DiskursGlossar

Kalkulierter Verfassungsverstoß

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Verfassung
Siehe auch: Skandal, Litigation PR, Untersuchungsausschuss
Autor: Thomas-Michael Seibert
Version: 1.2 / Datum: 28.10.2021

Kurzzusammenfassung

Der Ausdruck ist paradox und insofern ein Prädikat aus der Beobachtung zweiter Ordnung. Handelnde pflegen ihrem eigenen Verständnis nach nicht kalkuliert – also rechtlich gesprochen: vorsätzlich – gegen die Verfassung zu verstoßen. Ein kalkulierter Verfassungsverstoß ist einem kalkulierten Mord nicht ähnlich. Das liegt an der hochgradigen Interpretierbarkeit jeder Verfassung. Sie erlaubt es allen Handelnden, den Text so zu interpretieren, dass man den Eindruck haben könnte, sie befolgten ihn. Vor allem haben die Handelnden selbst diesen Eindruck und kultivieren ihn.

Politisch gesehen, ist es jeweils die andere, die gegnerische Seite, die Verfassungsverstöße moniert. Wer einen Verfassungsverstoß behauptet, leitet in diesem Moment eine Strategie ein, das Vorgehen des Gegners grundsätzlich rechtlich in Zweifel zu ziehen. Im Erfolgsfall werden damit Aktivitäten des politischen Gegners als diktatorische Manieren markiert, im Misserfolgsfall hat sich der Angreifer selbst vom Platz gestellt – ,abwegige Meinung‘ lautet dann das juristische Vernichtungsprädikat. Insofern geht ein Wagnis ein, wer einen kalkulierten Verfassungsverstoß behauptet.

Erweiterte Begriffsklärung

Verfassungen, wie sie heute gelten, sind ein Produkt der politischen wie juristischen Moderne. Konzipiert wurden sie als Freiheits- und Mitwirkungsverbürgung für Untertanen gegenüber einer nicht beschränkten Königsmacht oder überhaupt einer Staatsgewalt. Als kontinentales Musterbeispiel gilt die französische Verfassung, für die derjenige, der gegen sie kalkuliert verstieß, nämlich Napoléon Bonaparte, mit dem berühmt gewordenen Spruch zitiert wird: „Il faut qu’une constitution soit courte et obscure. Elle doit être faite de manière à ne pas gêner l’action du gouvernement“ (meine Übersetzung: Eine Verfassung soll kurz und dunkel sein. Sie darf das Handeln der Regierung nicht behindern). Heutige Verfassungen sind zwar nicht mehr kurz, aber nach wie vor notwendig und unklar. Trotzdem behindern sie Regierungen nicht selten. Damit dieser Effekt eintritt, braucht man aber ein (unabhängiges) Verfassungsgericht, und das kann einen Verstoß auch nur nachträglich feststellen (für das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist der alte § 97 BVerfGG weggefallen, der eine Gutachtenerstattung auf Vorlage von Fragen durch Verfassungsorgane vorsah).

Die Verfassung enthält neben Freiheits- oder Grundrechten Vorschriften für die Staatsorganisation, die wiederum mit der Gesetzesproduktion zu tun hat und Grundfreiheiten insofern beschränkt. Es handelt sich beim Verfassungsverstoß also nicht einfach um einen Rechtsverstoß, wie er in beliebiger Häufung insbesondere durch Juristen behauptet und gefunden wird. Ein Verfassungsverstoß ist etwas Besonderes. Die Verfassung ist – wie Rechtssoziologen sagen – eine ,Basisdoktrin‘ mit einer Sprache, die hochgradig abstrakt bleibt und Fachkenntnis voraussetzt, wenn man Verstöße rügen will. So ist nicht etwa die bloße Behauptung eines Verfassungsverstoßes ausreichend, sondern man muss (auch in der Bundesrepublik Deutschland) die einschlägigen für den Verstoß sprechenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nennen und interpretieren. Die Anwendung oder Verwirklichung von Verfassungsrecht ist insofern nicht in der Form überprüfbar, in der einfaches Gesetzesrecht überprüft wird. Im Gegenteil steht das Gesetzesrecht meist wirksam den Grundrechtsbeschränkungen gegenüber, weil fast alle Grundrechte durch Gesetze beschränkt werden können. Zwar sollen auch die Beschränkungen ihrerseits der Grundrechtsidee entsprechen, aber eben aus diesem Grund ergibt sich eine hohe Interpretierbarkeit. Es entsteht eine vom Bundesverfassungsgericht oft als ,Wechselwirkung‘ umschriebene Gemengelage (man lese dazu über die von den Juristen Müller und Christensen (2013) unterschiedenen neun Prinzipien der Verfassungsinterpretation).

Das ist die Einbruchstelle für strategische Kalkulationen. Weil die Lage unübersichtlich ist, wagen Aktanten dann und wann einen Einsatz, wenn die Verfassung in einer üblichen Interpretation zu einem nicht gewünschten Ergebnis führt. Dann setzt man eigene Wünsche durch und hofft, dass es niemand bemerkt oder das Verfassungsverständnis der Praxis entsprechend verändert wird. Aber die Kalkulationen gehen auch in die andere Richtung, in der ein bisher übliches Gesetzesverständnis nicht den Wünschen entspricht, die man aus der Verfassung legitimerweise herleiten könnte. Auch in einem solchen Fall folgen kalkulierend Verstoßende dem Wunsch in der Hoffnung, das Verhältnis von Verfassung zu Gesetz werde sich bei dieser Gelegenheit ändern. Kalkulierte und gelingende Verfassungsverstöße sind Wunscherfüllung. 

