DiskursGlossar

Altpartei

Kategorie: Schlagwörter
Verwandte AusdrĂŒcke:
Systempartei, Kartellpartei, Mainstream
Siehe auch: Stigmawort, Schlagwort, Mainstream, Populismus, Elite
Autor: Fabian Deus
Version: 1.3 / 05.07.2021

Kurzzusammenfassung

Altpartei ist ein Schlagwort, das primĂ€r zur Diskreditierung des politischen Gegners verwendet wird (Stigmabegriff). Der Ausdruck wird in jĂŒngerer Zeit hĂ€ufig im Kontext des Aufstiegs des Rechtspopulismus und der AfD gebraucht. Dabei lassen sich hauptsĂ€chlich zwei Gebrauchsvarianten beobachten: Einerseits richtet sich der Ausdruck in abwertender Weise gegen etablierte Parteien, andererseits taucht er oft in sprachkritischen Kontexten auf, wo seine Verwendung und seine Sprecher kritisiert oder diskreditiert werden.

Historisch ist der Ausdruck in verschiedenen anderen politischen Konstellationen anzutreffen, mit teilweise vom heutigen Gebrauch stark abweichenden Verwendungsweisen. Im Kontext des deutschen Parteiensystems werden gegenwĂ€rtig primĂ€r die Parteien als Altpartei bezeichnet, die schon vor 1990 die (westdeutsche) politische Landschaft prĂ€gten: CDU/CSU, SPD und FDP, mit EinschrĂ€nkungen auch die GrĂŒnen. Auch die Linke wird dieser Gruppe manchmal in abwertender Absicht zugerechnet, versteht sich aber selbst als Oppositionspartei.

Erweiterte BegriffsklÀrung

Beim gegenwĂ€rtigen Gebrauch des Schlagwortes Altpartei in der politischen Kommunikation lassen sich zwei grundsĂ€tzliche Verwendungsvarianten unterscheiden: Einerseits wird der Ausdruck zur Diskreditierung politischer Gegner verwendet, wobei zwischen der Eigengruppe und den als Altparteien markierten Gruppen eine große Distanz konstruiert wird. Als Altparteien (der Ausdruck wird meistens im Plural verwendet) werden dabei tendenziell alle Parteien zusammengefasst, die zum Zeitpunkt des Sprechens bereits lĂ€nger im politischen Betrieb etabliert sind und diesen (mit-)bestimmen. Das Schlagwort homogenisiert somit disparate Gruppen, die sich hinsichtlich ihrer politischen Inhalte und Zielsetzungen oder sozialen Zusammensetzung teils stark unterscheiden. Die Markierung als Altpartei erzeugt eine Perspektive, in der allerlei negative Attribute zugeschrieben werden: Altparteien erscheinen in dieser Sichtweise verbraucht, trĂ€ge und bĂŒrokratisch; sie sind von ‚den Menschen‘ wie von ihren eigenen Inhalten entfremdet etc. Dazu kommt, dass sich der Ausdruck mit der verbreiteten EinschĂ€tzung verbĂŒndet, dass sich die etablierten Parteien hinsichtlich ihrer tatsĂ€chlich praktizierten Politik nicht (mehr) nennenswert unterscheiden (,Postdemokratie‘), sondern die Konkurrenz der Altparteien untereinander als Inszenierung wahrgenommen wird. In dieser Wahrnehmung bilden die als Altpartei zusammengefassten Gruppen in diesem Framing ein BĂŒndnis, das hauptsĂ€chlich Eigeninteressen verfolgt (z. B. die Versorgung der eigenen Leute mit hochdotierten Posten etc.), und alle abweichenden Stimmen unterdrĂŒckt (Altparteienkartell).

Die Sprecher konstruieren sich hierbei als dazu in Opposition stehende Gruppe: Den diskreditierten Altparteien wird eine Wir-Gruppe gegenĂŒbergestellt, die als unverbraucht, aufrichtig und tatkrĂ€ftig erscheinen soll. Bemerkenswert ist, dass diese Aufwertung der Eigengruppe auch dann vollzogen wird, wenn sie nicht explizit sprachlich realisiert wird: Wer anderen vorwirft, eine abgehobene Elite zu bilden, muss auf seine eigene BodenstĂ€ndigkeit gar nicht gesondert hinweisen. In dieser Form gilt der Ausdruck als ein zentrales Element populistischer Semantiken: Die Altparteien reprĂ€sentieren hierbei den politischen Kern des gesellschaftlichen Establishments, das den Gegenpol zum ‚einfachen Volk‘ bildet, dem sich die Sprecher zurechnen.

