, versteht sich aber selbst als Oppositionspartei.

Erweiterte Begriffsklärung

Beim gegenwärtigen Gebrauch des Schlagwortes Altpartei in der politischen Kommunikation lassen sich zwei grundsätzliche Verwendungsvarianten unterscheiden: Einerseits wird der Ausdruck zur Diskreditierung politischer Gegner verwendet, wobei zwischen der Eigengruppe und den als Altparteien markierten Gruppen eine große Distanz konstruiert wird. Als Altparteien (der Ausdruck wird meistens im Plural verwendet) werden dabei tendenziell alle Parteien zusammengefasst, die zum Zeitpunkt des Sprechens bereits länger im politischen Betrieb etabliert sind und diesen (mit-)bestimmen. Das Schlagwort homogenisiert somit disparate Gruppen, die sich hinsichtlich ihrer politischen Inhalte und Zielsetzungen oder sozialen Zusammensetzung teils stark unterscheiden. Die Markierung als Altpartei erzeugt eine Perspektive, in der allerlei negative Attribute zugeschrieben werden: Altparteien erscheinen in dieser Sichtweise verbraucht, träge und bürokratisch; sie sind von ‚den Menschen‘ wie von ihren eigenen Inhalten entfremdet etc. Dazu kommt, dass sich der Ausdruck mit der verbreiteten Einschätzung verbündet, dass sich die etablierten Parteien hinsichtlich ihrer tatsächlich praktizierten Politik nicht (mehr) nennenswert unterscheiden (,Postdemokratie‘), sondern die Konkurrenz der Altparteien untereinander als Inszenierung wahrgenommen wird. In dieser Wahrnehmung bilden die als Altpartei zusammengefassten Gruppen in diesem Framing ein Bündnis, das hauptsächlich Eigeninteressen verfolgt (z. B. die Versorgung der eigenen Leute mit hochdotierten Posten etc.), und alle abweichenden Stimmen unterdrückt (Altparteienkartell).

Die Sprecher konstruieren sich hierbei als dazu in Opposition stehende Gruppe: Den diskreditierten Altparteien wird eine Wir-Gruppe gegenübergestellt, die als unverbraucht, aufrichtig und tatkräftig erscheinen soll. Bemerkenswert ist, dass diese Aufwertung der Eigengruppe auch dann vollzogen wird, wenn sie nicht explizit sprachlich realisiert wird: Wer anderen vorwirft, eine abgehobene Elite zu bilden, muss auf seine eigene Bodenständigkeit gar nicht gesondert hinweisen. In dieser Form gilt der Ausdruck als ein zentrales Element populistischer Semantiken: Die Altparteien repräsentieren hierbei den politischen Kern des gesellschaftlichen Establishments, das den Gegenpol zum ‚einfachen Volk‘ bildet, dem sich die Sprecher zurechnen.

Zu den Gelingensbedingungen eines derartigen Schlagwortgebrauchs gehört, dass verbreitete Erfahrungslagen und Stimmungen vorliegen müssen, die durch den Gebrauch des Schlagwortes bestätigt werden. Darin ist der Gebrauch des Stigmawortes Altpartei kommunikativ erfolgreich: Er spricht eine verbreitete Unzufriedenheit mit dem etablierten Politikbetrieb und seinen Parteien an und formuliert – unabhängig von der konkreten politischen Besetzung – eine grundsätzliche Oppositionshaltung zu hegemonialen politischen Kräften.

Diese Verwendungsweise wird im gegenwärtigen Sprachgebrauch vor allem von rechten Gruppen und Akteuren praktiziert; im Parteienspektrum erscheint Altpartei momentan als Parteibegriff der AfD. Diese Zuordnung zu einer bestimmten politischen Strömung ist auch der zentrale Grund dafür, dass ein analoger Gebrauch in anderen Domänen und durch andere Akteure kaum noch möglich ist (z. B. durch die politische Linke, die sich ebenfalls von den etablierten Parteien abgrenzen möchte und dazu in der Vergangenheit auch den Ausdruck gerne verwendete, oder generell auch in journalistischen Texten, die sich als überparteilich verstehen). Wer den Ausdruck verwendet, gibt sich entweder als Rechtspopulist zu erkennen, oder macht sich mindestens verdächtig, entsprechende Sichtweisen zu teilen. Das mindert den allgemeinen kommunikativen Gebrauchswert des Ausdrucks gegenwärtig erheblich. Außerhalb des populistischen Diskursraumes fällt der Gebrauch des Ausdrucks oft als Stigma auf die Sprecher zurück (siehe Abb. 1).