Beispiele

Die folgenden Beispiele veranschaulichen ein unterschiedliches strategisches Kalkül von politisch provozierten Verfassungsverstößen:

(1) Das historische Musterbeispiel bot Hermann Höcherl, Innenminister der Bundesregierungen unter Adenauer, später auch Erhard und Kiesinger, und verantwortlich für den neu gebildeten Verfassungsschutz, der zu einem nicht unwesentlichen Teil aus früheren SS-Angehörigen bestand. Werner Pätsch, der dort nicht wohl gelitten war, teilte dem Magazin Spiegel mit, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) Telefongespräche systematisch abhöre, und wurde wegen der Mitteilung von Staatsgeheimnissen gekündigt, strafrechtlich angeklagt, nicht wegen Geheimnisverrats, aber wegen vorsätzlicher Verletzung der Amtsverschwiegenheit verurteilt (dazu BGHSt 20: 342). In der Befragung vor dem Bundestag zu dieser Abhöraffäre, die das Telefongeheimnis des Grundgesetzes verletzte, äußerte Höcherl: „Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen“. Er behielt insofern Recht, als das Bundesverfassungsgericht die strafrechtliche Verurteilung aufrechterhielt – trotz Verfassungsverstoßes, der aber „unter Würdigung der gesamten Umstände des Falles“ nicht so schwerwiegend gewesen sei (BVerfGE: 91, 191, 202).

(2) Höcherls Verfassungsverstoß war offensichtlich, er war illegitim, aber folgenlos. Es wurde praktiziert, was bis zum heutigen Tage üblich ist, auch wenn das zumindest in der Öffentlichkeit manchmal ebenso selbstverständlich ausgeschlossen wird („Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“). Weniger offensichtlich war der Verstoß des Bundeskanzlers Schröder, der im Juli 2005 die Vertrauensfrage in der Absicht stellte, Neuwahlen herbeizuführen (und eine neue Mehrheit unter Ausschluss der damaligen PdS zu gewinnen). Ein solches Verfahren sieht das Grundgesetz zwar nicht vor, das Bundesverfassungsgericht entschied aber in einem Organstreitverfahren zweier Abgeordneter, dass eine „Erosion und der nicht offen gezeigte Entzug des Vertrauens … sich ihrer Natur nach nicht ohne weiteres in einem Gerichtsverfahren darstellen und feststellen“ ließen und an „höchstpersönliche Wahrnehmungen und abwägende Lagebeurteilungen“ gebunden seien, die Kanzler und Bundestag selbstständig vornähmen (BVerfGE 2005: 121-195). Die Kalkulation des Kanzlers ging auf, und der Verfassungsverstoß war gar keiner – jedenfalls nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht.

(3) Im Jahr 2006 sind von deutschen Behörden CDs mit Steuerdaten angekauft worden, die Bankmitarbeiter in der Schweiz, in Luxemburg und Liechtenstein mit Kundendaten unerlaubt hergestellt hatten. In der sog. Liechtensteiner Steueraffäre kaufte das Land Nordrhein-Westfalen Daten von rund 800 Personen an, unter denen der damalige Vorstand der Deutschen Post war, der dann wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde. Der Sache nach handelte es sich um die Verwendung unrechtmäßig (durch Hehlerei) erlangter Daten für die deutsche Steuerveranlagung. Das Bundesverfassungsgericht sah darin aber nur eine „Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten“, die im weiteren Strafverfahren nicht etwa in jedem Fall (also nicht „absolut“) zu berücksichtigen sei (BVerfG, Beschluss vom 09. November 2010 – 2 BvR 2101/09). Das war nicht zwingend. Allerdings war der Entscheidung wie der darauffolgenden Steuerpraxis der öffentliche Beifall gewiss. Die allgemeine Anerkennung ließ die Kalkulation der Steuerbehörden aufgehen – wenige Millionen für die Datenmitteilung gegen viele Millionen durch anschließende Steuererhebung.

(4) Im Jahre 2019 entschied der Europäische Gerichtshof, dass die Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung deutscher Autobahnen diskriminierend sei, da ihre wirtschaftliche Last praktisch ausschließlich auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen liegt (Urteil in der Rechtssache C–591/17 Österreich / Deutschland). Bundesverkehrsminister Scheuer hatte versucht, ein Wahlversprechen der CSU gegen deutliche deutsche wie europäische Bedenken dennoch durchzusetzen. Der kalkulierte Verstoß gegen die Unionsverfassung scheiterte. Allgemeine Anerkennung konnte er zu keinem Zeitpunkt gewinnen.

Literatur

Zitierte Literatur

Zitiervorschlag

Seibert, Thomas-Michael (2021): Kalkulierter Verfassungsvorstoß. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 28.10.2021. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/kalkulierter-verfassungsverstoss/.

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Topos der düsteren Zukunftsprognose

Der Topos der düsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.