Zu den Gelingensbedingungen eines derartigen Schlagwortgebrauchs gehört, dass verbreitete Erfahrungslagen und Stimmungen vorliegen mĂŒssen, die durch den Gebrauch des Schlagwortes bestĂ€tigt werden. Darin ist der Gebrauch des Stigmawortes Altpartei kommunikativ erfolgreich: Er spricht eine verbreitete Unzufriedenheit mit dem etablierten Politikbetrieb und seinen Parteien an und formuliert – unabhĂ€ngig von der konkreten politischen Besetzung – eine grundsĂ€tzliche Oppositionshaltung zu hegemonialen politischen KrĂ€ften.

Diese Verwendungsweise wird im gegenwĂ€rtigen Sprachgebrauch vor allem von rechten Gruppen und Akteuren praktiziert; im Parteienspektrum erscheint Altpartei momentan als Parteibegriff der AfD. Diese Zuordnung zu einer bestimmten politischen Strömung ist auch der zentrale Grund dafĂŒr, dass ein analoger Gebrauch in anderen DomĂ€nen und durch andere Akteure kaum noch möglich ist (z. B. durch die politische Linke, die sich ebenfalls von den etablierten Parteien abgrenzen möchte und dazu in der Vergangenheit auch den Ausdruck gerne verwendete, oder generell auch in journalistischen Texten, die sich als ĂŒberparteilich verstehen). Wer den Ausdruck verwendet, gibt sich entweder als Rechtspopulist zu erkennen, oder macht sich mindestens verdĂ€chtig, entsprechende Sichtweisen zu teilen. Das mindert den allgemeinen kommunikativen Gebrauchswert des Ausdrucks gegenwĂ€rtig erheblich. Außerhalb des populistischen Diskursraumes fĂ€llt der Gebrauch des Ausdrucks oft als Stigma auf die Sprecher zurĂŒck (siehe Abb. 1).

Grundbegriffe

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung fĂŒr FĂŒhrung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative FĂ€higkeit, lĂ€ngere zusammenhĂ€ngende sprachliche Äußerungen wie ErzĂ€hlungen, ErklĂ€rungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, mĂŒssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage fĂŒr Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die FĂ€higkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhĂ€ngig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, KrĂ€fteverhĂ€ltnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf WahrheitsansprĂŒche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff fĂŒr die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers JĂŒrgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚NormalitĂ€t‘ und ‚AnormalitĂ€t‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprĂ€gt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf EinfĂŒhrung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfĂ€ltig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe ĂŒberzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwĂŒnschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschrÀnkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Techniken

Redenschreiben

Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen AnlÀssen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden ĂŒber Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lĂ€sst sich ein BĂŒndel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter FlugblĂ€ttern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprĂŒnglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. WĂ€hrend Flugschriften und FlugblĂ€tter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der FrĂŒhen Neuzeit zunĂ€chst als Handelswaren verkauft und gingen so als frĂŒhe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenĂŒber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden mĂŒssen, was beispielsweise in Gesetzestexten fĂŒr eine (gewĂŒnschte) grĂ¶ĂŸtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts [
] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfĂŒllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert fĂŒr eine Person, eine Sache bzw. fĂŒr ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. WertschĂ€tzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich fĂŒr eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschĂ€tzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und BerĂŒcksichtigung von BedĂŒrfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zĂ€hlt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um fĂŒr oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Topos der dĂŒsteren Zukunftsprognose

Der Topos der dĂŒsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale PrÀsenz auf ein Thema zu lenken und den PreistrÀger in seinem moralischen Image zu beschÀdigen.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht fĂŒr die höchste und letzte normative und LegitimitĂ€t setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen GrĂŒndungsakt eine Verfassung gibt.