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Topos der düsteren Zukunftsprognose

Der Topos der düsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

Twitter Altpartei Screenshot

Abb. 1: Kritik am und Distanzierung vom Gebrauch des Ausdrucks unter Journalistinnen in sozialen Medien (twitter).

Daher wird der Ausdruck in allen nicht-populistischen bzw. nicht-rechten Kontexten häufig in einer sprachkritischen Sprechweise gebraucht, die den Ausdruck beanstandet und in dem sich die Sprecher demonstrativ von ihm distanzieren (,virtue signalling‘). Sehr häufig taucht er daher in distanzierenden Anführungszeichen auf, häufig findet man auch distanzierende Ergänzungen: Das DWDS-Wortprofil weist z. B. sogenannt als eines der häufigsten Attribute zu Altpartei aus. In dieser Form handelt es sich um einen metasprachlichen Gebrauch, der fast immer in sprachkritischer Absicht praktiziert wird: Wer den Ausdruck thematisiert, tadelt seinen Gebrauch durch andere. Die Distanzierung von der Vokabel inszeniert die eigene Position als sprachkritisch-reflektiert. Und so wie Altpartei als Stigmawort unausgesprochen die politische Gruppe der Sprecher aufwertet, hat der sprachkritische Gebrauch die Tendenz dazu, unter der Hand Partei für die etablierten Kräfte zu ergreifen
(siehe Abb. 2).

Diese ‚metasprachlich-operative‘ Gebrauchskonvention ist oft verbunden mit der These, dass Altpartei ein wichtiger Begriff im NS-Sprachgebrauch gewesen sei (siehe Abb. 3 und 4). Diese Annahme wird vor allem in journalistischen und politischen Kontexten immer wieder verbreitet. Aus politolinguistischer und begriffs- und diskursgeschichtlicher Sicht lässt sich dies jedoch nicht bestätigen: Gegen diese These sprechen schon nur sehr geringe Gebrauchsfrequenzen, die Referenzkorpora im einschlägigen Zeitraum ausweisen (siehe Abb. 5). [1] Auch in den einschlägigen Nachschlagewerken zur Sprache im Nationalsozialismus wird der Begriff gar nicht behandelt (vgl. z. B. Schmitz-Berning 2007). Nicht zur These der NS-Vokabel Altpartei passt zudem, dass die Korpora häufige Verwendungen ab den mittleren 1970er Jahren zeigen. Dieser häufige Gebrauch in den 70ern steht im Kontext der damals neuen Umweltbewegung und der aufkommenden Grünen: Diese inszenierten sich, ganz analog zur gegenwärtigen Diskurskonstellation, als nonkonformistische Alternative zu verkrusteten Strukturen des Bonner Parteiensystems, die mit dem Ausdruck zusammengefasst wurden. Dass eine vermeintliche NS-Nähe des Begriffs hierbei einen affirmativen Gebrauch nicht störte, zeigt die Bedeutung der diskreditierenden Funktion gegenwärtiger Sprachthematisierungen. Auch bei der Etablierung der Linkspartei im Parteiensystem des wiedervereinigten Deutschlands und später beim Aufkommen der Piratenpartei wiederholte sich dies. Auch im Mediendiskurs ist gegen die These, dass eine starke Verbindung des Ausdrucks mit nationalsozialistischem Gedankengut und seiner Sprache vorhanden sei, inzwischen fundiert Einspruch erhoben worden (vgl. Heine 2019b).