ToxizitÀt / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lĂ€sst sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schĂ€dlich‘ erweitert hat, doch die UmstĂ€nde, unter denen etwas fĂŒr jemanden toxisch, d. h. schĂ€dlich ist, mĂŒssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwÀrtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezÀhlt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient hĂ€ufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die IllegitimitÀt dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre AnhĂ€nger wechselseitig der LĂŒge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

LĂŒgenpresse

Der Ausdruck LĂŒgenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird hĂ€ufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene PhĂ€nomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen JĂŒdinnen*Juden als JĂŒdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jĂŒdischer Andersartigkeit, ĂŒber vollstĂ€ndig ausgearbeitete Weltbilder, die JĂŒdinnen*Juden fĂŒr sĂ€mtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das ĂŒberwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (hĂ€ufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen ĂŒben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert fĂŒr die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), fĂŒr wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, fĂŒr abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/DiversitĂ€t.

Verschiebungen

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen SicherheitsverstĂ€ndnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurĂŒckzufĂŒhren ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlĂ€ssig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwĂ€rtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-KalkĂŒle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche ĂŒbertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die SphÀre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsĂ€chlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

Twitter Altpartei Screenshot

Abb. 1: Kritik am und Distanzierung vom Gebrauch des Ausdrucks unter Journalistinnen in sozialen Medien (twitter).

Daher wird der Ausdruck in allen nicht-populistischen bzw. nicht-rechten Kontexten hĂ€ufig in einer sprachkritischen Sprechweise gebraucht, die den Ausdruck beanstandet und in dem sich die Sprecher demonstrativ von ihm distanzieren (,virtue signalling‘). Sehr hĂ€ufig taucht er daher in distanzierenden AnfĂŒhrungszeichen auf, hĂ€ufig findet man auch distanzierende ErgĂ€nzungen: Das DWDS-Wortprofil weist z. B. sogenannt als eines der hĂ€ufigsten Attribute zu Altpartei aus. In dieser Form handelt es sich um einen metasprachlichen Gebrauch, der fast immer in sprachkritischer Absicht praktiziert wird: Wer den Ausdruck thematisiert, tadelt seinen Gebrauch durch andere. Die Distanzierung von der Vokabel inszeniert die eigene Position als sprachkritisch-reflektiert. Und so wie Altpartei als Stigmawort unausgesprochen die politische Gruppe der Sprecher aufwertet, hat der sprachkritische Gebrauch die Tendenz dazu, unter der Hand Partei fĂŒr die etablierten KrĂ€fte zu ergreifen
(siehe Abb. 2).

Diese ‚metasprachlich-operative‘ Gebrauchskonvention ist oft verbunden mit der These, dass Altpartei ein wichtiger Begriff im NS-Sprachgebrauch gewesen sei (siehe Abb. 3 und 4). Diese Annahme wird vor allem in journalistischen und politischen Kontexten immer wieder verbreitet. Aus politolinguistischer und begriffs- und diskursgeschichtlicher Sicht lĂ€sst sich dies jedoch nicht bestĂ€tigen: Gegen diese These sprechen schon nur sehr geringe Gebrauchsfrequenzen, die Referenzkorpora im einschlĂ€gigen Zeitraum ausweisen (siehe Abb. 5). [1] Auch in den einschlĂ€gigen Nachschlagewerken zur Sprache im Nationalsozialismus wird der Begriff gar nicht behandelt (vgl. z. B. Schmitz-Berning 2007). Nicht zur These der NS-Vokabel Altpartei passt zudem, dass die Korpora hĂ€ufige Verwendungen ab den mittleren 1970er Jahren zeigen. Dieser hĂ€ufige Gebrauch in den 70ern steht im Kontext der damals neuen Umweltbewegung und der aufkommenden GrĂŒnen: Diese inszenierten sich, ganz analog zur gegenwĂ€rtigen Diskurskonstellation, als nonkonformistische Alternative zu verkrusteten Strukturen des Bonner Parteiensystems, die mit dem Ausdruck zusammengefasst wurden. Dass eine vermeintliche NS-NĂ€he des Begriffs hierbei einen affirmativen Gebrauch nicht störte, zeigt die Bedeutung der diskreditierenden Funktion gegenwĂ€rtiger Sprachthematisierungen. Auch bei der Etablierung der Linkspartei im Parteiensystem des wiedervereinigten Deutschlands und spĂ€ter beim Aufkommen der Piratenpartei wiederholte sich dies. Auch im Mediendiskurs ist gegen die These, dass eine starke Verbindung des Ausdrucks mit nationalsozialistischem Gedankengut und seiner Sprache vorhanden sei, inzwischen fundiert Einspruch erhoben worden (vgl. Heine 2019b).

Altparteien Abb 2
Abb. 2: Sprachkritische Verwendung; hier: Glossar der Neuen deutschen Medienmacher.
Altparteien Abb 3
Abb. 3: Metasprachliche Verwendung in journalistischen Texten, hier im Neuen Deutschland.
Altparteien Abb 4
Abb. 4: Kontamination von Altpartei mit dem NS in sozialen Medien.

Es wird also deutlich, dass der Ausdruck generell in Kontexten attraktiv ist, in denen neue politische Gruppen weit verbreitete Unzufriedenheit mit den hegemonialen Parteien zur eigenen Selbstprofilierung nutzbar machen wollen.

Die Politikwissenschaftler Frank Decker und Marcel Lewandowski weisen in einem Dossier fĂŒr die Bundeszentrale fĂŒr politische Bildung darauf hin, dass hĂ€ufig praktizierte Gegenstrategien gegen rechtspopulistische Rhetorik, die auf eine ‚ÜberfĂŒhrung‘ und Ausgrenzung ihres Gegners abzielen, mit einem strukturellen Problem konfrontiert sind:

„Das grundlegende Problem besteht darin, dass die etablierten Parteien die Herausforderer ‚entlarven‘ wollen, selbst aber Objekt des Populismus sind – handelt es sich bei ihnen doch gerade um die Vertreter jener ‚Altparteien‘, gegen die die Rechtspopulisten ihre WĂ€hler erfolgreich mobilisieren.“ (Decker/Lewandowski 2017)

Ausgrenzungsversuche bestÀtigten so tendenziell die Vorstellung eines Parteienkartells der Etablierten, die neben sich keinerlei Konkurrenz dulden. Es gelte daher, die inhaltliche Auseinandersetzung nicht zu meiden, sondern aktiv zu suchen.

Altparteien Abb 5 Wortverlauf

Abbildung 5: Wortverlauf im DWDS-Zeitungskorpus.

Beispiele

1) Altpartei in sozialen Medien

In sozialen Netzwerken wie twitter und Facebook kann man ohne jede MĂŒhe nachvollziehen, dass Altpartei zum alltĂ€glichen Sprachgebrauch in der politischen Auseinandersetzung gehört. Viele Accounts, die von der AfD betrieben werden oder dieser nahe stehen, nutzen den Ausdruck in hoher Frequenz. Auf der anderen Seite wird der Ausdruck auch immer wieder in der beschriebenen Weise kritisch thematisiert.

Abbildung 6 Altpartei in sozialen Netzwerken

Abb. 6: Altpartei in sozialen Netzwerken.

2) Sprachthematisierungen in Pressetexten

GrundsĂ€tzlich wird der Ausdruck in gegenwĂ€rtigen Pressetexten eher gemieden. Die starre Festlegung auf das rechtspopulistische Lager, die den Ausdruck gegenwĂ€rtig charakterisiert, lĂ€dt jedoch zu den beschriebenen sprachkritischen Interventionen ein. Paradigmatisch hierfĂŒr ist der Eintrag im Glossar der Neuen deutschen Medienmacher, das Formulierungshilfen „als Hilfestellung fĂŒr die tĂ€gliche Redaktionsarbeit“ (https://glossar.neuemedienmacher.de) liefern möchte (siehe Abb. 3).

Intensiv hat sich der Welt-Feuilletonist Matthias Heine mit der Geschichte des Ausdrucks beschĂ€ftigt, der dabei nicht nur ĂŒberzeugend belegen konnte, dass der Ausdruck in der Sprache des NS keine Rolle spielt, sondern sogar frĂŒhere Verwendungen durch dezidiert antifaschistische Autoren (Carl von Ossietzky, Kurt Hiller) aufgefunden hat (vgl. Heine 2019a, 2019b). Heine kann ĂŒberzeugend darlegen, dass erst mit „dem Aufstieg der AfD [
] Altpartei nach rechts [wanderte]“ (Heine 2019b).

Literatur

Zitierte Literatur

Abbildungsverzeichnis

[1] Dazu zeigt Altpartei, anders als praktisch alle relevanten Begriffe der NS-Sprache, keine auffĂ€llig hohen Frequenzen ab den 1960er Jahren, die aus der Thematisierung im Zuge der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit (‚Aufarbeitung‘) resultieren.

Zitiervorschlag

Deus, Fabian (2020): Altpartei. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 02.07.2020. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/altpartei.