Altparteien Abb 2
Abb. 2: Sprachkritische Verwendung; hier: Glossar der Neuen deutschen Medienmacher.
Altparteien Abb 3
Abb. 3: Metasprachliche Verwendung in journalistischen Texten, hier im Neuen Deutschland.
Altparteien Abb 4
Abb. 4: Kontamination von Altpartei mit dem NS in sozialen Medien.

Es wird also deutlich, dass der Ausdruck generell in Kontexten attraktiv ist, in denen neue politische Gruppen weit verbreitete Unzufriedenheit mit den hegemonialen Parteien zur eigenen Selbstprofilierung nutzbar machen wollen.

Die Politikwissenschaftler Frank Decker und Marcel Lewandowski weisen in einem Dossier für die Bundeszentrale für politische Bildung darauf hin, dass häufig praktizierte Gegenstrategien gegen rechtspopulistische Rhetorik, die auf eine ‚Überführung‘ und Ausgrenzung ihres Gegners abzielen, mit einem strukturellen Problem konfrontiert sind:

„Das grundlegende Problem besteht darin, dass die etablierten Parteien die Herausforderer ‚entlarven‘ wollen, selbst aber Objekt des Populismus sind – handelt es sich bei ihnen doch gerade um die Vertreter jener ‚Altparteien‘, gegen die die Rechtspopulisten ihre Wähler erfolgreich mobilisieren.“ (Decker/Lewandowski 2017)

Ausgrenzungsversuche bestätigten so tendenziell die Vorstellung eines Parteienkartells der Etablierten, die neben sich keinerlei Konkurrenz dulden. Es gelte daher, die inhaltliche Auseinandersetzung nicht zu meiden, sondern aktiv zu suchen.

Altparteien Abb 5 Wortverlauf

Abbildung 5: Wortverlauf im DWDS-Zeitungskorpus.

Beispiele

1) Altpartei in sozialen Medien

In sozialen Netzwerken wie twitter und Facebook kann man ohne jede Mühe nachvollziehen, dass Altpartei zum alltäglichen Sprachgebrauch in der politischen Auseinandersetzung gehört. Viele Accounts, die von der AfD betrieben werden oder dieser nahe stehen, nutzen den Ausdruck in hoher Frequenz. Auf der anderen Seite wird der Ausdruck auch immer wieder in der beschriebenen Weise kritisch thematisiert.

Abbildung 6 Altpartei in sozialen Netzwerken

Abb. 6: Altpartei in sozialen Netzwerken.

2) Sprachthematisierungen in Pressetexten

Grundsätzlich wird der Ausdruck in gegenwärtigen Pressetexten eher gemieden. Die starre Festlegung auf das rechtspopulistische Lager, die den Ausdruck gegenwärtig charakterisiert, lädt jedoch zu den beschriebenen sprachkritischen Interventionen ein. Paradigmatisch hierfür ist der Eintrag im Glossar der Neuen deutschen Medienmacher, das Formulierungshilfen „als Hilfestellung für die tägliche Redaktionsarbeit“ (https://glossar.neuemedienmacher.de) liefern möchte (siehe Abb. 3).

Intensiv hat sich der Welt-Feuilletonist Matthias Heine mit der Geschichte des Ausdrucks beschäftigt, der dabei nicht nur überzeugend belegen konnte, dass der Ausdruck in der Sprache des NS keine Rolle spielt, sondern sogar frühere Verwendungen durch dezidiert antifaschistische Autoren (Carl von Ossietzky, Kurt Hiller) aufgefunden hat (vgl. Heine 2019a, 2019b). Heine kann überzeugend darlegen, dass erst mit „dem Aufstieg der AfD […] Altpartei nach rechts [wanderte]“ (Heine 2019b).

Literatur

Zitierte Literatur

Abbildungsverzeichnis

[1] Dazu zeigt Altpartei, anders als praktisch alle relevanten Begriffe der NS-Sprache, keine auffällig hohen Frequenzen ab den 1960er Jahren, die aus der Thematisierung im Zuge der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit (‚Aufarbeitung‘) resultieren.

Zitiervorschlag

Deus, Fabian (2020): Altpartei. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 02.07.2020. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/altpartei.